Außer Kontrolle: Die bürgerliche Gesellschaft der Gegenwart
„Alles Menschliche –
Reichtum, Ehre, Macht
und ebenso Freude, Schmerz usw. – hat sein
bestimmtes Maß, dessen Überschreitung zum
Verderben und zum Untergang führt.“
(Hegel, § 107/Z E)
Längst ist der „Ausbeuter- und Tierbändigerstandpunkt“[1], den wir schon immer gegen die Natur
einnahmen, einem Krieg gewichen. Wie es der Dalai Lama sieht: dem „Dritten
Weltkrieg gegen die Natur“. Und es sieht so aus, als wollten wir ihn gewinnen.
Wir
haben uns frei gemacht von ihr. Die Bindung an „Blut und Boden“ liegt hinter
uns. Das „Gängelband“ ist zerrissen. Sie ist nicht mehr Herr über uns. So weit,
so gut. Falsch aber unsere weitere Schlussfolgerung, dass nun wir die Herren
sind und sie der Knecht. Wegfall dieser Bindung bedeutet nicht Wegfall jeder
Bindung.
Selbstbindung ist jetzt gefordert. Diese hat mit „Vernunft“ und mit
dem „Vernunftstaat“ zu tun. Letzteren zu installieren, ihn zur institutionell
fassbaren und handlungsfähigen Größe zu gestalten wäre also dringend geboten. Ohne
ihn wird die Menschheit nicht mehr lange überleben können. Denn es ist
„Tatsache, dass die Entwicklungstendenzen der westlichen
Industriegesellschaften nicht fortsetzbar sind, ohne dass wir in einen Abgrund
stürzen.“[2]
Der Vernunftstaat ist also unsere einzige und letzte Chance. Ob wir sie nutzen
oder nicht, wird schon bald über unser Schicksal entscheiden. Aber Zweifel sind
angesagt. Ist doch alles um das „bewusstlose blinde Ganze der Bedürfnisse und
der Arten ihrer Befriedigungen“[3]
zentriert. Tausenderlei „Sachzwänge“ verlangen scheinbar gebieterisch nach
Wachstum. Wachstum und Konsum! Und das um jeden Preis. Das verlangt ein
„enthemmtes Anbranden gegen die Grenzen des Wachstums.“[4]
Mit „Hass und Wut“[5] gehen wir gegen die andere
Natur vor. Dagegen erhebt die „Vernunft“ ihre allzu schwache Stimme.
Wir wissen längst, dass das Verhältnis zur
„primären“ Natur über unser Schicksal entscheiden wird. Der Schlüssel zur
Lösung dieses Grundkonflikts wäre zugleich der Schlüssel zur Lösung der sich immer
weiter aufstauenden Binnenprobleme der bürgerlichen Gesellschaft. Nur deren grundlegende
Umgestaltung ermöglicht ein vernünftiges Verhältnis zur Natur. Das gegenwärtige
krasse Missverhältnis zwischen arm und reich, zwischen Nord und Süd, um nur
diese Beispiele zu nennen, müsste auf jeden Fall einer gerechteren Verteilung
weichen. In fast keiner Beziehung könnte es beim Alten bleiben; alles käme auf
den Prüfstand und müsste grundlegend verändert werden.
1828
beginnt K. Chr. Collmann seine Rezension der „Rechtsphilosophie“ mit den
Worten, dass der „Geist, der in diesem Buche waltet, … nicht derjenige [ist],
der in unseren Tagen auf bedeutende Erfolge rechnen darf.“[6]
Das ist eine Einschätzung, die damals vorherrschend war und heute
leider noch immer ist.
Literarisch wird durchaus tüchtiger Betrieb um ihren Autor gemacht.
Hegelgesellschaften, Hegelkongresse, Hegelliteratur in Hülle und Fülle. Sonst
aber? Schweigen im Walde. Wo es wichtig sein, gar: wo es praktisch werden
könnte, wird er gemieden – von der Wirtschaft und von der Politik.[7]
K. Vieweg beurteilt es so: Der „Vernunftstaat“ ist zwar dringendes
Erfordernis, aber ihn einzurichten ist die „wohl … schwierigste und riskanteste
Herausforderung an die Menschheit überhaupt“, vergleichbar dem „Besteigen des
Mount Everest ohne Seilschaft“.[8] Auch N. Luhmann sah es
bereits Anfang der 80-er Jahre eher nüchtern: Die bürgerliche Gesellschaft
verhalte sich ihren eigenen Prinzipien gemäß. Sie und ihre Mitglieder seien
resistent gegenüber Ermahnungen, Belehrungen etc. Die Umwelt habe in ihr keinen
Partner, sondern einen Gegner. Ihr Job sei es sie auszubeuten. Zu den
Stichworten „Bewusstseinsveränderung“, „neue Umweltethik“ äußert er sich wie
folgt: „Wir haben diese Forderung bereits verschiedentlich berührt – und nicht
viel damit anfangen können. Unsere Untersuchungen haben in eine ganz andere
Richtung geführt.“[9] Der „Vernunftstaat“ ist daher für ihn „Utopie“[10], ihn zu errichten so unwahrscheinlich, wie
einem Wolf das Grasfressen schmackhaft zu machen.
Die Liste der Skeptiker ist erweiterbar.
Und Hegel selbst? 1816 ist er sich noch sicher, dass die Vernunft
sich durchsetzen wird. An Niethammer schreibt er, dass das, „was an der Zeit
ist, notwendig geschieht“[11],
wenn auch die „Eule der Minerva … erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren
Flug“ beginnt – wie er 1820 ergänzt. Aber der Hegel des Jahres 1831 sieht
verbittert, dass er mit seiner „Vernunft“ und seinem „Vernunftstaat“ ziemlich
alleine dasteht. Die Entwicklung hat sich ihnen nicht genähert, sondern sich von
ihnen entfernt.
Moralische Appelle? Wirtschaftsethik?
„Rednerei“, die an der Situation wenig ändern wird.[12]
Wir haben gesehen, dass sich Hegel vom Tage des Erscheinens seiner
„Rechtsphilosophie“ bis heute mit einer Flut von Vorhalten und Einwänden fast
zu jedem Punkt und zu jeder Frage konfrontiert sieht. Größtenteils
Fehldeutungen. Sie kommen leider auch aus einem Lager, das eigentlich in Hegel
einen Verbündeten sehen sollte: dem Lager der ökologischen Bewegung.
„Naturfeind“, „Apologet der Industriegesellschaft“ sind nur einige der
Stichworte, die ihm von dorther entgegenschlagen und als Beleg dafür dienen
sollen, dass Hegel und seine Philosophie „der Ökologieproblematik grundsätzlich
nicht gerecht werden kann“[13].
Das ist vorschnell und unzutreffend geurteilt. Hegel sollte gerade von den
Umweltaktivisten als Vordenker erkannt und genutzt werden.
Ein Staat im Sinne Hegels?
Wenn man es nüchtern betrachtet, wenn man die Fakten zusammenstellt
und bewertet, kann die Antwort nur lauten: wir haben längst auf ihn verzichtet,
deutlicher: wir haben uns längst gegen ihn entschieden.
Wir wollen keinen Vernunftstaat. Und selbst
wenn wir ihn wollten, müsste angesichts des Problemstaus, vor dem wir stehen,
hinzugefügt werden: es könnte bereits zu spät sein für ihn. Die Schäden an der
„primären“ Natur haben inzwischen solche Ausmaße angenommen, dass ihre Behebung
oder auch nur Eindämmung nur über eine drastische Beschneidung der Rechte der
„produzierten“ Natur und ihrer Mitglieder erreicht werden könnte. Darauf sind
wir bisher in keiner Weise eingerichtet.
Es ist nie zu spät? Wo ein Wille, da auch ein Weg?
Was lässt Goethe seinen Faust sagen: „Die Botschaft hör ich wohl,
allein, mir fehlt der Glaube.“
Angesichts der bisherigen Entwicklung kann man nicht pessimistisch
genug sein. Wir stecken tief, sehr tief drin in der Sackgasse, in die wir uns
selbst manövriert haben. Und „wir wissen nicht, ob die Vernunft rechtzeitig in
die Lokomotive des Zuges vordringen wird, der auf den Abgrund zurast.“[14]
Das Schlimmste aber ist: Wir sind süchtig nach bürgerlicher
Gesellschaft. Je losgebundener diese ist, um so besser. Wir verhalten uns wie
Junkies – immer auf der Jagd nach dem nächsten „Schuss“, auch wenn dafür der
letzte Krümel echter Natur draufgehen sollte. Rechnet man das jetzige Tempo und
Ausmaß des Artensterbens auch nur linear fort, ist der Zeitpunkt abzusehen, an
dem sich der Mensch die Erde nur noch mit so hartgesottenen Arten wie Ratte,
Zecke und Kakerlake teilt.
Unsere Staatswesen sind „gesellschaftlich“
verfasst. Bekenntnisse zur Natur, selbst wenn sie Eingang in die Verfassung
finden, bleiben Kosmetik. Beispiel: Artikel 20a GG, eingefügt im Jahre 1994.
Sicher, ein schönes Bekenntnis. Aber es gibt wohl niemand, der behaupten würde,
dass damit eine Gleichrangigkeit der beiden Naturen bezweckt ist und
durchgesetzt werden könnte. Mehr als ein Anfang ist damit nicht gemacht. Die
Regelung wirkt wie „a“, wie „angeklebt“. Und wie sollte es auch anders sein?
Zentrales Anliegen des GG ist es, die Ausbeutung der „primären“ Natur zu legitimieren.
Es ist geradezu musterhaft[15] die Verfassung für diesen Zweck. Die
„richtige“ Natur ist nach dorthin „verbannt“, wo auch „Volk“ und der
Konnex-Begriff „Demokratie“ untergebracht sind: in ihren erkennbar
nachrangigen, nicht justiziablen Teil.[16] Dass die Regelung sich nicht am
„Eingemachten“ vergreift, zeigt sich
auch darin, dass es zu ihr - nach
immerhin mehr als zwanzig Jahren Geltung - noch keine Rechtsprechung des BVG
gibt. Dass die BRD trotz naturfeindlicher Verfassung über eine intaktere Natur
verfügt als viele Staaten dieser Erde, hat mit ihrem Reichtum zu tun. Sie kann
sich saubere Luft und sauberes Wasser leisten. Jedoch nur, weil wir „unsere“
Natur durch desto schamlosere Ausbeutung „fremder“ Natur vor dem Schlimmsten
bewahren können – Möglichkeiten, die der großen Schar „Dritte-“ und
„Vierte-Welt-Staaten“ durchweg fehlen.
Eine
ganz andere Qualität, ein ganz anderes Gewicht hätte eine solche Regelung, wäre
der Natur Subjektivität eingeräumt, wäre ihr ein Treuhänder zur Seite gestellt,
der das Recht hat, ihre „Leiblichkeit“ vor Eingriffen zu schützen, die über
ihre Leistungsfähigkeit hinausgehen – auch durch Anrufung des BVG. Aber dazu
hätte die Regelung dort eingereiht
werden müssen, wo die Verfassung „justiziablen“ Schutz bietet: in den Grundrechtsteil.
Aber das ist ja gerade der Punkt: unsere Begriffe von „Recht“ und
„Rechtstaatlichkeit“ schließen ein, dass die „primäre“ Natur rechtlos ist und
bleibt.
Das zentrale Hindernis bis heute ist die Vorstellung, die wir von
uns haben. Wir denken zu positiv von uns. Wir halten uns für die Krone der
Schöpfung, ja für den Schöpfer selbst. Dieses Bild stimmt nicht. Es ist zu
schön, um wahr zu sein. Und um dieses geschönte Bild herum haben wir ein
Weltbild geschaffen, das anthropozentrische, das diesen geschönten Menschen
inmitten einer schönen heilen Welt zeigt. Aber entgegen allen schwülstigen
Berufungen auf ihn: wir haben den
Menschen längst über Bord geworfen und ihn ersetzt durch den „Person“ genannten
Natur-Konsumenten.
Die Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft haben uns
korrumpiert. Sie haben uns die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, ohnehin die
„höchste und schwerste“[17]
Form der Erkenntnis, genommen. Wie es H. Marcuse pro Marx und gegen Hegel
gewendet, formuliert: „Die Idee der Vernunft ist durch die Idee des Glücks
verdrängt worden.“[18]
Dieses „Glück“ ist Ergebnis dessen, was für Hegel ein „schmerzerregendes
Wegschneiden eines wesentlichen Teiles“[19]
ist. Gemäß dem Motto: Je kränker das Ganze, umso gesünder das Teil, sind wir Meister
darin geworden, den „Krankheitszustand“ zum „Gesundheitszustand“ zu erklären.
Nun freigemacht von allem Natürlichen, nach dieser Amputation, glaubt der
zurückbleibende Rest-Mensch der eigentliche, der Mensch an sich zu sein. Aber:
„Krankheit und der Anfang des Todes“ ist dort vorhanden, wo „ein Teil sich
selbst organisiert und sich der Herrschaft des Ganzen entzieht“[20].
Zweck
unseres Daseins ist nicht die totale Enthaltsamkeit, die Abstinenz von allen
Genüssen. Es geht nicht darum, die Unschuld des Naturzustandes
zurückzugewinnen. Hegel weist daraufhin, dass diese „Unschuldsphantasien“ nur
Reflex des von uns praktizierten Gegenteils sind und nur „die Unbekanntschaft
mit der Natur des Geistes und dem Zwecke der Vernunft“[21] zeigt. Der „Vernunftzweck“ muss Maßstab
werden. Dieser ist „weder jene natürliche Sitteneinfalt“ noch der bloße Genuss.
Beide Extreme müssen durch echte Bildung „weggearbeitet“ werden. Das erfordert
„harte Arbeit“[22], die wir bisher lieber
leisten, um die „primäre“ Natur auszubeuten.
Skepsis ist daher angesagt. Angesichts des Problemstaus müsste die
bürgerliche Gesellschaft so tiefgreifend umgestaltet werden, dass von ihrer
heutigen Gestalt nicht mehr viel übrig bliebe. Der praktische Vollzug eines
Staates hegelscher Art dürfte nicht nur einen drastischen Fall der Aktienkurse
und der Profitraten nach sich ziehen, sondern jedem von uns ein Maßhalten
abverlangen, auf das wir in keiner Weise eingestellt sind. Die Glücksverheißung
der bürgerlichen Gesellschaft müsste, soweit sie auf Kosten der Natur geht,
revidiert werden. Rigorose Umverteilungen innerhalb der bürgerlichen
Gesellschaft wären notwendig, um die Folgen zu kompensieren. Das würde am
meisten jene treffen, die vom jetzigen Zustand am stärksten profitiert haben
und heute den Ton angeben. Es ist schwer zu beweisen, aber zu vermuten ist es
alle mal, dass es jene Teile der Gesellschaft sind, die für jene
Sprachlosigkeit der Theorie Sorge tragen, die sich bezüglich „Wirtschaft“ breit
gemacht hat.[23] Und das, obwohl noch nie in der
Menschheitsgeschichte ein – objektiv gesehen – so großer Bedarf an kritischer
Reflexion unseres „Wirtschaftens“ gegeben war. Je näher wir uns dem Abgrund
nähern, umso schweigsamer wird die Theorie, umso mehr wendet sie sich zweit-
und drittrangigen Fragen zu. Daher steht Hegel allein. Und es sieht so aus, als
bliebe er es. Rings um ihn wird mit dem empirischen Befund weitergearbeitet,
mit dem Schein des ungeteilten Menschen, mit einer immer brüchiger werdenden
Glücksverheißung. Und so geht er immer weiter: Der Raubbau an der richtigen
Natur – bis zum bitteren Ende.
Hegel sieht die Sache von vornherein nüchterner und (damit)
wahrhafter. Der „Mensch“ ist vom Sockel gestoßen bzw. ist zum Schein geworden.
Was von ihm übrig bleibt ist – und das auch nur vom „Standpunkte der
Bedürfnisse“: „das Konkretum der Vorstellung, das man Mensch nennt“. Es bleibt
der auf seine biologischen Funktionen reduzierte Mensch; nur „vom Menschen in
diesem Sinne“ ist jetzt noch die Rede.[24]
Der Mensch als bewusstlos gemachte „Leiblichkeit“, als biologischer Träger der „Person“. Der Mensch als „Produzent“ und als
„Konsument“. Beide stehen in einer Anti-Position zur Natur, damit zugleich aber
auch in Anti-Position zum wirklichen Menschen. Dieser läuft immer mehr Gefahr,
bloße „Leiblichkeit“ und insoweit inhaltlose Existenz zu sein. Er nähert sich
mehr und mehr jenem Zombie, den wir aus SF-Romanen und SF-Filmen kennen. Und
nimmt man deren Botschaft ernst bzw. sieht darin antizipierte Zukunft, so
scheint es so, als sei die „Person“ drauf und dran, sich von allem Biologischen
an ihr zu verabschieden, als sei der Roboter der Mensch der Zukunft.
Der Mensch ist Teil von Naturen, denen ein je unterschiedliches
„Bauprinzip“ zugrundeliegt. Die eine verkörpert „Organismus“, die andere
„Atomismus“. Auch wenn es ihm nicht gefällt oder er es nicht wahrhaben will:
Als Teil der „primären“ Natur steht er den anderen Lebewesen gleich. Er ist
dort Geschöpf unter Geschöpfen; er teilt ihr Schicksal. Soweit ihm die
Fähigkeit zur Arbeit mitgegeben ist, berechtigt ihn das nicht, die Schöpfung zu
zerstören. Nutzen, ja! Zerstören, nein! Beide Prinzipien, beide Existenzweisen
müssen über das „Ganze“, müssen über die „Einheitsnatur“ unter einen Hut
gebracht werden. Die Kehrseite ist eine erhöhte Verantwortung ihr und den
Mit-Lebewesen gegenüber. Die Sonderstellung verpflichtet dazu, den Schaden so
gering wie möglich zu halten, der der Natur und ihren Bewohnern entsteht, ja
möglichst jeden Schaden zu vermeiden. Die Pflicht zur Natur – und sie meint
Hegel, wenn in der „Rechtsphilosophie“ von der Pflicht die Rede ist, ist nicht
die Pflicht einer „Obrigkeit“ gegenüber, sondern „Inhalt meiner Freiheit“[25].
So gesehen findet das Subjekt in ihr „seine Befreiung“[26]
von der „Schuld“, die er sich täglich auflädt durch die spezifisch menschliche
Nutzung der Natur.
Anhand dieser Grundsituation wird die Dimension sowie die
praktische Bedeutung der Kritik deutlich, die Hegel an den „bisherigen
Behandlungsarten“ des Naturrechts übt. Da die bisherigen sich mit den heutigen
Behandlungsarten, bedeutsamer noch: mit der heutigen Praxis, weitgehend decken,
wird daraus die Aktualität seiner Kritik sichtbar.
Der Staat hat nicht nur den Bestand der Art „Mensch“ zu sichern,
sondern er hat jedem Artensterben entgegenzutreten, soweit der Mensch dessen
Ursache ist. So gesehen weist das Ausmaß des in unserer Gegenwart zu
beobachtenden Artensterbens also auf ein
gewaltiges Defizit an „Staat“ hin.
Wir
treiben auf den „kollektiven Selbstmord“ zu.[27]
Der Countdown ist eingeleitet. Die Uhr tickt. Der „Weltgeist“ sitzt schon über
uns zu Gericht. Nur für den Fall, dass wir uns doch besinnen sollten; nur zur
Erinnerung:
„Uns bleiben 100 Jahre“, titelte C. Jacobi 1987. Davon sind
inzwischen mehr als dreißig verstrichen,
ohne dass ein einziges Problem gelöst worden wäre.
[1] Bloch, Prinzip Hoffnung II,
S. 269.
[2] V. Hösle,
Philosophie der ökologischen Krise. Moskauer Vorträge, 2. Aufl., München 1994,
S. 25. Hösle
fügt hinzu: „Strittig ist höchstens der Zeitpunkt dieser Katastrophe.“
[3] SdS, S. 75.
[4] Hösle, a.a.O.,
S. 64.
[5] Hegel, DS S. 23. Das
wirksamste Mittel, die Herrschaft der Vernunft zu verhindern, besteht aber noch
immer darin, sie nicht etwa offen zu verachten oder sie gar zu verbieten,
sondern darin, „dass die Beschränktheit sich der Meisterschaft über die
Philosophie und der Freundschaft mit ihr rühmt.“ (ebd., S. 24).
[6] Abgedruckt bei M. Riedel,
Materialien 1, S. 158.
[7] Und sicher am wenigsten
deshalb, weil „Sprache und Begriffe Hegels … heute schwer in die Köpfe“
dringen, wie D. Suhr (Die Konstituierung der Sittlichkeit, HJ 1988, S. 54)
meint. Eher wohl so: „Profit“, „Konsum“, „Spaß“ verriegeln und verrammeln die
Zugänge zur Vernunft.
[8] K. Vieweg, Das Denken der
Freiheit. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, Paderborn 2012, S.
521.
[9] N. Luhmann, Ökologische
Kommunikation. Kann die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen
einstellen?, Opladen 1986, S. 259.
[10] Ebd., S. 256.
[11] Brief vom 5. Juli 1816,
zitiert bei M. Pawlik, Hegel und die Vernünftigkeit des Wirklichen, Der Staat
41 (2002), S. 204.
[12] Vgl. § 135/A R. Skeptisch
dazu auch G. Lübbe-Wolff in ihren praxisbezogenen Ausführungen zu „Recht und Moral
im Umweltschutz“, Baden-Baden 1999, z.B. S. 32.
[13] W. Schmied-Kowarzik,
Sittlichkeit, Gesellschaftliche Reproduktion und das Verhältnis zur Natur, HJ
1986, S. 199.
[14] Hösle, a.a.O.,
S. 68.
[15] Es ist daher durchaus
richtig, das GG in den Rang „eines verfassungstheoretischen Idealtypus“ zu
erheben, wie P. Unruh (Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz, Berlin 2004,
S. 21 f.) es tut.
[16] Weswegen Autoren wie Walter
Leisler (Das Volk, Berlin 2005) und Friedrich Müller (Wer ist das Volk?, Berlin
1997) seit Jahren vergeblich fordern, „Volk“ endlich justiziabel zu machen.
[17] § 377 und § 377/Z E.
[18] H. Marcuse, Vernunft und Revolution, Neuwied
u. Berlin-Spandau 1962, S. 259.
[19] GuW, S. 300.
[20] NR, S. 517.
[21] § 187/A R.
[22] Ebd. „Diese Befreiung ist im
Subjekt die harte Arbeit gegen die bloße Subjektivität des Benehmens, gegen die
Unmittelbarkeit der Begierde sowie gegen die subjektive Eitelkeit der
Empfindung und die Willkür des Beliebens.“
[23] Siehe dazu: S. Ellmers, Freiheit und
Wirtschaft. Theorie der bürgerlichen Gesellschaft nach Hegel, Bielefeld 2015,
S. 8.
[24] § 190/A R – Hervorhebung bei
Hegel. Dieser verbleibende Mensch unterscheidet sich vom Tier nur durch die
größere Vielfalt seiner Bedürfnisse. (s. § 190 R)
[25] § 155/A R.
[26] § 149/A R (S. 153).
[27] V. Hösle, a.a.O., S. 15. An anderer Stelle
(S. 43) spricht er vom „kollektiven Wettlauf in die Katastrophe“.