Anhand „Entfremdung/Entäußerung”:

Die Naturfrage bei Hegel und Marx. Ein Vergleich

 

Es sind wichtige Begriffe sowohl bei Hegel als auch bei Marx. Aber zu Recht sieht G. Lukacs[1] in der Herangehensweise an das von ihnen erfasste Problem einen der zentralen Unterschiede zwischen beiden. Er skizziert Hegels Position so: Dieser sehe die „Entäußerung” aufgrund eines/seines „ökonomisch unreifen” Standpunktes als Problem der Vergegenständlichung an. Als Ergebnis der „produktiven” Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur, kurz: der menschlichen Arbeit, sehe er beide, „Entäußerung” und „Entfremdung”, im Zusammenhang; beide halte Hegel für unvermeidbar, beide seien sie für ihn Teil seines „Schicksals”.

Anders Marx. Auch er leugnet die Entfremdung nicht. Da für ihn aber die „produzierte” Natur die menschliche Natur ist, da für ihn mit dem „Produzieren” der Mensch beginnt, kann diese Natur, die sein Zuhause ist, keine Entfremdung begründen. Wenn es sie trotzdem gibt, muss sie eine andere Ursache haben. Die einzig logische Erklärung liegt für ihn darin, dass diese Natur aus Gründen, die ihr nur zeitweilig anhaften, aber an sich außerhalb von ihr liegen, dem Menschen „fremd” ist. Dieser Grund ist das Privateigentum an Produktionsmitteln, allgemeiner: die Trennung der Produzenten vom Ergebnis ihrer Produktion. Abschaffung desselben bedeutet für ihn also zugleich Befreiung der „produzierten” Natur von allem, was sie dem Menschen fremd macht. Für Marx, so Lukacs, seien „Entfremdung” und „Vergegenständlichung” daher „aufs schärfste getrennt.” Letztere sei „ein Charakteristikum der Arbeit überhaupt, der Beziehung der menschlichen Praxis zu den Gegenständen der Außenwelt”[2], die „Entfremdung” dagegen sei eine Spezifik kapitalistischer Produktion. „Der Gegenstand, den die Arbeit produziert, ihr Produkt, tritt ihr als ein fremdes Wesen, als eine von dem Produzenten unabhängige Macht gegenüber.”[3] Das führe „zunächst”[4] zu „unmenschlicher” Vergegenständlichung. Im Kommunismus sei dieser Missstand beseitigt. Dort werde es also weiterhin die „Vergegenständlichung” – jetzt die „menschliche”[5] - geben, aber keine „Entfremdung”. Das „Produzieren” als das den Menschen Ausmachende charakterisiert hiernach alle Gesellschaftsordnungen, angefangen bei der Urgesellschaft bis hin zum Kommunismus. Zu Ende gedacht: Je mehr sich der Mensch vergegenständlicht, umso mehr ist er Mensch. Das macht sein Wesen aus; das ist daher positiv zu sehen. Wer die Vergegenständlichung negativ sieht, wer im „Produzieren” etwas dem „Sündenfall” Nachfolgendes, also Verbotenes sieht, offenbart damit bereits den metaphysischen/idealistischen/reaktionären Pferdefuß seiner Philosophie.[6] Die Kritik an der „Gegenständlichkeit”, die Warnung vor ihr, wird dann zur Warnung vor dem Menschen und seinem Tätigsein. Letzteres sei für den Idealismus Sache Gottes. Gott mache den Geist gegenständlich; Resultat ist die Schöpfung. Was Gott vorbehalten ist, ist dem Menschen versagt. „Produzieren” als unerlaubte Schöpfung, als Perpetuierung des Sündenfalls, muss aus dieser Sicht zwangsläufig etwas Negatives bewirken: nämlich Entfremdung.

Den Anstoß gibt L. Feuerbach. Seine Kritik der Hegelschen Philosophie zielt auf das „charakteristische Element Hegels, dem .... Element der Differenz.”[7] Immer diese zwei Wahrheiten, immer diese Gegenüber von Geist und Natur, von Subjekt und Objekt, von Geist- und Naturphilosophie! Immer diese Aufhebung der Gegenüber im Absoluten! Aber das Absolute, was ist das? ”Nichts als das Und, die Einheit von Geist und Natur. Sind wir denn aber damit weitergekommen?” Haben wir am Ende mehr in der Hand als ein „vages, namenloses Wesen”[8]? „Wie die Theologie den Menschen entzweit und entäußert, um dann das entäußerte Wesen wieder mit ihm zu identifizieren, so vervielfältigt und zersplittert Hegel das einfache, mit sich identische Wesen der Natur und des Menschen, um das gewaltsam Getrennte dann wieder gewaltsam zu vermitteln.”[9] Und wie kommt Hegel aus diesem Zwiespalt heraus? Doch nur dadurch, dass er das Prädikat zum Subjekt und das Subjekt zum Prädikat macht. Aber: „Hatten wir nicht diese Einheit schon im Begriffe der Natur selbst?”[10]

Was also ist zu tun?

Die Verselbständigung des Begriffs zugunsten einer Verselbständigung der Natur umkehren. Also „Verkehrung der realen Subjekt-Objekt und Subjekt-Prädikat-Beziehungen” durch Anwendung der „Umkehrmethode”[11]. Das ist die Lösung; sie leuchtet Marx ein, macht ihn zum „Feuerbachianer” und bezeichnet seinen Übergang von der Hegelschen zur „Feuerbachschen Dialektik”[12]. Diese „Umkehrmethode” praktiziert Marx zum ersten Mal bei seiner „Kritik des Hegelschen Staatsrechts” – einer Ausarbeitung, die durchgängig durch sie geprägt ist. Und da in „dieser Umkehrung … die ganze Kritik am Hegelschen Idealismus enthalten” ist[13], steht ihr Ergebnis bis heute hoch im Kurs.[14] Diese „Feuerbachsche Dialektik” unterscheidet sich von der Hegelschen u.a. darin, dass mit dem „System” auch die „Vermittlung” im Verständnis Hegels gestrichen ist, also als Herstellen einer Gleichheit der „Entgegengesetzten”.[15] Entschieden formuliert Marx: „Wirkliche Extreme können nicht miteinander vermittelt werden, eben weil sie wirkliche Extreme sind. Aber sie bedürfen auch keiner Vermittlung, denn sie sind entgegengesetzten Wesens.”[16] An die Stelle der – wie ich dazu sage – „homogenisierenden Vermittlung”, die als „geistige Akrobatik”[17] angesehen wird, setzen Marx/Engels daher eine „Wechselwirkung”, die dem Gesetz von der „Einheit und dem Kampf der Gegensätze” unterstellt ist.[18] Also eine „hierarchisierende Wechselwirkung”. Denn die Stellung der „Extreme” ist „keine gleiche”, deshalb „greift [das eine] über das andere über.”[19] Das ist eine Position, die über die Stationen „Heilige Familie” und „Pariser Manuskripte” weiterentwickelt[20] und zum festen Bestand der „materialistischen Dialektik” wird.[21] Dass aus dem Kampf Ungleicher die „produzierte” Natur als Sieger hervorgehen soll (und ja auch tatsächlich hervorgeht!), versteht sich aus dem Vorstehenden von selbst.

Das „System” und mit ihm: das ganze „Begriffswesen”, diese „rationelle Mystik”[22], sind gestrichen. Und wo ist man nun? – bei der Natur. Bei einer Natur, die nicht gewaltsam getrennt ist und daher nicht gewaltsam wieder zusammengefügt werden muss. Diese ununterschiedene Natur, die Rückkehr zu ihr, „ist allein die Quelle des Heils.”[23]

Soweit, so gut. Sehen wir aber genauer hin, so sehen wir, dass Feuerbach und nun auch Marx/Engels nur dorthin gelangen, wo die Philosophie der Aufklärung bereits war: bei einem einheitlichen Naturbegriff – allerdings ist der Ihrige dialektisch „angereichert” und deshalb „gallo-germanisch”[24] bzw. „materialistisch”. Der Weg ist geebnet, der von dieser zunächst nur „umgestülpten” Dialektik zur „Logik des Kapitals” führt.[25] Aber der Preis ist hoch. Denn fehlt es an der „Vermittlung”, ist die Einheit, zu der Feuerbach/Marx/Engels gelangen, nur eine „formelle Einheit”, die verdeckt, dass eine „Bestimmtheit” die „Herrschaft über die anderen Bestimmtheiten”[26] erlangt.

Dieser ununterschiedenen Natur steht der ununterschiedene Mensch zur Seite. Ein Mensch, dessen „ganzes Wesen ... sein Unterschied vom Tiere”[27] ist. In § 54 seiner „Grundsätze der Philosophie der Zukunft” fasst Feuerbach seinen „anthropologischen Materialismus”[28] zusammen: „Die neue Philosophie macht den Menschen mit Einschluss der Natur, als der Basis des Menschen, zum alleinigen, universalen und höchsten Gegenstand der Philosophie – die Anthropologie also, mit Einschluss der Physiologie, zur Universalwissenschaft.”[29]

Mit dieser für den Menschen daseienden Natur und mit diesem „über den Tieren stehenden Wesen”[30] Mensch ist der Grundstein für das rings um die „Person” und die „bürgerliche Gesellschaft” gruppierte anthropozentrische Weltbild gelegt.

Der „Mensch” Feuerbachs ist ein aus seinem „Schicksal” herausgelöster, ein idealisierter und privilegierter Mensch. Für Hegel eine Spukgestalt. Und wie recht er damit hat, zeigt sich darin, dass Feuerbach, bei ihm angelangt, mit seiner Philosophie am Ende ist. Ebenso ist es nahezu zwangsläufig, dass Marx/Engels, angezogen von Feuerbachs „anthropologischen Ansatz”[31], aber unzufrieden mit dessen Verharren in der Abstraktion, diesen „Menschen” konkret machen wollen.

Sie loben Feuerbach dafür, dass er den Hegelschen „metaphysischen absoluten Geist in den ‚wirklichen Menschen auf der Grundlage der Natur‘ auflöste”[32]. Und sie loben auch das Resultat: das einseitig auf den Menschen zugeschnittene Natur- und Weltbild, dessen Botschaft lautet: Die Natur, diese Natur, hat den Menschen hervorgebracht. Also ist sie auch damit einverstanden, dass er sie sich unterwirft. Sie kritisieren Feuerbach, der geahnt haben mag, vor welchem Graben er steht, dafür, dass er nicht den „tätigen”, sondern den „liebenden”[33] Menschen in die Mitte stellt. Das ist unakzeptabel. Das ist für sie der Schwachpunkt der „neuen Philosophie”, da damit nicht genug das ausgedrückt ist, was jetzt not tut: die zupackende, die naturverändernde Tat. Sie hinterfragen das „Losungswort ‚Mensch‘”.[34] Sie überschreiten den Graben, den sich Feuerbach zu überqueren scheut. Sie korrigieren ihn und sagen: Ja, der Mensch ist das höchste Wesen der Natur, aber nicht als deren Resultat, sondern als deren Basis[35] - was heißen soll: Resultat der einen, aber Basis der anderen Natur. Damit ist der Schritt getan, der auf die andere Seite führt, zur anderen Natur und zum „tätigen”, zum „naturschaffenden” Menschen.

Und wer ist „tätiger” in diesem Sinne[36] als der Proletarier?

 

Nicht Gott, sondern der Mensch ist das höchste Wesen, könnte man Feuerbachs „Das Wesen des Christentums” zusammenfassen. Ihm untersteht die Natur – nicht jenem. Diesen Standpunkt übernimmt Marx, überträgt ihn auf die Ökonomie und führt ihn gegen Hegel ins Feld. Verworfen ist damit die „Liebe” – dieser „Zaubergott, der bei Feuerbach über alle Schwierigkeiten des praktischen Lebens hinweghelfen soll – und das in einer Gesellschaft, die in Klassen mit diametral entgegengesetzten Interessen gespalten ist.”[37] Die bürgerliche Gesellschaft ist Arbeitsgesellschaft. Dort wird gehobelt. Dort fallen Späne. Marx ergänzt Feuerbach also dort, wo dieser vor den Konsequenzen seines eigenen Standpunktes zurückschreckt[38]. Er betont die tätige Seite, den „tätigen”, den produzierenden Menschen. Und wer ist das? Nicht jeder Mensch, sondern der Proletarier. Er ist der „tätige” Mensch; er vergegenständlicht seinen „Geist” – und das ist gut so, hieraus erklärt sich seine historische Mission. Ungut ist aber, dass dieser „Tätige” von den Mitteln getrennt ist, die er zum Produzieren benötigt, dass diese sich in der Hand von „Untätigen” befinden. Diese Trennung ist das Grundproblem. Ist sie beseitigt, ist damit auch die Ursache der „Entfremdung” beseitigt.

Mit dem so ergänzten[39] Feuerbach polemisiert Marx gegen Hegel; die „Ökonomisch-philosophischen Manuskripte” entstehen.

 

Anmerkung:

Als circa 110 Jahre später E. Bloch in „Prinzip Hoffnung”, vor allem unter Bezugnahme auf den jungen und „mittleren” Marx, eine Annäherung des Marxismus an Hegel (mehr noch an Schelling!) versucht und andeutet, dass, indem sie sich vor allem am Marx des „Kapital” orientiert, sich auch die sozialistische Gesellschaft ausbeuterisch gegen die „primäre” Natur verhält, stößt das auf den schärfsten Widerspruch bei der Partei- und Staatsführung und läutet das Ende seiner Mitgliedschaft zur DDR-Gesellschaft ein. Textstellen wie diese sind es, an die er anknüpft:

„Die Natur wird … rein Gegenstand für den Menschen, rein Sache der Nützlichkeit; hört auf als Macht für sich anerkannt zu werden; und die theoretische Erkenntnis ihrer selbständigen Gesetze erscheint selbst nur als List, um sie den menschlichen Bedürfnissen, sei es als Gegenstand des Konsums, sei es als Mittel der Produktion zu unterwerfen.”[40]

Bloch sieht den Gegensatz der beiden Naturen durch die zwischenzeitliche Dogmatisierung der Marxschen Lehre, mehr noch: durch die Praxis in der Sowjetunion und nun auch in der DDR, besonders schroff ausgebildet, weist auf ihn hin und mahnt seine Abmilderung an. Das trifft auf die prinzipielle Kritik seiner DDR-Kollegen. Akribisch durchforsten sie sein Werk und weisen ihm nach, dass er den Hegelschen Idealismus mit dem Marxschen Materialismus „versöhnen” wolle. Dazu diene er dem Marxismus unter anderem „das reaktionärste an Hegels Philosophie, sein idealistisches System” als „Fundgrube”[41] an.

Welche Zumutung!

An anderer Stelle[42] habe ich dazu bereits ausgeführt, dass Hegel im „System” beide Naturen zusammenführt und vermittelt, dass es also dazu dient, die überbordende, zerstörerische Dynamik der „produzierten” Natur zugunsten der anderen Natur zu zügeln. Dieses Ziel: die „primäre” Natur in ihre Rechte einzusetzen, ihr ihre Subjektivität zurückzugeben, versucht Bloch dem Marxismus seiner Zeit nahezubringen, indem er sich auf Aussagen von Marx/Engels beruft, die in diese Richtung zu gehen scheinen. Er wird eines Besseren belehrt:

„Freilich, häufig finden wir bei den Marxisten Formulierungen wie z. B. ‚Die Natur rächt sich‘ oder ‚Die Natur hat selbst den Reichtum geschaffen‘. Ein Vertreter des dialektischen und historischen Materialismus wird daraus nie folgern, es handle sich hier um einen von der Natur bezweckten, auf die menschliche Produktion bezogenen Prozess.”[43] Zu interpretieren seien solche Aussagen wie folgt: Der Architekt darf nicht die Gesetze der Statik, der Techniker darf nicht die Gesetze der Mechanik verletzen – sonst rächt sich die Natur. Nicht aber dürfen sie verstanden werden in dem Sinne, dass sie sich generell für ihre Inanspruchnahme durch den Menschen „rächt”. Dem Anliegen Blochs, der „primären” Natur ihre Subjektivität zurückzugeben, sie nicht bloß als Objekt der Ausbeutung anzusehen und zu behandeln, wird entgegengehalten:

„Nach marxistischer Auffassung ist sie [die aus Sicht Blochs rein kapitalistische Verhaltensweise ihr gegenüber] … das einzig mögliche reale Verhältnis zur Natur.” Der Versuch, die Natur zum Mitarbeiter, zum Subjekt zu machen, kann sich auf Marx nur stützen, wenn dieser „völlig falsch interpretiert”[44] wird, wenn man Marx durch Schelling ergänzt bzw. „auffrischt”[45].

 

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Wie Marx die Sache sieht, ist gerade gezeigt worden. Und Hegel? Er hat ein anderes Bild sowohl vom Menschen als auch von der Natur. Der Mensch ist Teil der Schöpfung und er ist darüber hinaus selbst Schöpfer, nämlich Schöpfer der „produzierten” Natur. Er gehört beiden Naturen an. Diese Doppelexistenz macht seine Spezifik, macht die menschliche Natur aus.

Hinzu kommt: Beide Naturen stehen sich gegenüber. Die „produzierte” entsteht auf Kosten der anderen; der Mensch als ihr Produzent steht mithin jenem Menschen gegenüber, der der „primären” Natur angehört. Mit seinem Produzieren zerstört er sowohl diese als auch sich selbst. „Entfremdung” ist für Hegel also die Folge dessen, dass sich der Mensch, indem er „tätig” ist, immer weiter von jener Natur entfernt, der er als biologisches Wesen angehört. Und zugleich wird er von der von ihm selbst hervorgebrachten „Gegen”-Natur vereinnahmt. Als Teil der einen steht er der anderen, als Teil der anderen steht er der einen Natur fremd gegenüber. Eine Verdoppelung, eine doppelte Fremdheit. Sie ist unvermeidbar. Sie gehört zu seinem Wesen. Sie belastet und verpflichtet ihn. Kurzum: Sie ist sein Schicksal. Sie macht sein Dasein zum ständigen Spagat, zur gelebten Aufgabe, ihm gerecht zu werden.

Wie wir bereits sahen, ist es das Problem der vor-hegelschen Philosophie, dass ihr ein Naturbegriff zugrunde liegt, der die Differenzierung in „produzierte” und „primäre” Natur und damit auch ihre Wesensungleichheit nicht kennt und insoweit unklar ist. Indem Marx Hegels „System” verwirft und die „produzierte” zur herrschenden Natur macht, fällt er insoweit von Hegel ab und nähert sich dem Standpunkt Fichtes an. Mit dem „System” ist jenes Sein verworfen, das in der „Wesenslogik” abgehandelt ist – das „gestaltlose Sein”, dessen Gestalt nur in der „Idee” aufbewahrt bzw. antizipiert ist. Die Blindheit ihm gegenüber verändert auch seine Dialektik. Bei Hegel ist sie eingebettet in das „System”[46]. Sie macht deswegen nicht nur die Beziehungen zwischen den zwei Naturen sichtbar, sondern auch jenen Beziehungs-Komplex, der sich um das „gestaltlose Sein” rankt. Diese Verbindung zwischen dem Ganzen und den Teilen wird von Marx als der konservative, die „Methode” stark einengende Teil angesehen und gekappt.[47] Aber diese aus ihren ontologischen Zusammenhängen gerissene Dialektik ist damit auf bloße Wechselwirkung der beiden Naturen reduziert. Außerdem ist sie damit ortlos und zu einem beliebig einsetzbaren Instrument gemacht. Der Weg ist frei, die ”produzierte” Natur „übergreifen” zu lassen. Im Grunde ist damit das Herangehen der modernen Systemtheorie antizipiert: Zur Seite gelegt wird ja nur das System „Natur”, nicht das System an sich. Es werden nur andere Prioritäten gesetzt. „System” ist jetzt die eine oder die andere Natur, wie sich schon in der Unterscheidung von dialektischen und historischen Materialismus zeigt. Wo Hegel zwei Naturen als „System” sieht, ist für Marx die bürgerliche Gesellschaft ein solches. Aus ihr werden die „Gegenüber” gewonnen, wie z.B. „Produktion” und „Zirkulation” oder „Bourgeoisie” und „Proletariat”. Damit ist die Dialektik tatsächlich zu jener „Mehrzweckwaffe” gemacht (oder zumindest in Gefahr dazu zu werden), von der bei E. Topitsch[48] die Rede ist.

 

Hinzu kommt, dass der Marxismus sich nicht mit „Begriffen” beschäftigt, sondern mit „Gestalten”. Da der Begriff weiter reicht, mehr umfasst als die Gestalt, resultiert daraus eine Verengung des Blickwinkels. Solange sich diese auf durch „Blut-und-Boden” hergestellte Gestalten bezieht, bleibt sie ohne praktische Folgen. Denn solange sind Begriff und Gestalt eins. Das Problem tritt offen zutage und verbindet sich mit praktischen Konsequenzen, sobald sich die bürgerliche Gesellschaft konstituiert. Denn was geschieht? Der Übergang zu ihr beseitigt die historisch letzte naturwüchsige[49] „Einheits-Natur”, das feudale Gemeinwesen. Ab jetzt sind die zwei gegensätzlichen Naturen getrennt – und damit auch der Mensch. Dieser Verlust der „Einheits-Natur” und des „Einheitsmenschen” ruft die Philosophen auf den Plan. Die Begriffe „Natur” und „Mensch” werden – wir sahen es bereits - im Zuge dieser Wandlung von der Philosophie der Aufklärung neu definiert. Und zwar, da das Flair des Fortschrittlichen sie umgibt, auf Basis der „produzierten” Natur.[50] Ihr „Mensch” ist jener Teil-Mensch, der von Hegel „Person” geheißen wird; er setzt nunmehr den ganzen Menschen fort. Was an sich ein Verlust ist, wird zu einem Gewinn, wird in „Freiheit” umgedeutet.

Was aber geschieht mit dem „Rest”, mit jener anderen Natur und mit jenem Teil-Menschen, der ihr angehört? In Bezug auf die „organische” Natur ist es schnell gesagt: Sie wird zum Objekt erklärt - zum Objekt, dem das Subjekt „bürgerliche Gesellschaft” gegenübersteht. Beim Menschen ist es schwieriger. Dessen „organischer” Teil kann nicht vom „unorganischen” getrennt werden. Kein chirurgischer Eingriff vermag dies, ohne dass am Ende der Tod steht. Was der Medizin versagt ist, leisten jedoch Logik und Philosophie. Sie separieren den einen Teil vom anderen. Resultat dieser logischen Operation sind die der bürgerlichen Gesellschaft zugeordnete, in ihr agierende „Person” hier und dort die politisch, ökonomisch und rechtlich „mundtot” gemachte „Leiblichkeit, das „Subjekt”, die in dem neu entstehenden Teilbereich „Moral” ihr Zuhause hat.[51]

Kommen wir auf unsere Fragestellung zurück:

Beantwortet man sie von der Warte der „produzierten” Natur und der „Person”, die sich ja nun als die „ganze” Natur, als der „ganze” Mensch begreifen, entsteht kein „Entfremdungs”-Problem. Ja, dann gibt es jetzt weniger „Entfremdung” denn je, weil nun die knechtende Bindung an die „organische” Natur beseitigt ist. Die Vergegenständlichung jedoch gehört zum Wesen dieser Natur und ihres Menschen. Sie ist daher, das ist der Schluss, der gezogen wird, rundum positiv zu sehen. Was Hegel will, um zum Menschen zu gelangen, ist für Marx hingegen „Wesensentäußerung, Entgegenständlichung und Entwirklichung des Menschen”.[52] Wo Hegel eine Entfernung des Menschen von seinem Zuhause sieht, konstatiert Marx eine Annäherung an dieses. Zunahme der Entfremdung bei jenem, Abnahme derselben bei diesem, könnte man zusammenfassen. Ein Gewinn auf der einen, ein Verlust auf der anderen Seite. Hegel sieht es so: Die Lücke, die entsteht, findet als „gefühlte Wahrheit”[53] ihren deutlichsten Widerhall in der Religion. In ihr ist der Verlust in spezifischer Weise aufgegriffen. Später[54] nimmt sich die Philosophie ihrer an, arbeitet sie rational auf, arbeitet an der „Versöhnung des Bewusstseins mit dem Selbstbewusstsein” als einem ersten Schritt einer „Rückkehr aus dieser Trennung”.[55] Religion und Philosophie stehen also über einen langen geschichtlichen Zeitraum nebeneinander als Ausdruck der „gefühlten” und der „erkannten” Wahrheit.

Die „produzierte” Natur ist die Natur des Menschen. In ihrer Gestalt als bürgerliche Gesellschaft ist sie jedoch unmenschlich und nur deshalb verbunden mit „Entfremdung”.[56] Diese Gestalt muss daher durch eine menschliche, durch eine kommunistische ersetzt werden. Im Gegensatz zu Hegel ist das Thema bei Marx also auf die Zusammenhänge des kapitalistischen Produzierens reduziert. In dieser unmenschlichen Art und Weise des Produzierens sieht er die Ursache.[57] In den „Ökonomisch-philosophischen Schriften”, in denen er sich „freischreibt” von Hegel, macht er deutlich: „Nicht dass das menschliche Wesen sich unmenschlich, im Gegensatz zu sich selbst vergegenständlicht”, sei für Hegel das Problem. „Sondern, dass es im Unterschied vom und im Gegensatz zum abstrakten Denken” überhaupt „sich vergegenständlicht, gilt [ihm] als das gesetzte und als das aufzuhebende Wesen der Entfremdung.”[58] Die „produzierte” Natur an sich, als Natur des Menschen, ist keine ihrer Quellen. Anders jedoch ihre bisherigen konkreten Gestaltungen: als Sklavenhalterordnung, als Feudalordnung, als bürgerliche Gesellschaft, die alle auf einer Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln beruhen, die alle Ausbeutergesellschaften sind. Deswegen bringt das dortige Produzieren „Entfremdung” hervor. Beseitigung dieses Zustandes ist also zugleich die „Vernichtung der entfremdeten Bestimmung der gegenständlichen Welt”[59]

Das Thema ist damit nicht nur enger gefasst, sondern ist zu einem anderen gemacht. Hegel geht es um das Verhältnis der zwei Naturen, damit auch: um das Verhältnis zweier Daseinsweisen des Menschen. Marx aber hat sich der Naturauffassung Feuerbachs angeschlossen und diese weiter ausgebaut. Das macht ihn blind für diese Fragestellung. Trotz der bei ihm - beim „jungen” mehr, beim „alten” weniger – zu findenden Wendungen, die den Eindruck erwecken, es sei anders, als stehe er nicht der Natur der Aufklärer, sondern der Natur Schellings nahe, als sei er ein Vordenker der modernen ökologischen Debatte[60], prägen also nicht sie sein Werk, sondern seine späteren Äußerungen, vor allem jene im „Kapital”. Die dort beschriebene Natur ist „produzierte” Natur; sie ist die Natur des Menschen, zu ihr bekennt er sich.[61] Insoweit interpretieren ihn seine realsozialistischen Nachfahren richtiger als z.B. E. Bloch.

Gegen die Hegelsche „Aufhebung” polemisierend, schreibt Marx:

„Einerseits ist dies Aufheben ein Aufheben des gedachten Wesens, also das gedachte Privateigentum hebt sich auf in den Gedanken der Moral.” Dieses „denkende Aufheben” glaubt, seinen Gegenstand ... überwunden zu haben”, obwohl es ihn „in der Wirklichkeit steh[e]nlässt”.[62]

Aber Hegel bezieht sie nicht auf etwas „Gedachtes”, sondern auf ein real existierendes Gemeinsames, wie es im feudalen Gemeinwesen historisch letztmalig Gestalt annimmt. Nur diese Gestalt verlässt die Geschichte. An deren Stelle treten die aus dem „gestaltlosen Sein” zu erschließenden „Vernunftgestalten”. Darunter der Mensch in seinem jetzigen „Anderssein”[63]. Das aber ist Marx nicht genug. Er wendet ein: Zwar widerspricht Hegel den „gangbaren Begriffen” des Aufgehobenen. Aber er endet im Metaphysischen und nicht im Wirklichen. Das ungegenständliche Wesen, zu dem er gelangt sei daher ein „Unwesen” bzw. ein „Scheinwesen”.[64]

Wogegen Marx sich sperrt, ist die aus seiner Sicht „metaphysische” (Begriffs-)Logik, mit der Hegel die konstituierenden Elemente sowohl der einen wie der anderen Natur erfasst und separiert. Und schlimmer noch: Was soll diese „Aufhebung”, wohin führt sie, wenn das Eigentum, wenn die Person, wenn der Vertrag von ihr nicht erfasst werden und diese sich in jeder historischen Gestalt wiederfinden, die das Gemeinwesen annimmt? Richtiger wäre es, das „Aufheben als gegenständliche, die Entäußerung in sich zurücknehmende Bewegung” durch „Aneignung des gegenständlichen Wesens” zu fassen.[65] „Aufhebung” also als Vernichtung der entfremdeten Bestimmung der gegenständlichen Welt. Eine Aufhebung, die zu dem realen Ergebnis „Kommunismus” führt, zum „Kommunismus als Aufhebung des Privateigentums”.[66] Hegel jedoch verwirft Eigentum, Person und Vertrag nicht generell. Seine Aufhebung bezieht sich nur auf ihre jeweiligen Gestalten. Für die „Einheits-Natur” ist damit klargestellt, dass sie nach Untergang des „Blut- und Boden”- Zusammenhanges nicht aus der Welt ist, sondern weitergeführt wird. Nur ihr feudaler Charakter, nicht die Verbindung selbst wird aufgelöst und abgelöst durch einen weitläufigeren Zusammenhang, dem „Reich der Gesetze” bzw. dem „naturgesetzlichen Gesamtprozess”. Während Marx also die Gestalt „feudales Gemeinwesen” ganz selbstverständlich durch die bürgerliche Gesellschaft abgelöst sieht, wird sie bei Hegel durch eine geistig zu erschließende Gestalt abgelöst, unter deren Dach, der „konstitutionellen Monarchie”, die beiden Naturen auf neue Weise, in einem neuartigem Verbund, als jetzt relativ verselbständigte Größen, fortgeführt werden.

Zwischenergebnis:

Mit Einschwenken auf die Position Feuerbachs, entscheidet sich Marx für die „produzierte” Natur und für den produzierenden Menschen. Das ist zugleich ein Rückfall auf jene Position der Aufklärung, gegen die sich die Hegelsche Philosophie richtet. Deren zentrale Aussage, dass der Mensch beiden Naturen angehört, dass beide Naturen die „menschliche” Natur ergeben, dass er als Wesen aus Fleisch und Blut eine Spezies ist und bleibt, die auch dem Tierreich angehört[67], ist damit verworfen. Aber wird betont, dass der Mensch seinem ganzen Wesen nach der „produzierten” Natur angehört, verliert der Aspekt, dass er durch sie ständig in Frage gestellt wird, alle Bedeutung. Die Frage, die Hegel sich stellt, ist dann „halbiert”, ist zu zwei Fragen gemacht, die je für sich mit der anderen scheinbar nichts zu tun hat, ja der, soweit sie den „tierischen Menschen” angeht, jede philosophische Bedeutung abgesprochen wird.[68] Hegel hätte Marx also das zum Vorwurf gemacht, was ihm selbst, allerdings unbegründet, von Vertretern der heutigen ökologischen Bewegung entgegengehalten wird: Dass er seinen Menschen von der Natur trennt, dass er zu denen zählt, die dem „unnatürliche[n] Menschenbild” der bürgerlichen Gesellschaft huldigen, dem wiederum ein „unmenschliches Naturbild” entgegengestellt ist.[69] Marx stünde für jenes anthropozentrische Weltbild[70], das in der Gegenwart einer vorurteilsfreien, objektiven Naturbetrachtung und noch stärker: einem wirksamen Schutz dieser Mitwelt entgegensteht.[71]

***

Etwa ab Herbst 1800 ist es für Hegel „unaufhebbares ‚Schicksal‘” des Menschen, Person zu sein und Eigentum zu haben.[72] Die Entfremdung verschärft sich damit gegenüber den vorhergehenden gesellschaftlichen Zuständen. Marx hingegen sieht das Grundübel nicht schlechthin im Eigentum, sondern im Privateigentum an Produktionsmitteln. Er gehe „davon aus, dass das Privateigentum ‚der materielle sinnliche Ausdruck des entfremdeten menschlichen Lebens‘ ist”, interpretiert ihn Oisermann. Für ihn bedeute „die ‚positive Aufhebung‘ des Privateigentums die Aufhebung aller Entfremdung.”[73] Bei der Vergegenständlichung hingegen bleibt es. Da sie in Beziehung zu den Produktivkräften steht, ist sie ein eigenständiger und positiv zu bewertender Befund. Ja, in der „Deutschen Ideologie” bringen Marx/Engels die „Entfremdung” - dort von ihnen in Anführungszeichen gesetzt - geradezu in Verbindung mit zu geringer Vergegenständlichung, wenn es heißt, dass ihre Aufhebung „eine große Steigerung der Produktivkräfte, einen hohen Grad der Entwicklung voraussetzt.”[74] Marx sieht sie also im Sinne von Fortschritt und Selbstverwirklichung; je mehr davon, um so „freier” hat sich der Mensch gemacht, umso mehr beherrscht er die Natur. Hier stimmt Marx also mit dem Liberalismus überein, der ja auch seine Freiheitsauffassung realisiert sieht, wenn die Natur „zur Sache und damit der Mensch zu ihrem Subjekt geworden ist.”[75] Hegel hingegen, sich der Problematik dieser Befreiung und dieser Freiheit bewusst, sieht darin beides, sowohl einen Gewinn als auch einen Verlust. Schließlich gehört zu ihnen, dass der Mensch, erst direkt, dann indirekt, zur Sache gemacht wird. Direkt, indem er versklavt war, indirekt, indem das Arbeitsvermögen zum „Ding” wird.

Diese „Freiheit”! Sie untergräbt nicht nur die Natur, sondern auch den Menschen selbst; sie fällt auf sie beide als Unfreiheit zurück. Hegel relativiert sie daher, soweit durch sie die Existenz der „primären” Natur infrage gestellt ist. Es greift also zu kurz, Hegel eines „unreifen ökonomischen Standpunktes” zu bezichtigen und ihm Marx entgegenzuhalten, der „von der tieferen und richtigeren Auffassung der ökonomischen Tatsachen” [76] ausgehe.

Während Lukacs meint, Hegel habe Smith nicht tief genug erfasst, ist es lt. A. Cornu die „Idealisierung des Menschen und der Natur”, die Fokussierung auf den „Geist”, die „idealistische Mystifizierung”, die Hegel am richtigen Verständnis des Problems hindere.[77] Jedenfalls führe diese „Vermischung”, diese „falsche Vereinigung von ‚Entäußerung‘ und ‚Dingheit‘ oder Gegenständlichkeit” dazu, dass Hegel „ganz falsche Unterschiede” mache. In der Summe laufe dies auf jene „‘Versöhnung‘ der Hegelschen Philosophie mit der Wirklichkeit hinaus, die Marx/Engels immer wieder anprangern.”[78]

G. Lukacs und J. Ritter[79], Marxismus und Liberalismus sind sich, was die „Vergegenständlichung” angeht, „einig”. Beide bejahen ihren emanzipatorischen Gehalt. Anders bei der „Entfremdung” hier trennen sich die Wege. Für den Liberalismus ist sie Teil der „Freiheit”. Der Marxismus sieht sie als Folge des Privateigentums an Produktionsmitteln. Beide kreiden Hegel an, dass er „Vergegenständlichung” und „Entfremdung” nicht trennt. Der Liberalismus, weil er die dialektische Methode bei der Analyse der bürgerlichen Gesellschaft nicht angewendet wissen will. Der Marxismus praktiziert diese dazu zwar, verweigert sich aber dem Gedanken, dass beide Naturen als Einheit zu sehen sind. Soweit Hegel sein System als Einheit beider Naturen sieht, wird es daher als „mystische Hülle” verworfen[80]. Ungeachtet der bedeutenden Unterschiede beider Ansätze: Der Verlierer ist beide Male die „primäre” Natur.

Hegels Philosophie handelt von der Dialektik zweier Naturen. Deren Resultat trägt ein ständig anderes Gesicht. Aber die Grundfigur bleibt stabil. Die „produzierte” Natur zur alleinigen machen zu wollen, bedeutet, sie vom Mittel zum Selbstzweck zu erheben. Die „Vergegenständlichung” zum Ersten zu machen hieße, ihr die Natur auf Gedeih und Verderb zu überlassen. „Freiheits- und „Glücksgewinn” auf ihre Kosten. In der Praxis führt das zum Produzieren „auf Teufel komm raus”, zum exzessiven Naturverbrauch. Also nicht deswegen, weil er ökonomisch „nicht auf der Höhe” ist, wie Lukacs meint, sondern, weil es aus seiner höheren Sicht der Grundzug der Philosophie und einer ihr folgenden Praxis sein muss, die Interessen beider Naturen zu veranschlagen.

Richtig ist, dass Marx sich ungleich intensiver mit der Ökonomie befasst. Er hat seine vertiefte Kenntnis aber insofern auch teuer bezahlt, als ihm dabei das „Ganze” aus dem Blick geriet, er also dabei „Opfer” seines „gesellschaftlichen” Ansatzes wird.

Unbestritten: Vom rein ökonomischen Standpunkt her gesehen, dem Standpunkt der „produzierten” Natur, weist Hegels Philosophie „Defizite” aus. Die „Produktivität” im kapitalistischen oder auch im realsozialistischen Sinne steht bei ihm keineswegs im Mittelpunkt. Praxis geworden, hätte uns seine „Wirtschaftsphilosophie” möglicherweise erst jetzt Segnungen des technischen Fortschritts beschert, deren wir uns bereits seit 100 Jahren erfreuen. Aber wie wir heute erkennen sollten: Sein Ansatz reicht gerade deshalb über den eng ökonomischen Horizont hinaus. Aktuell und in die Zukunft weisend ist also gerade diese, von fast allen Seiten kritisierte, ja angefeindete, Verquickung von Vergegenständlichung und Entfremdung – erkannt als Schicksal, das der Mensch täglich erneut meistern muss, wenn er überleben will. Falsch, weil illusionär, ist aus Hegels Sicht also der marxistische Ansatz, der die „Zerschlagung” des Privateigentums als Lösung des Problems vorsieht. Und falsch ist aus seiner Sicht ebenso der stiere Blick auf das Privateigentum als Vater und Mutter der „Freiheit”.

Zum Ursprung der Ökonomie der bürgerlichen Gesellschaft machen Hegel und Marx unterschiedliche Aussagen. Letzterer sieht ihn in der Zirkulation; von dort her erobert das Kapital die Produktion. Nach Hegel ist ihr Ursprung die Wirtschaftsfamilie. Diese differenziert sich in „Unternehmung” und bürgerliche Klein-Familie. Der zentrale Punkt dabei: Damit ist ein Wechsel vom Sittlichen zum Unsittlichen verbunden. Vorher in die Sittlichkeit eingebunden, von ihr domestiziert und erträglich gemacht, werden jetzt „Vergegenständlichung” und „Produzieren” frei gesetzt. Diese Herkunft und diesen Wechsel behält Hegel im Auge. Er sieht das Gefährliche, das Zerstörerische. Er hat im Auge, was ja angesichts des heutigen Massen-Konsums und der skrupellosen Verbraucher-Manipulation immer mehr verloren geht: die Einbettung der Produktion in das menschliche Bedürfnis. Er betont ihre dienende Funktion. Er sieht, was mit der neuen Zeit verlorengeht und sucht nach zukunftsfähigen Lösungen. Er sieht sie darin, dass nach Verlust der „Wirtschaftsfamilie” die nächstfolgende, umfassendere Einheit des Gemeinwesens, institutionalisiert im politischen Staat, als Repräsentant des Sittlichen tätig wird und Einfluss auf die produzierenden Einheiten und ihr Produzieren nimmt, indem er ihnen vorgibt, welches Quantum Natur ihnen hierfür zur Verfügung steht. Diese Einheit ist für ihn der letzte, der übrig bleibende, sittliche Rahmen. In Deutschland ist es eher K. Rodbertus, der diesen konservativen, a-kapitalistischen Ansatz aufgreift. Marx hingegen verwirft, zusammen mit dem Liberalismus, das, was einem kapitalistischen Produzieren entgegensteht als feudalistischen Plunder. Er lässt gerade diesen Staat, den sittlichen Staat Hegels, „absterben”. Damit ist die Lösung des Konflikts vollständig in die Gesellschaft verlegt.[81] Das durchzieht sein gesamtes Werk. Schon die Kritik, die er an Bruno Bauer und Moses Heß übt, die der Entfremdung, wie er meint, moralisierend entgegentreten, weist in diese Richtung. Die Ablösung des Produzierens vom Sittlichen, die er zur Ablösung von feudalen Hindernissen in Gestalt von Zünften, Reglementierungen aller Art verengt, ist für ihn die uneingeschränkt positive Leistung des Kapitalismus. Die Feudalität „ausgemistet”, den feudalen Mief heraus gelüftet zu haben, ist für ihn dessen zentrales Verdienst. Wie Ricardo will Marx „die Produktion der Produktion halber. ... Denn Produktion der Produktion halber heißt, als Entwicklung der menschlichen Produktivkräfte, also Entwicklung des Reichtums der menschlichen Natur als Selbstzweck.”[82] Hegel, der die Produktion nicht zum Selbstzweck werden lässt, kehre hingegen „das Verhältnis von Mittel und Zweck um.”[83], stelle damit das Verhältnis idealistisch auf den Kopf.

Im Unterschied zu Hegel ist und bleibt Marx in dieser wichtigen Frage ein Liberaler. Er verwirft zusammen mit der Feudalität das, was dieser zugrunde liegt und von Hegel fortgeführt wird: das „Gemeinwesen”[84]. Für ihn und Engels ist die „sozialrechtliche Anschauungsweise” eines Rodbertus nichts weiter als ein preußischer Weg zum Sozialismus, ein „Staatssozialismus”. Jenseits der bürgerlichen Gesellschaft liegt für Marx Preußen, die Reaktion, der feudale Pferdefuß. Was Hegel dort an Positiven erblickt, wird von ihm verworfen. Und indem er es verwirft, verwirft er diesen Teil der Hegelschen Philosophie.

Marx plädiert für die Übernahme der „frei gelassenen” Ökonomie. Nach der proletarischen Revolution soll sie den „assoziierten Produzenten” übergeben und von ihnen fortgesetzt werden. Prognostizierte Folge: Entfesselung der Produktivkräfte, rasanter Anstieg der Arbeitsproduktivität und des gesellschaftlichen Reichtums. Noch deutlicher Lenin: Er will die Gesellschaft nach Art eines Betriebes umgestalten. Diese Lösung beseitigt scheinbar die Ausbeutung, hebt scheinbar den Warencharakter der Produkte auf, ersetzt scheinbar den anarchischen Charakter des Produzierens durch die Planmäßigkeit. Nur scheinbar deshalb, weil lediglich die innerbetrieblichen Zustände, weil lediglich die der innerbetrieblichen Planmäßigkeit zugrunde liegende Willkür erweitert, nämlich auf die Dimension einer Volkswirtschaft erstreckt werden. Für beide ist damit das Problem gelöst, auch das Problem der Entfremdung. Hegel würde hierin jedoch dessen Potenzierung sehen. Er würde diese Lösung ablehnen, weil sie nicht nur einen Freibrief für das entsittlichte Produzieren bedeutet, sondern auch, weil die als „Statthalter” des Sittlichen in die bürgerliche Gesellschaft „eingebauten” Minimalsicherungen und Korrektive in Gestalt der Konkurrenz und des Marktes außer Kraft gesetzt sind. S. Zizek[85] weist zutreffend darauf hin, dass man die „Schubkraft der entfesselten Produktivkräfte” nicht einfach vom „Kapitalismus” trennen kann, dass die „Produktivität” nichts von ihm Unabhängiges ist. Die Ausbeutung der „primären” Natur ist also nicht bereits dann aus der Welt, wenn „assoziierte Produzenten” oder ein „sozialistischer” Staat ihre Gegenüber werden. Eher zeigt sich das Gegenteil.[86]

***

Eine Zusammenfassung könnte so lauten: Die menschliche Natur, die für Marx die „produzierte” Natur ist, ist für Hegel nicht die eine oder die andere Natur. Der Mensch gehört beiden Naturen an, folglich sind sie beide die „menschliche” Natur. Das Problem aber ist, dass beide sich unversöhnlich gegenüberstehen; jene aus Beton und Stahl setzt die Natur aus Wäldern und Wiesen außer Kraft. Ihr Gegensatz prägt auch den Menschen und macht sein Schicksal aus; er ist Quelle der Entfremdung. Sie erreicht mit Konstituierung der bürgerlichen Gesellschaft insofern eine neue Qualität, als sich jetzt die schrittweise Entfernung von der „primären” Natur zur Abkehr von ihr, zum Gegenüber verfestigt. Die „primäre” Natur ist zum Objekt der Ausbeutung degradiert. Da aber auch der Mensch zu ihr gehört, teilt er dieses Schicksal mit ihr. Die „Entfremdung” ist der Widerhall dieses Schicksals im Bewusstsein. Nur wer ganz in der Glücksverheißung der bürgerlichen Gesellschaft aufgeht, die sich im Besitz und im Konsum von „Dingen” manifestiert und erschöpft, mag sich nicht „entfremdet” fühlen und kann sich insofern glücklich schätzen. Aber es ist ein amoralisches und zunehmend brüchiges Glück, dem er sich hingibt.

Der Eintritt der bürgerlichen Gesellschaft in die Geschichte bedeutet also eine Zäsur, die sich von allen bisherigen Zäsuren abhebt. Die Vorgeschichte weicht der eigentlichen Geschichte.

Die Ablösung von der Natur (und damit von der Hilfestellung durch das „Naturwüchsige”) wird vom Liberalismus wie auch vom Marxismus missverstanden als Befreiung von der Natur, als „Freiheit”. Hegel hingegen blickt tiefer und weiter. Er sieht, dass der Verbund mit der Natur unauflösbar ist und bleibt. Der Mensch ist und bleibt ihr Teil. Er darf sich zu ihr also nicht als zu einem bloßen Objekt verhalten. Sie ist beides: Subjekt und Objekt – und daher ist es notwendig, sie jetzt als Subjekt (wieder)zu erkennen und diese Erkenntnis in politische, ökonomische und juristisch/institutionelle Konsequenzen einmünden zu lassen. Die Hauptfrage dabei: Was ist nach Verlust der „naturwüchsigen” Gestalt zu tun, um die Einheit beider Naturen sicherzustellen? Der Marxsche Lösungsansatz hat sich im praktischen Vollzug selbst gerichtet. Er ist aber auch theoretisch falsch. Denn das Gegenüber der beiden Naturen und die bloße Objektstellung der „primären” sind ja dessen feste Bestandteile; sein Kommunismus etabliert sich auf ihre Kosten.

Die politische Konsequenz, die Hegel zieht: Beide Naturen finden Aufnahme in den Staatsbegriff der Moderne. Seine konstitutionelle Monarchie ist also gemeint als der Staat beider Naturen. Marx hingegen versteht seinen Staat als die politische Organisation nur der „produzierten” Natur. Vor Beseitigung der „Entfremdung” ist dieser eine „Diktatur der Bourgeoisie”. Danach ist er „Diktatur des Proletariats”.



[1] G. Lukacs, Der junge Hegel, a.a.O., S. 680 ff.

[2] Ebd., S. 696. Ähnlich R. Garaudy in ”Gott ist tot” (Berlin 1965, S. 76 ff. u. 281f.).

[3] K. Marx, ÖPM, S. 511.

[4] Ebd., S. 574.

[5] Vgl. ebd., S. 572; R. Garaudy (a.a.O., S. 83): „die positive Seite der Arbeit”.

[6] Vgl. T.I. Oiserman, Die Entfremdung als historische Kategorie, Berlin 1965, S. 60: O. sieht im Hegelschen Entfremdungsbegriff, der „jede Gegenständlichkeit ... als eine ‚fremde Wirklichkeit‘” ansieht, „am unmittelbarsten die idealistische Entgegensetzung von Geistigem und Materiellen” widergespiegelt.

[7] L. Feuerbach, Zur Kritik der Hegelschen Philosophie, hrsg. und eingeleitet von W. Harich, Berlin 1955, S. 21, 53.

[8] Ebd., S. 53.

[9] Ebd., S. 72. Für den jungen Engels sind das alles Hinweise darauf, dass Hegel „nicht Ernst mit der Überwindung der Gegensätze” machen will. (MEW Bd. 1, S. 567).

[10] Ebd. (Feuerbach), S. 53.

[11] W. Schuffenhauer, Feuerbach und der junge Marx, Berlin 1965, S. 50 u. 55. Wie sehr die „Umkehrmethode” das Hegelverständnis der DDR-Philosophie geprägt hat, dazu H. Ley, Die Aufhebung der Hegelschen Philosophie durch Lenin, in: Ders. (Hrsg.), Zum Hegelverständnis unserer Zeit, Berlin 1972, S. 17-57 sowie die weiteren Aufsätze des Bandes.

[12] Schuffenhauer, a.a.O., S. 56.

[13] J. Hyppolite, Der Hegelsche Staatsbegriff und seine Kritik durch Karl Marx, in: M. Riedel, Materialien 2, 441-461.

[14] Es wird von all denjenigen gelobt, die den „liberalen Hegel”, den Hegel der bürgerlichen Gesellschaft favorisieren. M. Riedel dazu: „[S]ein unvollendeter Kommentar … [gehört] zu den bedeutendsten Leistungen der Hegel-Exegese, dem die zeitgenössische Schulphilosophie nichts Vergleichbares an die Seite zu stellen hat.” (M. Riedel, Materialien 1, Einleitung S. 28). Das Praktizieren der „Umkehrmethode” wird überhaupt bald die Basis einer partiellen Annäherung des Liberalismus an den Marxismus, z.B. in der Staatsfrage. Denn wie es H. Freyer (Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19. Jahrhunderts, Leipzig 1921, S. 94) bereits Anfang der zwanziger Jahre erkannt hat: Dabei „kehrte sich dem jungen Marx das Verhältnis von Staat und bürgerlicher Gesellschaft völlig um: die bürgerliche Gesellschaft, bei Hegel untergeordnetes Moment im Vernunftstaat, wurde zur konkreten Realität, der Staat zum abstrakten Oberbau.” M.J. Siemek (Von Marx zu Hegel. Zum sozialpolitischen Verständnis der Moderne, Würzburg 2002, S. 10) hält solchem Lob entgegen, dass mit Übernahme der „Umkehrmethode” die Ausklammerung der „primären” Natur und deren Subjektivität aus dem Begriff des Politischen besiegelt war, dass sie überhaupt auf eine „Halbierung” all dessen hinausläuft, was die Philosophie Hegels ausmacht, dass sie im Endeffekt den Marxismus zu einer Philosophie macht, die nur jenen „Sonderfall der Natur” zum Gegenstand hat, „welchen die menschliche Gesellschaft bildet.”

[15] H. Glockner (Hegel 1, Stuttgart 1929, Vorwort S. XVIII) dazu: „Das Wesen der Vermittlung verkannte Feuerbach. Er ging von Anfang an in seiner Hegel-Kritik zu weit und schlug sich auf die Seite eines handfesten Monismus, für dessen Abstraktionen er blind war. Hegels Anti-Dualismus bedeutete keineswegs ein monistisches Bekenntnis. Hegel stand über jeder Alternative, also auch über dieser.”

[16] MEW 1, S. 292.

[17] Hyppolite, a.a.O., S 451.

[18] Vgl. dazu: MEW 20, S. 348 ff.

[19] MEW 1, S. 294.

[20] Zwei Sätze F. Engels weisen auf diese Weiterentwicklung hin: „Feuerbach durchbrach das System und warf es einfach beiseite. Aber man wird nicht mit einer Philosophie fertig dadurch, dass man sie einfach für falsch erklärt.”(M/E AS Bd. II, S. 337).

[21] Siehe dazu: A. Arndt, Hegels Wesenslogik und ihre Rezeption und Deutung durch Karl Marx, in: A. Arndt/G. Krück (Hrsg.), Hegels „Lehre vom Wesen”, Berlin 2016, S. 181-194.

[22] Schuffenhauer, a.a.O., S. 57.

[23] Ebd., S. 66.

[24] Feuerbach plädiert für eine „gallo-germanische Alliance” in der Philosophie. Dazu Schuffenhauer a.a.O., S. 71.

[25] Vgl. A. Arndt, Hegels Wesenslogik, a.a.O., S. 182 f.

[26] NR, S. 449.

[27] Feuerbach, a.a.O., S. 162.

[28] J. Höppner, Nachwort zu: L. Feuerbach, Geschichte der neuern Philosophie von Bacon bis Spinoza, Leipzig 1976, S. 383.

[29] Feuerbach, a.a.O., S. 163 – Hervorhebungen bei F.

[30] Ebd., S. 162.

[31] Mit diesem „anthropologischen Ansatz”, so Schuffenhauer (a.a.O., S. 147), ist Feuerbach dabei, „Hegels Geschichtskonstruktion” zu überwinden, die das geschichtliche Werden nicht vom Menschen, sondern „von einer überweltlichen absoluten Idee” ausgehen lässt.

[32] MEW Bd. 2, S. 147.

[33] Zum Begriff der „Liebe” bei Feuerbach: Schuffenhauer, a.a.O., S. 71.

[34] Schuffenhauer, a.a.O., S. 147.

[35] Siehe dazu: Schuffenhauer, a.a.O., S. 147.

[36] Und wenn man noch dazu die körperliche Arbeit als die Hauptform der Arbeit ansieht!

[37] Marx/Engels, AS Bd. II, S. 352.

[38] Marx (MEW Bd. 3, S. 533 -Thesen über Feuerbach) kritisch: „Er betrachtet daher ... nur das theoretische Verhalten als das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig-jüdischen Erscheinungsform gefasst und fixiert wird.”

[39] H. Ottmann, Der Begriff der Natur bei Marx, ZphF 39 (1985), S. 215-228, S. 219: „Mit Feuerbach wird gegen Hegels Naturbegriff polemisiert”.

[40] GR, S. 313.

[41] W. Schubardt, Philosophie und Politik im Hegelvortrag Ernst Blochs, in: R.O. Gropp u.a., Ernst Blochs Revision des Marxismus, Berlin 1957, S. 233.

[42] Siehe unter „Hegels Zwei-Naturen-Lehre”, umfassender: B. Rettig, Staat-Recht-Ökologie, S. 46 ff.

[43] H. Engelmann, Produktivkräfte und Natur – Kritik der Technikkonzeption von Ernst Bloch, in: Ernst Blochs Revision …, S. 174.

[44] Ebd. Eine gängige Interpretation der Marxschen Naturauffassung in der DDR war diese: „Der Mensch ist aus der Natur hervorgegangen, als biologisches Wesen Teil der Natur, erhebt sich jedoch über diese und stellt sich ihr vermittels der Arbeit gegenüber.” (PhWB, S. 376).

[45] Siehe dazu: J. Habermas, Ernst Bloch. Ein marxistischer Schelling, in: Philosophisch-politische Profile, Frankfurt/M. u. Wien 1991, S. 141-159.

[46] Hegel eindringlich in der Vorrede zur „Phänomenologie”: Wissenschaftliches Denken ist System-Denken!

[47] Garaudy (a.a.O., S. 206) sieht darin die Leistung von Marx.

[48] E. Topitsch, Kritik der Hegel-Apologeten, in: G.-K. Kaltenbrunner (Hrsg.), Hegel und die Folgen, Freiburg 1970, S. 349.

[49] MEW Bd. 3, S. 62, MEW Bd. 13, S. 475 – dort wird vom „naturwüchsigen Gemeinwesen” gesprochen.

[50] Vgl. zu dieser Problematik: B. Rettig, Hegels sittlicher Staat, a.a.O., Einleitung (S. 19ff.).

[51] Dem entspricht die zu gleicher Zeit einsetzende Säkularisierung. Moralität und Religion werden zu Bereichen, die aus dem „Politischen” ausgegrenzt sind.

[52] Marx, ÖPM, a.a.O., S. 584. W. Röd (Der Weg der Philosophie Bd. II, 17. bis 20. Jahrhundert, München 2009, S. 303) kommentiert: „Nur der durch die menschliche Arbeit bedingten Natur, nicht der Natur an sich, galt sein Interesse, denn ‚die Natur, abstrakt genommen, für sich, in der Trennung vom Menschen fixiert, ist für den Menschen nichts.‘”

[53] Phän., S. 585.

[54] Phän, S. 585f. „Der Inhalt der Religion spricht darum früher in der Zeit als die Wissenschaft es aus, was der Geist ist; aber diese ist allein sein wahres Wissen von ihm selbst.” Hervorhebung bei H.)

[55] Phän., S. 578f. Wir sahen bereits, dass auch Schelling die Abwertung der/dieser Natur rückgängig zu machen sucht. Allerdings auf eine Art und Weise, die, ins Politische fortgedacht, zu einer Öko-Diktatur führen würde.

[56] In andere Worte gefasst: Nicht die Produktivkräfte, die der bürgerlichen Gesellschaft zugrunde liegen sind unmenschlich und wirken „entfremdend”, sondern das kapitalistische Produktionsverhältnis.

[57] Die Zusammenfassung, die K. Löwith (Von Hegel zu Nietzsche, S. 196 – Hervorhebungen bei K.L.) gibt: „Die Differenz zwischen Hegels ‚System der Bedürfnisse‘ und Marxens ‚Kritik der politischen Ökonomie‘ zeigt sich darin, dass Marx als Selbstentfremdung des Menschen bekämpft, was bei Hegel noch ein positives Moment jeder menschlichen Tätigkeit ist, nämlich die Entäußerung seiner selbst”, ist insofern ungenau, als er „Vergegenständlichung” und „Entfremdung” nicht sauber trennt und auch deshalb, weil sie nicht genügend zum Ausdruck bringt, dass Hegel sie nicht einfach nur positiv bewertet, sondern er hierin das Grundproblem, das „Schicksal” des Menschen sieht.

[58] Marx, ÖPM, a.a.O., S. 572.

[59] Ebd., S. 583 (Hervorhebung bei Marx).

[60] Das wird besonders bei W. Schmied-Kowarzik deutlich, der, gestützt besonders auf das Frühwerk, aber auch auf eine Vielzahl beachtenswerter Bemerkungen im ökonomischen Hauptwerk von Marx, dessen ökologische Kompetenz behauptet. Siehe dazu die lesenswerte, sehr problemorientierte Diskussion zu „Marx und die Naturfrage” zwischen H. Immler und W. Schmied-Kowarzik, gedruckt unter diesem Titel, Hamburg 1984. Verwiesen wird hierzu auch auf V. Hösle (Philosophie der ökologischen Krise. Moskauer Vorträge, München 1994, der, bezugnehmend auf Äußerungen von Marx, die in Richtung „Schelling” gehen, zum Ergebnis gelangt, „dass weder Marx noch seine Epigonen eine Werttheorie erarbeitet haben, die die Naturzerstörung bremsen könnte.” (S. 106).

[61] Das betont M.J. Siemek (Von Marx zu Hegel. Zum sozialpolitischen Verständnis der Moderne, Würzburg 2002, S. 10f. und S. 24f.) Siehe dazu auch: H. Westholm, Stoffwechsel des Menschen mit der Natur – zu einem qualitativen Naturbegriff von Schelling und von Marx, Oldenburg 1986.

[62] Marx, ÖPM, a.a.O., S. 582. J. Habermas (Ernst Bloch, a.a.O., S. 143) verweist darauf, dass Marx, indem er sich Feuerbach anschließt, sich auch dessen Begriff der „Aufhebung” zueigen macht, was heißt: dem „‘Aufheben‘ die Hälfte seines Sinnes nahm”.

[63] Phän., S. 575.

[64] Marx, ÖPM., S. 583 sowie S. 578 u. 581.

[65] Ebd., S. 583.

[66] Ebd.

[67] Das sollte heute, nach Entschlüsselung des menschlichen Genoms, für jedermann einleuchtend sein. Vom Menschenaffen trennen uns weniger als zwei Prozent des Gen-Materials. Von Kuh und Schwein, deren Fleisch wir massenhaft vertilgen, trennen uns 17 bzw. 30 Prozent. So gesehen grenzt unser gegenwärtiges Essverhalten an den Tatbestand des Kannibalismus.

[68] Das ist richtig erkannt, wenn es bei M. Siemek (Von Marx zu Hegel, a.a.O., S. 25) heißt: „Das Problem der Entfremdung hört also auf, eine ‚anthropologische‘ Frage nach den Beziehungen zwischen dem Menschen als Gattung und der Natur zu sein, und wird zu einer sozialhistorischen Frage nach den Widersprüchen des gesellschaftlichen Arbeitsprozesses selbst, die in der wirklichen Geschichte erscheinen.”

[69] Siehe dazu: K.M. Meyer-Abich, Praktische Naturphilosophie, a.a.O., S. 27.

[70] Bzw. „anthropozentrisches Vorurteil”, wie Marianne Weber (Fichtes Sozialismus und sein Verhältnis zur Marxschen Doktrin, Tübingen 1900, S. 80) formuliert.

[71] Er kommt als Marx der Pariser Manuskripte dabei besser weg, als er dies, von der Sache her gesehen, verdient, wenn ihm verschiedentlich für diese Zeit und für diese Schriften ein „dezidiert ökologischer” Standpunkt (vgl. P.C. Mayer-Tasch, Natur denken Bd. 2, Frankfurt/M. 1991, S. 142) bescheinigt wird. Aber dieser Eindruck entsteht hauptsächlich, weil er mit dem Wort „Natur” hantiert, ohne das auf den ersten Blick deutlich wird, welche Natur er meint. Da er damals aber bereits von L. Feuerbach inspiriert ist und mit ihm den Menschen aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus begreift, ist es die „produzierte” Natur, die für ihn menschliche Natur ist. Zutreffender urteilt daher H. Ottmann (a.a.O.), wenn er auch den „jungen Marx” zu jenen zählt, die nur die „Selbstschöpfung des Menschen” (S. 221) als „Natur” anerkennen.

[72] F. Rosenzweig, a.a.O., S. 192. Für Hegel ergibt sich die Unauflösbarkeit von ”Person” und ”Eigentum”, weil das individuelle ”Arbeitsvermögen” Ausgangspunkt des Eigentumsbegriffs ist. Die ”Person” ist also für ihn verdinglichtes, in ihr separiertes und über sie ”lebendig” gemachtes, Arbeitsvermögen.

[73] Oiserman, a.a.O., S. 86.

[74] MEW Bd. 3, S. 34.

[75] J. Ritter, Person und Eigentum, in: Ludwig Siep (Hrsg.), Klassiker auslegen. Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1997, S. 64. An anderer Stelle (ebd., S. 65 f.) heißt es bei ihm, dass der Mensch „Freiheit” gewinnt, „indem er sich aus der Unfreiheit des Naturstandes [befreit] und die Natur, ihre Macht durchbrechend, zur Sache macht.”

[76] Lukacs, a.a.O., S. 694. Vorher (S. 684) schreibt er: „Freilich hat die theoretische Unklarheit Hegels in der ökonomischen Wertlehre zur Folge, dass bei ihm diese Gruppe der ‚entäußerten‘ gesellschaftlichen Gegenständlichkeit immer wieder mit der ersten verschmilzt, dass er manches als notwendige Folge der Vergesellschaftung der Arbeit, der menschlichen Praxis überhaupt ansieht, was ein spezifisches Wesenszeichen der kapitalistischen Gesellschaft allein ist.”

[77] A. Cornu, Über das Verhältnis des Marxismus zur Philosophie Hegels, DZfPh 1954, S. 895.

[78] Lukacs, a.a.O., S. 686. Bezogen auf die Entfremdung und deren Charakterisierung durch Hegel als „etwas Unechtes, etwas Fehlerhaftes, einen Mangel”, heißt es bei W.R. Beyer (Hegel-Bilder, Berlin 1970, S. 139): „Dass Hegel dann eine ‚schlechte‘ Versöhnung ins Spiel bringt, ist sein Versagen, zu dem ihn der idealistische Ansatz seiner Philosophie leiten und verleiten muss.”

[79] Man kann diesen Personenkreis selbstverständlich weiter ziehen und z.B. Heidegger, Adorno und Horkheimer dazu zählen – wie das S. Zizek (a.a.O., S. 355) tut.

[80] MEW Bd. 23, S. 27 (Nachwort zur 2. Auflage des „Kapital”).

[81] Vgl. dazu: D. Henrich, Karl Marx als Schüler Hegels, in: Hegel im Kontext, Frankfurt/M. 1981 (3. Aufl.), S. 187, besonders S. 200 f.

[82] Marx, Theorien über den Mehrwert, zitiert bei G. Lukacs, a.a.O., S. 510.

[83] G. Lukacs, a.a.O., S. 512.

[84] Für Marx konstituiert sich jetzt ein Gemeinwesen, das sich vom Geld als dem „verselbständigten Tauschwert” her versteht; dieses ist jetzt „das Gemeinwesen”. Das zeigen die Überlegungen, die er in den „Grundrissen” hierzu anstellt (S. 130 ff., besonders S. 134) Damit ist die Verengung von „Gemeinwesen” auf „bürgerliche Gesellschaft”, allgemeiner: auf die „produzierte” Natur verbunden, bei es auch bliebe, würde die bürgerliche in eine kommunistische Gesellschaft umgewandelt.

[85] A.a.O., S. 355.

[86] Die ökonomische Praxis des realen Sozialismus zeigt eine nicht vom objektiven Geist, sondern vom nackten ökonomischen Interesse beseelte, Form planmäßiger Naturausbeutung. Raubbau in beispiellosem Maßstab fand statt, wo sich ökonomische und poltische Interessenlage besonders eng paarten. Man erinnere sich an die Industrielandschaften, die allein die DDR hinterlassen hat. Eine beispiellose Luftverschmutzung. Ein beispielloser Landschaftsverbrauch. Allein die Beseitigung der von der WISMUT zurückgelassenen Umweltschäden hat bisher mehr als 8 Milliarden Euro gekostet. Tonnenideologie dort, wo intelligenzintensive Produktion bitter nötig gewesen wäre.

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