1.
Hegel
und das „Reich der Gesetze“. Versuch einer Deutung
(Zum
Gegenstand des Rechts und der Rechtswissenschaft)
Vorbemerkung/Problemstellung:
Was sind die Gesetze? Was
unterscheidet die Rechtsgesetze von den Naturgesetzen? Wo Hegel auf das „Philosophische“
der Rechtswissenschaft zu sprechen kommt, sucht er darauf eine Antwort. Und
nicht zufällig ist, dass wir auf die allgemeinsten Aussagen dazu in der
„Wesenslogik“ stoßen, besonders dort, wo das Verhältnis der Teile und des
Ganzen abgehandelt wird. In diesem Umfeld stoßen wir auf das „Reich der
Gesetze“[1].
Wo auch immer Hegel ihn
thematisiert: wir stoßen auf einen Gesetzesbegriff, der weit über dessen
juristische Bedeutung hinaus geht. Auch dort, wo der Leser eigentlich nur
Äußerungen zu den Rechtsgesetzen erwartet, in der „Rechtsphilosophie“, wird
Hegel nicht müde, dieses Übergreifende: den Bezug zu den Naturgesetzen,
aufzuzeigen.
Die These, die hier zugrunde
liegt:
Hegels
Ausgangspunkt ist ein „Ganzes“, in dem zwei Naturen zur Einheit gebracht sind:
die „vorgefundene“ oder „primäre“ und die menschgeschaffene oder „produzierte“.
Naturen, die sich wie Feuer und Wasser gegenüber stehen. Beiden anzugehören ist
das Schicksal des Menschen. War es bisher so, dass sie beide unter Führung der
„primären“ Natur in einem „naturwüchsigen Gemeinwesen“ zusammengeschlossen
waren, stehen wir in der Moderne vor dessen Zerfall und vor einer
Neuorganisation. Ein Gemeinwesen steht auf der Tagesordnung, das die Heimat
zweier gleichberechtigter, im Miteinander verbundener Naturen ist. Was sich
stattdessen etabliert ist ein Gemeinwesen, das auf der Vorherrschaft der
„produzierten“ Natur beruht. Eine Umkehrung, mit der eine ungeheure Verschärfung jener Frage
einhergeht, die Hegel als die
Schicksalsfrage des Menschen ansieht – die Frage seines jetzigen und
künftigen Umgangs mit der „primären“ Natur. Denn mit der „produzierten“
erwächst dieser ein Gegner, der – wird ihm die Herrschaft überlassen – das
Potential in sich trägt, sie unter sich zu begraben.
Wofür Hegel plädiert:
Ein „Ganzes“, das keine
Vorherrschaft der einen oder anderen Natur anerkennt. Sichtbar wird ein
Weltbild, das sich von unserem anthropozentrischen, auf der praktizierten
Vorherrschaft „unserer“ Natur beruhenden, stark unterscheidet.
Diese Zugehörigkeit des Menschen
zu zwei Naturen: Sie ist begleitet von einem ständigen Zwiespalt und der Frage:
Welche ist die wichtigere? Und da uns die „produzierte“ Natur am nächsten zu
stehen, da sie uns die menschliche
Natur zu sein scheint, optieren wir für sie - und nehmen in Kauf, dass wir uns
damit gegen die „primäre“ Natur entscheiden.
Aber es ist doch wohl so: Die
„produzierte“ Natur wird von einem Schöpfer geschaffen, der selbst nur Geschöpf
ist. Die „primäre“ Natur indes ist göttlicher Herkunft und insoweit der Urquell
von allem – auch der „produzierten“ Natur.
Das „naturwüchsige Gemeinwesen“:
ein biologischen Gesetzmäßigkeiten unterstellter Organismus. Vor den Augen des
Publikums zerfällt er im Deutschland Hegels. Lichtet sich der Nebel, stehen wir
vor zwei Naturen, die sich eben noch als Glieder eines „Ganzen“ arbeitsteilig
ergänzten, sich nun aber als Totalitäten gegenüber stehen. Und das „Ganze“? Die
dialektische Logik sagt uns: Nicht zwei, sondern drei Naturen gehen aus
dem Organismus hervor! Dieser weicht
einem logischen Verbund des Ganzen und der Teile. Das Problem daran: Sichtbar werden nur die beiden Naturen. Das
„Ganze“ indes verliert seine frühere Gestalt. Für die von Hegel kritisierte
Philosophie heißt das: „Aus den Augen, aus dem Sinn.“ Nicht für Hegel. Er
erkennt in dem „Zerfall“ eine „Aufhebung“, die das bisherige naturwüchsige „Ganze“ in eine neue
Gestalt, in die „Vernunftgestalt“ überführt. Allerdings erfordert dies unser
Zutun. Und wenn dieses ausbleibt? Auch
dann bleibt das „Ganze“ erhalten. Allerdings
„gestaltlos“, reduziert auf sein Wesen. Seine Aufgabe, die beiden
entgegengesetzten Naturen zu vermitteln, ist damit zwar nicht völlig
ausgesetzt, ist jedoch auf ein Wirken im Nachhinein, auf das Wirken einer
„unsichtbaren Hand“ reduziert[2].
Der den biologischen Gesetzen
unterstellte Organismus hat einem, den Gesetzen der Logik unterstelltes,
Verhältnis des Ganzen und der Teile Platz gemacht. Und ein Verstoß gegen die
Gesetze der Logik ist nicht minder folgenreich wie der gegen die Gesetze der
Biologie.
Der „Organismus“ begleitet
jahrtausendelang die von der Vorherrschaft der „primären“ Natur geprägte
Vorgeschichte der Menschheit. Dann aber emanzipiert sich die „produzierte“ Natur;
sie wird frei. Das „naturwüchsige“ Gemeinwesen zerbricht. Die Vorgeschichte
endet. Frei vom bisherigen Gängelband,
von der „Blut- und Boden-Bindung“, tritt die Menschheit in ihre eigentliche
Geschichte ein.
Aber was bereits angesprochen
wurde:
Bis heute missverstehen wir diese
frisch gewonnene Freiheit. Wir verstehen sie im Sinne einer bloßen Umkehrung.
Statt Vorherrschaft der „primären“, nun die Vorherrschaft der „produzierten“
Natur. Wir haben gesiegt und sehen uns als berechtigt an, die „primäre“ Natur
als bloßes Objekt behandeln zu dürfen; als Baumaterial, das uns dazu dient, die
„produzierte“ Natur der Länge, Breite und Höhe nach auszubauen.
Und wie bereits gesagt: Hierin
sieht Hegel das Problem der Moderne.
Dem Verhältnis des Ganzen und der
Teile gemäß, unterscheidet Hegel drei Gruppen von Gesetzen:
a)
Die
Gesetze der „primären“ Natur; die eigentlichen Naturgesetze;
b)
Die
Gesetze der sich aus der dialektischen Logik erschließenden „Einheitsnatur“;
c)
Die
Gesetze der „produzierten“ Natur; die (Privat-)Rechtsgesetze.
In der „Wesenslogik“ werden diese
drei Gruppen als „Reich der Gesetze“ abgehandelt. Sie werden vorgestellt als
jener Teil der jeweiligen Natur, der über die „Kraft“ wirkt. Sie nehmen
Einfluss auf das Handeln ihrer Mitglieder, wenden sich also im Fall der
„Einheitsnatur“ an die beiden Teil-Naturen, die unter ihrem Dach zur Einheit
gebracht sind, im Fall der „produzierten“ Natur jedoch an jenen Teil-Menschen, der jetzt zur „Person“
aufsteigt.
Hegel hält es für falsch, die
Erforschung dieser Gesetze allein den Naturwissenschaften (soweit es die
Gesetze der „primären“ Natur sind) und der Rechtswissenschaft (soweit es die
Gesetze der „produzierten“ Natur sind) zu überlassen. Was dabei auf der Strecke
bleibt, ist die Erforschung jener Gesetze, die mit dem „Ganzen“ im Verbund
stehen. Vornehmlich sie sind Gegenstand einer „philosophischen
Rechtswissenshaft.
Nachstehend soll der Widerhall gezeigt
werden, den das „Reich der Gesetze“ der
„Wesenslogik“ in der „Rechtsphilosophie“ des Jahres 1821 findet.
I.
Der Gesetzesbegriff der
„Rechtsphilosophie“
1.
Das Gesetz in der „Vorrede“
Der
Leser wird vorgewarnt. Was er vor sich hat, ist kein „übliches“ Kompendium des
Naturrechts, sondern in nahezu allen Punkten ein Gegenentwurf zu dem, was
gerade Mode ist. Die Methode, die ihm zugrunde liegt, ist eine andere. Hegel
verweist auf seine „große“ und „kleine“ Logik. Dort ist sie dargelegt. Und sie
ist das „Leitende“ auch hier; ihre Kenntnis wird beim Leser vorausgesetzt –
gerade auch jener Teil, der uns am fernsten zu stehen und uns am „dunkelsten“
scheint, die „Wesenslogik“.
Schon die Überschrift zeigt es
an. „Grundlinien der Philosophie des Rechts oder
Naturrecht und Staatswissenschaft im Grundrisse“ – das legt bereits nahe, dass
für Hegel eine „philosophische“ – und das heißt: eine dialektische -
Rechtswissenschaft Recht und Staat
zum Gegenstand haben muss. Und damals wie heute: Der Staat, dieser Staat ist der Stein des Anstoßes.
Er lässt Hegels Werk zwiespältig erscheinen. Überaus modern hier und überaus
veraltet dort. Wer den Staat als nichts weiter als eine vom Recht
hervorgebrachte Institution, als „Rechtsstaat“ sieht, kann diesen Staat nur ertragen, wenn die Gesellschaft vor ihm möglichst
umfassend geschützt wird.
Aber der Rechtsstaat, um den wir
so besorgt sind, ist bei Hegel keineswegs vergessen oder gar verworfen. Er
porträtiert ihn vielmehr im Rahmen
seiner Ausführungen zur bürgerlichen Gesellschaft als deren „Not- und
Verstandesstaat“. Aber der eigentliche Staat ist für ihn nicht er, sondern der
Staat des „Ganzen“, der „Einheitsnatur“, wie er, unser Zutun vorausgesetzt, als
„Vernunftgestalt“ aus dem „gestaltlosen“ Sein der „Wesenslogik“ hervorgeht. Und
ebenso ist Recht für Hegel „nicht bloß das bürgerliche Recht, das man
gewöhnlich darunter versteht“, sondern „Moralität, Sittlichkeit und
Weltgeschichte“[3].
Beide, seine Konzeption eines „sittlichen Staates“ und sein Rechtsbegriff,
sind, wie er in § 2 sagt, ihrem „Werden
nach außerhalb der Wissenschaft des Rechts“ gelegen. Und gerade deshalb gelten
sie bis heute als unvereinbar mit unserem Verständnis dieser Materie.
Er wendet sich gegen die
„eingewurzelten“ Ansichten vom Staat, vornehmlich gegen jene vom
„Vertragsstaat“. Ansichten, die Furore machen, seitdem die vormals eine Welt in
„zwei Welten“, in „zwei Totalitäten“[4],
wie er auch sagt, zerfallen ist. Und was ist mit jenem, in den Hintergrund, ja
ins Vergessen gedrängten, sittlichen Staat? Als „naturwüchsiges“ Gemeinwesen
ist er in Frankreich per Revolution zu Fall gebracht worden. Das ist in
Ordnung, soweit damit die Vorherrschaft der „primären“ Natur beendet und die
„produzierte“ Natur in ihre Rechte eingesetzt wurde. Was die Revolution aber
nicht leistet ist, dass jetzt beide Naturen in ein neues „Ganzes“ überführt
werden. Dessen Staat, der sittliche
Staat, hat kein Ende gefunden. Er hat nur seine „naturwüchsige“ Gestalt
abgestreift und harrt nun darauf, mit unserer Hilfe in die „vernünftige
Institution“[5],
überführt zu werden.
Das Vorstehende ist der Zusammenhang, in den der der „Vorrede“
beigefügte Zusatz - er
stammt aus dem WS 1822/23 –
gestellt ist. Ein Zusatz, der sich mit den „zweierlei Arten von Gesetzen,
Gesetze der Natur und des Rechts“ befasst. Er knüpft unmittelbar an den Passus
aus der „Vorrede“ an, der sich gegen die
„in Beziehung auf den Staat
eingewurzelt[e]“ Vorstellungen wendet.
„[A]ls ob man jetzt – und dieses Jetzt
dauert immer fort – ganz von vorne anzufangen … habe“, während man bei der
Betrachtung der Natur zugebe, dass man „sie zu erkennen habe, wie sie ist“ und
dass sie, so wie sie ist, „in sich
vernünftig sei“. Im Unterschied zum Staat bewerte man jene nicht anhand der
„auf der Oberfläche sich zeigenden Gestaltungen und Zufälligkeiten“, sondern
anhand von dem, was „ihr immanentes Gesetz und Wesen“ ist. „Die sittliche Welt dagegen, der Staat,… soll
nicht des Glücks genießen, dass es die Vernunft ist, welche in der Tat in
diesem Elemente sich zur Kraft und Gewalt gebracht habe, darin behaupte und
inwohne. Das geistige Universum soll vielmehr dem Zufall und der Willkür
preisgegeben, es soll Gottverlassen sein, so dass nach diesem Atheismus der
sittlichen Welt das Wahre sich außer ihr befinde, und zugleich, weil doch auch
Vernunft darin sein soll, das Wahre nur ein Problema sei.“
Da der (sein) Staat für das „Ganze“, für die
fortbestehende „Einheitsnatur“ steht, sind es also deren Gesetze, die er mit
den Naturgesetzen vergleicht.
Was haben sie gemeinsam?
Seine Antwort: die Vernunft!
Niemand bestreitet die Vernünftigkeit der
Naturgesetze. Anders hier, im Bereich des „Ganzen“. All das, was dort als
selbstverständlich anerkannt ist, wird bei den Gesetzen der „Einheitsnatur“ in Frage, ja in Abrede gestellt,
besonders eine Materialität und Vernünftigkeit. Sie werden nur als „Gesetztes“,
also willkürlich Geschaffenes wahrgenommen; als „Menschenwerk“, nicht als
„Naturwerk“. Dagegen
wendet sich Hegel. Gegen
diejenigen gerichtet, die die „Herrschaft der Gesetze … für den verdorbenen und
ungerechten Zustand halten: Sie „übersehen den Umstand, dass die Gestirne usf.,
wie auch das Vieh, nach Gesetzen und zwar gut regiert werden – Gesetzen, welche
jedoch in diesen Gegenständen nur innerlich, nicht für sie selbst, nicht als
gesetzte Gesetze sind“[6]
„Nur innerlich“ – das weist
darauf hin, dass, wer den Naturgesetzen unterworfen ist, zu deren Beachtung
nicht erst durch ein „gesetztes“ Gesetz angehalten werden muss. Diese Gesetze gelten „schlechthin“. Sie gelten für alles
Leben, auch für das menschliche. Und sie gelten, wie sie sind. Man muss das
Fallgesetz nicht in Paragraphen fassen und im Gesetzblatt veröffentlichen.
Bei den
Lebewesen sorgen die ihnen angeborenen Instinkte für ein naturgesetzkonformes,
d.h. vernünftiges Handeln. Da sie
nicht gesetzt werden müssen, „leiden
sie an keiner Verkümmerung“. Was heißt: es entfällt der „Reibungsverlust“, der
im Wege des „Setzens“ gewöhnlich eintritt. Sie sind und bleiben „an und für
sich seiendes“ und geltendes Gesetz. Anders das „gesetzte“ Gesetz. Es ist „Menschenwerk“.
Weil es als solches mehr oder weniger fehlerhaft ist, macht sich insoweit „die
Willkür als Recht geltend“.
Aber beide Arten Gesetz sind „Vernunft
der Sache“, während es von jener „Seichtigkeit“, soweit es dem Einzelnen als
Pflicht entgegentritt „als eine Fessel
empfunden“ wird. Und dies, obwohl der Grundsatz gelte, „dass, wer keine Rechte
hat, keine Pflichten hat, und umgekehrt.“[7]
2.
Die Gesetze in den §§ 209-229 R
Wie in § 3/A R unter dem
Gesichtspunkt der Abgrenzung zur „philosophischen Rechtswissenschaft bereits
angekündigt, werden hier, im Rahmen des Gegenstandes „bürgerliche
Gesellschaft“, positives Recht und positive Rechtswissenschaft abgehandelt.
Die Wechselbeziehung von Ökonomie
und Recht steht im Vordergrund. Der Bereich der „Bedürfnisse und der Arbeit“. Nur
was damit zusammenhängt, ist hier von
Interesse. Dieser Bereich gibt „dem Rechte das Dasein“. Der Arbeits- und
Aneignungsprozess erzeugt das Eigentum und die Person. Sie sind die
ökonomischen und juristischen Eckpfeiler der „produzierten“ Natur.
Wir sind beim „abstrakten“, vom
„Ganzen“ und vom anderen Teil säuberlich getrennten, Recht, beim Privatrecht.
Doch auch hier spricht Hegel von
den zwei Arten „Naturgesetz“, von denen der Mensch „regiert“ wird. Waren es
aber in der „Vorrede“ und in den Eingangsparagraphen die Gesetze des „Ganzen“,
so sind es hier die Gesetze der „produzierten“ Natur, die mit den Naturgesetzen
verglichen werden. Dennoch: Einige der Überlegungen, auf die wir bereits im
Zusatz zur „Vorrede“ stießen, wiederholen sich hier. So hebt Hegel in § 210,
die „objektive Wirklichkeit des Rechts“ hervor, bevor er sich dann dem „Recht
als Gesetz“, d.h. dem „gewussten“ Recht, zuwendet. In den §§ 211/Z und 212/Z betont
er: Während die Naturgesetze über die Instinkte „gewusst“ werden, sind letztere
„gesetzt und gewusst“. Und: „Recht muss denkend gewusst werden“. Das Wissen um
sie ist daher „unbestimmter“ als das Wissen um die Naturgesetze. Es
unterscheidet sich pro Mensch „auf eine subjektive und zufällige Weise“ – bis
dahin, dass sie „zufälliges Eigentum Weniger“ sind.[8]
„Erst durch die Zucht des Auffassens wird es der Allgemeinheit fähig.“[9]
Ein besonderer Fall sind die in §
211/A R angesprochenen Gewohnheitsrechte: Hier stoßen wir auf eine „getrübte“,
„lückenhafte“, „unförmliche“, „subjektive und zufällige Weise“ des Setzens. Es führt dazu, dass die Bedeutung der
Richter im Geltungsbereich solcher Gewohnheitsrechte eine größere ist, da diese
„fortdauernd die Gesetzgeber machen“ müssen.[10]
Während die Gesetze der
„primären“ Natur Millionen Jahre Zeit hatten, um sich herauszubilden und es uns
erscheint, als sei ihre Entwicklung schon vor langer, vormenschlicher, Zeit
abgeschlossen, wachsen die Rechtsgesetze mit ihrer Natur. Sie sind also nichts
Statisches und „Maschinenmäßiges“. Wer solches wollte – „ein absolut fertiges,
keiner weiteren Fortbestimmung fähiges“ Gesetzbuch -, verkennt die „Natur
endlicher Gegenstände“[11].
Wenn Hegel in § 211 R formuliert:
„was Recht ist, erhält erst damit, dass es zum Gesetze wird, nicht nur die Form
seiner Allgemeinheit, sondern seine wahrhafte Bestimmtheit“, so ist damit
gesagt, dass der Vorgang des „Setzens“ damit einher geht, dass eine Beziehung wesentlich wird und, wesentlich
geworden, Recht ist. Am Beispiel der Ware-Geld-Beziehung: der gleiche Prozess,
der sie zu einem wesentlichen, die zwischenmenschlichen Beziehungen prägenden
Typus macht, macht sie zugleich auch zu einer Rechtsbeziehung. Und zwar unabhängig
davon, ob das objektiv Gesetzte als
Gesetz niedergeschrieben wird oder nicht. Denn die Stabilität dieser Beziehung
hängt davon ab, dass die sie Eingehenden sich auch an deren Regeln halten bzw.
sich ihnen unterwerfen. In diesem Zusammenhang verweist Hegel auf die
Gewohnheit und auf die Gewohnheitsrechte.
II.
Die Gesetze des „Ganzen“ als Gegenstand einer
„philosophischen“ Rechtswissenschaft
In den
Paragraphen 1 und 2 R stoßen wir auf zwei sich ergänzende Aussagen:
„Die
philosophische Rechtswissenschaft hat die Idee des Rechts, den Begriff des
Rechts und dessen Verwirklichung zum Gegenstande.“ (§ 1)
„Die
Rechtswissenschaft ist ein Teil der Philosophie. Sie hat daher die Idee, als
welche die Vernunft eines Gegenstandes ist, aus dem Begriffe zu entwickeln
oder, was dasselbe ist, der eigenen immanenten Entwicklung der Sache selbst
zuzusehen.“ (§ 2)
Beide
kreisen um einen Satz in der „Wesenslogik“, der das Zusammenspiel des Ganzen
und der Teile aufzeigt:
„Das
Ganze ist das Selbständige, die Teile sind nur die Momente dieser Einheit; aber
ebensosehr sind sie das Selbständige, und ihre reflektierte Einheit ist nur ein
Moment, und jedes in seiner Selbständigkeit
schlechthin das Relative eines
Anderen.“[12]
Bereits im Zusatz zur Vorrede hob
Hegel als die Aufgabe der „philosophischen Rechtswissenschaft“ hervor, für die
„Vernünftigkeit des Rechts“ Sorge zu tragen. Denn wie das „Ganze“ ist auch die
mit ihr in Verbindung stehende Vernunft „die
Sache unserer Wissenschaft“. Die Jurisprudenz als eine Wissenschaft der Teile,
genauer, des Teils „produzierte“ Natur, habe es hingegen „oft nur mit Widersprüchen
zu tun“.
In Prosa
übersetzt:
Die Philosophie hat das „an und für sich
seiende“ Recht zum Gegenstand, die Jurisprudenz hingegen das „gesetzte“ Recht. Hegel
zeigt uns einen gemeinsamen Gegenstand, der arbeitsteilig, hier ausgehend vom
„Ganzen“, dort ausgehend vom Teil, erforscht wird. Zuständig für das „Ganze“
und das „Vernünftige“ ist die Philosophie, während es Sache der
Rechtswissenschaft ist, an deren Ergebnisse anzuknüpfen und sie ihrer eigenen
Arbeit zugrunde zu legen. Dieses Zusammenspiel fehlt damals und fehlt in der
Gegenwart. Die Philosophie kommt ihrer Aufgabe, das „Ganze“ aufzuarbeiten,
nicht oder nur ganz ungenügend nach. Sie erbringt ihre Zuarbeit nicht. Die
Rechtswissenschaft vermisst diese nicht. Und das gerade jetzt, in dieser Zeit
des Umbruchs! „Die gegenwärtige Welt hat dazu noch ein dringenderes Bedürfnis,
denn vor alten Zeiten war noch Achtung und Ehrfurcht vor dem bestehenden Gesetz
da: jetzt aber hat die Bildung der Zeit eine andere Wendung genommen“. Damit
spielt Hegel auf die eingetretene „Umkehrung“ an, die gerade den Wechsel von
der Vorherrschaft der „primären“ Natur zu der der „produzierten“ Natur führt –
eine „Umkehrung“, die sich auch als Bruch mit dem „philosophischen“ Recht zeigt.
Zur philosophischen Fundierung der „Umkehrung“
merkt er an: „Theorien stellen sich dem Daseienden gegenüber, und wollen als an
und für sich richtig und notwendig erscheinen.“
Gesagt ist damit:
Die Theorie zeigt das Daseiende nicht mehr
wahrhaftig. Sie hat das „Ganze“ aus dem
Blick verloren. Nur noch sie gelten: die beiden Naturen. Und je nach dem,
welche davon favorisiert wird, wird diese jetzt als das „Ganze“ ausgegeben. Wir
treten ein in das Zeitalter der Ideologien, als einer Zeit unterschiedlicher,
für absolut erklärter, Meinungen über ein und dieselbe Sache. Hegel dazu:
„[A]ber der wahrhafte Gedanke ist keine Meinung über die Sache, sondern der
Begriff der Sache selbst.“
„Ausgangspunkt“ der praktischen
Philosophie sind die Gesetze der „Einheitsnatur“. Ihre Aufgabe ist es, auf ein Miteinander der beiden
Naturen hinzuwirken. Hierbei stoßen wir auf einen Zentralbegriff der
Wesenslogik, auf die „Vermittlung“[13].
Über sie, über die
„Gesetze des Sittlichen“, realisiert sich das
„Ganze“. Kein Teil darf sich zum Ganzen aufschwingen – eine Forderung, die an
die „produzierte“ Natur adressiert ist. Denn ihr „Tatendrang“ und der ihrer
Mitglieder tendiert zum Raubbau an der „primären“ Natur, ja zu deren Zerstörung.
Er ist also zu zügeln, ist auf ein vernünftiges,
naturverträgliches Maß zu bringen. Es gilt: Maßhalten statt Maßlosigkeit.
Verstehen es Philosophie und
Rechtswissenschaft, sich den eingangs zitierten Satz aus der „Wesenslogik“
nutzbar zu machen, gelangen beide trotz ihres unterschiedlichen Ausgangspunktes
– hier das „Ganze“, dort das Teil - zum gleichen Ergebnis; sie helfen sich und
sie bestätigen sich gegenseitig. Denn die Relativität des Teils verweist die
Rechtswissenschaft auf das „Ganze“ und die Relativität des „Ganzen“ verweist
die Philosophie auf die Teile.
Das
korrespondiert mit der Aussage in § 2 R, dass der „Begriff des Rechts … seinem
Werden nach außerhalb der Wissenschaft des Rechts“ fällt. Soll heißen: Blickt
die Rechtswissenschaft nicht über den Tellerrand des Teils, übersieht sie das
„Ganze“, vermag sie nicht zum Begriff ihres Gegenstandes vorzudringen.
Besonders
übel sieht es aus, wenn es beide Wissenschaften vorziehen, die „produzierte“
Natur als das neue „Ganze“ anzusehen - ein von Hegel bereits im
„Naturrechtsaufsatz“ erhobener und bis
heute gültiger Befund. Dann dringen beide nicht zum Begriff vor. Beide
Wissenschaften verhalten sich dann „philosophielos“ und bestärken sich gegenseitig
in einem Positivismus, dem das „Ganze“ verschlossen bleibt.
Das
„philosophische“ Recht führt uns zur Moralität, Sittlichkeit und
Weltgeschichte. Über das
„Ganze“ wird ein Staat eingeführt, der nicht der uns bekannte „Not- und
Verstandesstaat“ der bürgerlichen Gesellschaft ist, sondern der Staat beider
Naturen. Und er wiederum ist der Ausgangspunkt eines Rechts, über das die Pflicht gegenüber der
anderen Natur zurückgewonnen und exekutiert wird. Weil dieser Natur nur durch Handeln auf globaler Ebene zu helfen
ist, führt dieser Staat weit über den Nationalstaat hinaus, er ist insoweit
Weltstaat. Darauf verweist die „Weltgeschichte“.
Als Wissenschaft von den Gesetzen der
„produzierten“ Natur ist die Rechtswissenschaft eine Naturwissenschaft bzw.
eine Gesellschaftswissenschaft, da wir
dieser Natur ja den Namen „bürgerliche Gesellschaft“ gegeben haben. In ihrem
Dienst stehend, ist sie eine parteiische Wissenschaft. Ihr Arbeitsinstrument
ist die Verstandeslogik, nicht die Vernunftlogik. Als Wissenschaft von den
Gesetzen der „Einheitsnatur“ ist sie hingegen praktische Philosophie. Sie hat
also zwei Gegenstände, die sich nicht decken, aber zur Einheit gebracht werden
müssen, wenn sie den Erfordernissen des „Ganzen“ und der Teile gerecht werden will. Die Rechtswissenschaft muss also
auch
Staatswissenschaft sein – mit einem Gegenstand „Staat“, der nicht bloßer „Not-
und Verstandesstaat“, sondern der Staat beider Naturen ist.
Gegenstand
der „philosophischen“ Rechtswissenschaft sind Gesetze, die als „Verhältnis“ und
als „Kraft“ auf die Teile wirken und sie so zur Beachtung des „Ganzen“ zwingen.
Als wesentliches
Verhältnis[14]
sind sie das „ruhige Abbild der
existierenden oder erscheinenden Welt.“[15]
Sie sind der „innere und notwendige Zusammenhang zwischen zwei scheinbar sich
Widersprechenden“[16].
Als „wesentliches Verhältnis“ existieren sie objektiv,
unabhängig davon, ob der einzelne Mensch sie kennt oder nicht, sie einhält oder
nicht. Gemeinsam ist auch der Maßstab, der gilt. Er liegt außer uns. Jeder muss
sich nach ihm richten, will er nicht Nachteile erfahren.
Gemeinsam ist daher, dass sowohl
das Fallgesetz als auch das Rechtsgesetz lediglich auf den Begriff gebrachtes
„Fallen“ und auf den Begriff gebrachtes Recht sind. Aber die spezifische Natur
des Rechts verlangt zusätzlich, dass die Folgen eines Verstoßes gegen das Recht
den Rechtsunterworfenen berechenbar und verbindlich mitgeteilt werden. Dazu
dienen die „Setzung“ und die Durchsetzung des Gesetzten mittels der Gerichte bzw.
der Justizorgane im weiteren Sinne.
„In der Natur ist die höchste
Wahrheit, dass ein Gesetz überhaupt
ist: in den Gesetzen des Rechts gilt die Sache nicht weil sie ist, sondern
jeder fordert, sie solle seinem eigenen Kriterium entsprechen.“ Ein Widerstreit
zwischen Sein und Sollen, zwischen „an und für sich seiendem Recht“ und den
Normen, die „als Recht gelten sollen.“ Und warum dieser Widerstreit?
Weil der Mensch beiden Naturen
angehört und sich das Verhältnis zu beiden Naturen individuell verschieden ist.
Der Mensch unterfällt also den Gesetzen
beider Naturen. Und da die Rechtsgesetze dazu anhalten, die Gesetze der anderen
Natur, dort wo dies scheinbar ungestraft möglich ist, zu missachten, ist es
Aufgabe „unserer Wissenschaft“ (der Philosophie), „das Rechte“ erkennen zu
lernen. Der Rechtswissenschaft als Teil der Philosophie obliegt es, „die
Vernünftigkeit des Rechts“ aufzuzeigen – im Unterschied zur positiven
Jurisprudenz, deren Aufgabe es ist, die Widersprüche zwischen den einzelnen
Normen zu glätten.
Es muss also in zweifacher
Hinsicht für die „Vernünftigkeit des Rechts“ gesorgt werden. Das ist die „Sache
unserer Wissenschaft“, also der Philosophie, „im Gegensatz der positiven
Jurisprudenz, die es oft nur mit Widersprüchen zu tun hat.“
Eine Zusammenfassung der
Aussagen zum Gegenstand einer „philosophischen“ Rechtswissenschaft in
Abgrenzung von der „positiven“ enthält der zum „abstrakten Recht“ überleitende
§ 33 R. Die „philosophische“ Rechtswissenschaft hat das „Ganze“ zum Gegenstand,
die „Einheitsnatur“, den Staat. Es ist daher die Einheit mehrerer
„entgegengesetzter“ Teil-Gegenstände, deren Gegensatz durch das „Ganze“
vermittelt wird, nämlich:
-
Das
„abstrakte Recht“. Es liegt den Beziehungen zugrunde, die die Subjekte der
„produzierten Natur eingehen müssen, um ihrer Aufgabe: Aneignung der „primären“
Natur, gerecht zu werden. Wir stoßen auf die „Person“, d.h. auf jenen Menschen,
der „sich in den Sachen ein Dasein gibt.“ Ist es gut oder schlecht, „Person“ zu
sein? Hegel formuliert so: „Die Person ist also
in einem das Hohe und das ganz Niedrige“[17]
Die „produzierte“
Natur ist eine Welt der „Dinge“. Diese „Dinge“ aber wollen lebendig sein. Da
ihnen selbst „die Subjektivität abgeht“[18],
gehen sie dazu eine Symbiose mit dem Menschen ein. Ihr Resultat: die „Person“,
der den „Dingen“ verhaftete Mensch.
Mitgefangen, mit gehangen. Wer Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft ist, ist
notwendig „Person“.
-
Die
„Moralität“. Gegenstand sind hier die Beziehungen der Menschen in einem
abstrakten Naturzustand. Subjekt ist hier der Mensch vor dem Sündenfall.
Abstraktes Recht und Moralität haben ihre
„Einheit und Wahrheit“ in der Sittlichkeit. Institutionalisiert zeigt sie sich
als ein Staat, dessen Hauptaufgabe es ist, den Gegensatz der beiden Naturen zu
vermitteln.
§ 33 R zeigt uns eine Aufgliederung des
Gegenstandes nach logischen Gesichtspunkten. Die Praxis kennt jedoch kein nur
logisches Recht. Was uns dort begegnet, verbirgt über Sätze von „Treu und
Glauben“ und „Gute Sitten“ sein wahres Gesicht, sein Herz aus Stein, vor uns.
Gerade deshalb ist es so verdienstvoll, dass Hegel uns das Wesen des Rechts im
Abschnitt zum „Abstrakten Recht“ ungeschminkt aufzeigt.
III.
Das Gesetz als Rahmen des privaten Handelns
War Dreh- und Angelpunkt des
„philosophischen“ Rechts das „Ganze“ bzw. die „Einheitsnatur“, sind wir jetzt
beim (Binnen-)Recht der „produzierten“ Natur, dem neueren Naturrecht. Es ist
das Recht der menschgeschaffenen Gegennatur,
das Recht der bürgerlichen Gesellschaft. Dieses Recht, heißt es in § 213
R, steht in Verbindung zu dem „Stoff der in der bürgerlichen Gesellschaft ins
Unendliche sich vereinzelnden und verwickelnden Verhältnisse und Arten des
Eigentums und der Verträge“. Wie
diese Natur sich frei macht von allen Pflichten gegenüber der „vorgefundenen“
Natur, so auch ihr Recht. Mit ihr tritt also ein pflichtloses Recht in die
Welt. Damit ist die „primäre“ Natur zum Objekt herabgestuft. Die Pflicht ihr
gegenüber, bisher Bestandteil des Rechts, wird abgeschoben in das Reich der
Moral, damit vom Reich des „Müssens“ in das Reich des bloßen „Sollens“. Zwar
darf man sich zur „primären“ Natur auch weiterhin „pflichtig“ verhalten, aber
man muss es nicht mehr. Ja, wer in der bürgerlichen Gesellschaft Erfolg haben will, wer ihrem Zweck
entsprechen will, der pfeift besser darauf und sieht jetzt in der anderen Natur
nur noch das Objekt der Aneignung.
1.
Das abstrakte Recht
Hegel stellt gegenüber: Das Recht
des „Ganzen“, das er als das „an und für sich seiende“ nennt, und jenes Recht,
das „die Willkür als Recht geltend macht“. Letzteres ist das Recht des Teils,
der sich jetzt zum „Ganzen“ erklärt und damit zum Unrecht gegenüber dem anderen
Teil wird. Diesem „Willkürrecht“ entgegenzutreten, es zu korrigieren im Sinne
der „Vernünftigkeit des Rechts“, ist „die Sache unserer Wissenschaft“, also der
Philosophie. „Die gegenwärtige Welt hat dazu noch ein dringenderes Bedürfnis,
denn vor alten Zeiten“ - zu Zeiten des „naturwüchsigen“ Gemeinwesens -, „war
noch Achtung und Ehrfurcht vor dem bestehenden Gesetz da.“
Das Grundgesetz der „produzierten“ Natur kann
wie folgt umschrieben werden:
Auf- und Ausbau dieser Natur durch Aneignung ihres
Gegenübers. Was mit ihr entsteht ist eine Anti-Natur. Ihr Verhalten zur
„primären“ Natur kommt in der Beschreibung der modernen Industrie durch K. Marx
zum Ausdruck: „Also Explorieren der ganzen Natur. … Exploration der Erde nach
allen Seiten.“[19]
Dieses „Explorieren“ war bis zur Emanzipation der „produzierten“
Natur mit vielerlei Einschränkungen verbunden. Die neue Situation bringt die
Gewerbefreiheit mit sich: Sie steht für einen neuen Typus von Recht; jetzt kann
„pflichtlos“ angeeignet werden. Und die Belohnung für den, der es tut, bleibt
nicht aus. All die Glücksgüter, die die „produzierte“ Natur zu verteilen hat,
regnen auf ihn herab.
Oberflächlich gesehen sieht es so aus, als
würden nur die Fesseln eines feudalen Obrigkeitsstaates beseitigt. Das
Tieferliegende aber ist diese Entpflichtung zu Lasten der „primären“ Natur. Sie
führt uns über die Gewerbefreiheit zu einem von der Pflicht ihr gegenüber
freigestellten Produktionsprozess. Möglich wird nun: die unlimitierte,
unkontrollierte Ausweitung der Produktion. Wachstum um fast jeden Preis. 200
Jahre später stehen wir vor den möglicherweise bereits irreparabel gewordenen
Folgen.
Die „produzierte“ Natur handelt durch ihre
Mitglieder. Das Recht dieser Natur, die andere Natur auszubeuten, ist folglich auf
die Mitglieder delegiert. Was Zweck der Natur ist, ist ihr Zweck. Die Summe dieser Rechte ergeben die
Naturrechte ihrer Mitglieder.
Wir stehen vor einem Rechtsbegriff, der von der
früheren Einheit von subjektiven Recht und subjektiver Pflicht nur noch das
subjektive Recht übrig lässt. Bis heute wird er von der Rechtswissenschaft
favorisiert, ja als alternativlos angesehen. Die Zahl derer, die ihn kritisch
hinterfragen ist gering.
Zu diesen wenigen zählt N. Luhmann. Er geht 180
Jahre nach dem Erscheinen der „Rechtsphilosophie“ der Frage nach, wie es zur
Verstoßung der Pflicht aus dem Rechtsbegriff kam und welche Folgen sie nach
sich zieht. Sein Gedankengang: Ursprünglich verstand sich das Recht als die
Einheit von subjektivem Recht und („subjektiver“) Pflicht. Oder wie stattdessen
gesagt werden kann: als „Einheitsrecht“ im Sinne von „Nomos“. Dem Recht, die
„primäre“ Natur anzueignen, stand die Pflicht gegenüber, dies naturverträglich
zu tun. Jetzt aber haben wir ein pflichtloses Recht, dem eine rechtlose Pflicht
gegenüber steht. Daran knüpft er folgende Überlegung: eine Einheit, hier: die
Einheit „Recht“, ist ein Paradoxon, wenn sie sich nicht auf ein
„Entgegengesetztes“ bezieht. Denn wie Hegel sagt: „Wären auf einer Seite alle
Rechte, auf der anderen alle Pflichten, so würde das Ganze sich auflösen.“[20]
Wie aber ist die Einheit herzustellen, wie ist sie überhaupt zu begründen, wenn
– wie jetzt – die „primäre“ Natur als Rechtsubjekt weggefallen und zum bloßen
Objekt geworden ist? Luhmanns Antwort[21]:
Um weiterhin der Logik zu genügen, setzt ein Vorgang der „Entparadoxierung“
ein. Für das ehemals auf die „primäre“ Natur entfallende Recht wird innerhalb
der „produzierten“ Natur eine Ersatzgröße gesucht und im „Unrecht“ gefunden.
Recht versteht sich nun als die Einheit von subjektivem Recht und subjektivem
Unrecht; es ist damit, reduziert um die (frühere) Pflicht, vollständig in die
„produzierte“ Natur verlagert. Luhmann spricht von der Schaffung einer
Schein-Differenz, die, zum „Code“ gemacht, Ausgangspunkt für Programme wird,
die mit Positionen und Gegenpositionen hantieren, „ohne die Frage nach der
Einheit des Codes zu stellen.“[22] Was außerhalb liegt wird ausgeblendet.
Der Code schafft damit eine Totalität, aber eine unechte.
Der jetzige Rechtsbegriff sagt der Person:
Du tust Recht daran, die „primäre“ Natur
anzueignen. Unrecht aber ist es, wenn Du einer anderen Person das Angeeignete
streitig machst, indem Du dich als Dieb, Räuber oder Betrüger betätigst.
Naturaneignung – ja! „Umverteilung“ dieser Art
– nein!
Dem Recht Genüge getan ist nur mit der
Umverteilung durch Austausch.
So zu verstehen ist die Aussage
des § 39 R: Die Person verhält sich zur anderen Person austauschend, zur
„vorgefundenen Natur“ jedoch ausbeutend. Im nachfolgenden § 40 präzisiert er
und unterscheidet folgende Formen des Eigentumserwerbs:
-
Durch
Aneignung (Stoffwechsel); das mittels Arbeit Angeeignete verbleibt beim
Aneignenden. Das Angeeignete wird unmittelbar zu Eigentum.
-
Durch
Austausch; in diesem Fall wird das mittels „Stoffwechsel“ Angeeignete für den
Aneignenden nur Besitz. Es ist nicht
für ihn selbst bestimmt, sondern für Dritte. Die ökonomische und juristische
Gegenseitigkeit wird beschrieben: Jeder erlangt das Produkt des anderen.
Mittels des Vertrages gelangt das Angeeignete in die Hand derer, die es
brauchen. Ein Auseinanderfall von Aneignung/Aneignenden und
Eigentum/Eigentümer, der in der warenproduzierenden Gesellschaft zum
Generalfall des Eigentumserwerbs wird.
-
Dadurch,
dass Ich Unrecht begehe. In solchen Fällen bringe Ich das gemäß a Angeeignete
unter Aussparung des unter b geschilderten Austausches an mich – durch „Unrecht
und Verbrechen“.
Erwerb von Eigentum. Einmal auf
direkte und zum anderen, vermittelt durch den Vertrag, auf indirekte Art.
Die frei gewordene „produzierte“
Natur mobilisiert ihre Glieder, die „Personen“, mit deren Hilfe sie die
Ausbeutung ihres Gegenübers betreibt, macht auch sie frei und belohnt sie für
ihr Engagement mit dem Glück, das sie zu bieten hat: den aus der Aneignung
hervorgehenden „Dingen“. Recht
und Rechtsgesetze sind jetzt ganz in den Dienst dieser Natur gestellt. Und wer
sie nutzt und tut, was die „produzierte“ Natur fordert, wird im
Durchschnittsfall belohnt. Wer dies nicht kann oder will, wird ihre Glücksgüter
entbehren müssen, es sei denn er erbt reich.
Der Schwenk von der Einheit zweier
„Entgegengesetzter“ zu einem dieser „Entgegengesetzten“ bringt das Aus für das
„Einheitsrecht“. Wie die „sittliche Natur“ in „produzierte“ und „primäre“,
zerfällt es in „Moralität und Legalität“. Das „Einheitsrecht“ ist nun nicht
mehr zeitgemäß; es genügt der „Freiheit“ der jetzt tonangebenden Natur nicht,
die darin besteht, gegenüber der anderen Natur ein unbeschränktes, mithin:
pflichtloses, Aneignungsrecht zu haben. In zwei Schritten, im
„Zweischrittverfahren“ wie Luhmann[23]
sagt, wird das Recht daher jetzt der „völlig anderen Theorielage“ angepasst. Im
ersten Schritt wird es von der Pflicht getrennt, besser
wohl: von ihr befreit. Damit ist das Recht als „Einheit“ (von Recht und
Pflicht) zerstört. Aus der Sicht des „Zeitzeugen“ Jeremy Taylor (auf den
Luhmann sich bezieht) führt das dazu, dass das bisherige „law“ in „rights“
zerfällt. Da die „rights“ pflichtlose Rechte sind, ist damit im Englischen
bereits begrifflich der Unterschied zwischen dem früheren und dem jetzigen
Recht deutlich gemacht. Im Deutschen ist diese Unterscheidung unbekannt, ein
Grund für Hegel, den Unterschied im Begriffspaar Sittlichkeit – Recht
auszudrücken. Mit diesen „rights“, mit diesen „abstrakten“ Rechten ist ein
neues „Anfangsdatum“ (Luhmann), ein neuer „Anfangspunkt“ (Hegel) gesetzt. Aber
eben nur ein „Anfangspunkt“! Wird dieser zugleich zum Endpunkt gemacht, ist nur
jene „moderne Halbheit“ gewonnen, die wir nun allzu gern als „letztes Resultat“
der Wahrheit ansehen.[24]
Das „pflichtlose“ Recht ist uns als das
„subjektive“ Recht bekannt. Das ursprüngliche „Einheitsrecht“, - das „law“ –
ist nun ersetzt durch die „rights“, durch die subjektiven, „pflichtlosen“,
unvermittelten Rechte, also durch Rechte, „denen alle wesentlichen Momente des
Rechtes fehlen.“[25] Sie sind das Paradoxon,
von dem bereits die Rede war und die über die Ersatzgröße „Unrecht“
entparodoxiert werden. Recht versteht sich durch diese „Umkontextierung“[26]
nun wieder als Einheit. Diesmal als Einheit von subjektivem Recht und
subjektivem Unrecht. Die Schein-Differenz
ist zum „Code“ gemacht. Im 18. Jahrhundert ist dieser Vorgang abgeschlossen.
Die Spuren sind bereits verwischt. Der Weg vom Recht (law) zu den Rechten
(rights) ist unkenntlich gemacht, scheint von einem „Schwarzen Loch“[27]
geschluckt zu sein.
Aber Hegel erinnert an den Zustand vor der
Umkontextierung: Der damalige Rechtsbegriff mag nicht mehr der jetzt aktuelle
sein. Aber als „Idee“ lebt er fort, als „Idee“ bleibt er ein Merkposten unseres
Bewusstseins. Eine „Aufhebung“ ist im Gange! Und die jetzige Negierung und
Umkehrung bezeichnet nur die Hälfte des Weges, den der Prozess zurücklegen
muss. Was jetzt ist, ist zwar das „Resultat und die Wahrheit von dem …, was
vorhergeht“[28]. Und doch ist es nur ein
Durchgangspunkt, über den hinaus wir zu einem „sittlichen“, die Einheit von
Recht und Pflicht wiederherstellemden,
Recht gelangen.
Zunächst
aber wird alles auf den Kopf gestellt. Was bisher Nordpol war, wird zum Südpol.
Was hier „böse, Unglück usf. ist, ist [dort] gut und ein Glück.“[29]
Und außerdem wird die bisher eine Welt halbiert, wird zu „zwei Welten“. Solches „Verstandesdenken“ von
der Philosophie praktiziert, führt – wie bei Fichte, aber auch bei Marx/Engels[30] -
zu einer „verkehrte[n] Weise“[31]
der Naturbetrachtung. Sie segnet ab, was im Entstehen begriffen ist: „eine verkehrte Welt“[32],
in der das Sekundäre primär und das Primäre sekundär gemacht ist. Ihr Gegenstand ist das Äußerliche und
Gegenüberstehende. Das „Ganze“, die „Einheitsnatur“ bleibt unbeachtet. Und
unbeachtet bleibt auch die spezifische Aufgabe der Philosophie, eine Antwort
auf die Frage zu finden, wie das aus der „Entzweiung“ resultierende Schicksal
des Menschen zu meistern ist.
Das „Ganze“ scheint mit dem Organismus aus der
Welt zu sein. Nur den Teilen wird noch Realität zugesprochen. Und zwar eine
Realität als Entgegengesetzte. Es ist schon viel, wenn Kant das „Ganze“
wenigstens als ins Jenseits verlagertes „Ding an sich“ gelten lässt.
Dieser
„verkehrten Welt“ setzt Hegel die „Vernunft“ entgegen. Sie steht bei ihm für
ein Denken und Handeln, das die Folgen für das „Ganze“ im Blick hat. Alles an seinem Platz. Das
Verstandesdenken ist keinesfalls verboten. Für die Naturwissenschaften, auch
für die Jurisprudenz ist es ein unverzichtbares Erkenntnismittel. Aber nicht
alles, was wir damit der anderen Natur
„ablisten“, darf gegen sie gekehrt werden. Die Grenze ist dort gezogen, wo es
um das „Ganze“ geht. Denn dieses hat bereits rein begrifflich kein solches
Gegenüber in seinen Teilen. Von daher versteht sich der ständige Kampf, den
Hegel gegen die „Verunstaltungen“ führt, die aus dem „Einbruch des verständigen
Denkens in eine Sphäre [entstehen], die dem vernünftigen Denken vorbehalten
ist.“[33]
Denn es liegt nahe, dass das „Ganze“ mit den Augen eines Teils gesehen wird,
das sich selbst als Ganzes geriert. Jede der beiden Denkarten hat also
„Zuständigkeiten“. Mit Hegel spricht T. Litt daher von dem „bedenklichen Hang“
des Verstandes, „im Vertrauen auf die an seinen Gegenständen bewiesene
Leistungskraft die Grenzen seiner Zuständigkeit zu überschreiten“[34].
Abstraktes Recht:
„Es
heißt so, weil seine Bestimmungen den Menschen nur als das vollkommen
‚abstrakte Subjekt‘ – Hegel sagt: als Person - erfassen.“[35]
Es heißt so, weil es
„Naturbeherrschungsrecht“ ist.[36]
Es heißt so, weil eine „Austauschung“[37]
stattfindet und ein auf das „Ganze“ bezogenes Recht durch das Recht nur eines
Teils ersetzt wird. Dabei wird der bisher dem Recht unterfallende Vorgang der
Aneignung rechtsfrei gemacht; Aneignung und Eigentum werden voneinander
getrennt.
Eigentum und Austausch sind die
jetzigen Fixpunkte des Rechts; sie prägen die Binnenbeziehungen der
„produzierten“ Natur.
„Das Rechtliche des Eigentums und der
Privathandlungen über dasselbe erhält nach der Bestimmung, dass das Rechtliche
ein Gesetztes, Anerkanntes und dadurch Gültiges sei, durch die Förmlichkeiten seine allgemeine Garantie.“[38]
Austausch
und Recht:
Niemand
produziert für sich selbst, jeder produziert für den anderen. Es ist also ein
Gesetz der „produzierten“ Natur, dass sich die Personen austauschen. Da der
Austausch äquivalent sein muss, führt eine fehlende Äquivalenz zu einer Störung
des Rechtsverhältnisses, es sei denn, es läge eine Schenkung vor.
Das
Kardinalproblem des positiven Rechts und der positiven Rechtswissenschaft:
Diese
Bindung und Reduzierung auf den Austausch. Der Aneignungsprozess besteht aus
zwei Teilen: Teil eins entfällt auf die Produktion, d.h. auf den eigentlichen
Stoffwechselprozess Mensch - Natur, aus dem die Produkte hervorgehen. Teil zwei
entfällt auf den Austausch der Produkte.
Teil eins liegt (wenigstens prinzipiell) außerhalb des Rechts. Nur Teil zwei,
der Austausch, unterliegt dem Recht.
Ein
einheitlicher Prozess, in den beide Naturen einbezogen sind, ja dessen
Hauptlast die „primäre“ Natur zu tragen hat, wird halbiert. Eine Hälfte liegt
außerhalb, die andere Hälfte innerhalb des Rechts.
Die
rechtliche Einheit beider Hälften kann nur von einer „philosophischen“
Rechtswissenschaft erfasst werden. „Philosophielose“ Rechtswissenschaft
betreiben heißt also, die Einheit beider Hälften, das „Ganze“, bewusst oder
unbewusst außer acht zu lassen. Leidtragende ist die „primäre“ Natur. Denn in
der praktischen Umsetzung bedeutet das, dass die Vermittlungs- und
Korrekturfunktion des „Ganzen“ zugunsten der „primären“ Natur über das Recht ganz
ausfällt oder nur rudimentär wahrgenommen und realisiert wird. Im
„Windschatten“ eines solchen selbstgenügsamen, unphilosophischen Rechts kann
also die „primäre“ Natur ungeniert und folgenlos ausgeplündert werden.
Das positive Recht bezieht sich auf die Totalität
„produzierte“ Natur. Es ist ohne Kontakt zur „primären“ Natur und ohne Kontakt
zum „Ganzen“. Es ignoriert die tatsächlich bestehenden Beziehungen zu ihnen.
Das zeigt sich in einem juristischen Eigentumsbegriff, der von der Aneignung abstrahiert. Das juristische Denken setzt erst ein,
wenn aus dem Aneignungsprozess etwas „Fertiges“ in die Welt getreten ist: die
„Ware“. Sie ist das eigentliche Subjekt einer Natur, die sich als eine
Anhäufung von „Dingen“ versteht. Da es selbst aber nicht lebendig ist, muss
sich das „Ding“ einen Eigentümer schaffen. Also personifiziert es sich, indem
sie den Menschen zur „Person“ macht. Treffend formuliert Hegel: „Im Eigentum
ist die Person mit sich selbst zusammengeschlossen.“[39]
Aneignung bedeutet Umarbeitung von „Stoff“ der einen
Natur zu „Stoff“ der anderen Natur; bedeutet „Stoffwechsel“. Eine Grenze wird
überschritten; eine „Rechtsgrenze“. Jetzt erst, wenn es zum Austausch kommt,
setzt das Recht ein. Denn die Dinge müssen sich austauschen. Modernes
Produzieren ist als arbeitsteiliges Produzieren immer Produktion für andere. Erst
per Austausch findet das Produkt seinen Eigentümer, wird es Eigentum. Deshalb
gilt: „Eigentum … kommt durch den Vertrag zustande“[40].
Eine über die „produzierte“ auf die andere Natur
übergreifende Beziehung wird auf jenes Teilstück reduziert, das auf die „produzierte“
Natur entfällt. Nur dieses Stück ist Rechtsbeziehung.
Die Grenze zwischen den Teilen wirkt als Teilung der Beziehung. Die Grenze wird
zur Rechtsgrenze.
Scheinbar steht jetzt der Mensch
im Mittelpunkt des Rechts. Tatsächlich ist Adressat und Profiteur des
„Willkür-Rechts“ nicht der Mensch, sondern nur ein „Person“ genannter
Teil-Mensch.
Da sich die „produzierte“ Natur
gegen uns verselbständigt, tun dies auch ihre Gesetze. So dass die „innere
Stimme“ des Einzelnen zu ihnen in Kollision treten kann. Und dies umso mehr der
einzelne Mensch sich seiner Zugehörigkeit auch zur „primären“ Natur erinnert.
Daraus folgt: Die Gesetze der „produzierten“ Natur erfahren im Individuum eine
individuelle Brechung: „jeder fordert, [es] solle seinen seinem eigenen Kriterium
entsprechen.“
2.
„Philosophische“
Rechtswissenschaft und Naturrechtswissenschaft – Gemeinsames/Unterschiede
„Dass das Naturrecht oder das philosophische Recht
vom positiven verschieden ist, dies darein zu verkehren, dass sie einander entgegengesetzt
und widerstreitend sind, wäre ein großes Missverständnis; jenes ist zu diesem
vielmehr im Verhältnis von Institutionen und Pandekten.“ (§ 3/A R)
Dieses „Oder“: Ist es so zu verstehen, dass beide
Rechte nur unterschiedliche Namen für ein Gleiches sind? Oder sind sie zwei
Verschiedene, die aber in einem gleichen Verhältnis zum positiven Recht stehen?
Ich denke, die Stelle sollte so interpretiert
werden:
Naturrecht und
„philosophisches“ Recht eint, dass beide Rechte sich direkt von der Natur, wenn
auch jeweils von einer anderen, ableiten. Sie sind als „Verhältnis“ und „Kraft“
existierende und wirkende Bestandteile einmal der „Einheitsnatur“ und zum
anderen der „produzierten“ Natur. Sie teilen als solche deren Materialität. Als
„Seiendes“ sind sie „Naturwerk“, wogegen das positive Recht „Menschenwerk“ ist.
„Naturwerk“ und „Menschenwerk“: Das darf nicht so
verstanden werden, dass beide „Werke“ „einander entgegengesetzt und
widerstreitend sind“. Das „wäre ein großes Missverständnis“. Sie stehen zueinander
„vielmehr im Verhältnis von Institutionen und Pandekten.“
Und das wiederum heißt:
-
beide
stehen im Verhältnis von Objektivem und Subjektivem,
sowie:
-
im
Verhältnis von Allgemeinem und Besonderem.
Anders gesagt:
Das positive als das „gesetzte“ Recht ist nur das in
die Rechte ihrer Mitglieder übersetzte Recht der beiden Naturen.
Die „Setzung“ markiert zwar eine Grenze, aber keine,
die Naturrecht und „philosophisches“ Recht vom positiven Recht abschottet. Sie
bezeichnet vielmehr den Transformationspunkt, den Punkt, von dem an das Recht
der Natur als das Recht ihrer Mitglieder fort existiert. Wir stehen vor dem
gleichen Gegenstand, nur der Blickwinkel auf ihn ist je ein anderer. Deshalb
fordert Hegel die beiden Wissenschaften zur Zusammenarbeit auf. Schwerpunkt der
praktischen Philosophie „muss also die Vernünftigkeit des Rechts“ sein, während
der Schwerpunkt der positiven Jurisprudenz darauf liegt, das gesetzte Recht in
sich stimmig zu machen, also Widersprüche, Lücken, Ungereimtheiten innerhalb
des gesetzten Rechts möglichst auszuschließen.[41]
Das leitet über zu der Frage: Was ist die
Rechtswissenschaft? Sie selbst versteht sich als die Unterform einer
empirischen Wissenschaft, nämlich als eine Geisteswissenschaft, die sich zum
Ziel setzt, mittels der hermeneutischen Methode zum Verständnis der (Rechts-)
Gesetze zu gelangen. Sie setzt also beim „gesetzten“ Recht an. Da das Recht
aber aus der Sicht Hegels ein Teil der Natur ist, ein „Seiendes“ ist, wird
damit der Gegenstand der Rechtswissenschaft verkürzt. Jener Teil des Rechts
wird daraus ausgeschlossen, der vor der „Setzung“ gelegen ist.
Anmerkung:
Die praktische Bedeutung der Frage, ob das Recht
„Naturwerk“ oder „Menschenwerk“ ist, zeigt eine Diskussion, die in den
endsechziger Jahren in der DDR zum „Basischarakter“[42]
des Rechts geführt wurde. Sie stellte die „Überbau“-Doktrin in Frage, nach der
der Urgrund des Rechts die (herrschende) Klasse, nicht aber die Natur ist. Die
Schlussfolgerung: in den Rechtsgesetzen ist nicht nur der „Klassenwille“ umgesetzt,
sondern auch der „Wille“ der ökonomischen Gesetzmäßigkeiten. Letzterer ist
daher im Zuge der „Setzung“ in die subjektiven Rechte der produzierenden
Einheiten zu transformieren. Die Diskutanten erhofften sich eine Einschränkung
des „Subjektivismus“, der sich im Bereich der Wirtschaft darin zeigte, dass die
objektiv notwendige Selbständigkeit der Betriebe, durch Gesetze eingeengt war,
die im Grunde nur in Gesetzesform erlassene (Partei-)Befehle waren. Dieses Ziel
wurde nicht erreicht. Im Gegenteil, der geringe, den Betrieben in der Endzeit
der Ära Ulbricht zugestandene, Freiraum, wurde in der Ära Honecker umgehend
zurückgeschraubt. Was für kurze Zeit den Anflug eines echten Gesetzes hatte,
rückte nun wieder in die Nähe des Befehls.[43]
Das bekam der Wirtschaft nicht gut. Dazu gezwungen Gesetze einzuhalten, die
gegen das Naturrecht verstießen, siechte sie ihrem Ende entgegen.
Diese Diskussion ist ein Beispiel
dafür, dass das Naturrecht gegen das positive Recht angerufen wird, wenn, aus
welchen Gründen auch immer, sich das Letztere per „Setzung“ vom Ersteren über
das tolerierbare Maß hinaus entfernt und zu „Willkür“ wird.
Naturrecht und „philosophisches“ Recht haben
gemeinsam, dass sie „Seiendes“ sind. Sonst aber sind sie so unterschieden wie
Teil und „Ganzes“. „Naturrecht“ bezieht sich auf ein Recht, das die „primäre“
Natur ausgrenzt und rechtlos macht. Das
„philosophische“ Recht bezieht sich hingegen auf das von der
„Einheitsnatur“ ausgehende „sittliche“ Recht.
Im Mittelpunkt steht hier die Beziehung des „Ganzen“ zu den beiden
Teilen.
Und das positive Recht?
Soweit es um das Privatrecht geht, sind ihr
Gegenstand die per „Setzung“ ins Leben gerufenen subjektiven Rechte der
Mitglieder der „produzierten“ Natur. Das positive Recht scheint damit hinter
einer Grenze zu liegen, die durch das Recht der Natur hier und das Recht der Mitglieder
der Natur dort markiert wird. Da die „produzierte“ Natur aber nur über ihre
Mitglieder handelt, erweckt dies den Anschein, dass nicht die Natur, sondern ihre
Mitglieder die „Rechtsinhaber“ sind. Der gleiche Gegenstand „Recht“ verleitet
daher zu höchst unterschiedlicher, ja gegensätzlicher Interpretation.
Die positive Rechtswissenschaft setzt bei der
„Setzung“ an. Wird diese als starre Grenze gesehen, geht der gemeinsame
Ausgangspunkt beider Wissenschaften verloren. Die Grenze führt dann dazu, dass
die Zugehörigkeit des Rechts zum Sein verloren geht. Die Folge: das
„philosophische“ Recht wird überhaupt aus dem Rechtsbegriff ausgeschlossen.
Deshalb auch die Kritik an Kant, dass dessen Rechtsbegriff „teils nur eine
negative Bestimmung, die der Beschränkung“[44]
enthält und - was die Kehrseite ist
- das positiv abgegrenzte Recht
positiver macht als es ist.
Eine sich „positivistisch“
verstehende Rechtswissenschaft erfasst das Recht also nur ab der „Setzung“,
während eine „philosophische“ Rechtswissenschaft den „Anfangspunkt“ (§ 2 R) in
der Gesetzmäßigkeit „Recht“ sieht. Ist nun auch noch die Philosophie
positivistisch, bestärken sich beide Wissenschaften darin, den für Hegel
wichtigen Teil des Rechts aus dessen Begriff auszublenden
IV.
Speziell zum positiven Recht
1.
Die „Setzung“ der Rechtsgesetze
Eine zentrale Aufgabe der Rechtswissenschaft
ist die „Setzung“. Sie dient dazu, das
„wesenhaft“ existierende „philosophische“ Recht in „gesetztes“ Recht zu
überführen.
Aber warum müssen die Gesetze der
„produzierten“ Natur „gesetzt“ werden und jene der „primären“ Natur nicht,
obwohl beide Materialität aufweisen? Dazu ist bereits gesagt worden: Die
„Setzung“ ist deshalb notwendig, weil die „produzierte“ Natur sowie auch die
„Einheitsnatur“ neuesten Datums sind und nicht, wie die „primäre“ Natur,
Millionen Jahre Zeit hatten, ihre Gesetze den ihnen Unterworfenen als Instinkte
einzupflanzen. Was hier also die Instinkte, muss dort die „Setzung“ leisten.
Von den Naturgesetzen sagt Hegel,
dass sie objektiv existieren und wirken, dass ihr Maßstab außer uns ist, dass
es nicht darauf ankommt, welche Kenntnis wir von ihnen haben. Im Anschluss fügt
er, auf das Gemeinsame und den Unterschied von Natur- und Rechtsgesetzen
anspielend, hinzu:
„Die Kenntnis des Rechts ist
einerseits ebenso, andererseits nicht.“ Das „Andererseits“ verweist uns u.a.
darauf, dass der „Inhaber“ des Rechts und die „Inhaber“ der „gesetzten“ Gesetze nicht identisch sind. Und so
kommt, dass niemand bestreitet, dass der Maßstab der Naturgesetze „außer uns“
liegt, wir aber glauben, bei den Rechtsgesetzen sei es anders und deren Maßstab
liege in uns.
„In der Natur ist die höchste
Wahrheit, dass ein Gesetz überhaupt
ist: in den Gesetzen des Rechts gilt die Sache nicht weil sie ist, sondern
jeder fordert, sie solle seinem eigenen Kriterium entsprechen.“
Ein weiterer Punkt:
Daraus, dass der Mensch als
Lebewesen beiden Naturen angehört, die
Rechtsgesetze aber nur den Menschen als „Person“ betreffen, resultiert, dass der Mensch zwei ganz
unterschiedlichen, widerstreitenden Maßstäben unterworfen ist, was dazu führt, dass
deshalb seine „innere Stimme [zu ihnen] in Kollision“ treten kann – und zwar
umso mehr, je mehr er sich als Teil jener Natur sieht, gegen die die
Rechtsgesetze gerichtet sind. Seine Doppelnatur ist die Quelle eines
„Widerstreits“ zwischen dem, „was ist, und dessen, was sein soll, des an und
für sich seienden Rechts, welches unverändert bleibt, und der Willkürlichkeit
der Bestimmung dessen, was als Recht gelten solle.“ Wer sich mehr der
„primären“ Natur zugehörig fühlt oder sich überhaupt dieser Zugehörigkeit
bewusst ist, wird also stärker zu ihnen „in Kollision“ treten als jener, der
ganz auf die „produzierte“ Natur setzt.
Denjenigen, die meinen, dieser
unbefriedigende Sachstand lade dazu ein, auf die unbestrittene Geltung der
Naturgesetze „zurückzuverweisen“, sich „an derselben ein Muster [zu] nehmen“,
hält Hegel entgegen:
„Gerade in diesen Gegensätzen des an und für sich
seienden Rechts, und dessen, was die Willkür als Recht geltend macht, liegt das
Bedürfnis, gründlich das Rechte erkennen zu lernen.“ Denn gerade diese Gegensätze zeigen der
Wissenschaft den Unterschied zwischen dem „Willkürrecht“ der „produzierten“
Natur und dem „Vernunftrecht“ als dem Recht beider Naturen. Hier also stehen
wir vor der Aufgabe „unserer Wissenschaft“, der Philosophie. Sie steht „im
Gegensatz [zu der] der positiven Jurisprudenz“, die ihre Aufgabe vorwiegend
darin sieht, die Widersprüche innerhalb des „Willkürrechts“ zu glätten. Auch das ist ihre Aufgabe. Aber sie darf nicht die
alleinige sein oder werden.
Über die „Setzung“ wird das Recht der Natur in
die Rechte ihrer Mitglieder überführt.
Im Englischen führt das zur Unterscheidung von law und rights. Eine deutsche
Entsprechung sind die Begriffe Recht und (subjektive) Rechte. Das „gesetzte“, in subjektive Rechte transformierte, Recht wird
so zur empirischen Gestalt des Rechts.
Die „Setzung“ ist eine Arbeit,
die im Schoße der bürgerlichen Gesellschaft zu leisten ist. Dort, wo er sie
abhandelt, zeigt Hegel, wie das abstrakte Recht der „produzierten“ Natur in das
konkrete Recht ihrer Mitglieder zu überführen ist. Bereits in § 3/A R wird
darauf hingewiesen und übergeleitet. „Hier sind die daselbst sich ergeben
werdenden Bestimmungen nur angeführt worden, um die Grenze des philosophischen
Rechts zu bezeichnen und um sogleich die etwaige Vorstellung oder gar Forderung
zu beseitigen, als ob durch dessen systematische Entwicklung ein positives
Gesetzbuch … herauskommen solle.“ Jetzt aber wird es konkret. Die nationalen
Besonderheiten, die erreichte Stufe der geschichtlichen Entwicklung, überhaupt:
alle „Verhältnisse, die der Naturnotwendigkeit angehören“, müssen jetzt
aufgegriffen und verarbeitet werden, um zu einem anwendbaren positivem
Gesetzbuch zu gelangen.
Die „Setzung“ ist eine Um-Setzung. Sie ist eine „Sache des Verstandes und betrifft die
äußere Ordnung, Zusammenstellung, Konsequenz, weitere Anwendung u. dgl.“[45]
Keine leichte Arbeit, die da zu leisten ist. Fehler und Reibungsverluste aller
Art können dabei auftreten. Das erklärt, dass bei prinzipiell gleicher Ausgangslage die Endergebnisse deutlich
abweichen können. Gleiches „an sich“ seiendes Recht zeigt sich also nach der
„Setzung“ in Kodifizierungen, die sich – wie im Code Civil, im ABGB, im BGB
anschaulich sichtbar - im Detail durchaus unterscheiden. Auch das hat der
geläufigen Vorstellung Vorschub geleistet, dass als Gegenstand der
Rechtswissenschaft das „gesetzte“ Recht
anzusehen ist, nicht aber das „an sich seiende“. Und wie damals, ist es
deshalb auch für heutige Juristen eine „Querfrage“, wenn „gefragt wird, ob …
eine Rechtsbestimmung vernünftig ist“[46]
Hegel verweist in § 212 R auf den
Idealfall. Er sei gegeben, wenn das „an sich seiende“ Recht, das Naturrecht,
mit dem „gesetzten“ Recht, dem Gesetz, identisch ist. Normalfall ist hingegen,
dass das, „was Gesetz ist, in seinem Inhalte verschieden“ ist von dem, „was an
sich Recht ist.“[47]
„Übersetzungsfehler“ sind also unvermeidbar. Sie führen dazu, dass das
„gesetzte“ Recht im Unterschied zum „an sich seienden“ Recht an einer
„Verkümmerung“ leidet, wie Hegel im Zusatz zur „Vorrede“ hervorhebt.
Die „gesetzten“ Gesetze sind
„Menschenwerk“, „von Menschen Herkommendes“, wie Hegel sagt. Durch die
„Setzung“ verliert das Recht seine Vollkommenheit. Ob gewollt oder nicht: es
kommt bei der „Setzung“ zur Abweichung der Gesetze vom Recht. Das verleiht ihr
den Beigeschmack der „Willkür“. Da das Recht ein Erzeugnis der „produzierten“
Natur ist, es in dieser Natur seine Quelle hat, stoßen wir dann und dort auf
besonders große Abweichungen, wenn die Totalität dieser Natur in einem höheren
Maße (oder in anderer Weise) eingeschränkt wird, als es der Erhalt des Ganzes erforderlich
macht.
2.Das
positive Recht als „definiertes“ Recht
Während die philosophische Rechtswissenschaft
ausschließlich an der der „Idee“ orientiert ist und von dorther ihren
Gegenstand entwickelt, wird der Gegenstand der positiven Rechtswissenschaft
durch die „Definition“ bestimmt. Diese gibt vor, was „gesucht und verlangt“
wird.[48] Sie
sagt aus, was zur Zeit „Rechtens“ ist
bzw. sein soll. Sie hegt den Gegenstand auf das Gesollte und Gebrauchte ein.
Sie sorgt dafür, dass die Wissenschaft den Bedürfnissen jener Natur nachkommt,
die jetzt das Sagen hat. Ihre Aufgabe
ist es, den in die Rechte der Personen transformierten Stoff „Recht“ in „eine
zusammenhängende und widerspruchsfreie Definition“ dessen zu bringen, was an
einem konkreten Ort und zu einer konkreten Zeit „Rechtens ist.“ Ob das Recht
vernünftig oder unvernünftig im philosophischen Sinne ist, ob es der „Idee“
entspricht oder ihr doch wenigstens nahe kommt, ist hier keine Frage. Hier geht es nur darum, das
„abstrakte“, also zeit- und ortlose Recht „positiv“ zu machen.
Zur Rolle, die dabei der positiven
Rechtswissenschaft zukommt, sagt Hegel uns im Zusatz zu § 32 R:
„In den empirischen Wissenschaften analysiert man
gewöhnlich das, was in der Vorstellung gefunden wird, und wenn man nun das
Einzelne auf das Gemeinschaftliche zurückgebracht hat, so nennt man dieses
alsdann den Begriff. So verfahren wir nicht, denn wir wollen nur zusehen, wie
sich der Begriff selbst bestimmt und tun uns die Gewalt an, nicht von unserem
Meinen und Denken hinzuzugeben.“
Das korrespondiert mit dem Zusatz zur Vorrede, wo
Hegel den Gegensatz hervorhebt, der zwischen dem besteht, was er das „an und
für sich seiende“ Recht nennt und jenem Recht, das „die Willkür als Recht
geltend macht“. Ersteres sei Gegenstand der Philosophie, letzteres sei
Gegenstand der positiven Jurisprudenz.
„Definition“ heißt, sich darauf festzulegen, was
unter konkreten Bedingungen Recht sein soll; heißt mit Fiktionen arbeiten.
„Definition“ heißt, dem Gegenstand Gewalt antun, ihn
um das „Ganze“ bringen, ihn zuzuschneiden, ihn zu reduzieren auf die
Bedürfnisse der jetzt herrschend gewordenen Natur. Da es ihr Grundbedürfnis
ist, die andere, die Gegen-Natur, ungehindert anzueignen, fordert sie für sich
ein Recht, das sie von der Pflicht ihr gegenüber freistellt. Zugleich muss, um
das verbergen, alles aus dem Rechtsbegriff entfernt werden, was den Verstoß
gegen die „Idee“ bloßlegen würde. „Definieren“ ist also die Kunst, aus dem
Rechtsstoff alles auszuklammern, was nicht unter das jeweilige Bedürfnis nach
„Recht“ passt. Hegel bringt ein Beispiel: „So … wäre für das römische
Recht keine Definition vom Menschen
möglich, denn der Sklave ließe sich darunter nicht subsumieren, in seinem Stand
ist jener Begriff vielmehr verletzt“[49]. Der
„Römer“ tritt deshalb an die Stelle des Menschen.
Heute ist es die „Person“, die die Stelle des
Menschen einnimmt. In ihr sind sowohl der Sklave wie der Freie egalisiert,
weshalb sie für Hegel „in einem das Hohe und das ganz Niedrige“[50]
ist. Denn auch heute noch ist es
unmöglich, eine juristische Definition vom „Menschen“ zu erstellen, weil der
Mensch, ob er es will oder nicht, zu beiden Naturen gehört, das Recht aber nur
das Recht jenes Teil-Menschen ist, der Glied der „produzierten“ Natur ist. Der Mensch ist bis heute mit dem
positiven Recht nicht erfassbar.
Ein anderes Beispiel ist der Begriff „Eigentum“.
Auch hier gilt es per Definition dessen Wesen, das heißt seine untrennbare
Verbindung mit der „Aneignung, zu
verbergen. Hegel dazu:
„[E]benso perikulös würde die Definition von
Eigentum und Eigentümer für viele
Verhältnisse erscheinen.“[51]
Diese Bemerkung wird dort bzw. dann wichtig, wo Hegel zwischen dem nur dem
Konsum dienenden Eigentum und dem wichtigeren Eigentum am individuellen
Arbeitsvermögen sowie an den Produktionsmitteln unterscheidet.[52] Auch
hier muss deshalb mit Fiktionen gearbeitet werden, z.B. mit der Fiktion, dass
die Sphäre des Rechts erst nach vollzogener Aneignung beginnt.
Der Mensch der „produzierten“ Natur ist der „Dinge“
habende Mensch – die „Person“. Nur sie ist Rechtssubjekt. Jemand ohne „Dinge“
mag Mensch sein, ist aber keine „Person“. Das Eigentum ist der Maßstab, es
macht „Alle identisch“. Ob der Mensch „Jude, Katholik, Protestant, Deutscher,
Italiener usf. ist“[53],
spielt keine Rolle mehr. Eigentum zu haben – das ist entscheidend.
Die Kernzone der bürgerlichen Gesellschaft, der
Aneignungs- bzw. Produktionsprozess, wird weg definiert. All das, was
„versteckter Hintergrund“ (Marx) bleiben soll, fällt der „Definition“ zum Opfer.
Das gilt besonders für die von dieser Natur ausgehende soziale und ökonomische
Ungleichheit, die dadurch zu einem Problem wird, für das das Rechts unzuständig
ist. Und angesichts des weltweit rasant anwachsenden Unterschiedes zwischen arm
und reich, der zunehmenden Deklassierung und Verpöbelung immer breiterer
Volksteile zeigt sich, dass diese Ausgrenzung zwingend erforderlich ist, wenn
die auf diese Unterschiede gegründete Natur nicht in Erklärungsnot geraten
will.
[1] L(W), S. 128 ff.
In der „Enzyklopädie“ sind es besonders die „Zusätze“, die diesem Thema
gewidmet sind. Sie zeigen, dass er die dort jeweils abgehandelte Materie im
Kontext dieser wesenslogischen Ausführungen gesehen haben will. Viel „Dunkles“
wird über sie aufgehellt bzw. gewinnt erst dort „Farbe“.
[2] Als „negative
Einheit“ (L[W], S. 149), wie er in diesem Zusammenhang formuliert.
[3] § 33/Z R.
[4] Vgl. L(W), S.
138 u. 140.
[5] Der Begriff wurde von G. Lübbe-Wolff (Die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie, in B. Sandkaulen/V. Gerhard/W. Jaeschke [Hrsg.], Gestalten des Bewusstseins: Genealogisches Denken im Kontext Hegels, Hamburg 2009, S. 332) geprägt.
[6] § 529/A E.
[7] § 486/A E.
[8] § 211/A R.
[9] § 211/Z R.
[10] Auf einem
anderen Blatt steht, dass gerade auch dieses „getrübte“ Recht in der Gegenwart
eine Chance bietet, über Richtersprüche zu einem Interessenausgleich beider
Naturen, der „primären“ und der „produzierten“, zu gelangen.
[11] § 216/A R.
[12] L(W), S. 143 -
Hervorhebung bei H.
[13] Vgl. ebd., S.
146: „Die Wahrheit des Verhältnisses [von Ganzen und Teilen] besteht also in
der Vermittlung.“
[14] Hegel: „So ist
das Gesetz wesentliches Verhältnis.“ L(W), S. 140.
[15] L(W), S. 131.
[16] Marx (MEW 25, S.
235).
[17] § 35/Z R.
[18] § 42/Z R.
[19] GR, S. 312f.
[20] § 155/Z R.
[21] mit der er die „Begriffsentlarvung“
Schellings (vgl. A. Hollerbach, a.a.O.) wiederholt!
[22] N. Luhmann, Ökologische Kommunikation. Kann
die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? Opladen
1985, S. 77 – Hervorhebung bei N.L.
[23] N. Luhmann,
Ökologische Kommunikation, a.a.O., S. 136.
[24] § 31/A R.
[25] N. Luhmann,
Ökologische Kommunikation, a.a.O.,
S.
139.
[26] N. Luhmann,
Subjektive Rechte. Zum Umbau des Rechtsbewusstseins für die moderne
Gesellschaft, in: ders., Gesellschaftsstruktur
und Semantik Bd. 2, Frankfurt a.M. 1981, S. 64.
[27] N. Luhmann, Die Theorie der
Ordnung, Rechtshistorisches Journal 3 (1984), S. 149.
[28] § 2 R.
[29] L(W), S. 138.
[30] Hingewiesen wird
auf F. Engels (Feuerbach-Schrift), der auflistet, was angesichts der neueren
und neusten Erkenntnisse der Naturwissenschaften gegen die Naturphilosophie
spricht und ihn sagen lässt, diese sei „heute endgültig beseitigt“. (MEW 21, S. 295) So richtig seine Kritik im
Detail ist, er übersieht, dass der Kern der Naturphilosophie auf die Einheit
der beiden Naturen, auf das „Natur-Ganze“ abzielt. Und um diesen Kern hat sich
die Philosophie zu kümmern, weil er nicht in den Gegenstandsbereich der
einzelnen Naturwissenschaften fällt.
[31] Einleitung/Z E 2
(MM 9, S. 10).
[32] L(W), S. 141.
[33] Theodor Litt, Hegel.
Versuch einer kritischen Erneuerung, Heidelberg 1953, S. 99.
[34] Ebd., S. 178.
[35] Ebd, S. 110.
[36] Wie A.
Hollerbach (Der Rechtsgedanke bei Schelling, Frankfurt a.M. 1957, S. 114) unter
Bezug auf Schellings Naturrechtsschrift von 1797 formuliert.
[37] Wie es Marianne
Weber (Fichtes Sozialismus und sein
Verhältnis zur Marxschen Doktrin, Tübingen 1900, S. 6) beschrieben hat: Die
Individuen entäußern sich all ihrer ursprünglichen natürlichen Rechte, um sie
gegen „die bürgerlichen Rechte … einzutauschen.“
[38] § 530 E.
[39] § 490 E.
[40] § 71 R.
[41] Siehe Zusatz zur
Vorrede.
[42] Ein
Hauptvertreter war U.-J. Heuer, aus dessen Feder auch die gehaltvollste Arbeit
hierzu stammt: „Gesellschaftliche Gesetze und politische Organisation“, Berlin
1974.
[43] Fast jeder
Artikel aus der Feder U.-J. Heuers in diesen Jahren enthielt die Forderung, die
zugleich Warnung vor den Folgen war: Nicht zuzulassen, dass Rechtsnorm und
Rechtsform identisch werden. Aber die Partei- und Staatsführung, an die sie
gerichtet war, ließ sie unbeachtet.
[44] § 29/A R.
[45] § 212/A R.
[46] § 212/A R – mit
Hinweis auf § 3/A R.
[47] § 212 R.
[48] § 2/A R: „Nach
der formellen, nicht philosophischen Methode der Wissenschaften wird zuerst die
Definition, wenigstens um der äußeren
wissenschaftlichen Form wegen, gesucht und verlangt.“
[49] § 2/A R.
[50] § 34/Z R.
[51] § 2/A R.
[52] Dazu ausführlich der Beitrag „Im Urteil der Hegelschen Philosophie. Das Arbeitsverhältnis bei Savigny, Marx und Gierke – auf dieser Plattform.
[53] § 209/A R.