Römischer als die Römer: Das Abstraktionsprinzip des
BGB aus ökonomischer und philosophischer Sicht
Gerhard Lingelbach zum Siebzigsten!
1.
Fragestellung und Ausgangsthese
Schon der Rechtskundeunterricht
vermittelt eine Ahnung davon. Und wer später Jura studiert, lernt es in voller
Breite kennen: Jenes Abstraktionsprinzip, dass dem deutschen Privatrecht seinen
Stempel aufdrückt und es von den Privatrechten der meisten anderen Nationen
unterscheidet. (Obligatorisches) Kausal- und (dingliches) Finalgeschäft: wer
später zu den Spitzenkräften der Zunft gehören will, muss hier standhalten und
zeigen, was in ihm steckt. Hier scheidet sich die Spreu vom Weizen.[1] Dann
aber, im praktischen Leben, wird eine solche Spitzenkraft, besonders wenn sie
im internationalen Rahmen mit Wirtschaftsabläufen zu tun hat, das
Abstraktionsprinzip bald in weite Ferne gerückt sehen; sie wird merken, dass
die Wirtschaft (und der Rest der Welt) ohne Schaden zu nehmen auch ohne es
auskommt. Nun gut, mag sie angesichts solcher Erfahrungen denken, aber
mindestens wurde mir über das Abstraktionsprinzip das Schwierige und Elitäre
des Rechts bewusst gemacht. Und mag es auch wenig praxisrelevant sein: das Mehr
an Logik und an Gründlichkeit der deutschen Kodifikation, das darin zum
Ausdruck kommt, kann jedenfalls nicht schaden, ja ist ein Wert an sich.
Abstraktion von der Causa:
Was das BGB dazu sagt, schildert
P. Heck wie folgt:
„Die abstrakte Gestaltung besteht
darin, dass der Rechtsgrund, durch den jedes dingliche Rechtsgeschäft, wie alle
anderen Zuwendungen, veranlasst ist, nicht als Voraussetzung für die dingliche
Wirkung aufgestellt wird. Als Voraussetzung genügt die gehörige, eventuell
formbekleidete Willenserklärung der Partei, dass die Änderung eintreten soll.“
Sie steht im Gegensatz zur
kausalen Gestaltung, „bei der die dingliche Rechtsänderung davon abhängt, dass
ein rechtfertigender Rechtsgrund, wie man früher sagte, eine iusta causa,
vorliegt.“[2]
Ein einheitlicher Vorgang, der
bei „Wille“ und „Plan“ beginnt und bei Auslieferung des Produkts an den Käufer
endet, ist zwei Rechten, dem Schuld- und Sachenrecht, zugeteilt. Dies sei
sachlich geboten, meint eine Mehrheit, und es sei folglich die Leistung der
deutschen Rechtswissenschaft, mit dem Abstraktionsprinzip eine Lücke
geschlossen zu haben, die in den meisten Rechtsordnungen noch heute klafft.
Leistung oder Fehlleistung?
Hat Savigny, der allgemein als
der „Entdecker“[3]
des Prinzips gilt, den Ruhm verdient, mit dem er allein deswegen überhäuft
wurde?
Was sagen die beiden Großen der
deutschen klassischen Philosophie, was sagen Kant und Hegel dazu?
2.
Die Basisgrößen des Privatrechts:
„Person“, „Eigentum“, „Vertrag“
Alle drei Begriffe nehmen in
„Rom“ ihren Anfang. Sie gelten als im Wesentlichen geklärt, als sie mehr als tausend Jahre später von dort
übernommen und zu den Schlüsselbegriffen auch des deutschen Rechts gemacht werden.
Aber trifft das zu? Und wenn:
Was hat das „römische“
Verständnis dieser Begriffe mit dem Abstraktionsprinzip zu tun?
Eine generelle Bemerkung hierzu:
Richtig ist, dass in Rom erstmals
Ware-Geld-Beziehungen in großem Stil aufkommen. Und richtig ist auch, dass diese
eine darauf fußende Rechtsordnung erzwingen. Das scheint nahe zu legen, in „Rom“
eine „historische Vorausangabe“[4]
der bürgerlichen Gesellschaft und ihres Rechts zu erblicken. So scheint es auf
dem ersten Blick auch K. Marx zu sehen, wenn man bei ihm auf die nachfolgenden Textstellen
stößt:
Obwohl klar ist, dass das
römische Recht „einem Gesellschaftszustand entspricht, in welchem keineswegs
der Austausch entwickelt war“, musste es „dem Mittelalter gegenüber als das
Recht der aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft geltend gemacht werden“, weil
es die „Bestimmungen der juristischen Person, eben des Individuums des
Austausches“ bereits entwickelt hat.[5] Ganz
ähnlich formuliert Engels, dass das römische Recht als das „erste Weltrecht
einer warenproduzierenden Gesellschaft“[6]
anzusehen ist. Aber wichtig ist, dass beide betonen: Deswegen musste es „gegenüber
dem Mittelalter“ geltend gemacht werden. Sie wollen sagen: Das römische
Recht ist nicht das Recht der jetzigen bürgerlichen Gesellschaft, aber es steht
ihr näher als das feudale und kann deshalb als Hilfsmittel dienen, sich von dem
feudalen Recht abzugrenzen, ehe das Recht der bürgerlichen Gesellschaft selbst auf
den Begriff gebracht ist.[7]
Und
so sieht es auch Hegel. Die Warenproduktion
„Roms“ war nur „in bestimmtem Kreise entwickelt“[8], sie
war, bei allem, was dort erreicht wurde, erst „anfangende“ Warenproduktion. So bedeutsam sie bereits war: Sie war
noch längst nicht aus dem „naturwüchsigen“ Zusammenhängen herausgewachsen. Und das
trifft auch auf die zu ihr gehörenden juristischen Begriffe zu. „Person“,
„Eigentum“, Vertrag“, diese Schlüsselbegriffe es modernen Rechts, nahmen in
„Rom“ erste Kontur an. Aber sie treten dort nur erst als „Momente“ des Begriffs
ins Dasein, während der Begriff selbst noch bloße „Idee“[9]
ist, die erst zu späterer Zeit Gestalt erlangen kann. „Bürgerliche
Gesellschaft“ und „Person“. Erst nach mehreren Vorstadien und erst nach Ablauf
tausender Jahre stehen wir vor diesem Ergebnis. Gleichzeitig sind ihre
„naturwüchsigen“ Ausgangsgrößen nun zur Idee
geworden, die von uns verlangt, sie als „Vernunftgestalten“ wiederherzustellen.
Denn nur aus der einseitigen Sicht der „produzierten“ Natur und ihrer
„Personen“ kann der jetzige Zustand unter Befreiung, unter „Freiheit“ verbucht werden.
Nur eine „erste Weise der Freiheit“[10] ist
erreicht, denn Kehrseite dieser
Freiheit ist die Unfreiheit der „primären“ Natur und all dessen, was ihr
zugehört, einschließlich jenes „Teil-Menschen“, der bei ihr verbleibt.[11] Was
noch aussteht, soll das „Ganze“ erhalten bleiben, ist die Vermittlung der
„Entgegengesetzten“. Erst wenn sie gemeistert ist, hat die Vorgeschichte
geendet und ist die Menschheit in ihre eigentliche Geschichte eingetreten.
Obwohl tausend Jahre von ihm
getrennt, ähnelt der jetzige gesellschaftliche Zustand dem römischen mehr als
dem gerade überwundenen mittelalterlichen. Besonders der Rechtszustand. Das
erklärt die magische Anziehungskraft, die jetzt von „Rom“ ausgeht. Und nicht
nur Savigny unterliegt ihr. Auch die französischen Revolutionäre hofieren
„Rom“. Allerdings mehr zu dem Zweck, damit ihre eigenen Anschauungen zu
kostümieren. Das allerdings ist Savigny eine zu unernste Beschäftigung mit
„Rom“. Was er will geht tiefer, zielt darauf ab, das römische Recht nahezu 1: 1
für die jetzige Zeit zu gewinnen. Genau das wird zum Problem werden. Denn in
den tausend Jahren, die vergangen sind, stand die Geschichte nicht stille. Was
in Rom, inselhaft im Rahmen des „naturwüchsigen Gemeinwesens“, aufkommt, als
Ökonomie wie als Recht, sind lediglich Vorformen dessen, was erst in der
bürgerlichen Gesellschaft Gestalt gewinnt. Und diese Vorformen werden nun zum
Maß aller Dinge gemacht.
Das Vorstehende spricht gegen die
sklavische Übernahme der Begrifflichkeit des römischen Rechts, zu der es in
Deutschland kommt. Vorsicht wäre geboten gewesen. Kritische Reflexion, wie wir
sie bei Hegel finden. Dieser erkennt und anerkennt durchaus, was „Rom“
Bleibendes hinterlassen hat. Aber er sieht und berücksichtigt, was die Römer
nicht leisten konnten. Und er drückt es deutlich genug aus, was er von der
unkritischen Übernahme a la Savigny hält: das nichts falscher sein kann als
sie.
Worin zeigt sich die
„Unfertigkeit“ der römischen Begriffe und welches sind die Folgen ihrer
Übernahme?
Zur
Person.
In Rom trennt der Status die
Menschen. Vorwiegend ethnische Merkmale entscheiden darüber, ob der Mensch als
„Freier“ oder als „Sklave“, als „Nicht-Arbeiter“ oder als „Arbeiter“, als
Eigentümer oder als Sache, als Subjekt oder als Objekt gilt. Auf dieser Basis
kann sich nur eine sehr einseitige Vorstellung von dem ausbilden, was die
„Person“ ist. Wenn es in Rom also „Personenrechte“ gibt, muss man wissen: „Das
römische Personenrecht ist daher nicht das Recht der Person als solcher,
sondern wenigstens der besonderen
Person“[12].
Die römische Person lebt vom
Privileg. Und das wichtigste Privileg war, nicht Eigentum eines anderen zu
sein, sondern selbst Eigentum zu haben.
„Freier“ und „Sklave“
konstituieren die antike Freiheit und Gleichheit. Die Freiheit und Gleichheit
der bürgerlichen Gesellschaft aber ist ihr „Gegenteil“. Beide, der „Freie“ und
der „Sklave“, gehen in der Moderne „kaputt“[13]
und werden abgelöst durch die „Person“. Der Mensch als biologisches Wesen
existiert fort. Aber hier, im Bereich der „produzierten“ Natur, auf der Ebene
des Austausches, die auch die Ebene des Rechts ist, zählt nur das ökonomische
Substrat des Menschen. Hier, auf dieser Ebene, ist der Mensch reduziert auf
„Wille“ und „Eigentum“; die „Person“ ist ihre Einheit.
Die bürgerliche Gesellschaft
definiert sich über die Arbeit und dem daraus folgenden Eigentum; sie ist Arbeits-
und Eigentumsgesellschaft; „Arbeiterschaft“ und „Eigentümerschaft“ sind jetzt verallgemeinert.
Privileg und Status sind außer Kraft gesetzt. Die „Person“ hat ihre endgültige
Basis gefunden. Hegel merkt an: „Kein Freier – kein Sklave. Aber auch: kein
Sklave – kein Freier.“ Die „Person“ ist vielmehr: der aufgehobene „Freie“ und der aufgehobene
Sklave.[14]
Trotzdem bleibt vorherrschende
Meinung, dass die „Person“ aus den Komponenten „Mensch“ und „Eigentum“ besteht,
dass der Mensch durch das Hinzutreten des Eigentums zur Person gesteigert
werde. Eine vermeintlich klare Kontur, von der Hegel allerdings nichts hält. Seine
„Person“ ist Resultat des Zerfalls jener Ursprungsgrößen mit denen die
Menschheit in ihre Geschichte eintritt: „Naturwüchsiges Gemeinwesen“ (Ebene des
Allgemeinen), „Wirtschaftsfamilie“ (Ebene der Besonderheit) und „Mensch“ (Ebene
der Einzelheit). Alle drei zerfallen in ihre „Entgegengesetzten“. Am Ende stehen wir (der Reihenfolge nach) vor
folgenden Gegensatzpaaren:
-
aus
dem Zerfall des „naturwüchsigen“ Gemeinwesens) resultieren: „produzierte“
Natur (=bürgerliche Gesellschaft) und „vorgefundene“[15]
oder „primäre“ Natur;
-
aus
dem Zerfall der Wirtschaftsfamilie resultieren: Unternehmung und Kleinfamilie.
Und der Mensch? Er scheint davon ausgenommen
zu sein. Denn in was sollte er, biologisch gesehen, „zerfallen“? Dem hält Hegel
entgegen: Es geht hier nicht um den biologischen, sondern um den „logischen“
Zerfall. Und dieser findet sehr wohl statt. Er spaltet den Menschen auf – in
jenen der „produzierten“ Natur und jenen der „vorgefundenen“ Natur. Gerade das
ist ja sein Schicksal.[16] Ersterer
verkapselt sich zur „Person“. Die Maßstäbe, an denen sie gemessen wird, sind
jene der „produzierten“ Natur. Eine Kunstwelt ist erstanden, die nicht aus
Fleisch und Blut ist. Als ihren Teil reduziert sie die „Ursprungs-Menschen“
vielmehr auf das, was sie im Laufe tausender
Jahre außerdem geworden sind: „Wille“ und „Eigentum“. In beiden gelangt
die „Person“ zum Dasein.[17]
Und welches Band umschlingt sie?
Das „Band des gegenseitigen
Bedürfnisses“[18].
Das
vormalige Bindemittel „Blut und Boden“ ist aus dem Feld geschlagen. Die
„Personen“ sind über das Recht verbunden. Deshalb gilt jetzt: Jede Person ist juristische Person[19];
die juristische Person ist die „natürliche“ Person der „produzierten“ Natur.
Sie ist ein von ihrer Natur hervorgebrachtes logisch-juristisches Konstrukt.
Der Mensch aus Fleisch und Blut ist lediglich ihr biologischer Träger.
Zweck
der „produzierten“ Natur ist es, sich die „vorgefundene“ Natur zu unterwerfen
und anzueignen. Dies geschieht über das Handeln der „Personen“. Denn der Zweck
dieser Natur ist auch ihr Zweck. Die
bürgerliche Gesellschaft ist Arbeitsgesellschaft und die Personen sind ihre
„Arbeiter“. Reduziert auf ihre „Arbeiterschaft“ ist die „Person“, der homo
oeconomicus, zusammengesetzt aus „Wille“
und Werkzeug. So gesehen ist die „Person … also in Einem das Hohe und das
ganz Niedrige“[20].
Was aber sehen wir bei Savigny? Er
lässt in der jetzigen „Person“ den „Römer“ fortleben, indem er den Status „frei“ verallgemeinert. Jeder Mensch ist jetzt ein freier
Mensch. Er übersieht, dass beide,
der „Freie“ und der Sklave, untergehen und durch ein Drittes ersetzt werden:
durch die „Person“. Er denkt rein linear, rein quantitativ; er verfehlt das
Thema. Die bürgerliche Gesellschaft definiert sich über die Arbeit; sie ist
Arbeitsgesellschaft. Der Römer aber verstand sich als Nicht-Arbeiter; die
Nicht-Arbeit war sein Privileg und das Fundament seiner Freiheit. Arbeit
verband sich mit Unfreiheit, sie war Sache der Sklaven. Das Neue der
bürgerlichen Gesellschaft ist, dass die Arbeit selbständiges „Ding“, mithin
„frei“ geworden und mit dem „Willen“ zur „Person“ vereint ist. Damit ist der
antike Mensch, existierend als Freier und als Sklave, historisch geworden; der
Mensch steht ab jetzt nicht mehr im Mittelpunkt. E. Gans, Interpret der
hegelschen Rechtsphilosophie, fasst die alte wie die neue Sachlage so zusammen:
„‘Homo‘ heißt Mensch und Sklave, wer nichts ist als der Mensch, ist noch gar
nichts.“[21]
Zum
Eigentum:
Was die Moderne von Rom
unterscheidet ist, dass in der seither verflossenen Zeit die „Leiblichkeit“ des
Menschen nach den Zwecken der „produzierten“ Natur zu einem selbständigen und
allgemein als selbständig anerkannten „Ding“ umgestaltet wurde. Sie wurde „formiert“
und ist jetzt „unter die Bestimmung von Sachen gesetzt“[22].
Sie ist etwas „Äußerliches“[23],
sie ist „Ware“ geworden. Das „Arbeitsvermögen“. Das Ur- bzw. Ausgangseigentum
ist fertiggestellt und ans Licht getreten. Jenes „erste Dasein“[24]
des Eigentums, das jeder Person eigen ist und sie individualisiert. Kein
beliebiges „Ding“ also, sondern die Hauptsache, das dem Geiste angemessene
Ding, von dem sich alle anderen Sachen ableiten. Das erste und bleibend
wichtigste Produktionsmittel. Die Hauptproduktivkraft. Die Grundausstattung der
Person. Das eigentliche Privateigentum. Eine Handelsware! Um fremdes
Arbeitsvermögen zu erlangen, muss man jetzt nicht mehr den ganzen Menschen
erwerben. Die Sklaverei ist überflüssig geworden. Jedoch nur diese spezifische,
an die „Leiblichkeit“ gebundene, Art derselben. Nicht auch die „Lohnsklaverei“.
Das zum „Ding“ formierte
menschliche Arbeitsvermögen: Dieses „Ding“ entdeckt zu haben ist die große
Leistung Hegels. Der Sach-Begriff ist damit auf die Hauptsache ausgeweitet.
Oder so gesagt: Sache und Eigentum werden erstmals „nach ihrer philosophischen
Wahrheit begriffen“[25].
Das Arbeitsvermögen ist deutlich von
jenem Eigentum unterschieden, das lediglich Mittel der Bedürfnisbefriedigung
ist. Obzwar in der Regel zum Ersten gemacht, ist es dieses nicht. Hegel
erläuternd: denn es macht nicht frei, es ist „nicht identisch der Freiheit
gesetzt“. In Bezug auf dieses Eigentum gilt vielmehr: „Was und wieviel Ich
besitze, ist … rechtliche Zufälligkeit.“[26] Den
Unterschied aufzeigend, formuliert er: „Eigentum zu haben erscheint mit
Rücksicht auf das Bedürfnis, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als Mittel.
Die wahrhafte Stellung aber ist, dass vom Standpunkt der Freiheit aus das
Eigentum als das erste Dasein derselben, wesentlichster Zweck für sie ist.“[27] Das
Arbeitsvermögen ist damit als Zweck- bzw. als Arbeitseigentum bezeichnet. Es
dient dazu, die „primäre“ Natur anzueignen. Hinzu kommt, dass über seinen
spezifischen Gebrauchswert die Person individualisiert wird.
Auf das „Arbeitsvermögen“ trifft
in höherem Maße zu, was Hegel zum Pflug sagt: Dieser „ist ehrenvoller, als
unmittelbar die Genüsse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke
sind. Das Werkzeug erhält sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und
vergessen werden.“[28]
Was Hegel entdeckt sind die zwei
Existenzformen des modernen Privateigentums: die „lebendige Arbeit in der
Gestalt des „Arbeitsvermögens“ und die „vergegenständlichte“ Arbeit in der
Gestalt des Produktionsmittels. Damit wird er zum Schöpfer eines hochmodernen,
an die Arbeit anknüpfenden, Eigentumsbegriffes, hinter dem jener, der dem BGB
zugrunde gelegt wird, meilenweit zurück liegt. Denn da die Römer die
Arbeitskraft noch nicht als selbständiges, unabhängig von der „Leiblichkeit“ zu
sehendes, „Ding“ erkannt hatten, endet jetzt – nach Wegfall der Sklaverei - der
Eigentumsbegriff vor der Tür der Hauptsache. Die wichtigste Sache, das
wichtigste Eigentum wird daher im deutschen Zivilrecht (und nicht nur dort!)
wie die Arbeitsleistung des freien Römers bewertet, nämlich als „Vermögen“.[29]
Hegels Eigentumsbegriff setzt
beim „Arbeitsvermögen“ an, umfasst also alle Tätigkeit, die zwischen „Plan“ und
„Produkt“ liegt. Das „Ur-Eigentum“. Austausch ist also in jedem Fall Austausch
von Arbeit. Gleichgültig ist, ob diese Arbeit als „lebendige“ oder bereits
„vergegenständlichte“ vorliegt. Das ist der Grund, warum „für Hegel … jeder
Schuldvertrag … seinem Begriffe nach Veräußerungsvertrag“ ist.[30]
Er entscheidet sich damit keineswegs gegen den schuldrechtlichen und für den
sachenrechtlichen Vertrag, sondern er verwirft diese Unterscheidung und
Entgegensetzung zugunsten eines einheitlichen Vertrages.[31]
Ein Blick auf Kant.
Sein Menschenbild beruht auf der
„absolute[n] Einheit“[32]
von Geist und Leiblichkeit. Während er den Zerfall beim Gemeinwesen und bei der
Familie durch die empirischen Befunde belegt sieht, bleibt er hier, auf der
Ebene des Menschen, bei dem empirischen Befund stehen, der ihm nach wie vor einen
„ganzen“ Menschen zeigt. Die Folge: Nur der „freie Wille“, nun allerdings allen Menschen zugebilligt, macht diesen
Menschen zur „Person“. Das ist richtig, ist aber nur die halbe Wahrheit. Zur
Wahrheit gehört eben auch das, was Hegel schreibt: „Der Körper, insofern er
unmittelbares Dasein ist, ist er dem Geiste nicht angemessen; um williges Organ
und beseeltes Mittel desselben zu sein, muss er erst von ihm in Besitz genommen
werden“[33].
Der vom Willen als Werkzeug in Besitz genommene eigene Körper – das ist das Neue, das
macht die moderne Person und das moderne Eigentum aus.
Zum
Vertrag:
Die bürgerliche Gesellschaft ist
durch Arbeitsteilung und Warenproduktion charakterisiert. Was in den
vorhergehenden, um den Gebrauchswert zentrierten, Produktionsweisen nur am
Rande steht, steht jetzt im Mittelpunkt. Statt Gebrauchswert- nun
Tauschwertproduktion. Kein Produzent produziert für sich selbst. Jeder
produziert für den anderen. Jeder produziert das Eigentum des anderen. Der
Austausch ist gewissermaßen „Beihilfe“ zum Eigentumserwerb; jeder schuldet ihn
dem anderen. Und der Vertrag tritt auf als Vermittler; er ist „Eigentum in
seiner vermittelten Gestalt“[34].
Er sorgt dafür, dass am Ende jeder die richtige Sache in Händen hat. Das ist
der Grund, warum Hegel in ihm ein „Verhältnis des objektiven Geistes“[35]
sieht.
Die individuell betriebene
Aneignung führt zunächst nur zu Besitz. „Eigentum“ wird die angeeignete Sache
erst über den Austausch; erst er und die mit ihm verbundene wechselseitige
Anerkennung des Besitzes als Eigentum führen also zu einer endgültigen
Zuordnung. Hegel in § 72 R: „Das Eigentum, von dem die Seite des Daseins oder der Äußerlichkeit nicht mehr nur eine
Sache ist, sondern das Moment eines (und hiermit anderen) Willens in sich
enthält, kommt durch den Vertrag
zustande – als den Prozess, in welchem der Widerspruch, dass Ich für mich
seiender, den anderen Willen ausschließender Eigentümer insofern bin
und bleibe, als Ich in einem anderen
identischen Willen aufhöre,
Eigentümer zu sein, sich darstellt und vermittelt.“[36]
Kurz gesagt: der Vertrag überführt das Angeeignete in Eigentum.
Wir stoßen beim Austausch auf
zwei Extreme:
Das eine Extrem liegt vor, wenn die
Arbeitskraft selbst veräußert wird. Früher die Ausnahme, ist jetzt, nach
Auseinandertreten der „Wirtschaftsfamilie“ in Kleinfamilie und Unternehmung,
der Kauf und Verkauf der Arbeitskraft Grundvoraussetzung der jetzigen
Produktionsweise. Im Unterschied zu „Rom“ muss jetzt aber, um in ihren Besitz
zu gelangen, nicht der ganze Mensch gekauft werden, sondern nur das, durch
Formierung der Leiblichkeit zu einem separaten Ding gewordene,
„Arbeitsvermögen“. Die „Person“ des Arbeiters bleibt trotz des Verkaufs der
Arbeitskraft erhalten, weil an die Stelle des Verkauften der Gegenwert tritt,
der Arbeitslohn.
Das zweite Extrem liegt vor, wenn
ein bereits fertiges bzw. vorrätiges Produkt vor Ort an den Käufer übergeben
wird.
Dazwischen liegt die große
Bandbreite jener Verträge, bei denen Vertragsschluss und Vertragserfüllung
zeitlich auseinander fallen, weil die jeweiligen Vertragsgegenstände (z.B.)
erst hergestellt werden müssen.
Ich kaufe also
a) direkt die Arbeitskraft;
b) indirekt die durch die fremde
Arbeitskraft schon hergestellten oder erst noch herzustellenden Sachen.
Oder so gesagt: ich kaufe „Arbeit“;
sie ist immer, in je unterschiedlichem
Aggregatzustand und empirischer Existenzform, der Vertragsgegenstand. „Daraus
ergibt sich ohne weiteres, dass im Hegelschen System für einen Schuldvertrag im
modernen Sinn überhaupt kein Raum
ist.“[37]
Ein
Zwischenfazit:
Unter dem Einfluss der
historischen Schule kam es in Deutschland zu einer besonders unkritischen,
unreflektierten Übernahme des römischen Rechts. Sie ließ unberücksichtigt, dass
die Römer die zentralen Institute des Rechts aufgrund der unentwickelten ökonomischen
Verhältnisse nicht auf den Begriff bringen konnten, sondern nur „Momente“
desselben; damit mussten sie sich behelfen. „Person“, „Eigentum“, „Vertrag“ –
keiner dieser Begriffe war „fertiggestellt“, galten Savigny aber so. Und so
wurden die aufgezeigten Dualismen, Ausdruck der „Unfertigkeit“, aufgegriffen
und dogmatisiert. Aus provisorischen Trennungen wurden Trennungs-Prinzipien.
3. Kein Schuldrecht; alles Recht ist Sachenrecht
(Die Einteilung des Rechts bei Kant und Hegel. Die
Unterschiede und ihre Bedeutung)
Die ökonomische Basis unserer
Zeit ist eine völlig andere als die „Roms“. Sie hat die Gründe der oben
aufgezeigten Dualismen „erledigt“. Alle tragenden Begriffe des Rechts sind
„fertiggestellt“. Allen voran: der Begriff „Eigentum“. Folglich können auch die
beiden Extreme des Austausches sowie alle Formen, die dazwischen liegen, über
einen einheitlichen Typ von Vertrag abgewickelt werden. Eine neue Sachlage, die
Hegel in die Worte fasst: „objektiv ist ein Recht aus einem Vertrage nicht
Recht an eine Person, sondern nur an ein ihr Äußerliches oder etwas von ihr zu
Veräußerndes, immer eine Sache.“[38]
Das ist gegen Kant gerichtet,
dessen Einteilung des Rechts er gerade dort verwirft, wo sie, nicht zuletzt
über das Wirken Savignys[39], von
der Rechtswissenschaft übernommen wird und bis heute das deutsche Recht prägt.
Kant teilt das Recht ein in:
-
das
Sachenrecht (§§ 11-17 MdS);
-
ein
Personenrecht (§§ 18-21 MdS);
-
das
auf dingliche Art persönliche Recht (§§ 22-23 MdS).
Was bereits deutlich wurde:
Kants Ausgangspunkt ist eine
„Mensch-Person“, die das Resultat der Moderne, die Aufspaltung des „naturwüchsigen“
Menschen in „Person“ und „Subjekt“, unberücksichtigt lässt bzw. falsch
interpretiert.[40]
Die Folge ist eine viel zu optimistischen Auffassung von der bürgerlichen
Gesellschaft und ihrem Recht. Das erklärt, dass sie bis heute weltweit ein
philosophischer Eckpfeiler des juristischen Denkens ist. Sie soll nachfolgend
näher betrachtet werden. Und zwar aus der Sicht Hegels, der seine realistische
Auffassung durchgängig in Auseinandersetzung mit Kant entwickelt.
Und
um auch dies noch vorweg zu sagen: das interessanteste und aktuellste dieser
Rechte, das „auf dingliche Art persönliche Recht“, ist sowohl von Savigny und
seiner Schule als auch späterhin als „systemwidrig“ verworfen worden. Aus
meiner Sicht ist O. v. Gierke wenn nicht der einzige, so doch der
wirkmächtigste, der mit seiner Genossenschaftslehre daran anknüpft und es als
„Sozialrecht“ zu Ehren bringt.[41]
Hier interessieren die beiden
erstgenannten Rechte, weil sie uns zu der heutigen, durch die Trennung des
Rechtsstoffes in zwei große Gruppen - in „Sachenrecht“ und „Schuldrecht“ -
gekennzeichneten, Sichtweise führen.
Sachenrechte führen lt. Kant zu
Eigentum, das das isolierte Individuum durch die „urursprüngliche“ Aneignung
Mensch – Natur, die occupatio, ohne Eingehung eines Vertrages gewinnt. Der
Besitz an Grund und Boden ist für ihn die „erste“ bzw. „ursprüngliche“
Erwerbung einer Sache[42];
sie macht mich zum Eigentümer. Das „Sachenrecht“ ist daher für Kant das Recht
an jenen Sachen, die unmittelbar aus der Aneignung der „primären“ Natur
hervorgehen. Das von mir der Natur Abgerungene wird abgegrenzt, wird separiert,
wird – wenn es sich auf den Boden bezieht – durch Grenzzeichen als „mein“
markiert und sichtbar gemacht.
Das „persönliche“ Recht hingegen
führt zu Eigentum, welches durch Austausch gewonnen wird. Dazu bedarf es des
Vertrages, des zentralen Instituts des „persönlichen“ Rechts, von dem Kant
sagt, dieser sei das Einwirken meines Willens auf den Willen eines anderen.
In § 18 MdS heißt es dazu:
„Der Besitz der Willkür eines
anderen als Vermögen, sie durch die meine nach Freiheitsgesetzen zu einer
gewissen Tat zu bestimmen (das äußere Mein und Dein in Ansehung der Kausalität
eines anderen), ist ein Recht (dergleichen ich mehrere gegen ebendieselbe
Person oder gegen andere haben kann); der Inbegriff (das System) der Gesetze
aber, nach welchen ich in diesem Besitz sein kann, das persönliche Recht,
welches nur ein einziges ist.“
Er erläutert:
„Die Erwerbung eines persönlichen
Rechts kann niemals ursprünglich und eigenmächtig sein“, weil sonst das
Freiheitsgesetz verletzt wird. Also ist der Austausch „Erwerbung durch die Tat
eines anderen, zu der ich diesen nach Rechtsgesetzen bestimme“.
Er unterscheidet zwei große
Gruppen:
-
Geschäfte,
bei denen Vertragsabschluss und Erfüllung eins sind. Viele Geschäfte des
täglichen Lebens sind davon erfasst;
-
Geschäfte,
bei denen zwischen Abschluss und Erfüllung eine mehr oder weniger lange, oft
der Herstellung dienende, Zwischenzeit liegt; ein in der Wirtschaft vorherrschender
Typ.
Wenden wir uns der zweiten Gruppe
zu. Hier ist die Sache, die der Gläubiger erwerben will, bei Vertragsschluss noch
nicht als selbständiges Ding zutage getreten; sie „versteckt“ sich noch in der
„Leiblichkeit“ des Schuldners. Deswegen kann sich der Anspruch in diesem
Stadium nur gegen die physische Person richten und damit – sachenrechtlich
gesehen – auf etwas sowohl Anderes wie auch Minderes. Ich erwerbe „nicht eine
äußere Sache“, sondern nur das „Versprechen eines anderen (nicht das Versprochene)“.
Ich werde also nicht unmittelbar Eigentümer. Aber: es „kommt etwas zu meiner
äußeren Habe hinzu; ich bin vermögender geworden … durch Erwerbung einer
aktiven Obligation auf die Freiheit und das Vermögen des anderen“[43]. Denn,
wie Kant erläutert, das Recht des Gläubigers „ist nur ein persönliches, nämlich
gegen eine bestimmte physische Person, und zwar auf ihre Kausalität (ihre
Willkür) zu wirken, mir etwas zu leisten, nicht ein Sachenrecht gegen diejenige
moralische Person, welche nichts anderes als die Idee der a priori vereinigten
Willkür aller ist, und wodurch ich allein ein Recht gegen jeden Besitzer
derselben erwerben kann; als worin alles Recht in einer Sache besteht.“[44]
Nur die „Kausalität“ hat der
Käufer zunächst in den Händen, also die Zeitspanne zwischen Ursache und
Wirkung, zwischen Abschluss und Erfüllung, zwischen Plan und Planrealisierung.
Die Zeit des Handelns. Die Zeitspanne, in der Arbeit aus dem Aggregatszustand
„lebendig“ in den Aggregatszustand „vergegenständlicht“ wechselt. Das Versprechen
einer Tat, nicht deren Resultat. Immerhin: damit gelangt der Gläubiger bereits in
den „Besitz der Willkür eines anderen“[45].
Darin besteht der Vermögenszuwachs. Da
aber das „Vermögen“ zu Eigentum erstarken soll, muss zum „personenrechtlichen“
Vertrag ein weiteres Moment, die Übergabe der Sache an den Gläubiger,
hinzutreten. Geschieht dies, wird er Eigentümer.
Die Frage ist nun, ob diese
Übergabe Teil des bereits vorliegenden Vertrages ist oder ob hierin ein
weiterer, ein dinglicher Vertrag zu sehen ist. Die Römer ließen sie offen.
Ihnen genügte, dass am Ende, dass mit erfolgter Übergabe, der Gläubiger
Eigentümer war.
Dazu erklärt Kant sich in § 21
MdS näher:
„Eine Sache wird in einem
Vertrage nicht durch Annehmung (acceptatio) des Versprechens, sondern nur durch
Übergabe (traditio) des Versprochenen erworben. Denn alles Versprechen geht auf
eine Leistung und, wenn das Versprochene eine Sache ist, kann jene nicht anders
entrichtet werden als durch einen Akt, wodurch der Promissar vom Promittenten in
den Besitz derselben gesetzt wird, d.i. durch die Übergabe. Vor dieser also und
dem Empfang ist die Leistung noch nicht geschehen; die Sache ist von dem einen
zu dem anderen noch nicht übergegangen, folglich von diesem noch nicht erworben
worden, mithin das Recht aus einem Vertrage nur ein persönliches und wird nur
durch die Tradition ein dingliches Recht.“ In den wichtigen und häufigen
Fällen, wo ein unmittelbarer Austausch von Sachen nicht erfolgen kann, da sie
vom Schuldner erst produziert bzw. beschafft werden müssen, bleibt der Erwerb
der „Sache“ bis zur Erfüllung offen. Ist nun die Übergabe als selbständiger
Vertrag anzusehen? In § 31 MdS verneint er das. Er spricht dort zwar von zwei
selbständigen rechtlichen Akten. Er bezieht dies aber nur auf das Zustandekommen
des Vertrages durch „Versprechen“ und dessen „Annahme“. Da über den so zustande
gekommenen Vertrag nur „Vermögen“ und noch kein Eigentum erworben wird, braucht
es eines „Ergänzungsstücks“ zur Vollständigkeit, „nämlich der Erwerbung.“ Diese
aber ist für ihn „nicht ein Teil, sondern [nur] die rechtlich notwendige“, die
„physische Folge“ des bereits vorliegenden Vertrages und kein neuer bzw.
weiterer Vertrag.
Eindeutig ist für ihn die Sachlage nur bei Geschäften,
bei denen Vertragsschluss und Übergabe zusammenfallen. „Aber wenn zwischen
beiden noch eine (bestimmte oder unbestimmte) Zeit zur Übergabe bewilligt ist,
fragt sich: ob die Sache schon vor dieser durch den Vertrag das Seine des
Akzeptanten geworden ist und das Recht des letzteren ein Recht in der Sache sei
oder ob noch ein besonderer Vertrag, der allein die Übergabe betrifft, dazu
kommen müsse, mithin ein Recht durch die bloße Akzeptation nur ein persönliches
sei und allererst durch die Übergabe ein Recht in der Sache werde?“
Nehmen wir eine Wertung vor:
Weil Kant das Arbeitsvermögen
noch nicht gegenständlich, als separates Ding sieht, erwächst ihm daraus (s)ein
zentrales Problem: Was ist Gegenstand des Vertrages, wenn es die „Leiblichkeit“
selbst nicht sein kann? Seine Antwort: die „Kausalität“, der
Ursache-Wirkungs-Zusammenhang. Der „Zweck“, der einen Namen haben muss, der
deshalb als „Kauf“, als „Werk“, als „Miete“ konkretisiert bzw. „tituliert“[46]
sein muss. Mit „Kausalität“ umschreibt er den Prozess, der zum Produkt führt.
Erst wenn er beendet ist, besteht Sicherheit, erst da ist fester Grund
erreicht: die „Sache“, das „Eigentum“.
Der Wegfall des „Sklaven“ ist bei
Kant nur zur Hälfte verarbeitet. Die in Rom nur äußerliche, sachenrechtliche
Verbindung eines „Freien“ („Wille“) und eines „Unfreien“ („Werkzeug“), ist bei
ihm durch eine „innerliche“ bzw. „personenrechtliche“ Verbindung ersetzt. Aber
diese Innerlichkeit findet in der „Leiblichkeit“ eine biologische und nicht
logische Erklärung. Er sieht nicht, dass Freier und Sklave, dass Wille und
Werkzeug jetzt nicht mehr auf zwei Menschen verteilt, sondern in der „Person“
zusammengeführt sind. Vertragsschließende in Rom waren „Freie“, die selbst
nicht, auch nicht teilweise, unter den Begriff der Sache fielen. Jetzt aber ist
jedermann Subjekt und Objekt, Freier und Sache zugleich.
Wenden
wir uns Hegel zu:
Kants „Metaphysik der Sitten“ und
Hegels „Rechtsphilosophie“ liegen nur circa 40 Jahre auseinander. Doch das
Bild, das sie von der bürgerlichen Gesellschaft entwerfen, unterscheidet sich beträchtlich.
Ein gründliches Studium der englischen Ökonomen versetzt Hegel in die Lage, ihren
ökonomischen Kern zu erfassen. Er schiebt die Verklärung zur Seite, die sie
durch die Philosophie der Aufklärung erfahren hat. Er sieht sie, wie sie
wirklich ist und worauf sie abzielt.
Gegen die „Kantische und sonst
beliebt gewordene Einteilung in sächliche, persönliche und dinglichpersönliche
Rechte“ gewandt, formuliert er in § 40/A R:
„Die Einteilung
des Rechts in Personen-Sachenrecht
und das Recht zu Aktionen hat, so wie
die vielen anderen Einteilungen, zunächst den Zweck, die Menge des vorliegenden
organischen Stoffs in eine äußerliche Ordnung zu bringen. Es liegt in diesem
Einteilen vornehmlich die Verwirrung, Rechte, welche substantielle Verhältnisse
wie Familie und Staat, zu ihrer Voraussetzung haben, und welche, die sich auf
die bloße abstrakte Persönlichkeit beziehen, kunterbunt zu vermischen.“
Verweilen wir bei der
Unterscheidung in:
a)
„Rechte,
welche substantielle Verhältnisse … zu ihrer Voraussetzung haben“
und
b)
Rechte,
„die sich auf die bloße abstrakte Persönlichkeit beziehen“.
Die „substantiellen Verhältnisse“,
von Kant angesprochen in seinem „auf dingliche Art persönlichen Recht“,
beziehen sich auf „Kollektiv-Einheiten“ und deren Rechtsbeziehungen im Inneren.
Um seinen Beispielen zu folgen: Sie führen zu einem Familienrecht, zu einem Staatsrecht.
Geregelt sind dort die Rechte und Pflichten der jeweiligen sozialen Einheit
gegen ihre Mitglieder und umgekehrt: der Rechte und Pflichten der Mitglieder gegenüber
der Kollektiv-Einheit. Sie führen dorthin, wo auch Hegel, wo später auch Gierke
hin will: zu einem „Sozialrecht“.
Die anderen Rechte beziehen sich
hingegen auf die bloße abstrakte Persönlichkeit, d.h. auf die aus allen
sozialen Bezügen herausgerissene, isoliert und atomisiert existierende Einzahl
„Person“. Die Schlussfolgerung: diese „Person“ kennt kein substantielles (Binnen-)Verhältnis.
Das Rechtsverhältnis ist hier nur ein Verhältnis zwischen den Atomen. Und da
das Atom „Person“ nicht Objekt von Rechten Dritter sein kann, kann sich ein
solches Rechtsverhältnis nur auf „Sachen“ beziehen, auf den Austausch von
„Sachen“. Das führt zum nächsten Punkt. Hegel kennt nur das „Sachenrecht“. Was
uns das „Schuldrecht“ ist, lässt er
nur als das „Recht zu Aktionen“ gelten – dazu da, auf Leistungsstörungen zu
reagieren, die bei Austauschverträgen auftreten können, bei denen Abschluss und
Erfüllung zeitlich auseinanderfallen.
Die Person ist das Rechtssubjekt
– auf welcher Seite des Vertrages sie auch steht. „Verstrickt“ wird durch den
Vertrag nicht sie, sondern immer nur eine Sache, darunter die Hauptsache, das „Arbeitsvermögen“. Nicht auch der „Wille“. Hegel lässt daher
die übliche Einteilung in obligatorische und dingliche Verträge nicht gelten.
„[N]ur die Persönlichkeit [gibt] ein
Recht an Sachen … und daher [ist] das persönliche Recht wesentlich Sachenrecht“[47].
Damit ist sein prinzipieller Standpunkt aufgezeigt: die Person ist unantastbar,
sie ist immer Rechtssubjekt, nicht auch Rechtsobjekt. Der „Wille“, ihr fester Punkt, ist und bleibt „frei“; ein
in seiner Freiheit eingeschränkter Wille zerstört die Person.[48]
Den „Besitz der Willkür eines anderen“ schließt Hegel also aus. Kants Position
der „persönlichen Rechte“ ist für ihn vorbürgerlich und damit auch
unfreiheitlich.[49]
Der variable Bestandteil der Person, das Arbeitsvermögen, existierend als
„lebendiges“ oder „vergegenständlichtes“, wird hingegen ständig ausgetauscht.
Für Hegel ist das Vertragsrecht allenfalls
in dem Sinne „Schuldrecht“, weil sich aus dem Austauschgesetz die Pflicht
ergibt, Verträge einzugehen. „Frei“ ist jeder nur darin, mit wem er
kontrahiert. Grundsätzlich aber geht es um den Austausch von Sachen, weshalb
alles Vertragsrecht „Sachenrecht“ ist.
Die Warenproduktion, generell:
die gesellschaftliche Arbeitsteilung, zwingt zum Austausch; dieser wird zu
einem „Muss“. Die „produzierte“ Natur ist so eingerichtet, „dass jedes
[Individuum] nur seinen Zweck erreicht, soweit es dem andren als Mittel dient“[50].
Jeder schuldet dem anderen aus einem objektiv bestehenden Zusammenhang heraus,
gewissermaßen von Amts wegen, den Austausch; ein wechselseitiges „Schulden“
also. Und wie bereits bemerkt: Jeder ist erst am Ziel, jeder ist erst
Eigentümer, wenn er das „richtige“, d.h. das fremde Produkt in Händen hat.
Deshalb ist der Austausch ein Muss;
nur durch ihn „bin und bleibe [ich] … Eigentümer“[51]. Ohne
Austausch und ohne Vertrag kein Eigentum! Jedermann ist daher verpflichtet,
Verträge zu schließen. Jedermann ist Schuldner und Gläubiger des anderen.
Niemand produziert für sich,
jeder für den anderen. Jeder hat am Ende seines Produzierens das „falsche“
Produkt in Händen – und erst durch den Austausch wird dieses Ergebnis
korrigiert. Das „fremde“ Produkt wird sein Eigentum; das eigene Produkt wird
Eigentum eines Fremden. Ein ewiger Ringtausch. Und erst, wenn ich das eigene
gegen ein fremdes Produkt eingetauscht habe, bin ich Eigentümer. Hegel in § 72
R dazu: „Das Eigentum … kommt durch den Vertrag zustande.“
Dieser Umweg über das Produkt des
anderen, den das Eigentum nehmen muss, macht den Vertrag zu einem „Verhältnis
des objektiven Geistes“ (§ 71 R); es
ist deshalb eine „Schuld“ diesem Geist gegenüber, der ich durch Eingehen und
Erfüllen von Verträgen gerecht werden muss. Ich befolge damit ein Gesetz – und zwar
des Naturgesetz der „produzierten“ Natur. Auf diesem Hintergrund ist zu
verstehen, wenn E. Gans[52] betont:
Ich muss Eigentum haben, ich muss austauschen. Ein „Müssen“, das er
dem, schon damals und bis heute, eifrig betonten „freien Willen“ entgegenhält.
Achtzig Jahre später sieht E. Rosenstock die Sache ganz ähnlich, wenn er
feststellt: „Also ist der Vertrag vor den beiden Willenserklärungen da. Er
diktiert die Erklärungen. Nicht kommt er durch sie zustande.“[53]
Nur im Sinne des Vorstehenden
versteht und akzeptiert Hegel den Begriff „Schuldrecht“. Sonst aber, im Verhältnis der Vertragspartner
zueinander, ist dieses Recht für ihn „Sachenrecht“; jeder Austausch hat
„Sachen“ zum Gegenstand. Dort liegt der Schwerpunkt. Das „Notwendige“ wird
betont: der Notwendigkeit des Austausches folgt die Notwendigkeit des
Vertrages; dieser vermittelt den Widerspruch zwischen atomistischer Aneignung
und gesellschaftlicher Natur des Angeeigneten. Oder so gesagt: der
gesellschaftliche Charakter der Aneignung zwingt den Einzelnen zum Austausch.
Das individuell Angeeignete ist das Eigentum des anderen. Es gehört daher nicht
zur jetzigen Freiheit des Individuums, sich dem Austausch und damit: dem
Vertrag, zu verweigern. Das „Ganze“ steht im Mittelpunkt. Über dieses wird der vorbezeichnete
Widerspruch überbrückt bzw. „vermittelt“.
Diese Bezüge zum „Ganzen“ lässt
Kant außer acht. Er verlagert die „Schuld“ in das Innere der Vertragsbeziehung;
sie wird bei ihm zu einer Schuld des einen gegen den anderen Partner bzw. der
einen gegen die andere Person. Das macht sein „Personenrecht“ zu einem „Schuldrecht“ und führt generell zur Unterscheidung in
schuldrechtliche und dingliche Verträge. Waren für Hegel Austausch und Vertrag
Verhältnisse des objektiven Geistes, sind sie für Kant solche des subjektiven
Geistes. Der Begriff „Schuldrecht“ wird von außen nach innen gewendet und
gewinnt dadurch eine völlig andere Bedeutung. Kant sieht nicht, dass bereits
mit Vertragsabschluss der Vertragsgegenstand übereignet wird, wenn zu diesem
Zeitpunkt auch nur in der gestaltlosen Form „lebendiger“ Arbeit. Da die
wirtschaftlich wichtigsten Verträge den Vertragsgegenstand von der Stufe
„lebendige“ Arbeit bis zur Vergegenständlichung dieser Arbeit im Produkt oder
Werk begleiten, scheinen diese Verträge als „schuldrechtliche“ zu beginnen und
als „sachenrechtliche“ zu enden. Wird jedoch das Arbeitsvermögen als „Sache“
angesehen, entfällt der schuldrechtliche Teil des einheitlichen ökonomischen
und juristischen Vorgangs; wir haben einen Vertrag vor uns, der – weil er ja
die Attribute „schuld“- und „sachenrechtlich“ entbehrlich macht, einfach nur
„Vertrag“ ist.
Zu
den wenigen, die sich im 20. Jahrhundert philosophisch mit der hier
angesprochenen Thematik auseinandersetzen, gehören J. Binder und seine Zöglinge
K. Larenz und G. Dulckeit. Was
Binder zu sagen hat, ist doppelt
interessant, weil er erst Kantianer ist und dann, etwa um 1925 zu Hegel
konvertiert. Aber es ist nicht leicht, Kant abzulegen. Noch dazu als deutscher,
mit der Lehre Savignys aufgewachsener
Jurist. Das zeigt sich an dem, was Binder im April 1933 auf dem Hegelkongress
in Rom vorträgt. Er stellt heraus, dass Hegel den obligatorischen Vertrag nicht
kennt, ja dass Hegel „den Vertragsschemata des römischen Rechts … im
wesentlichen verständnislos gegenübersteht“. Das zeige sich darin, dass er
stattdessen einen Vertrag zugrunde legt,
der „Veräußerung und den Erwerb von Eigentum zum Gegenstand hat“. „Das Wesen
des römischen Kontraktes als eines bloßen Verpflichtungsgeschäftes wird dabei
überhaupt nicht erfasst, tritt gar nicht über die Schwelle des Bewusstseins des
Philosophen“. Das sei „ein auffälliger Mangel.“[54]
Ganz
ähnlich formuliert K. Larenz:
„Hegel
kennt den Vertrag … nur als dinglichen Vertrag, als Disposition des Willens
über eine Sache, nicht als schuldrechtlichen Verpflichtungsvertrag, und seine
Einteilung der Verträge kann uns aus diesem Grunde nicht genügen.“[55]
Beide
gehen so selbstverständlich davon aus, dass zu einer gottgewollten Rechtsordnung
das Trennungsprinzip gehört, dass sie nicht einmal fragen, was für Hegels
Auffassung spricht.
Weit näher am Verständnis Hegels ist
G. Dulckeit, wenn er schreibt:
Der „Schuldvertrag“ war Hegel
nicht unbekannt. Weshalb aber hat er ihn „– im Gegensatz zu Kant – als
begriffloses Gebilde nicht übernommen…, sondern in seinem einheitlichen
Vertragsbegriff aufgehen lassen“[56]? Seine
Antwort: Nach Hegel ist der „Eigentumsübergang bereits durch die Übereinkunft
des Vertrages bewirkt“[57].
Eine Zusammenfassung könnte wie
folgt lauten:
Nicht die Konzeption eines
dinglichen Vertrages ist falsch, sondern die Konzeption 2-er Verträge. Der
„personenrechtliche“ Vertrag Kants ist mit Übergang in die bürgerliche
Gesellschaft überflüssig geworden, weil er nur eine Vorstufe des dinglichen
war. Oder so: er war seinem Wesen nach schon immer „dinglich“. Dieses Wesen ist
nun ans Licht getreten. Das erkannt zu haben ist das Verdienst Hegels. Im
klaren Gegensatz zu Kant und Savigny formuliert er, welche Wirkung er dem
abgeschlossenen Vertrag zumisst:
„Die Stipulation des Vertrages …
ist schon selbst das Dasein meines
Willensbeschlusses in dem Sinne, dass ich meine Sache hiermit veräußert, sie jetzt aufgehört habe, mein Eigentum zu
sein, und dass ich sie bereits als Eigentum des anderen anerkenne.“[58]
4.
Wie reflektiert die deutsche
Rechtswissenschaft das Thema?
Ein Merkmal der deutschen
Rechtswissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist ihr geradezu
sklavisches Festhalten an den aufgezeigten römischen Dualismen. Was in Rom
Ausdruck der Unfertigkeit der tragenden Begriffe Person, Eigentum und Vertrag war,
ist von ihr, wissenschaftlich aufgepeppt und aktualisiert, kanonisiert und
überdies in geltendes Recht überführt worden. In gewisser Weise ist es also so,
dass das Recht in Deutschland „römischer“ verstanden und gehandhabt wird als im
antiken Rom. Das Abstraktionsprinzip, Markenzeichen, ja Hätschelkind des
deutschen Privatrechts, ist ein Beispiel
dafür. Und wie fragwürdig seine Existenz und gar erst seine praktische
Bedeutung auch sein mag: sicher ist, dass es schon so manchen Jurastudenten in
die Knie gezwungen hat.
Die Römer lassen ein und
denselben Vertrag „obligatorisch“ beginnen und als „dinglichen“ enden. Ihr
Vertrag unterliegt also im Zuge seiner Erfüllung einem juristischen Gestaltwandel
von „obligatorisch“ zu „dinglich“, der mit dem Gestaltwandel der Arbeit von
„lebendig“ zu „gegenständlich“ konform geht. Aber sie sind insoweit klüger und
weitblickender als wir, da sie nicht auf den Gedanken kommen, einen einheitlichen
ökonomischen Sachverhalt auf der Ebene des Rechts zu verdoppeln. Sie machen
keine Theorie daraus. Dabei bleibt es in Byzanz und später, nach der Rezeption,
im Geltungsbereich des gemeinen Rechts. Und es bleibt auch dort so, wo in
Deutschland unter Einbeziehung natur- und vernunftrechtlichen Gedankengutes
kodifiziert wird. Sowohl das ALR als auch das ABGB verbleiben bei der
Tradition, d.h. die im Rahmen der Vertragserfüllung eintretende Verdinglichung
wird nicht als ein weiterer Vertrag angesehen. Das mag mit Blick auf die noch
vorbürgerlichen Verhältnisse in Deutschland, besonders in Preußen, ohne größere
Beweiskraft sein. Anders aber, wenn wir das angloamerikanische Fallrecht wie
auch den französischen Code Napoleon in den Blick nehmen, denen das
Abstraktionsprinzip ebenfalls unbekannt ist. Letzterer ist zwar römisch
„kostümiert“, entsteht aber als ein Gesetzbuch, das zugeschnitten ist auf die
ökonomischen Bedürfnisse des längst bürgerlich gewordenen Frankreich - und trotzdem
(oder wohl gerade deshalb) kommt es ohne Abstraktionsprinzip aus.
Bemerkenswert also: Hegels
Position steht den entsprechenden Regelungen in den Rechtsordnungen der damals
ökonomisch fortgeschrittenen Nationen nahe.
Hätte das nicht zu denken geben
sollen?
Der Weg, den Deutschland geht,
ist ein anderer. Er ist eng mit dem Namen Friedrich Carl von Savigny verbunden.
In Marburg wird seine Liebe zum
römischen Recht geweckt. Speziell ist es dessen Geschichte im Mittelalter, der
sein Interesse gilt. Sein Ziel ist es, das römische Recht von seinen feudalen
Verunreinigungen zu befreien[59],
den Anschluss an das Recht der Stadt
Rom wiederherzustellen. Das ist im Kern
eine römisch verkleidete Kritik an der Bevormundung der Vertragschließenden
durch die feudale Obrigkeit. Unter diesem Aspekt vertieft er sich in das
vorhandene Material und beginnt er, über das hier behandelte Problem
nachzudenken. Über die Werke der byzantinischen Spätklassiker, der Glossatoren
und Postglossatoren verfolgt er die Lehren von „titulus“ und von der „traditio“
durch die Jahrhunderte. Passagen aus den Kommentaren des Paulus und des Julian[60]
lassen in ihm die Überzeugung reifen, dass die traditio als Vertrag zu sehen
ist.
Wo die Römer sich in ihrer
Rechtspraxis damit begnügen, dass der Vertragsgegenstand am Ende tatsächlich
übergeben wird, setzt Savigny seinen Ehrgeiz in den Nachweis, dass diese
Übergabe mehr ist als ein bloßer Realakt, nämlich ein weiterer Vertrag.
G. Dulckeit kommentiert:
In byzantinischer Zeit neigte man dazu, „der Tradition selbst
Vertragscharakter zuzubilligen. Diese Ansätze hat schließlich Savigny voll entwickelt
und dem damit endgültig aus der Taufe gehobenen dinglichen Vertrag zugleich …
abstrakte Wirkung zugeschrieben.“[61]
Und es ist wohl mehr diese Neigung als der Gehalt der
herangezogenen Textstellen selbst[62],
die Savigny verinnerlicht, weiterdenkt und zum Vater des Gedankens macht. Ein
spezieller Fall, eine Handschenkung[63],
bringt ihn auf die Lösung: Ein Wohltäter tritt an einen Bettler heran und
überreicht ihm ein Geldstück. Ein Eigentum übertragender Vorgang und
unzweifelhaft: ein Vertrag! Das ist ihm Beleg dafür, dass am Ende immer ein dinglicher Vertrag steht. Und
wenn der abschließende Vorgang, die Übergabe, immer ein (dinglicher) Vertrag
ist und unstreitig ist, dass der davorliegende Teil, das vorgeschaltete Grundgeschäft,
ebenfalls ein (obligatorischer) Vertrag ist, müssen also zwei Verträge
vorliegen. Im Wintersemester 1815/16 sieht er sich am Ziel. Er spricht das
„erlösende Wort“ Vertrag aus; er ist sich jetzt sicher, dass es im
Interesse einer rechtsgültigen Übertragung „eines spezifisch-sachenrechtlichen
Vertrages, des dinglichen Rechtsgeschäfts“[64]
bedarf. Über seine Schüler, besonders über jene, die die Lehrstühle der
deutschen Universitäten erobern werden, breitete sich die neue Lehre rasch über
ganz Deutschland aus. Lange vor dem „System“ der Jahre 1840 ff. war sie nicht
nur herrschende Meinung, sondern, besonders über die Werke Puchtas, Windscheids
und Bährs, zur absoluten Wahrheit erhoben.
An der Berliner Universität der
Jahre 1818 ff. werden also - von Hegel und von Savigny – zur hier behandelten
Frage zwei extreme Standpunkte vertreten: Ersterer sieht den Eigentumsübergang
am Anfang, Letzterer verlegt ihn auf das Ende. E. Gans, der in seinen
wissenschaftlichen Arbeiten und später auch in seinen Vorlesungen in Sachen „Recht“
die Position Hegels vertritt, ist deswegen heftigen Anfeindungen Savignys und
seiner Anhänger ausgesetzt.[65]
Aber womit Savigny den Römern
scheinbar „logisch“ auf die Sprünge hilft und sie ergänzt, versperrt der
Zukunft – die zu seiner Zeit auch in Deutschland bereits Gegenwart geworden ist
– den Weg ins Recht. Die Folge ist ein deutscher Sonderweg, der im BGB und
vielen Nebengesetzen seinen Niederschlag findet. Deutschland wird das Land, wo
es für nötig befunden wird, einen einheitlichen ökonomischen Sachverhalt, eine
„Geschäftseinheit“[66],
juristisch in zwei Verträge, in eine „Geschäftsverschiedenheit“, aufzuspalten.
Kritik am Abstraktionsprinzip hat
es in Deutschland bereits im Rahmen der Debatten zum BGB-Entwurf gegeben. O. v.
Gierke z.B. sah darin eine „Vergewaltigung des Lebens“, weil ein einheitlicher
Vorgang auf zwei Rechtsgeschäfte verteilt wird.[67]
Noch grundsätzlicher urteilt A. Menger. Er kritisiert die den ganzen Entwurf
beherrschende Tendenz, „die Eigentumsordnung von ihren wirtschaftlichen
Grundlagen loszureißen“. Und das zu einer Zeit, „wo die gesamte
Eigentumsordnung schwankt und erzittert wie ein Schiff in der sturmbewegten
See“[68]. Aber
die Argumente der Kritiker besaßen nicht genug Durchschlagskraft, um die in der
Mehrheit befindlichen Befürworter davon abbringen zu können. Der Stolz auf
diese Errungenschaft überwog. Dabei hätte eine grundsätzlichere Kritik schon mit
Blick auf das weltweit tonangebende französische und anglo-amerikanische Recht
nahe gelegen.
Lebhaft diskutiert wurde das
Abstraktionsprinzip erst wieder im Rahmen des Vorhabens „Volksgesetzbuch“ in
den Jahren des „Dritten Reiches“; es stieß damals nahezu einhellig auf
Ablehnung. P. Heck, damals im Rahmen der Erarbeitung des VGB mit einer
Stellungnahme dazu beauftragt, urteilt nüchtern und praxisbezogen wie folgt:
Theoretisch sei es nach neuerem Forschungsstand so: „Nicht die kausale
Gestaltung der älteren Gesetze ist das Produkt wissenschaftlicher
Missverständnisse. Sondern diese Kennzeichnung gilt gerade für die abstrakte
Theorie.“ Diese ist „im Grunde nichts anderes als ein eingeschobener
Fremdkörper, eine unglückliche Episode in der Geschichte der deutschen
Rechtsentwicklung.“[69] Bisher
habe er dazu eine vermittelnde Stellung bezogen, da „sich die Gründe für und
wider ziemlich aufwiegen.“ Jetzt aber habe er die abstrakte Gestaltung als
lebensfremd, als eine „Fehlgestalt“[70],
erkannt und plädiere dafür, die Neugestaltung des Privatrechts zu nutzen, um
sie „durch eine kausale Gestaltung zu ersetzen.“[71] Mag dieses überflüssige Beiwerk also
ausgemustert werden; ein Schaden entsteht dadurch nicht. Da es gewissermaßen
„schadenneutral“ ist, hätte Heck wohl aber keinen Grund gesehen, es
abzuschaffen, hätte damals nicht die Reform des Privatrechts auf der
politischen Tagesordnung gestanden.
Man sage nicht, dass die damals
erhobenen Einwände allein deshalb aus der Wertung fallen, weil sie aus dieser
Zeit stammen.[72]
Die damals favorisierte kausale Gestaltung mag der „nationalsozialistischen
Gedankenwelt“ näher[73]
stehen als das Abstraktionsprinzip. Trotzdem ist sie kein genuin
nationalsozialistisches Institut, wie allein die weltweite Geltung des
Kausalprinzips zeigt.[74]
Und die damaligen Kritiker knüpfen im Wesentlichen nur an das an, was bereits
fünfzig Jahre vor ihnen honorige Wissenschaftler wie O. v. Gierke, E. Strohal und
A. Menger einzuwenden hatten.
In der nachfolgenden BRD fehlte
bislang der politische Wille, das BGB durch eine zeitgemäße Kodifikation zu
ersetzen. Und ohne solche Neugestaltung des gesamten Privatrechts hätte es den
Aufwand nicht gerechtfertigt, bloß das Abstraktionsprinzip daraus zu entfernen.
Noch dazu, da es ja „schadenneutral“ existiert. Und noch dazu auch, weil noch
immer der Stolz auf diese Errungenschaft überwiegt. Selbst die im Rahmen der EU
angestrebte Vereinheitlichung des Privatrechts war nicht Grund genug, davon
abzurücken.
Blicken wir zur DDR. Dort bestand
aufgrund der völlig anderen sozial-ökonomischen Strukturen, die einen Bruch mit der traditionellen
Rechtsordnung nach sich ziehen, ein Bedarf an Veränderung. Klarer Fall: das BGB
stand einer Planwirtschaft realsozialistischen Typs im Wege. Im Bereich der
volkseigenen Wirtschaft wurde es daher sehr früh nahezu außer Kraft gesetzt.
Nicht der zweiseitige, sondern der einseitige Wille, der Befehl, stand 40 Jahre
im Vordergrund. Eine Rolle spielte das BGB bis zur Ablösung durch das ZGB
(1.1.1976) nur noch in dem überschaubaren und peripheren Bereich der
Bürgerbeziehungen. Auf diesem Hintergrund leuchtet ein, dass eine so exotische
Konstruktion wie das Abstraktionsprinzip hier keinen Nährboden fand. Dass es
bei der Erarbeitung eines ZGB[75] ohne
weitere Diskussion fallen gelassen wurde, versteht sich von daher fast von
selbst. Die Entscheidung wurde bereits Anfang der 50-er Jahre getroffen. H.
Kleine[76]
charakterisierte es damals in seiner Doktorarbeit als ein „den besonderen
preußisch-deutschen Bedingungen der Entwicklung des Kapitalismus“ geschuldetes
Prinzip. Weltweit nahezu einzigartig, sei es als ein Gegengewicht entwickelt
worden, um die „erstarkende preußisch-deutsche Bourgeoisie der polizeilichen
Bevormundung und bürokratischen Überwachung ihres gesamten Geschäftsbetriebes“
durch einen noch halbfeudalen Staat zu entziehen.[77]
Als dieser spezifisch deutsche Grund später entfiel, habe die Rechtsprechung
das Ihre getan, um auch das deutsche Privatrecht dem internationalen Stand
anzugleichen, sprich: die Konsequenzen aus dem Abstraktionsprinzip abzumildern.
Mit dieser von H. Kleine
angesprochenen „polizeilichen Bevormundung und bürokratischen Überwachung“ des
über Verträge geregelten bzw. vollzogenen bürgerlichen Lebens, scheint mir eine
„heiße Spur“ zu den tatsächlichen Motiven gelegt zu sein, die Savigny damals
bewogen haben, aus schwachen, unsicheren Quellen[78]
seine Schlüsse zu ziehen. Man denke an seine Haltung zum ALR. Für ihn ist das
die schlechteste unter den drei großen Kodifikationen dieser Zeit, eine
„Sudelei in Form und Materie“, wie er seinem Schwager A. v. Arnim schreibt.[79]
Der von ihm in den Himmel gehobene „freie Wille“ ist dort nach allen Seiten
eingeschränkt. Die Kausalgeschäfte und die dort zum Ausdruck kommenden Motive
und Zwecke stehen unter Beobachtung eines vorbürgerlichen Staates; sie können
durch Einwirken der Obrigkeit jederzeit zu Fall kommen. Aus der Sicht der sich
auch in Deutschland bahnbrechenden bürgerlichen Gesellschaft und der in ihr
tonangebenden Agenten: eine Zensurinstanz. Bei dieser Sachlage kann das „Aus
eins mach zwei“, die Verteilung eines einheitlichen Vorganges auf zwei
juristische Transaktionen, eine Hilfe[80]
sein, kann als eine spezifische Reaktion auf die eingeschränkte
Vertragsfreiheit angesehen werden. Eine „Verdoppelung der Willenseinigung“[81]:
Kommt das Kausalgeschäft aufgrund obrigkeitlicher Eingriffe zu Fall, bleibt
wenigstens das Übertragungsgeschäft wirksam. Die Devise „doppelt hält besser“
ergab in dieser Zeit, unter diesen spezifischen Umständen also durchaus einen
Sinn. Und stellt man diese Stoßrichtung in die Mitte, wird auch klar, dass
Gesellschaften mit eingeschränkter Vertragsfreiheit am wenigsten mit dem
Abstraktionsprinzip anzufangen wissen. Auch von daher verstünde sich also die
ablehnende Haltung im „Dritten Reich“ wie auch in der späteren DDR.
Aber gilt dieses Argument auch im
Deutschland um die Wende zum 20. Jahrhundert und gilt es auch noch heute?
5. Abschließend: Warum
beharren wir auf dem Abstraktionsprinzip…
obwohl „[r]echtshistorisch wie
rechtsvergleichend … alle besseren Gründe für die baldige Abschaffung dieses
Prinzips“ sprechen?[82]
Die aufgezeigten philosophischen
und ökonomischen Hintergründe des Abstraktionsprinzips sind – bis auf die erwähnten
Ausnahmen - bis heute unerörtert geblieben. Aber was soll man von einer
Rechtswissenschaft auch erwarten, die glaubt, ihre Wissenschaftlichkeit beweise
sich in positivistischer Denkungsart. Daran ändert auch die Tatsache nichts,
dass sich in jüngerer Zeit der Schwerpunkt der Argumentation verlagert hat: Je
mehr zum Allgemeingut wird, dass die römischen Quellen nicht ausreichen, um das
Abstraktionsprinzip zu legitimieren, wird die schöpferische Leistung Savignys
darin gesehen, eine philosophische Begründung
dafür „geliefert“ zu haben. Da Savigny
dort, wo er „philosophisch“ wird, auf Kant[83]
zurückgreift, sind wir bei dessen, bereits oben (unter 3.) vorgestellten,
Einteilung in Sachenrecht und „persönliches“ Recht. Und ebenso sind wir bei
deren kritischer Beurteilung durch Hegel. Die „Mensch-Person“ Kants, die auch
die „Person“ Savignys ist, zwingt zur Trennung von „Mensch“ und „Sache“ und –
um auf den entscheidenden Punkt zu kommen – zur Trennung von „lebendiger“ und
„vergegenständlichter“ Arbeit; die Arbeit, der Arbeitsprozess wird aufgespalten
in jenen Teil, der der „Mensch-Person“ zugeordnet ist, also jenem ominösen
Bereich des „freien Willens“, und jenem Teil, der der „unfreien“ Natur gilt,
woraus sich ergibt: „Schuldrechtliches und sachenrechtliches Geschäft sind
strikt voneinander zu trennen (Trennungsprinzip).“[84]
Selbst die Notwendigkeit einer
Rechtsvereinheitlichung im Rahmen der EU hat die deutsche Rechtswissenschaft
nicht dazu bewegen können, von diesem „verhängnisvollen begrifflichen Irrtum“[85],
Abschied zu nehmen. In der Überzahl ihrer Vertreter hält sie dem
Abstraktionsprinzip nach wie vor die Treue, ja verwendet viel Fleiß darauf, es
mit diesen und jenen Argumenten zu verteidigen. Und obwohl wir damit weltweit
nahezu alleine dastehen, gibt es Meinungen, die dahin tendieren, dass sich
Europa lieber uns als wir ihm anpassen sollte.
Und warum dieses zähe Beharren?
Etwa, weil sich die Logik des BGB, auf die wir so stolz sind, in wesentlichen
Punkten als Unlogik, seine Konstruktion sich als Fehlkonstruktion zeigen würde?
Aufschlussreich ist, was F.
Peters Mitte der 80-er Jahre dazu sagt. Er bescheinigt jenen Rechtsordnungen,
die das Abstraktionsprinzip nicht kennen bzw. die es trotz Kenntnis nicht
ebenfalls übernommen haben, größere Lebensnähe und „wohl auch klarere
Ergebnisse“[86].
Und trotzdem: „Von dieser einmal getroffenen Entscheidung wieder abzurücken,
wäre ein waghalsiges Unternehmen.“ Denn es ginge nicht bloß darum, eine
Handvoll Paragrafen zu ändern oder auszutauschen, sondern – weil das BGB und
viele seiner Nebengesetze vom Abstraktionsprinzip durchdrungen sind – um eine
Neufassung unseres Privatrechts. Bei bloßer Korrektur bestünde die „Gefahr von
Systembrüchen“[87].
Der „Geist“ des BGB stünde auf dem Prüfstand und müsste, soweit er sich in „Fehlkonstruktionen“[88]
zeigt, korrigiert werden. Aber diesen „Geist“ und dessen Logik aus dem
deutschen Privatrecht zu vertreiben und durch den Geist der Moderne zu
ersetzen, könnte bedeuten, dass „ein Erdbeben durch das BGB [geht], dessen
Auswirkungen sich gar nicht abschätzen lassen.“[89]
Wer weiß, was herauskäme, würde man sich von ihm zugunsten jenes Geistes verabschieden,
der unser modernes Wirtschaftsleben durchweht. Und ein ganz wichtiger Punkt ist
auch die Frage, ob überhaupt ein Ersatz des BGB möglich ist. Wie die Zeit um
1815 in Deutschland nicht für „Kodifikation“ stand, so auch die unsere nicht.
Zeiten, in denen Jahr für Jahr tonnenweise „Recht“ in die Welt gesetzt wird,
sind nicht Zeiten der Kodifikation. Vorherrschend ist heutzutage situatives,
auf Prozesse, auf Havarie-Situationen gerichtetes Recht; Maßnahmerecht. Ich bin
mir ziemlich sicher, dass mir Savigny darin zustimmen würde. Wo sollte man
anfangen, wo enden? Nährboden der Privatrechts-Kodifikationen war die
sogenannte „freie Konkurrenz“, jener kurze Zeitraum in der Geschichte der
bürgerlichen Gesellschaft, in der die Sphären „Produktion“ und „Zirkulation“
sauber getrennt vor uns lagen, wo eine ökonomische Gleichgewichtslage
vorherrschend war. Hier traf zu, was für F. Engels eine wesentliche Voraussetzung
einer Kodifikation ist:
„In einem modernen Staat muss das
Recht nicht nur der allgemeinen ökonomischen Lage entsprechen, ihr Ausdruck
sein, sondern auch ein in sich
zusammenhängender Ausdruck, der sich nicht durch innere Widersprüche selbst
ins Gesicht schlägt.“[90]
Die heutige „ökonomische Lage“
ist gegenüber jener zur Zeit der „freien Konkurrenz“ derart in Richtung
„Ungleichheit“ verschoben, dass sich möglicherweise ein „in sich
zusammenhängender“ Ausdruck, ein kleinster gemeinsamer Nenner, nicht finden
ließe. Man denke an die Welten, die zwischen kleinen und mittelständischen
Unternehmen und den sogenannten global Players liegen, an die Schere von arm
und reich überhaupt, die so riesengroß geworden ist[91],
dass sie kaum noch in Worte und daher auch nicht in Rechtsworte zu fassen ist. Fehlt aber das Mindestmaß an sozialer
Homogenität und Interessenübereinstimmung, könnte eine Kodifikation des
Privatrechts allein daran scheitern.[92]
Sicher: das BGB ist hoffungslos
veraltet und nur Rechtsprechung und Wissenschaft sorgen dafür, dass es sich
nicht zum Hindernis des modernen Geschäftslebens auswächst. Aber wer weiß, was
zutage träte, wollte man heute das Privatrecht grundlegend reformieren. Vielleicht
ist es ja gerade deshalb einer Neu-Kodifikation vorzuziehen, weil es veraltet
ist. Immerhin steht es heute für eine „gute alte Zeit“ und der Versuch einer
Neuregelung würde nur zeigen, dass die Zeiten sich zum Nachteil jener Werte
entwickelt haben, deren Fahne über dem BGB weht.
Vielleicht steht das
Abstraktionsprinzip für den Fall in Reserve, dass der Vertrag wieder unter eine
obrigkeitsstaatliche Fuchtel geraten könnte? Thematisiert wird ein solches
Szenario in der Literatur nicht. Allenfalls schwingt es unterschwellig mit,
wenn bis heute ein höherer „Verkehrsschutz“ sowie eine angeblich schnellere und
problemlosere Ressourcenzuweisung ins Feld geführt werden, Gründe, die schon
die Redaktoren des BGB pro Abstraktionsprinzip entscheiden ließ. Soll heißen:
Wer fix ist, hat sich im Falle der Anfechtung des Kausalgeschäftes, durch wen
auch immer, mit dem Erworbenen bereits aus dem Staub gemacht, bevor eine Entscheidung darüber getroffen ist.
Wäre es so, ergäbe das zähe
Festhalten daran einen Sinn. Aber mir scheint, dass im Mittelpunkt doch jener
urdeutsche Stolz steht, mit dem Abstraktionsprinzip die, wenn vielleicht auch
wenig praxisrelevante, so doch logisch stimmigere und wenigstens darin dem Rest
der Welt überlegene, Lösung gefunden zu haben.[93]
[1] Ob für die
Entscheidung relevant oder nicht: Das Vorzeigen solcher Kenntnis macht die
Würze einer Klausur im bürgerlichen Recht aus. Die vier und mehr Punkte – je
nachdem wie wichtig der jeweilige Prüfer das Abstraktionsprinzip nimmt –
Unterschied können über die spätere Karriere des Kandidaten entscheiden.
[2] P. Heck, Das abstrakte dingliche Rechtsgeschäft, Tübingen 1937, S. 1f.
[3] Siehe dazu: U.
Prange, Friedrich Carl von Savigny und das Abstraktionsprinzip, in: Thomas
Hoeren (Hrsg.), Zivilrechtliche Entdecker, München 2001, S. 73-105.
[4] § 33 R.
[5] Marx, GR S. 157.
[6] Marx/Engels AS
II, S. 363.
[7] Was bei beiden zu kurz kommt: Die Frage, welche Bedeutung der Feudalismus, auch das feudale Recht, als die ihm unmittelbar vorhergehende (Rechts-)Ordnung für den Kapitalismus hat, was letzterer von ersteren „erbt“. Immerhin verweist Engels aber im gleichen Zusammenhang (AS II, S. 363) auf die englische Entwicklung, wo – „im Einklang mit der ganzen nationalen Entwicklung“ – „die Formen des alten feudalen Rechts großenteils beibehalten und ihnen“ ein bürgerlicher Inhalt gegeben wurde.
[8] Marx, GR S. 157.
[9] Vgl. § 32/A R.
[10] § 33/Z R.
[11] Wie sich dies am Beispiel der Indianer Nordamerikas zeigt, an Menschen also, die der antiken Freiheit nahe stehen, nicht der jetzigen. Sie sind nun die bloßen Gegenüber der „produzierten“ Natur und ihrer „Personen“, werden als bloße Objekte gesehen und behandelt oder führen als „geschützte Art“ ein Reservat-Dasein.
[12] § 40/A R. –
Hervorhebungen bei H.
[13] Vgl. Marx, GR S.
156.
[14] Salopp gesagt:
Jeder ist jetzt sein eigener Herr und Sklave zugleich.
[15] § 39 R.
[16] Dazu: B. Rettig, Hegels sittlicher Staat, Bedeutung und Aktualität, Köln, Weimar, Wien 2014, S. 19-47.
[17] Hegel in § 33/Z
R: „Der freie Wille muss sich … ein Dasein geben, und das erste sinnliche
Dasein sind die Sachen, das heißt die äußeren Dinge.“ Beide ergeben das, „was
wir Person nennen“.
[18] § 33/Z R.
[19] Marx bezeichnet
in den „Grundrissen“ (S. 157) diese juristischen
Personen als die Individuen des Austausches.
[20] § 35/Z R.
[21] E. Gans,
Naturrecht und Universalrechtsgeschichte. Vorlesungen nach G.W.F. Hegel, hrsg.
u. eingel. v. Johann Braun, Tübingen 2005, S. 79; Bloß „Menschen“ waren die
Indianer Nordamerikas. Und auch den Sklaven in den sklavenhaltenden Südstaaten
der USA wurde meines Wissens die (biologische) Qualität „Mensch“ nicht abgesprochen.
Dennoch: die „Menschenrechte“ der amerikanischen Verfassung galten nicht für
sie, weil diese unter „Mensch“ falsch firmieren und richtig „Personenrechte“
heißen müssten. Geschützt ist durch sie nur die „Person“; und wie bekannt
dauerte es bis in die 60-er Jahre des 19. Jahrhunderts, ehe auch in den
Südstaaten wenigstens auf dem Papier durchgesetzt war, dass alle Menschen als
„Personen“ zu gelten haben.
[22] § 43/A R.
[23] § 67 R: Das
Arbeitsvermögen in Gestalt der individuellen „körperlichen und geistigen Geschicklichkeiten“
hat ein „äußerliches Verhältnis zu meiner Totalität und Allgemeinheit
erhalten.“
[24] § 45/A R.
[25] G. Dulckeit, Rechtsbegriff und Rechtsgestalt, Berlin 1936, S. 98. Eine Schrift, die Beachtung verdient, in der neueren Literatur aber kaum erwähnt, geschweige denn (positiv) zitiert wird. Sie ist, obwohl 1936 erschienen und im Dunstkreis der Binder-Gruppe angesiedelt, als wichtiger Bestandteil der Hegel-Literatur anzusehen, noch dazu jener, die sich der „Rechtsphilosophie“ widmet.
[26] § 49 R –
Hervorhebung bei Hegel.
[27] § 45 R.
[28] L(B), S. 197.
[29] Das hat dazu geführt, dass dem ungenügenden Eigentumsbegriff des Privatrechts in Deutschland ein steuerrechtlicher und verfassungsrechtlicher Eigentumsbegriff zur Seite gestellt werden musste. Im Unterschied dazu liegt dem ABGB von 1811 ein weiter, der Auffassung Hegels nahestehender, Eigentumsbegriff zugrunde; in § 353 heißt es dort: „Alles, was jemanden zugehört, alle seine körperlichen und unkörperlichen Sachen, heißen sein Eigentum.“
[30] Dulckeit,
a.a.O., S. 100
[31] Vgl. ebd., S.
107.
[32] MdS., § 25.
[33] § 48 R.
[34] § 33/Z R.
[35] § 71 R.
[36] Hervorhebung bei
H.
[37] Dulckeit, a.a.O,
S. 99 – Hervorhebung bei D.
[38] § 40/A R.
[39] Es ist nicht
leicht, den philosophischen Standort Savignys anhand von Namen zu bestimmen.
Der über seine historische Rechtsschule ins Leben gerufene
rechtswissenschaftliche Positivismus, wie er bis heute nachwirkt, hat viele
philosophische „Väter“, darunter Kant. A. Mazzacane (Carl von Savigny,
Vorlesungen über juristische Methodologie 1802-1842, Frankfurt a.M. 1993, S.
38), hält es für sicher, dass das methodologische Herangehen des „frühen“
Savigny „in ausgewogenem Maße kantisch geprägt“ ist. So sieht es auch H.
Kiefner (a.a.O.) Aus Sicht E. Wolfs (Große Rechtsdenker, Tübingen, 4. Aufl.
1963, S. 477) stand Savigny eher Jacobi nahe, während er sich von Kant „nach
sorgfältiger Lektüre der Hauptschriften“ abwendet. Für den „späteren“ Savigny
scheint zu gelten, dass er sich immer mehr ausschließlich als Jurist sieht und
sich von aller Philosophie abwendet. (vgl. Mazzacane, a.a.O., S. 40). Wie dem
auch sei, die kantische Einteilung ist – mit Abstrichen, die dem hier nicht
behandelten „dinglich-persönlichen Rechten“ gelten - auch jene Savignys.
[40] Siehe dazu: B.
Rettig, Staat, Recht, Ökologie, a.a.O., S. 15-21.
[41] Siehe dazu die
unter D auf dieser Plattform vorgestellten Beiträge.
[42] Siehe §§ 12, 13
MdS.
[43] Ebd..
[44] § 20 MdS.
[45] §18 MdS
[46] „titulus“ steht also für eine im Vertrag fixierte konkrete Kausalität, die mit der Übergabe ihr Ende findet.
[47] § 40/A R-
Hervorhebung bei H.
[48] Hegel wendet sich damit gegen Kant, für den der Vertrag „der Akt der vereinigten Willkür zweier Personen“ ist und zugleich auch gegen Savigny, für den die Obligation „die klagbare, die durch Zwang zu verwirklichende Einschränkung der Freiheit des Schuldners“ ist. (H. Kiefner, a.a.O., S. 15 u. 17).
[49] Und da nützt es
nichts, dass dieser „Besitz der Willkür“, falls er eingeklagt wird, nicht mehr,
wie in Rom, bis zur Versklavung des Schuldners führt.
[50] Marx, GR S. 157.
[51] § 72 R.; ähnlich
§ 74 R.
[52] Vgl. Naturrecht,
a.a.O., S. 80 u. 86.
[53] E. Rosenstock,
Vom Industrierecht, Berlin u. Breslau 1926, S. 138. Der „freie Wille“ ist
insoweit reine Fiktion. Frei ist mein Wille nur hinsichtlich der Frage, mit wem
ich austauschen will, nicht aber ob
ich austausche.
[54] J. Binder, Der
obligatorische Vertrag im System der Hegelschen Rechtsphilosophie,
Verhandlungen des 3. Hegel-Kongresses vom 19.-23. April 1933 in Rom, Tübingen
1934, S. 49f.
[55] K. Larenz,
Verhandlungen des 2. Hegel-Kongresses vom 18.-21.10.1931 in Berlin, Tübingen
1932, S. 141.
[56] Dulckeit,
Rechtsbegriff und Rechtsgestalt, a.a.O., S. 102.
[57] Ebd., S. 98
[58] § 79/A R - Hervorhebung bei Hegel. Wie nahe Hegel damit dem Code Civil steht, der damals modernsten Regelung, zeigt dessen Art. 1138: „Die Verbindlichkeit, eine Sache zu liefern, kommt durch die bloße Übereinstimmung der Vertragsparteien zustande. Sie macht den Gläubiger zum Eigentümer und überträgt auf ihn die Gefahr von dem Augenblicke an, wo die Sache geliefert werden soll, wenn auch die Übergabe nicht erfolgt ist, es sei denn, dass der Schuldner in Lieferverzug ist; in diesem Falle bleibt die Gefahr bim Schuldner
[59] Vgl. W.
Felgentraeger, Friedrich Carl v. Savignys Einfluss auf die Übereignungslehre,
Leipzig 1927, S. 24.
[60] Zwei Stellen aus dem Corpus Iuris Civilis scheinen ihn zu bestätigen: 1. „Auch durch Übergabe erwerben wir nach Naturrecht Eigentum an Sachen. Denn nichts entspricht so sehr der natürlichen Gerechtigkeit, als den Willen des Eigentümers, der seine Sache einem anderen übereignen möchte, als wirksam anzuerkennen. Daher braucht eine körperliche Sache gleich welcher Art nur übergeben zu werden, und sie wird durch die Übergabe seitens des Eigentümers veräußert.“ 2. „Wenn wir zwar im Hinblick auf die Sache, die übergeben wird, einig sind, hinsichtlich der Erwerbsgründe aber nicht übereinstimmen, dann sehe ich nicht, warum die Übergabe unwirksam sein soll.“
[61] G. Dulckeit, Die
Verdinglichung obligatorischer Rechte, Tübingen 1951, S. 31.
[62] Die genannten Textstellen
werden aus dieser „Neigung“ heraus über-, wenn nicht gar fehlinterpretiert. Für
P. Heck ist die Meinung, dass die römische Tradition die abstrakte Gestaltung
vorsah, nicht mehr als gesichert oder auch nur als wahrscheinlich anzusehen.
(vgl. Philipp Heck, Das abstrakte dingliche Rechtsgeschäft, Tübingen 1937
a.a.O., S. 43). Mit H. Kiefner gesagt: Savigny interpretierte die römischen
Quellen mit großer Unbefangenheit; „regelmäßig so, dass zuerst aus dem System
gefolgert wird, hernach erst nach den ‚Ansprüchen der Römer‘ gefragt wird.“ (H.
K., Der Einfluss Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19.
Jahrhundert, In: J. Blühdorn, J. Ritter ( (Hrsg.), Philosophie und
Rechtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1969, S. 3-25 [S. 14, FN 22]).
[63] Vgl. Felgentraeger,
a.a.O., S. 36.
[64] Felgentraeger, a.a.O.,
S. 34. S.a. U. Prange, a.a.O., S. 86 f.
[65] Dazu sehr
eindrucksvoll: J. Braun, „Schwan und Gans“. Die Geschichte des Zerwürfnisses
zwischen Friedrich Carl von Savigny und Eduard Gans, JZ 1979, S. 769-776 sowie:
Gans und Puchta – Dokumente einer Feindschaft, JZ 1998, S. 763-770.
[66] Heck, a.a.O., S.
39.
[67] O. v. Gierke,
Der Entwurf eines BGB und das deutsche Recht, Leipzig 1889, S. 314, 335f.
[68] A. Menger, Das
Bürgerliche Recht und die besitzlosen Volksklassen, Tübingen 1890, S. 76f.
[69] Heck, a.a.O., S.
48.
[70] Heck, a.a.O., S.
52.
[71] Ebd., S. 4.
[72] Sie, wie das in
der Arbeit von A. Strack (Hintergründe des Abstraktionsprinzips, Jura 2011, S.
9) auffällig geschieht, als „ideologisch“ abzutun ist zwar bequem, geht aber am
Kern vorbei und ist übrigens ebenso „ideologisch“ gefärbt.
[73] Heck, a.a.O., S.
4.
[74] So auch F.
Peters, Kauf und Übereignung. Zum sogenannten Abstraktionsprinzip, JURA 1986,
S. 449-459. Er schreibt (S. 457): „Dass die Kritik am Abstraktionsprinzip im
Dritten Reich einen Höhepunkt gefunden hat, kann nicht von vornherein zu ihrer
Zurückweisung führen, da sie nicht auf typisch nationalsozialistische Wertungen
beruht, sondern Gedanken aufgreift, die auch schon früher geäußert wurden und
die auch ausländischen Regelungen zugrunde liegen, die das Abstraktionsprinzip
nicht kennen oder jedenfalls nicht mit der Konsequenz des BGB verwirklicht
haben.“
[75] Die kausale
Gestaltung wird in dessen § 25 deutlich: „Das Eigentum an Sachen kann durch
Kauf, Schenkung und anderen Vertrag sowie auf Grund der Entscheidung eines
Gerichts, Staatlichen Notariats oder eines anderen staatlichen Organs oder
kraft Gesetzes erworben werden.“
[76] H. Kleine, Die
historische Bedingtheit der Abstraktion von der causa, Berlin 1953.
[77] H. Büttner, Bericht
von der ersten öffentlichen zivilrechtlichen Thesenverteidigung an der
Humboldt-Universität, StuR 1953, S. 118-123. (Sie galt der Doktorarbeit H.
Kleines).
[78] A. Neumann, Die
römisch-rechtlichen (?) Grundlagen des Trennungs- und Abstraktionsprinzips und
des dinglichen Vertrages, StudZR 2012, S. 443-460: „Die Quellenlage ist …
aufgrund ihrer Lückenhaftigkeit alles andere als eindeutig.“(444).
[79] Brief vom 22.
November 1816. Zitiert bei R. Benthaus, Eine „Sudeley“? Das Allgemeine
Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 im Urteil seiner Zeit, Kiel
1996, S. 122. Eine ungerechte Beurteilung der im ALR gewahrten sozialen
Dimension des Rechts aus dem Blickwinkel des von ihm favorisierten asozialen
römischen Vertragsrechts.
[80] eine
Erleichterung des Warenverkehrs – vgl. dazu U. Prange, a.a.O., S. 93.
[81] G. Dulckeit, Die
Verdinglichung…, a.a.O., S. 32.
[82] W. Rother, Die
Erfüllung durch abstraktes Rechtsgeschäft, AcP 169 Bd. (1969), S. 2.
[83] Siehe dazu die
(einschränkenden) Bemerkungen in FN 22.
[84] A. Strack, a.a.O.,
S. 6.
[85] G. Dulckeit, Die
Verdinglichung…, a.a.O., S. 31.
[86] F. Peters,
a.a.O., S. 450.
[87] A. Strack, a.a.O.,
S. 5.
[88]
Ich verweise auf die grundsätzliche Kritik A. Mengers (a.a.O.) am ersten
Entwurf des BGB, der mit guten Gründen solche Konstruktionsfehler behauptet.
[89] Peters, a.a.O.,
S. 458.
[90] AS II, S. 464.
[91] Das Verhältnis
der Einkommen von Top-Managern zu den Einkommen der Arbeiter betrug in den USA
1980 1:43, im Jahre 2006 aber bereits 1: 411. Ein Prozent der Weltbevölkerung
besitzt 2015 so viel wie die übrigen 99 Prozent. (Quellen: N. Klein, Die
Schock-Therapie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus, Frankfurt a.M.
2007, S. 627; Bericht der Hilfsorganisation Oxfam, verbreitet u.a. im ZDF am
19. Januar 2016).
[92] Man erinnere
sich der zwei Versuche, die es in den zwanziger und siebziger Jahren des 20.
Jahrhunderts gab, das Arbeitsrecht zu kodifizieren. Beide scheiterten bzw.
wurden fallen gelassen, obwohl die beispiellos dürftigen Regelungen des BGB
hierzu von vornherein dringenden, damals bereits von O. v. Gierke und A. Menger
angemahnten, Nachbesserungsbedarf anzeigten.
[93] H. Wieling (Das
Abstraktionsprinzip für Europa! ZEuP 2001, S. 301-307) feiert jedenfalls das
Abstraktionsprinzip als „Errungenschaft“ und gewichtigen „Teil unserer
Rechtsgeschichte und Rechtskultur“. Warum, fragt er, dieses „Bessere dem
Mittelmaß … opfern“? (S. 307).