Otto von Gierke und wir
(Zum 100. Todestag)
Am
10. Oktober 1921 starb Otto von Gierke im Alter von 80 Jahren. Viele Nachrufe
würdigten damals sein Leben und sein Werk. Ein Großer der deutschen
Rechtswissenschaft war heimgegangen.
Aber
zum Zeitpunkt seines Todes war der Ansturm auf sein Werk schon sehr abgeebbt.
Otto von Gierke? – Verband sich dieser Name nicht all zu deutlich mit dem
Zweiten Deutschen Kaiserreich, also auch mit all dem, was daran aus liberaler
und republikanischer – noch mehr: aus marxistischer – Sicht auszusetzen war.
Sein Werk schien, besonders dort, wo es vom Staat handelt, mit Gründung der
Weimarer Republik aus der Zeit gefallen, schien mit dem Kaiserreich seinen
Haltepunkt verloren zu haben. Er mag damals in England, wo man ihn als einen
Vorläufer des Pluralismus ansah, mehr gegolten haben als in seiner Heimat.
Nur
in Theorie und Praxis des Arbeitsrechts war Gierke selbst und über seine Schüler
weiterhin präsent.
Kriterium
Praxis:
Daran
gemessen ist von Gierke heute zu wenig übrig. Unverdientermaßen.
Denn
sein Werk steht für eine Richtung der deutschen Staats- und Rechtslehre, deren
Bedeutung für die damalige und heutige Gegenwart am ehesten deutlich wird, wenn
sie im Zusammenhang mit der Philosophie von G.W.F. Hegel gesehen wird. Auch dessen
Todestag jährt sich: am 4. November 2021 zum 190. Male. Zwar wird um Hegel viel
Wirbel gemacht. Aber auch hier gilt: Nur ja nicht Praxis werden lassen, was er
für vernünftig hält.
*
Gierke
wird – philosophisch gesehen – überwiegend Kant, kaum aber Hegel[1]
zugeordnet. Und doch – so die Behauptung, die hier gewagt wird – steckt in
seinem Werk mehr „Hegel“ als in irgendeinem anderen Werk deutscher Juristen,
eingeschlossen Eduard Gans. Aber während das Gros seiner Kollegenschaft sich
auf Kant bezieht[2],
um mit ihm einen vorherrschend gewordenen platten Positivismus zu legitimieren,
stützt sich Gierke auf jene „Reihe von Momenten“ [3]
bei Kant, wo dieser über sich hinauswächst und sich gedanklich Hegel nähert.
Und er kritisiert Kant dort, wo dieser der atomistischen und mechanischen
Vertragstheorie verfällt bzw. sich dieser nicht zu entziehen vermag.
Zwei
dieser „Momente“, auf die sich Gierke beruft, stehen ganz oben auf seiner
Agenda: Der Begriff des „Organismus“[4]
sowie – aus der „Rechtslehre“ – der Begriff des „auf dingliche Art persönlichen
Recht[s]“[5].
Damit bezieht er sich auf jene Elemente der Kant‘schen Philosophie, die damals
wie heute auf Unverständnis und Ablehnung stoßen. Er aber greift sie auf und
gelangt über sie zu Ergebnissen, die jenen nahe stehen, die sich aus der
hegelschen Philosophie gewinnen lassen.
Im
Übrigen zeigt seine Schrift zu Johannes Althusius von 1880, dass Gierke
philosophischer Kopf genug ist, eigene Schlüsse aus den Umwälzungen zu ziehen,
die zur Moderne geführt haben. Anhand dieses nahezu vergessenen Gelehrten zeigt
er den Übergang vom älteren zum neueren Naturrecht. Es ist ein Übergang, der
gerne so darstellt wird, als werde ein miefiges, finsteres, undurchdringliches
Gestrüpp feudaler Abhängigkeiten ersetzt durch die lichte Welt des Vertrages.
Es ist die Zeit eines Schwenks von „Gemeinschaft“ zu „Gesellschaft“. Und
eingeschlossen darin: ein Schwenk von einem Recht, dass den Einzelnen aus dem
„Verband“ ableitet, zu einem Recht, dass das Individuum in die Mitte stellt.
Eine Umkehrung findet statt. „Immer bestimmter stellte sich als unvermeidlicher
Grundzug der Lehre vom Gesellschaftsvertrage die theoretische Herleitung der
Gemeinschaft aus dem Individuum heraus. Man musste, wenn man sich selbst treu
bleiben wollte, schließlich immer bei den Sätzen anlangen, dass der vereinzelte
Mensch älter als der Verband, dass jeder Verband das Produkt einer Summe von individuellen
Akten und das alles Verbandsrecht und somit die Staatsgewalt selbst ein
Inbegriff ausgeschiedener und zusammengelegter Individualrechte sei.“[6]
Er
rügt:
Statt
zu sagen, dass der Mensch als Einzel- und
Kollektivwesen geboren wird, also Individualität und Kollektivität
gleichermaßen zu seinem Wesen gehören, galt nun, dass die Gemeinschaft als ein Nachrangiges und
Freiwilliges aus dem Individuum zu definieren ist.
Hoch
problematisch, wie sich die Wende vom alten zum neuen Naturrecht vollzieht: als
bloße Umkehrung. Die Einheit der Natur geht verloren; die Einheit überhaupt.
Auf allen Ebenen, in allen Sub-Bereichen zerfällt das Ganze in Teile und kehrt
sich das Verhältnis der Teile zueinander um. Auf der obersten Ebene, der Ebene
der Natur, bedeutet dies: Ging die menschgeschaffene „produzierte“ Natur bisher
am Gängelband der „vorgefundenen“ Natur, so jetzt die letztere am Gängelband
der ersteren.[7]
Eine Umkehrung, mit der der Weg frei gemacht ist. Jene Zeit gnadenloser,
unlimitierter Ausbeutung der „vorgefundenen“ Natur setzt ein, mit deren
„dicken“ Ende wir 250 Jahre später zu kämpfen haben.
Was
das Recht anbelangt, stehen wir vor folgenden Befund:
Diente
es bisher dazu, die Vorherrschaft der „vorgefundenen“ Natur durchzusetzen, so
kommt es jetzt zu einem „Frontwechsel“. Das Recht schlägt sich auf die Seite
der jetzt tonangebenden Natur; der „produzierten“. Das geschieht nicht von
heute auf morgen. Hundert Jahre geht es hin und her. Gierke dazu:
„Es
war bald ein aussichtsloses Unternehmen, wenn stets von Neuem einzelne
Naturrechtslehrer dem theoretischen Individualismus entgegentraten und wieder
mehr vom Ganzen auszugehen oder doch die staatlichen Hoheitsrechte aus einer
vom Individuum unabhängigen Quelle herzuleiten suchten, ohne doch mit der
Vorstellung einer Entstehung des Staats durch einen Vereinigungsakt staatlos
lebender Menschen zu brechen.“[8]
Politisch
gesehen ist das die Zeit des Absolutismus. Wird die Umkehrung unumkehrbar, hat
dieser als Staatsform ausgedient, zuerst in Frankreich, mit gebotener
Verzögerung dann auch im verspäteten Deutschland.
Diese
„Umkehrung“, diese Umkehrung der Vorherrschaft,
wie zu präzisieren ist, ist ein zentrales Thema der „Wesenslogik“ Hegels. Seine
Fragestellung:
Was
wird aus dem „Ganzen“, wenn es in Teile zerfällt?
Seine
Antwort:
Es
geht nicht unter. Es wird nicht jenseitig, sondern wird aus einem gestalthaften
zu einem gestaltlosen Sein.[9]
Aber: Sein ist Sein, ob gestalthaft oder gestaltlos. Das Besondere des Letzteren:
Es gewinnt eine Gestalt nur über unser Zutun; uns obliegt es, das „gestaltlos“
Gewordene auf den Begriff zu bringen.[10]
Sie,
die „Vernunftgestalt“, die „vernünftige Institution“[11],
zu schaffen – das ist die von Hegel erkannte und in seiner Logik formulierte
Forderung der Geschichte an uns.
Der
Verbund des Ganzem mit den Teilen ist gegenüber früher ein anderer und auch loserer
geworden. Aber er besteht fort. Die Teile konstituieren sich nicht „als
Totalitäten für sich“, sondern sie sind „relative“, durch das fortbestehende
Ganze relativierte, Totalitäten[12]. Beide
Seiten stehen also weiterhin im Verbund, sind auf besondere Weise aufeinander
bezogen und voneinander abhängig. Den
Teilen muss Genüge getan werden, aber auch dem Ganzen. Denn was stattfindet ist
eine „Aufhebung“, eine doppelte „Negation“ statt einer nur einfachen. Aber dazu
wird der Vorgang nur durch unser Mitwirken. Tatsächlich wird er aber nach der
ersten Negation abgebrochen und – abgesegnet durch die Philosophie der
Aufklärung – für beendet erklärt. Die aus ihr hervorgehenden Tatsachen: die
bürgerliche Gesellschaft und ihre Institutionen und Organisationsformen, werden
als die Endresultate der Geschichte ausgegeben und - um sie vor Kritik zu
schützen - in den Rang ziviler Gottheiten erhoben.[13]
Die
Kritik wird dafür auf jene gelenkt, die – wie Hegel und Gierke – auf den
Fortbestand des Verbunds verweisen; auf die (scheinbaren) Lobredner des Alten. Zu
diesem Alten, das jetzt ignoriert und verworfen wird, gehört die Beziehung im
Ganzen – früher eine Rechtsbeziehung, die nun aus der Welt zu sein scheint und
scheinbar einem Bereich individueller Freiheit Platz gemacht hat.
Die
Situation nach der ersten Negation:
Die
Umwandlung der Teile in Totalitäten macht diese zu „Entgegengesetzten“[14].
Soll ihre jetzige Entgegensetzung nicht zur Zerstörung des Organismus führen,
muss sie vermittelt werden. „Vermittlung“ ist also die mit der Dialektik von
Teil und Ganzen untrennbar verbundene Aufgabe. Sie ist Korrektur der Teile
durch das Ganze. Wenn sie nicht nur im Nachhinein, über die sogenannten
„Marktkräfte“ erfolgen soll, bedarf es der vermittelnden Institution, der
„Vernunftgestalt“. Sie zu finden, sie zu installieren und arbeitsfähig zu
machen ist also das Gebot der Stunde.
Was
aber, wenn sie ausbleibt?
Der
Befund, den Hegel und Gierke erheben: Der bisherige, biologisch geprägte,
Organismus, dieses noch halbwegs „gestalthafte“ Ganze, verschwindet. Als
„Gestalten“ bleiben nur die Teile zurück. Das verleitet zu der Annahme, das
„Ganze“ sei überhaupt aus der Welt, sei ins Jenseits abgewandert, sei
metaphysisch geworden. Diese Annahme zieht wiederum jene „Nivellierungssucht“[15]
nach sich, der die „sozialrechtlichen Zwischengebilde“ zum Opfer fallen. Eine
ganze Ebene des menschlichen Daseins, die Ebene der „Sozialität“, wird
gestrichen.
Vertritt
man den Standpunkt, dass das „Ganze“ als Sein weggefallen, metaphysisch
geworden ist, erübrigt es sich zu fragen, was aus dessen internen Beziehungen
geworden ist. Sie fehlen jetzt. An ihre Stelle sind Außenbeziehungen getreten,
solche zwischen Totalitäten. Anders dann, wenn das Ganze weiterhin besteht.
Dann stehen wir weiterhin vor der Frage: Wie sind dessen Binnenbeziehungen
ausgestaltet? Wem kommt welches Recht, welche Pflicht zu? Was bedeutet unter
diesem Aspekt die „relative Totalität“ der Teile?
Hundert
Jahre dauert es. Dann aber bleibt es dabei. Die „Umkehrung“ ist festgeschrieben
und zur Grundlage des modernen Rechts gemacht. Der Weg vom „Entweder“ zum
„Oder“ ist durchschritten. Aber die „Umkehrung“ ist nicht die Lösung. Zwar
bringt sie Vorteile. Viele für wenige, einige aber auch für alle. Die jetzt
entfesselte „produzierte“ Natur setzt gewaltige Kräfte frei. Wissenschaft und
Technik erklimmen ungeahnte Höhen. Aber auf Kosten der „vorgefundenen“ Natur.
Und auf Kosten auch der Sozialität. Die Plünderung der Natur paart sich mit der
Vereinzelung des Menschen und –gerade auch in der Gegenwart – mit einem
beispiellosen Auseinanderdriften von arm und reich.
Das
Manko an Sozialität und dessen Folgen macht Gierke zum Gegenstand seines
Lebenswerkes; sein Kampf gegen ein sich vor seinen Augen breit machendes, bald
Gesetz werdendes, unsoziales Recht beginnt. Er gewinnt diesen Kampf nicht, aber
er ist einer der Wenigen, die ihn überhaupt führen.
Dass
die „Umkehrung“, wie es Hegel sieht, einer Verschwörung gegen die
„vorgefundene“ Natur gleich kommt, ist nicht das Thema Gierkes. Von Hegel
abgesehen, ist das zu seiner Zeit niemandes Thema.[16]
**
Die
große Frage seines Hauptwerkes:
Was
geschieht in der Moderne mit jener Institution, die tausend Jahre lang das
sozial-ökonomische Zentrum der Germanen ist, mit der „Wirtschaftsfamilie“?
Gestützt
auf den Kant’schen Organismus-Begriff verfolgt Gierke ihre Wandlung von einer
in das feudale „Blut- und Boden-Regime“ eingebetteten Institution zur modernen
„Vernunftgestalt“. In welchen Stufen vollzieht sie sich, was steht am Ende und wie
wird der Vorgang vom Recht reflektiert?
Die
Klassiker der Ökonomie – Adam Smith, David Ricardo, später auch Karl Marx – beurteilen
das Schicksal der „Wirtschaftsfamilie“ von der Tatsache her, dass in der
Neuzeit das Produzieren in der kapitalistischen Unternehmung erfolgt. Sie schlussfolgern
daraus, dass die „Wirtschaftsfamilie“ im Zuge der bahnbrechenden Neuerungen auf
technischem Gebiet (Webstuhl, Dampfmaschine) ihre wirtschaftliche Bedeutung verliert
und durch die Unternehmung ersetzt wird. Diese wird als eine Neuschöpfung
angesehen, die ihre Wurzeln in der Zirkulationssphäre hat. Das dort angehäufte
Handelskapital erobert von dort über verschiedene Stufen (Verlegersystem,
Manufaktur, Fabrik) die Produktion.[17]
Aber
ist das die ganze Wahrheit?
Was
Ricardo wie Marx als Schrumpfungsprozess ansehen, ist für Gierke ein Vorgang,
der als „Aufhebung“ zu sehen ist. Und als solche macht der Prozess nicht bei
der ersten bzw. einfachen Negation und den dabei sichtbar werdenden
Zerfallsprodukten halt, sondern geht in eine Neusetzung der
„Wirtschaftsfamilie“ über. Hätte er gegen die herrschende Auffassung
polemisiert, würde er sagen, ihr Hauptziel liegt darin, dass mit ihr der
gemeinsame Stamm – die „Wirtschaftsfamilie“ – vergessen gemacht wird. Nicht ungewöhnlich
in dieser Zeit, die sich unter Berufung auf Freiheit und Fortschritt allerorten
von ihrer Geschichte lossagt.
Im
Ergebnis der ersten Negation zerfällt die mittelalterliche „Wirtschaftsfamilie“
in bürgerliche Kleinfamilie und Unternehmung. Zwei Teile eines ursprünglichen
Ganzen stehen sich gegenüber; zwei „Produktionseinheiten“. Bisher vereint in
einem „Haus“, stehen sie sich jetzt als „Entgegengesetzte“ gegenüber, die zur
Vermeidung sozialen Unfriedens „vermittelt“ werden müssen.
Was
aber geschieht?
Das
Ergebnis der ersten Negation, der entstehende Anschein, wird zementiert. Die
Beziehung zwischen der Kleinfamilie und der Unternehmung wird als eine auf den
Austausch ihrer Produkte als „Sachen“ ausgerichtete Beziehung zweier
Totalitäten angesehen, als eine „schuldrechtliche“ also. Aber tatsächlich sind
beide nur „relative“ Totalitäten, die deshalb weiterhin auf besondere Weise,
nämlich auch personal, miteinander verbunden sind. Anders gesagt: Was scheinbar
nur noch „gesellschaftlich“ verbunden ist, bleibt es weiterhin auch
„gemeinschaftlich“.
Die
Perspektive ist je eine andere. Für die einen ist die „Wirtschaftsfamilie“
historisch erledigt, ist ihre Fortexistenz bestenfalls Ausnahmefall[18].
Für Gierke hingegen ist sie nach wie vor der Generalfall des Produzierens. Und
nicht nur dort, wo sich echte, auf Gleichordnung ihrer Mitglieder beruhende,
Genossenschaften bilden, sondern auch dort, wo sie sich als Unternehmung, als
„Gemeinschaft kraft herrschaftlicher Gewalt“[19],
zeigt. In die ersteren bringt jeder Genosse Kapital und Arbeitskraft ein, in die letztere bringt eine Seite das
Kapital, die andere die Arbeitskraft ein; „Kapital“ und „Kapitalist“
dominieren. Aber trotz der Dominanz einer Seite gilt: Auch die kapitalistische Unternehmung ist „Gemeinschaft“. Und wenn sie es nur in abgewandelter
und beschränkter Form ist, sie ist als Gemeinschaft „jedoch keineswegs
aufgehoben“[20].
Die
einen betonen ihre Diskontinuität, der andere ihre Kontinuität. Für Gierke
steht im Mittelpunkt, dass das Produzieren auch jetzt notwendig auf
„Kollektivität“ beruht. So, wie nur Mann und
Frau das Kind zeugen und zur Arbeitskraft formieren, so erzeugen nur Kapital und Lohnarbeit all die dem Konsum
dienenden Produkte. Die örtliche und sachliche Trennung durch den
Auseinanderfall in Kleinfamilie und Unternehmung ändert daran nichts. Die zwei
Hauptkomponenten modernen Produzierens, „lebendige“ und „vergegenständlichte“
Arbeit müssen zusammen kommen, ob der
einzelne Kapitalist oder der einzelne Lohnarbeiter das will oder nicht. Der
„freie Wille“ tritt hinter dieses Müssen zurück. Marx spricht in diesem
Zusammenhang von „objektiver Assoziation“[21].
Beide – Gierke wie Marx – sind sich deswegen einig darin, wie auf die Mär zu
antworten ist, der Arbeiter binde sich in Entfaltung seines „freien Willens“ an
die Unternehmung. Zwar ist es nicht „direkte physische Gewalt“ [22],
die seinen Eintritt in sie erzwingt, sagt der eine (Marx). Und der andere
(Gierke) ergänzt: „aber zu wählen hat er nicht das Ob, sondern das Wo der
Unterwerfung.“[23]
Beide stellen das im Unternehmen regierende „Herrschaftsverhältnis“[24]
heraus. Dieses prägt das Verhältnis, nicht der „freie Wille“. Dem wichtigsten
Rechtsverhältnis, das der Lohnarbeiter – solange er arbeiten kann und muss –
einzugehen hat, fehlt also das entscheidende Kriterium echten Rechts: der
„freie Wille“.
Aus
liberalistischer Sicht sieht es aus, als wolle Gierke eine untergegangene, eine
historisch gewordene Institution – die feudale Wirtschaftsfamilie – mit Hilfe
des Organismus-Begriffs in die Gegenwart hinüber retten. Aber es ist bei ihm
wie bei Hegel. Wie dieser verwendet er den Begriff in Sinne der Wesenslogik,
also ohne jeden biologischen Beiklang. Zum Missfallen des tonangebenden
philosophischen und juristischen Individualismus eröffnet er eine Sicht auf
Probleme und Dimensionen, die dort bewusst ausgeblendet sind. Gierke leistet
daher mit Hilfe des „Organismus“ mehr zur Aufklärung der „objektiven
Assoziation“ als Marx. Dieser sieht zwar das Problem, lotet es aber nicht
tiefer aus, weil er ahnt, dass das Ergebnis seiner Revolutionstheorie
widerstreitet.
Was
von der einstigen „Wirtschaftsfamilie“ übrig bleibt – die bürgerliche
Kleinfamilie – ist, was das Produzieren angeht, auf die Produktion der Ware
Arbeitskraft reduziert. Beide „Produktionen“, die Produktion der Ware
„Arbeitskraft“ und die Produktion der tausend „profanen“, der
Bedürfnisbefriedigung dienenden Dinge, finden fortan an getrennten Orten statt,
gehen überhaupt getrennte Wege. Treffpunkt beider Arten „Produkt“ ist der
Markt. Ihm und seinen ökonomischen und juristischen Gesetzen sind beide unterstellt.
Beide werden dort über einen Leisten geschlagen, werden unisono als „Ding“
gehandelt, verkauft und gekauft. Das ist die eine Wahrheit.
Aber
es ist etwas grundlegend Anderes, ob auf dem Markt Brot, Fleisch und Gemüse
oder ob Lohnarbeit gehandelt werden. Der Markt macht etwas gleich, was der
Sache nach ungleich ist. Gegenstand des „einfachen“ Austausches sind die
Produkte eines vorhergehenden Produktionsvorgangs. Hier aber geht es um einen
Austausch, der nötig ist, um überhaupt erst „Produktion“ stattfinden zu lassen,
weil er ihre Grundkomponenten: „lebendige“ und „vergegenständlichte“ Arbeit,
zusammenführt. Was sich sodann abspielt, in der Produktionsstätte, ist der
Austausch mit dem Naturstoff, ist der „Stoffwechsel“. Marx drückt es so aus:
„Wenn
wir den Austausch zwischen Kapital und Arbeit betrachten, so finden wir, dass
er in zwei nicht nur formell, sondern qualitativ verschiedene und selbst
entgegengesetzte Prozesse zerfällt. … Die Trennung dieser beiden Prozesse ist
so augenfällig, dass sie in der Zeit auseinanderfallen können und keineswegs
zusammenfallen müssen.“[25]
Austausch und Nicht-Austausch: gegeneinander aufgerechnet wird daraus ein
bloßer „Schein“ von Austausch.[26]
Und weshalb? Das habe damit zu tun, dass die „Produktionsverhältnisse als
Rechtsverhältnisse in ungleiche Entwicklung treten.“ Und präzisierend: „Also
z.B. das Verhältnis des römischen Privatrechts … zur modernen Produktion.“[27]
Die
Rechtsform spiegele also lediglich eine „umgekehrte Reihenfolge derselben zwei
entgegengesetzten Prozesse, Verkauf und Kauf“ wider. Ihr qualitativer
Unterschied bleibe unberücksichtigt. Und so bleibe im Verborgenen, dass der
Austausch Kapital – Arbeit genau genommen kein Austausch ist, weil er lediglich
zwei zusammen gehörige Gestalten von Arbeit: Kapital (=vergegenständlichte
Arbeit) und lebendige Arbeit zu einer handlungsfähigen Einheit, zur
Unternehmung, zusammenführt. Der eigentliche Austausch knüpfe hingegen an das
Produkt an, das aus dem Handeln einer produzierenden Einheit hervorgeht.[28]
Der
„Auseinanderfall“ beider, kapitalistische Produktionsverhältnisse hier,
„römisch“ gebliebene Rechtsverhältnisse dort: diese ungleiche Entwicklung ist
für Marx der „eigentlich schwierige Punkt“[29],
den es zu erörtern gelte.
Qualitativ
Ungleiches wird auf dieser Ebene gleich gemacht. Und so wird diese Ebene zum –
wie Marx sagt – „versteckten Hintergrund“ [30].
Und
was wird versteckt? Ein „Etwas“ das zwar zur bürgerlichen Gesellschaft gehört, aber
von ihren Rechtsverhältnissen nicht ausgewiesen wird. Diese „Einzigartigkeit“[31]
sei die „Aneignung fremder Arbeit ohne Austausch“.
Über
den einen Austausch erhält der Arbeiter – rechtlich begleitet - als Gegenwert
seiner Arbeitskraft einen Lohn, der ausreicht, die Reproduktion seiner
Arbeitskraft sicherzustellen. Der andere Austausch, der sogenannte
„Stoffwechsel“, ist, weil er der Produktionssphäre angehört, rechtlich
irrrelevant, weswegen der aus ihm resultierende Mehrwert, ohne dass gegen das
Recht verstoßen wird, auch allein von dem oder den Kapitalisten „eingesackt“
werden darf. Dieser Austausch geht
also am Recht vorbei. Er ist gewissermaßen dessen „blinder Fleck“. Rechtsstaat
hin, Rechtsstaat her: hier darf sich der Arbeiter vom Recht nichts erhoffen.
Liegt
das daran, dass ein antiquiertes, tausend Jahre (zu) altes Recht zur Anwendung
kommt? Oder ist das Recht generell „blind“ für diesen Austausch?
Kapitalistische
Produktionsverhältnisse und römischen Recht. Wie verträgt sich das?
Obwohl
in den „Grundrissen“ an vielen Stellen thematisiert, bleibt die „Erörterung“
der Frage in den späteren Arbeiten aus – gerade auch in seinem Hauptwerk. Zeit
seines Lebens findet Marx keine Gelegenheit, diesem „schwierigen Punkt“ –
dieser „Lücke“ im Recht – zu Leibe zu rücken. Weder er noch Friedrich Engels[32]
hinterfragen diese „ungleiche“ Entwicklung. Sie verbleiben bei dem Standpunkt,
dass es jetzt – bei kapitalistischen Produktionsverhältnissen – durchaus seine
Richtigkeit hat mit diesem „römischen“ bzw. „römisch“ geprägten Recht. Frühere
Wendungen in ihren Werken, die den Eindruck erwecken, dass das römische Recht
beim Übergang zum Kapitalismus deswegen „als das Recht der aufkommenden
bürgerlichen Gesellschaft geltend gemacht werden musste“[33],
weil ein besseres, weil ein adäquates Recht noch nicht zur Verfügung stand –
also aushilfsweise – werden nicht weiter verfolgt. Es überwiegen die
Bemerkungen, die in eine andere Richtung deuten und in denen zum Ausdruck
kommt, dass das römische Recht als das Verkehrsrecht jeder Warenproduktion anzusehen ist, also auch der
kapitalistischen. Das sind jene Stellen, wo Marx ausführt, dass das Recht den
Umschlag von der einfachen zur qualifizierten Warenproduktion nicht mit
vollzieht (und auch nicht mit vollziehen kann!), weil es generell „blind“ dafür
sei. Entstand zunächst der Eindruck, als habe Marx das Unvermögen, den
„versteckten Hintergrund“ sichtbar zu machen, mit der Unzulänglichkeit des
„römisch“ geprägten Rechts begründet, so zeigt sich nun, dass er dieses
Unvermögen auch auf das der bürgerlichen Gesellschaft adäquate Recht erstreckt.
Der
eine Austausch bezieht sich auf das bereits fertige Produkt, sei es die Ware
„Brot“ oder die Ware „Arbeitskraft“. Er findet vor und nach der
Produktion unter Personen statt. Der andere Austausch, jener „Stoffwechsel“ im
Rahmen der Produktion, ist ein Austausch von Sachen, der vom Recht, jedenfalls
von diesem Recht, nicht erfasst wird. Kurz gesagt: Das Recht macht, wie die
bürgerliche Gesellschaft selbst, vor den Toren der Unternehmung halt. Wie der
Bauch, der das Brot verdaut, außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und ihres
Rechts liegt, so auch die Unternehmung, die die Arbeitskraft gebraucht.
Zutreffend daher, wenn
Carl Schmitt formuliert, dass die bürgerliche Gesellschaft das ist, was nach
Abzug von „Staat“ und „Industrie“ als Rest verbleibt[34]:
die Sphäre der Zirkulation. Sie und ihr Recht werden zum „Versteck“ wichtiger
Sachverhalte, die sich um das „Produzieren“ ranken. Sie steht im Licht, im
Dunkeln hingegen jener Bereich, der den größten Teil der aktiven Lebenszeit
absorbiert.
***
Kein
Jurist ist in der Umsetzung der praktischen Philosophie Hegels weiter gekommen
als er. Kann man Hegel als den philosophischen Stammvater des Sozialstaates
bezeichnen, so wäre Gierke als derjenige zu nennen, dem es gelang, den
philosophischen Ansatz Hegels für sein Sozialrecht fruchtbar zu machen. Das
gelingt ihm, weil er tragende Prinzipien und Begriffe der Hegelschen
Philosophie auf der Grundlage gediegener Kenntnisse der historischen Abläufe
und Zusammenhänge für das Recht aufgreift und sie zu verbinden versteht. Er tut
dies anhand eines Daseinsbereiches, der damals das „Schwarze Loch“ des Rechts
war – der Produktionssphäre. Der wichtigste Ort im Leben jeder modernen
Gesellschaft, der Ort, in dem die materiellen Grundlagen menschlichen Daseins
geschaffen werden, der Ort, in dem der Mensch den größten Teil der aktiven
Lebenszeit verbringt. Und gerade er liegt außerhalb des Privatrechts.
Das
war nicht immer so; es war nicht so, solange die „Wirtschaftsfamilie“ die
ökonomische Grundeinheit der Gesellschaft war.
Wo
Marx auf die Revolution setzt, sucht er nach einer juristischen Lösung. Und er
macht es sich nicht leicht, bleibt nicht an der Oberfläche. Wie Helga Spindler
zutreffend formuliert: Gierke gewinnt – und das nahezu zeitgleich[35]
mit Marx - „als erster und einziger Jurist einen tiefen Einblick in die
ökonomische Gesetzmäßigkeit des Kapitalismus“[36]. Er
steht also nicht nur Hegel, sondern auch, wenn man davon absieht, dass das
„Endziel“ sie trennt, Marx nahe. Beide teilen die Erkenntnis, dass der
Austausch Lohnarbeit – Kapital von
besonderer Art ist.
Gierke
gehört der Historischen Rechtsschule an. Aber ihrem germanistischen Teil. Er
setzt nicht bei „Rom“ an, sondern bei dem, was „Rom“ nachfolgt: bei den
feudalen Verhältnissen des römischen Reiches deutscher Nation. Ihrem
„unfertigen“[37]
– noch eng mit der Sittlichkeit verwobenen – Recht gilt sein Interesse. Wie
auch F. Engels[38],
sieht er hierin das weiterführende, das über „Rom“ hinausweisende Moment. Rom
hat sich in einem strikten Gegenüber, in die Scheidung der Menschen in Freie
und Sklaven verrannt. Genereller gesagt: alle Verhältnisse werden in ein
Entweder-Oder aufgeteilt und sich entgegengestellt. Eine „ausweglose
Sackgasse“, konstatiert Engels. Ein neuer Anlauf ist nötig. Und so wird es die
„historische Tat der Deutschen“, ihren „unfertigen Staat“, ihr „unfertiges
Recht“ in die Konkursmasse Roms einzubringen. Gerade die unentwickelten
Zustände werden zur „Brücke“ zwischen Rom und der Neuzeit.
Der
eine –Savigny – nutzt „Rom“, um damit den Bruch mit allem Germanischen zu
begründen. Der andere – Gierke – müht sich um den erhaltenswerten und
weiterführenden Kern des letzteren, macht dessen „Sozialität“ geltend, will sie
vor der Ausstoßung aus dem Rechtsbegriff der Moderne bewahren. Denn immerhin:
diese „Sozialität“ war es, die Europa aus „dem Schlamm der Römerwelt“ herausgeführt
hat. Sie ist „das geheimnisvolle Zaubermittel, wodurch die Deutschen dem
absterbenden Europa neue Lebenskraft einhauchten“.[39]
Aber gerade sie und die juristischen Institute, in denen sie sich zeigt, sollen
jetzt „ausgemistet“ werden.
Und
das werden sie auch. „Unter allen eigentümlich germanischen Bildungen traf die
zwischen Staat und Individuen vermittelnden Verbände der tödlichste Pfeil der
naturrechtlichen Doktrin.“[40]
Sie werden ausgemerzt zugunsten eines souveränen Staates und eines souveränen
Individuums. Folge ist „die Auflösung des sozialen Körpers“[41]. Solche
Kritik galt vielen seiner Zeitgenossen als
unzeitgemäßes Festhalten an feudalen Restposten. Was Gierke aber im
Blick hat, ist das, was an ihre Stelle tritt, wenn man den Gesamtvorgang als
„Aufhebung“ betrachtet. Sein
wissenschaftlicher Ansatz ist daher fundierter
als jener, den die Hauptströmung der deutschen Rechtswissenschaft pflegt. Diese
ist gerade damit beschäftigt, ein Recht zu positivieren, das der Entfaltung der
kapitalistischen Produktionsweise optimal entgegenkommt. Man ist in Eile.
Ohnehin ist man gegenüber England und Frankreich in Verzug. Der Grundzug dieser
Anstrengungen ist die juristische Festschreibung der „Umkehrung“. Soweit sie
ihr Tun überhaupt philosophisch legitimiert, dann mit einem Kant, dessen Werk
um die weiterführenden, auf Hegel hinweisenden, Momente bereinigt ist.
Das
neuere Naturrecht, erkannt als das Recht der bürgerlichen Gesellschaft, macht
das Rennen. Das römische Recht wird genutzt, es positiv zu machen.
Wider den Zeitgeist widmet Gierke
sich dem „versteckten Hintergrund“, leuchtet in ihn hinein. Da er die
Unternehmung als Form der modernen Wirtschaftsfamilie sieht, ist sie für ihn
weder mit dem „Kapital“, weder mit der „Lohnarbeit“, noch mit beiden identisch.
Als eigenständige Wesenheit enthält sie diese beiden Komponenten zwar,
erschöpft sich in ihnen aber nicht. Kapitalist und Lohnarbeiter sind in ihr zu
jener „personenrechtlichen Gemeinschaft“ verknüpft, die „zur beherrschenden
Rechtsfigur der Privatrechtskritik“[42]
seiner späteren Jahre avanciert. Mit ihr gewinnt Gierke Anschluss an Hegel. Wie
für diesen die Familie „Person“[43]
ist, ist für Gierke die Unternehmung allein aus dem Faktum der „Kollektivität“
heraus eine „Person“; eine originäre natürliche Person. Damit sind die Dinge
gerade gerückt. Die „Vogelscheuche“[44] juristische Person ist vom Platz gejagt.
Wie es Siegfried Marck ausdrückt: mit der Erhebung zur „echten“, zur
„natürlichen“ Person, wird der Unternehmung das ihr „Gebührende zuteil“[45].
Gierke
entlehnt von Kant dessen „auf dingliche Art persönliche Recht“, dieses
Binnenrecht „organisierter Wesen“[46]. Sein
Regelungsbereich: Das Verhältnis der Teile zum Ganzen und des Ganzen zu den
Teilen, das Kant bereits mit Formulierungen beschreibt, die jenen Hegels in der
„Wesenslogik“ verblüffend nahe stehen.[47]
Es ergänzt die tradierte Einteilung. Die juristische Welt ist auflöst in
Dichotomien, wo in Wirklichkeit Tetrachotomien[48]
existieren, rügt Kant. Was bisher für „Recht“ gilt hält er für ein bloß
„aufgerafftes Aggregat“, welches die Rechtswissenschaft, bliebe es dabei, zu
einer „bloß statuarisch[en]“, metaphysisch bereinigten Wissenschaft, machen
würde. Daher: keine bloße Dichotomie, die aus jedem Recht „entweder ein
dingliches oder ein nicht-dingliches Recht“[49]
macht!
Von
der Kollegenschaft bis heute verworfen, weil es, allgemein gesehen gegen das
individualistische Weltbild der Aufklärung, speziell juristisch gesehen: gegen
die aus Rom tradierte Einteilung in Schuldrecht und Sachenrecht, verstößt[50],
nutzt Gierke das „auf dingliche Art persönlichen Recht“, um es der
eindimensionalen Weltsicht seiner Zeit entgegen zu halten. Er sieht darin das Binnenrecht kollektiv
produzierender Einheiten. Der „Organismus“ wird so zur Plattform, von der aus
er das „auf dingliche Art persönliche Recht“ Kants, zu seinem, auf die
wirtschaftlichen „Verbandspersonen“ bezogenen, „Sozialrecht“ formt. Eine dritte
Säule, die zu der bisherigen Einteilung hinzukommt, ist damit gefunden. Sie
macht Schluss mit einer im rechtsfreien Raum angesiedelten Produktionssphäre.
Ein
„(verbands-)internes“ Privatrecht. Ein Binnenrecht der kapitalistischen
Unternehmung. Jedes Glied hat ein „dingliches“ Verhältnis zu „seinem“
Organismus; jedes ist an ihm beteiligt, insbesondere an ihrem Ertrag. Und
wiederum ist jedes Glied der Verbandsperson persönlich verpflichtet.
Gierke
führt also das „auf dingliche Art persönliche Recht“ gegen jene Gleichschaltung
der Personen und jenem Verlust von Dimensionen des Rechts ins Feld, die Folgen
des zu seiner Zeit herrschenden philosophischen und rechtswissenschaftlichen
Individualismus sind. Es ist die Leistung Gierkes, in der „Wirtschaftsfamilie“
den gemeinsamen Stamm dieses Rechts erkannt zu haben. Das Produzieren erfolgt
im Zusammenwirken von „lebendiger“ und „vergegenständlichter“ Arbeit. Nur diese
beiden Komponenten zusammen bringen
einen „Zugewinn“ hervor. Dieser ist Eigentum, das einerseits der
„Verbandsperson“, andererseits als Gesamthandseigentum ihren Gliedern
zugeordnet und an diese im Fall der Auseinandersetzung anteilig auszukehren ist.
Das
„auf dingliche Art persönliche Recht“ führt zwei Begriffe zusammen, die zusammen
gehören wie die Vorder- und Rückseite einer Medaille: „Ding“ und „Person“. Eine
Verbindung, die im Falle der Arbeitskraft, dem wichtigsten Fall von Eigentum[51],
schon aus biologischen Gründen unlösbar ist.
Das römische Recht aber sieht in ihr eine Sache, die ist wie jede
andere. Es setzt sich über den biologischen Befund hinweg und degradiert den
ganzen Menschen zur Sache. Und jetzt? Auch jetzt wird dieses Recht, nun auf der
Grundlage der Fiktion, wonach die
Arbeitskraft wie jede gewöhnliche Sache von ihrem Eigentümer getrennt, also
auch getrennt von ihm ver- und gekauft werden kann, zur Anwendung gebracht. Eine Fiktion, die Marx aufgreift und ihn
sagen lässt: Der Arbeiter betritt als
Sache die „verborgne Stätte der Produktion“. Ihr Träger, die Person, bleibt vor
der Tür. Für sie gilt: „No admittance except on business“.[52]
Arbeitsverhältnisse,
die mit der römischen Sklavenmiete begründet werden[53]:
Denn
das ist in Rom der Modellfall. Vermieter und Ware sind getrennt. Jetzt stehen
wir vor der Situation, dass der Lohnarbeiter zugleich Mietsache ist. Was in Rom
auf zwei Menschen „verteilt“ war, ist jetzt in einem einzigen Menschen vereinigt,
der in Personalunion als Vermieter und Mietsache zugleich fungiert. Er ist
Rechtssubjekt, bezüglich seiner Arbeitskraft aber Rechtsobjekt. Eine höchst
widersprüchliche Situation folgt daraus.
Die „Mietsache“, nur sie, untersteht jetzt dem Willen des Mieters, ist
dessen „Direktion“, ist dessen „Plan“ unterworfen. Und ihr Träger, der Mensch?
Er und sein „freier Wille“ sollen, so die Theorie, von der ganzen Transaktion
unberührt bleiben.
Wäre
da nicht diese Fiktion, würden wir sagen, es liegt ein Fall der „Konfusion“
vor, der im Normalfall ein bestehendes Schuldverhältnis erlöschen bzw. es gar
nicht erst entstehen lässt. Hier aber soll es anders sein. Um das glaubhaft zu
machen, muss die schwerwiegende „Verunreinigung“
des an sich klaren Sachverhaltes mit „Konstruktionen“ überbrückt werden, was
heißt: aus einem Dreiecksverhältnis wird eine Zweierbeziehung gemacht. Was
objektiv die Qualität von „Sozialrecht“ hat, wird in bloß „verwickelteres
Individualrecht“[54]
umkonstruiert.
Die
Unternehmung als eine Privatperson ansehen statt als „Kollektivperson“: Das ist
für Gierke der Hintergrund seiner
Attacke gegen die „juristische“ Person. Denn da die „Person“ untrennbar mit dem
Eigentum verknüpft ist, alles Privatrecht also auf „Person“ und „Eigentum“ hinausläuft, bedeutet die Abkehr von
der „Kollektivperson“ zugleich auch die Abkehr von einem „Kollektiveigentum“. Die
juristische Person, diese Subjektivierung der Sache „Kapital“, diese
Kunst-Person, trennt also die zwecks „Produktion“ zusammengeführten und
zusammengehörigen Sachen und trennt zugleich auch die Sache „Arbeitskraft“ von
den „Früchten“, die aus dem Zusammenwirken hervorgehen.
Und
wieder zeigt sich, wie sehr das römische Recht dieser Abkehr entgegen kommt:
Die
römische Familie stand, von Ausnahmen abgesehen, im Eigentum des Hausvaters.
Die Rechtsstellung des germanischen Familienvaters war schwächer; er war
Oberhaupt, aber nicht Eigentümer; Eigentümer war die Familie selbst – und jedes
Familienmitglied war an ihr beteiligt. Die Abkehr von der „Kollektivperson“
bewirkt also im Falle der Unternehmung, dass sie zum Privateigentümer all
dessen wird, was in ihrem Inneren an Vermögen „kollektiv“ neu geschaffen wird. Im
Mittelpunkt steht dabei der „Zugewinn“, der nach familienrechtlichen Kriterien
im Falle einer Scheidung unter den Ehepartnern, nach sozialrechtlichen
Kriterien unter den Gliedern der Unternehmung aufzuteilen wäre.
****
Wie bereits erwähnt:
Kants „auf dingliche Art persönliche Recht“, dieses
Binnenrecht „organisierter“ Wesen, dient ihm einer Neuinterpretation des
Austausches von Lohnarbeit und Kapital. „Ding“ und „Person“, Schuld- und
Sachenrecht sind darin zur Einheit gebracht. Um deutlich zu machen, dass beide
Elemente nur einen Teil der Beziehung abdecken, die beide Seiten eingehen,
gebraucht Gierke den Oberbegriff Arbeitsverhältnis.
Damit ist hervorgehoben, was Marx unter „objektiver Assoziation“ fasst: die Zusammenführung
und Vermittlung zweier Teile in einem Übergeordneten und durch dieses. Beide Teile sind die „Glieder“ eines Ganzen. Weil die Partner sich auf dem Markt
erst finden und binden müssen, wird das schuldrechtliche Element Teil des Arbeitsverhältnisses.
Aber Gierke lässt keinen Zweifel daran, dass das objektive, das vorgegebene
Element „Kollektivität“ im Vordergrund steht. Ja, das Arbeitsverhältnis ist
auch Schuldvertrag, aber nicht in erster Linie. „[D]as moderne geschäftliche
Unternehmen [ist] eine Form personenrechtlicher Verbindung“! Zäumt man diese
Verbindung von hinten, vom Vertrag auf, wird hingegen das nachgeordnete Element
tonangebend gemacht. Aber: „Löst da wirklich das gemeine Privatrecht seine
Aufgabe, wenn es gleich dem Vogel Strauß den Kopf in den Busch steckt und bei
dem lügenhaften Schema des streng individualistischen reinen
Obligationenrechtes verharrt?“[55]
Und die soziale Folge dieser Lüge: Die Einordnung des Arbeitsvertrages in das
Schuldrecht „gibt den … Arbeiter dem Kapitalisten wehrlos in die Hand.“[56]
Der
schuldrechtliche Vertrag steht eher am Rande. Die Zweier-Beziehung tritt hinter
eine Dreiecks-Beziehung zurück bzw. – wie Gierke formuliert – hinter den
„Organismus“. Wer nur einen Austausch von „Dingen“ sieht oder sehen will, verfehlt
also diese körperschaftliche Dimension. Nicht nur die Arbeitskraft, sondern der
ganze Mensch wird in die Unternehmung „eingegliedert“[57],
untersteht als „Glied“ ihrem „Plan“ und ihrer „Direktion“. Die Folge: er büßt
während der Arbeitszeit einen Teil seiner Souveränität ein, er tauscht seinen
Status als „Person“ gegen den minderen Status als „Glied“ ein. Ein Verlust, der
zugleich ein Gewinn ist. Denn als „Glied“ ist er mehr als bloß „Sache“. Es bezeichnet
eine Rechtsstellung und ein Beteiligungsverhältnis am Zugewinn der
Unternehmung.
Im
„Glied“ sind die beiden Grundelemente des „auf dingliche Art persönlichen
Rechts“ zusammengeführt: „Ding“ und „Person“. Die „Gliedschaft“ ist das neue,
das gegenüber „Rom“, weiterführende Element der Wirtschaftsfamilie. Sie
betrifft beide: Der „Freie“ wird zum Glied erniedrigt und der Sklave wird dazu
erhöht. Die Feudalität beendet das „römische“, rein sachenrechtliche,
Verhältnis zum Arbeiter. Sie ersetzt es durch ein personenrechtliches
Verhältnis, das für beide Seiten Rechte und Pflichten bereit hält. Dieses Neue
und Weiterführende überlebt den Zerfall der Wirtschaftsfamilie und setzt sich
in ihren Zerfallsprodukten - „Kleinfamilie“ und „Unternehmung“ - fort. Jedermann
ist dort „Glied“, wenn auch die individuelle Stellung und die individuelle
Aufgabe innerhalb der „Verbandsperson“ eine ganz verschiedene und ungleiche
ist, wenn auch der eine ein „schwaches“, der andere ein „starkes“ Glied ist,
wenn auch der eine oben steht, der andere unten.
Das
Glied hat – gebunden an seinen jeweiligen Aufgabenkreis im Unternehmen – Rechte
und Pflichten, die zu einer konkreten „Rechtsstellung“ führen. Mathematisch
gesehen, nimmt das „Glied“ eine Mittelstellung zwischen „Person“ und „Sache“
ein. Und das kann man auch für das Recht sagen, das sich um den Begriff „Glied“
rankt und von Gierke „Personenrecht“ genannt wird – ein Recht, das sich als
Binnenrecht der Verbandsperson versteht. Es hat die Rechte und Pflichten der
Glieder zum Gegenstand. Es ordnet sie in den Organismus der „Verbandsperson“
ein; es weist ihnen ihre Stellung in der “Glieder-Hierarchie“ zu.
„Gliedstellung“ und „Rechtsstellung bilden eine Einheit.[58]
Im Übrigen ist die Person damit
nicht negiert. Gierke zeigt nur auf, dass ihr Freiheitsraum tatsächlich
geringer ist als fleißige Ideologen behaupten und die juristische Konstruktion
vorspiegelt. Das „Glied“ ersetzt die Person in einem Bereich, wo diese ohnehin
nur Fiktion ist.
„Gliedschaft“
statt Sklaventum. Für Gierke ist es undenkbar, „dass wir hier auf die Dauer bei
dem im römischen Sklavenrecht wurzelnden Schema der nach dem Muster der
Sachmiete geformten Dienstmiete stehen bleiben.“[59]
Er betont: was für die „Wirtschaftsfamilie“ galt, gilt auch für die jetzige Unternehmung.
Auch sie ist vom Recht durchdrungen, jedoch – aristotelisch gesehen – nicht von
einem kommutativen, sondern von einem distributiven Recht, von einem Recht
also, das aus dem Rahmen des jetzt tonangebenden Privatrechts fällt.
Das
römische Recht ist für die Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft nicht
gemacht. Was so nah erscheint, ist durch tausend Jahre von uns getrennt. Das
Verhältnis Lohnarbeit – Kapital war in Rom unbekannt, zeigt sich dort allenfalls
als Vorstadium. Wo sich auch damals schon ein Freier als Arbeiter verdingen
musste, fand die Praxis daher auch nur eine pragmatische, begrifflich[60]
„unsaubere“, Lösungen, die die Grenzen
des römischen Rechts aufzeigen.
*****
Gierke
hat als Quelle des „Sozialrechts“ den zentralen – besser: den „zentralsten“ –
Lebensbereich erkannt und ihn dem juristischen Dunkel entrissen: die Sphäre der
Produktion und der Arbeit. Sein Verdienst ist es, eine Dimension des
Privatrechts (wieder-)entdeckt zu haben, die außerhalb der herkömmlichen Einteilung
gelegen ist und bis heute – gerade heute – ignoriert oder geleugnet wird. Jener
Teil des Rechts ist entdeckt, der Ansprüche des Lohnarbeiters formuliert und
durchsetzbar macht, die über den bloßen Lohnanspruch hinausgehen.
Aus
der „Kollektivität“ des Vorgangs „Produktion“ folgt, dass der „Zugewinn“ daraus
Eigentum der „Kollektivperson“ wird. Und dieser muss an alle, die ihr als
Glieder angehören, verteilt werden – wenn auch je nach ihrer „Stellung“ im
Unternehmen, also nicht unterschiedslos.
Gierke
gelangt zu einem individuell einklagbaren Anspruch der Glieder auf Beteiligung
am Zugewinn. Es sind privatrechtliche Ansprüche, die vor die
Zivilgerichte gehören. Der Begriff „Sozialrecht“ hat damit bei ihm eine andere
und ungleich tiefere Bedeutung als der uns geläufige. Heute verbindet sich mit
ihm eine dem öffentlichen Recht zugeordnete Materie, die als geltendes Recht im
vor-digitalen Zeitalter meterweise Regalwand beanspruchte und alle Ansprüche
regelt, die der bedürftige Bürger gegen den Staat hat. Rechte dieser Art stehen
bei Gierke nicht im Mittelpunkt. Sein „Sozialrecht“ ist ein besonderes
Privatrecht, das dem Lohnarbeiter Ansprüche aus seiner Tätigkeit in der
Produktion zuspricht, die über seine schuldrechtlichen Ansprüche hinausgehen.
Nicht
der Staat ist für Gierke die Quelle der sich aus dem Sozialrecht ergebenden
Ansprüche, sondern die Produktionseinheiten, in denen der werktätige Mensch
sein Arbeitsleben verbringt. Gegen sie, nicht gegen den Staat, sind die
materiell-rechtlichen Ansprüche gerichtet, die sich aus der „Gliedschaft“
ergeben.
Gierke
nähert sich der sozialen Problematik nicht, indem er für eine Seite, für einen
der Teile, Partei ergreift, sondern von „oben“, vom „Ganzen“. Seine Warte ist
die der „Wirtschaftsfamilie“ und des „Zugewinns“. Das bewahrt ihn vor
einseitiger Parteinahme. Marx hingegen ergreift Partei für eines der Teile. Er
nimmt eine Gegenposition ein, nicht die der „Vermittlung“. Seine
Mehrwerttheorie geht davon aus, dass nur die „lebendige“ Arbeit den Mehrwert
erzeugt, dass dieser dem Proletarier also ganz entzogen wird und nicht nur
anteilig. Er sieht in den beiden Teilen nicht Partner, sondern Gegner.
Erklärlich, dass er von dieser Position aus kein Interesse an einer Vermittlung
haben kann, ja eine solche nicht nur weiträumig meidet, sondern sie mit aller
Schärfe bekämpft. Vermittlung ist der Tod der Revolution. Aus dem gleichen
Grunde hat er kein Interesse an der juristischen Aufarbeitung des Innenlebens
der Unternehmung. Für die Revolution ist es besser, wenn der Proletarier dem
„harten“[61]
Schuldrecht ausgesetzt ist als einem Personenrecht a la Gierke.
Gierkes
„Sozialrecht“, verstanden als jener Teil des Privatrechts, der die
Binnenbeziehungen der Verbandsperson „Unternehmung“ abbildet, hat sich in der Hauptsache nicht als ein
Bestandteil unserer Rechtsordnung durchsetzen können. Gleichwohl ist sein
Wirken nicht erfolglos geblieben. Jedoch ging die Entwicklung andere Wege. Sie
folgte eher Hegel als ihm.
Hegel
gelangt, gestützt auf die Erkenntnisse aus seiner „Wesenslogik“ in seiner
praktischen Philosophie zum „Sozialstaat“. Über seine, in den „Not- und
Verstandesstaat“ der bürgerlichen Gesellschaft inkorporierten Elemente
„Polizei“ und „Korporationen“ korrigiert er die Gerechtigkeitslücken, die ein „römisch“
verstandenes Privatrecht mit sich bringt, mildert sie jedenfalls so ab, dass
die Gefahr einer „Desorganisation der bürgerlichen Gesellschaft“ gebannt ist.[62]
Und
dennoch:
In
der Sache stehen sie sich nahe. Denn auch Hegel versteht den Anspruch des
„Bedürftigen“ als (Privat-)Rechtsanspruch. Aber mit seiner Lösung begegnet er einem
zentralen Problem des sozialrechtlichen Anspruchs a la Gierke: der
Schwierigkeit, ihn in der Praxis zu realisieren. Man denke nur daran, dass der Lohnarbeiter in seinem Arbeitsleben regelmäßig
gezwungen ist nicht nur eines, sondern mehrere Arbeitsverhältnisse einzugehen.
Und jedes Ende eines solchen wäre ein Auseinandersetzungsfall. Hinzu kommt, was jeder Praktiker weiß: wie schwer
gesamthänderische Ansprüche vor Gericht zu handhaben sind. Ein individuelles
Vorgehen würde also die Justiz überfordern und für die Anspruchsteller de facto
Rechtsverluste bedeuten. Hier liegt also der Schwachpunkt. Deswegen bietet die
Hegelsche Sozialstaats-Lösung die größeren Vorteile. Mit ihr verbindet sich die
Übertragung des privat- bzw. sozialrechtlichen Anspruchs auf den Staat bzw. auf
ihm zu- und nachgeordnete Einrichtungen mit dem Auftrag, diesen für die Berechtigten geltend zu machen. Und
auch an dieser Lösung kann sich Gierke über
seine Mitgliedschaft im 1873 gegründeten Verein für Socialpolitik beteiligt
sehen. Denn dieser Verein bewirkte
durchaus einiges von dem, was im deutschen Reich unter Bismarck als
„Sozialstaat“ begann und sich im
heutigen Sozialstaat fortgesetzt hat. Auch das aus den politischen und
gewerkschaftlichen Kämpfen der Arbeiterbewegung hervorgehende kollektive
Arbeitsrecht, wie es ab Ende des 19. Jahrhunderts zum festen Bestandteil der
Praxis wird, steht der Intention Gierkes sehr nahe – und so wurde das auch von
Hugo Sinzheimer u.a. anderen gesehen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben,
diese Materie auf den Begriff zu bringen. Gleichwohl ist hier noch vieles offen
geblieben – theoretisch wie praktisch.[63]
Ebenso sind aber auch viele positive Ansätze dieser Zeit wieder aufgegeben oder
zugeschüttet worden. So die Erkenntnisse des sog. „Institutionalismus“, die
dahin führen, das Unternehmen als eine „Arbeits- und Betriebsgemeinschaft“ zu
sehen, die abgelöst vom Betriebsinhaber bzw. von den Gesellschaftern besteht.
Wurden sie zur Seite gelegt, weil sie von Faschisten und Nationalsozialisten
aufgegriffen und, erweitert auf die Ebene des Staates, zur Begründung
totalitärer Staatlichkeit missbraucht wurde? Oder deshalb, weil die damals
starken Gewerkschaften sich darauf beriefen?[64]
Tatsache ist, dass sie in die heile liberale und neo-liberale Denkwelt nicht
hineinpassen und aus dieser Sicht als vom Teufel selbst abstammend angesehen
werden, wenn man sich ihre praktischen Auswirkungen vor Augen führt.
Die
personenrechtliche Auffassung Gierkes dominierte noch bis in die 70-er Jahre
des 20. Jahrhunderts die arbeitsrechtliche Diskussion in der BRD.[65]
Und sie war noch bin in die 80-er Jahre fester Bestandteil der Rechtsprechung,
erst jener des Reichsarbeitsgerichts[66],
dann der des Bundesarbeitsgerichts. Dann aber wurde sie, nahezu neunzig Jahre
nach Inkrafttreten des BGB, mit der vergleichsweise billigen Begründung
verabschiedet, sie sei „mit der eindeutigen gesetzlichen Regelung des
Arbeitsverhältnisses in § 611 ff. BGB als schuldrechtliches Verhältnis“ nicht
vereinbar.[67]
Hilfsweise wird darauf verwiesen, dass heute jedes Arbeitsverhältnis in eine
Unzahl öffentlich-rechtlicher Normen eingebettet ist, deren Aufgabe es ist, den
pfleglichen Umgang mit der Arbeitskraft des Arbeitnehmers durch das Unternehmen
sicher zu stellen. Die Person des Arbeitnehmers sei also ausreichend geschützt,
so dass es schon von daher entbehrlich sei, das Arbeitsverhältnis
personenrechtlich zu interpretieren.
Warum
diese Abkehr jetzt und warum mit so dürftiger Begründung?
Ein
rigider Wirtschaftsliberalismus brach sich Bahn. Von Keynes zu Friedman, zu
Mises, zu Hayek. Zurück zum Manchestertum. Erst in der Theorie, dann auch in
der Praxis. Mit dem Amtsantritt Reagans wurde seit Anfang der 1980er Jahre die
wirtschaftsliberale Rezeptur nicht nur zur Politik der USA, sondern auch zur
Politik nahezu aller Staaten. Die global agierende Wirtschaft trat ihren
Siegeszug an. Nationalstaatliche Beschränkungen, wo es solche gab, wurden
beiseite geschoben - auch in Deutschland. Die von Gierke damals beklagte
„schonungslose Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher Übermacht“[68]
erlebte ihre Wiedergeburt und einsamen Höhepunkt. Eine in der Geschichte
beispiellos dastehende Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten
ganz Weniger setzte ein. Man denke an das Auseinandertriften der Einkommen seit
dem Jahre 1980, das längst die Grundfesten vieler nationaler Gesellschaften und
ihrer politischen Systeme erschüttert. In Windeseile vergrößerte sich (in den
USA) der Abstand zwischen den durchschnittlichen Arbeiterlöhnen und den Löhnen
der Topmanager von 1: 40 auf den Wert 1:400 (Stand im Jahr 2006). Das führt
schon längst – und trotz aller Predigten an die ausgeschlossenen
Bevölkerungsschichten, nicht dem „Sozialneid“ zu verfallen – zur
„Desorganisation der bürgerlichen Gesellschaft“[69].
Diese Kluft hat auch einem Donald Trump den Weg ins Präsidentenamt geebnet und
wird sicher auch in Europa noch so manchen Oligarchen auf den Thron bringen.
Was
nun diese „Fabrikgesetzgebung“ zum Schutze der Arbeitskraft, die es, wenn auch
nicht im heutigen Umfang, bereits zu Zeiten Gierkes gab, anbelangt:
Sie
hat nicht zu tun mit der privat- und damit eigentumsrechtlichen Dimension, um
die es Gierke geht. Aber gerade diese Dimension ist gemeint und getroffen, wenn
das „personenrechtlich“ aus dem Sprachgebrauch des Arbeitsrechts verbannt wird.
Denn nichts passt weniger zur neo-liberalen Theorie und Praxis als ein auf
diesen Begriff fußendes Verständnis des Arbeitsverhältnisses.
Gleichzeitig
zeigen aber die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, dass der neo-liberale
Kapitalismus auf die Freiheit vom Staat nur pocht, wenn alles gut läuft. In
solchen Zeiten werden die Gewinne eingestrichen und die Unternehmen „schlank“
gehalten. Aber die nächste Krise, der nächste Einbruch des fragilen
Wirtschaftssystems ist gewiss. Und die Zeit kommt, wo die Profiteure des
Neo-Liberalismus den Staat am lautesten und am erfolgreichsten um
„Staatshilfen“ angehen.
******
Viele
kennen ihn. Aber wer folgt ihm? Wie Hegel schwimmt er gegen den Strom. Wie
dieser gilt er, was seine Staatslehre
anbetrifft, nicht Wenigen schon zu Lebzeiten als ein Apologet des preußischen
Machtstaates. Er taugt nicht zur
Legitimierung der Weimarer Republik. Und obwohl unter dem Stichwort
„Gemeinschaft“ der erste Anschein dafür sprach, obwohl viele Stimmen auf ihn
wiesen: Gierke wurde auch im „Dritten Reich“ nicht wiederentdeckt. Reinhard
Höhn[70]
nahm im Auftrag der Partei eine Tiefenprüfung vor. Für ihn ist „Gierkes
Rechtssystem der letzte große Pfeiler, der uns im Kampf um die Rechtserneuerung
… entgegensteht.“[71] Sein
„Fehler“ war, dass er die von ihm erkannte verbandsinterne „Gliedschaft“ nicht
auf das Staatsganze erstreckt, dass die Unterscheidung von Staat und
Gesellschaft für ihn eine Errungenschaft von bleibenden Wert, ein
„Fundamentalprinzip“[72]
ist und bleibt. Insoweit ist Höhn also recht zu geben:
Gierke
war kein Vordenker dieser Zeit und dieser Leute. Er steht fernab des
„Völkischen“. Gierke war ein Liberaler. Jedoch kein Dutzendliberaler. Er sieht
nicht im Atom – in der egoistischen Person – die soziale Grundeinheit, sondern
im Molekül – in der Kollektivperson.
Gierke
und sein Werk waren meines Wissens in der DDR nie Gegenstand einer
wissenschaftlichen Untersuchung. Und hätte es eine solche gegeben, hätte man
seine sozialrechtliche
Anschauungsweise sicher als eine Ausgeburt des geschmähten „Juristensozialismus“[73] angesehen.
Im Übrigen hätte auch hier einer positiven Beurteilung entgegengestanden, dass
Gierke das „Fundamentalprinzip“, die Einteilung in privates und öffentliches
Recht nicht infrage stellt. Das passt nicht zu einer Gesellschaft, in der alles
Recht öffentlichen Charakter trägt.[74]
Und
die Bundesrepublik? Wenn er auch in ihrer Sozialstaatlichkeit fortlebt: Kaum
einer wird behaupten, dass sie ihn wiederentdeckt hätte. Wieder steht im Wege,
dass Gierke kein Dutzendliberaler ist. War es in den auf 1933 folgenden Jahren
das „Völkische“ und das auf „Volk“ gegründete Führertum, die ihm abgingen, so
stört jetzt seine im Bereich des Produzierens angesiedelte „Kollektivperson“.
Gierke
passt nicht in das heute vorherrschend gewordene neoliberale Weltbild. Er
leuchtet zu tief in einen Bereich hinein, dem das Dunkel lieb ist. Ein Bereich,
der gerade in der Gegenwart Ort einer beispiellosen Umverteilung des
gesellschaftlichen Reichtums zugunsten weniger ist und es nach dem Willen
dieser wenigen auch bleiben soll. Er legt das „Versteck“ offen. Er rührt an
etwas, das unberührt bleiben möchte.
[1] Vgl. dazu: Georg Gurwitsch, Otto v. Gierke als
Rechtsphilosoph, Logos, XI. Bd. (1922/23), S. 86-132. Soweit ich sehe, bringt
lediglich W. Schönfeld (Puchta und Hegel, in: Rechtsidee und Staatsgedanke, FS
f. J. Binder, Berlin 1930, S. 29) Gierke mit Hegel in Verbindung: O. v. Gierke,
dessen Lehre, wenn auch „vielleicht unbewusst vom Geiste Hegels lebt.“
[2] Hans
Kiefner,
Der Einfluss Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im 19. Jahrhundert,
in: J. Blühdorn, J. Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft,
Frankfurt a.M. 1969, S. 3-26.
[3] Otto (v.) Gierke, Johannes Althusius und
die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, Berlin 1880, ND Aalen 1981
(7. Aufl.), S. 120 f.
[4] S. dazu: Erich Kaufmann, Über den Begriff des
Organismus in der Staatslehre des 19. Jahrhunderts, in: Rechtsidee und Recht,
gesammelte Schriften Bd. II, Göttingen 1960, 46 ff.
[5] Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, §
22 ff.
[6] Otto (von) Gierke, Althusius, (Fn. 3),
S. 96.
[7] Diese
Problematik ist Gegenstand des Beitrags „Hegels Zwei-Naturen-Lehre“ – auf
dieser Plattform.
[8] Otto (von) Gierke, Althusius, (Fn. 3),
S. 95 f.
[9] Verwiesen sei
auf den Beitrag „Vom Sein zum Bewusstsein“ – hier auf dieser Plattform.
[10] In der
„Begriffslogik“ weist er uns den Weg zu ihr.
[11] Die „vernünftige
Institution“, wie Gertrude Lübbe-Wolff
formuliert: Die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: B.
Sandkaulen/V. Gerhardt/W. Jaeschke [Hrsg.], Gestalten des Bewusstseins. Genealogisches
Denken im Kontext Hegels, Hamburg 2009 [HS, Beiheft 52], S. 330.
[12] G.W.F. Hegel, GW 11 (Lehre vom Wesen; das
Verhältnis des Ganzen und der Teile), S. 142 ff., § 141 Rechtsphilosophie.
[13] Die Ära
zivil-religiöser Deutungen setzt mit Rousseau ein. Das Zeitalter der
Philosophie geht über in das Zeitalter der Ideologie. Grundlegend dazu: Hermann Lübbe, Staat und Zivilreligion.
Ein Aspekt politischer Legitimität, ARSP Beiheft Nr. 15, Wiesbaden 1981, S.
40-64.
[14] Vgl. G.W.F. Hegel, GW 12 (Lehre vom Begriff)
S. 39.
[15] Otto (v.) Gierke, Die soziale Aufgabe …,
S. 24.
[16] Natur? Davon gibt es genug.
Ricardo und Marx sehen die Natur als eine grenzenlose, unerschöpfliche
Ressource. Die Frage, wie sie sie trotz pausenloser und sich pausenlos
intensivierender Ausbeutung zu erhalten ist, ist nicht ihre Frage. Vereinzelte
Warnungen, „die der Existenz der Erde selbst ein mögliches, ihrer Bewohnbarkeit
aber ein ziemlich sicheres Ende
[vorhersagen]“, werden von F. Engels als „konservativer Vorhalt“ (MEW 21, S. 268f.)
zurückgewiesen. In diesem Punkt stimmen die Vertreter des Kapitals und die
Vertreter des Proletariats überein. Beide Seiten sind sich sicher, dass die
Menschheit „noch ziemlich weit von dem Wendepunkt entfernt [ist], von wo an es
mit der Geschichte der Gesellschaft abwärts geht.“
[17] Siehe dazu: Bernd Rettig, Hegels sittlicher Staat,
Köln/Weimar/Wien 2014, S. 299 ff.
[18] Karl Marx, Grundrisse der Kritik der
politischen Ökonomie (Rohentwurf), Berlin 1953, S. 405: „Es steht dem
nicht im Wege, dass bei der Auflösung der Zünfte einzelne Zunftmeister sich in
industrielle Kapitalisten verwandeln; indes ist der Kasus rar und so der Natur
der Sache nach. Im Ganzen geht das Zunftwesen unter, der Meister und der Gesell,
wo der Kapitalist und der Arbeiter aufkommt.“)
[19] Otto (von) Gierke, Deutsches Privatrecht I (Allgemeiner Teil und Personenrecht), Leipzig 1895, S. 663.
[20] Otto (von) Gierke, Deutsches Privatrecht I, S. 697.
[21] Karl Marx, Grundrisse …, (Fn.18), S.
484.
[22] Karl Marx, Grundrisse …, (Fn. 18), S.
484.
[23] Gierke im
Artikel „Genossenschaftswesen“ für Bluntschlis
„Staatswörterbuch“, zitiert bei Spindler
(Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft, Frankfurt a.M. 1982, S. 53).
Circa 60 Jahre später schreibt Eugen
Rosenstock-Huessy (Vom Industrierecht. Rechtssystematische Fragen, in: Festgabe
für Xaver Gretener,
Berlin und Breslau 1926, S. 144) zum Thema: „Der einzelne Arbeitsvertrag … ist
nur die temporäre Konkretisierung der ‚höheren Notwendigkeit‘, Arbeitsverträge
einzugehen.“
[24] Marx unter dem
Stichwort „Direktion“.
[25] Karl Marx, Grundrisse … (FN 18), S. 185.
[26] Karl Marx, Grundrisse …, (FN 18), S.
362.
[27] Vgl. Karl Marx, Grundrisse …, (FN 18), S. 30.
Das scheint mir eine ganz wichtige, bisher nicht hinterfragte, Behauptung im
Rahmen der ökonomischen Theorie des Marxismus zu sein. Und es wird noch
deutlich werden, dass diese von Marx behauptete Diskrepanz wesentlich dafür
wird, dass Marx nicht Reformer, sondern Revolutionär wird.
[28] Entsprechend
beginnt der zweite Band des „Kapital“ (MEW 24, S.31) mit der „Formel für den
Kreislauf des Geldkapitals …: G – W … P … W‘ – G‘, wo die Punkte andeuten, dass
der Zirkulationsprozess unterbrochen ist, und W‘ wie G‘ ein durch Mehrwert
vermehrtes W und G bezeichnen.“ Der springende Punkt ist das „P“, stehend für
„Produktion“. Charakteristisch sei, dass sich der Produktionsprozess sowohl in
„Rom“ wie auch in der Moderne, in einem rechtsfreien Raum vollzieht. Das sieht
Gierke anders.
[29] Karl Marx, Grundrisse …, (Fn. 18), S.
30.
[30] Karl Marx, Grundrisse …, (Fn. 18), S.
409.
[31] So F. Neumann, Das Arbeitsrecht in der
modernen Gesellschaft, Recht der Arbeit 4. Jahrg. 1951, S. 1.
[32] Dieser vertritt
den Standpunkt, dass das Recht Roms auch das Recht der kapitalistischen Gesellschaft
ist, dass es „das reine“ Privatrecht ist, an dem „alle späteren Gesetzgebungen
nichts Wesentliches … zu bessern vermochten“ (MEW, Bd. 21, S. 397).
[33] Karl Marx, Grundrisse …, (Fn. 18), S.
157.
[34] Ohne
Quellenangabe zitiert bei Hans Krupa,
Genossenschaftslehre und soziologischer Pluralismus, Archiv für öffentliches
Recht 1941, S. 97 ff. [S. 99]).
[35] Das „Kapital“
erscheint 1867, der erste Band des „Genossenschaftsrechts“ 1868.
[36] Helga Spindler, Von der Genossenschaft
zur Betriebsgemeinschaft. Kritische Darstellung der Sozialrechtslehre Otto von
Gierkes, Frankfurt a. M., Bern 1982, S. 57.
[37] Otto (von) Gierke, Die soziale Aufgabe
des Privatrechts, Berlin 1889, S. 7.
[38] Friedrich Engels (MEW 21, S. 141 ff.,
besonders S. 149f.) bezeichnet es als die „historische Tat der Deutschen“, ihre
unentwickelten Zustände in die Konkursmasse Roms eingebracht zu haben. „Aber
nicht ihre spezifischen nationalen Eigenschaften waren es, die Europa verjüngt
haben, sondern einfach – ihre Barbarei, ihre Gentilverfassung“, ihr noch vor
der Institutionalisierung stehendes „Gemeinwesen“. Zustände, die elastisch
genug sind, um „Brücke“ zwischen Rom und der Neuzeit zu sein, die es
ermöglichten, „aus dem Schlamm der Römerwelt neue Staaten entstehen zu lassen.“
Das deckt sich mit Hegel, der (in § 358 Rechtsphilosophie) meint, dass die
Verbindung, die die Germanen mit Rom eingehen, einen „Wendepunkt“ darstellt.
[39] MEW 21, S. 149
f.
[40] Otto von Gierke, Naturrecht und
Deutsches Recht, S. 25.
[41] Otto von Gierke, Naturrecht und Deutsches
Recht, S. 29.
[42] Helga Spindler, Von der Genossenschaft
zur Betriebsgemeinschaft … (Fn. 37), S. 133.
[43] G. W. F. Hegel, Rechtsphilosophie, § 169.
[44] Otto (von) Gierke, Das Wesen der
menschlichen Verbände, Berlin 1902, S. 6.
[45] Siegfried Marck, Substanz- und
Funktionsbegriff in der Rechtsphilosophie, Tübingen 1925, S. 92.
[46] Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten, §
67.
[47] Siehe dazu: Erich Kaufmann, Über den Begriff …, (Fn.
4), S. 49 und die dort zitierten Stellen
aus Kants „Kritik der Urteilskraft“.
[48] Rein logisch
gesehen kommen zu den Schuld- und Sachenrechten sowohl ein „auf persönliche Art
dingliches“ als ein „auf dingliche Art persönliches“ Recht hinzu. Jedoch wird
nur das Letztere praktisch: Denn „[d]er Begriff eines auf persönliche Art dinglichen
Rechts fällt ohne weitere Umstände weg; denn es lässt sich kein Recht einer
Sache gegen eine Person denken.“ (Immanuel
Kant, Metaphysik der Sitten, S. 602).
[49] Immanuel Kant, Metaphysik der Sitten,
(Fn.46), S. 601 f.
[50] Hans Kiefner, Der Einfluss Kants …, (Fn.
2), S. 12 bezeichnet es als ein „Kuriosum“. Zur Kuriosität wird dieses Recht
aber nur dann, wenn man die Unternehmung als von einem oder mehreren
Kapitalisten geschaffene juristische Figur ansieht, nicht aber als die
eigenständige natürliche Person der Ebene der „Besonderheit“.
[51] Hegel
unterscheidet das „Produktiv-Eigentum“ in Gestalt der „lebendigen“ und
„vergegenständlichten“ Arbeit von dem Eigentum, das der Bedürfnisbefriedigung
dient. Ersteres ist notwendiges Eigentum,
jeder muss es haben, um „Person“ zu sein. Das andere Eigentum ist nur insoweit
ebenfalls notwendig, wie es dem Lebensunterhalt dient. Zu dem, was darüber
hinausgeht sagt er: „Was und wieviel Ich besitze, ist … eine rechtliche
Zufälligkeit.“ (§ 49 R). Näher ausgeführt ist diese Problematik in dem Beitrag
„Im Urteil der Hegelschen Philosophie- das Arbeitsverhältnis bei Savigny, Marx
und Gierke. Hier auf dieser Plattform..
[52] MEW, Bd. 23, S.
189.
[53] O. v. Gierke, Die Wurzeln des
Dienstvertrages, in: Aufsätze und kleinere Monographien Bd. II,
Hildesheim/Zürich/New York 2001, S. 855-886.
[54] Otto (von) Gierke, Die soziale Aufgabe, (Fn.
37), S. 36.
[55] Otto (von) Gierke, Die soziale Aufgabe, (Fn.
37), S. 41.
[56] Otto (von) Gierke, Die soziale Aufgabe, (Fn.
37), S. 31.
[57] Otto (von) Gierke, Die soziale Aufgabe, (Fn.
37), S. 34.
[58] Da die
„Rechtsstellung“ im „Dritten Reich“ und dann wieder im realen Sozialismus
(nicht nur) der DDR Furore machte, halte ich eine Bemerkung zum Unterschied für
notwendig: Für Gierke ist klar, dass sich seine „Gliedschaft“ und seine
„Rechtsstellung“ nur auf die Bereiche der ehemaligen „Wirtschaftsfamilie“
beziehen, also auf Kleinfamilie und Unternehmung. Seine „Rechtsstellung“ ist also privatrechtlich, enger gefasst:
„sozialrechtlich“, gemeint. Im „Dritten Reich“ und in der DDR trat die
„Rechtsstellung“ jedoch generell an die Stelle der subjektiven Rechte im
privaten wie öffentlichen Raum. Überall war dort die „Person“ durch das „Glied“
ersetzt, überall herrschte dort ein rechtliches Regime, wie es Gierke für das Innere
der „Verbandsperson“ beschreibt. Deshalb habe ich diese beiden Staatstypen an
anderer Stelle („Hegels sittlicher Staat“ und „Staat, Recht, Ökologie“),
ungeachtet der großen Unterschiede zwischen ihnen, als „Betriebsstaaten“
bezeichnet.
[59] Otto von Gierke, Die soziale Aufgabe, (Fn.
37), S. 32.
[60] Hier ist auf das
zu verweisen, was Hegel in § 40 seiner Rechtsphilosophie zur begrifflichen
„Unreife“ des römischen Rechts ausführt.
[61] Savigny mit
durchaus bedauernden Unterton zu den Folgen der von ihm favorisierten
Konstruktion: Dass jetzt „der Reiche den Armen untergehen lassen [kann] durch
versagte Unterstützung oder durch harte Ausübung des Schuldrechts“. (System 1,
371). Aber so ist es nun einmal; so ist das Recht. Die bissigen, überwiegend
polemischen Äußerungen des jungen Marx zu Savigny bzw. zur historischen Schule
(z.B. MEW 1, S. 380) gelten also nicht so sehr dem wissenschaftlichen Hauptwerk
Savignys, sondern dem als Gesetzgebungsminister Mitverantwortlichen für die
(z.B.) restriktive Zensurgesetzgebung, die Marx als Redakteur der Rheinischen
Zeitung zu spüren bekam.
H.
Freyer (Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19.
Jahrhunderts, Leipzig 1921, S. 93) zitiert Marx, der 1848 in einer Rede zum
Freihandel (MEW 4, S. 444 ff.) diesen insoweit befürwortet, wie er den
Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat auf die Spitze treibt, mit den
Worten: „In diesem revolutionären Sinne, meine Herren, stimme ich für den
Freihandel.“ Zur gleichen Rede äußert sich F. Engels 40 Jahre später so:
Freihandel bedeutete für Marx „Verrennung der Gesellschaft in eine Sackgasse,
aus der kein Entkommen möglich ist, außer durch eine vollständige Umgestaltung
der der Gesellschaft zugrunde liegenden ökonomischen Struktur.“ (MEW 21, S.
374).
[62] G. W. F. Hegel, Rechtsphilosophie, § 255.
Ausführlich dazu: Bernd Rettig,
Staat, Recht, Ökologie, (Fn. 17), S. 221 ff.
[63] Ernst-Wolfgang
Böckenförde nennt – unter Bezug auf Hegels §§ 254-256 Rechtsphilosophie –
diesen Teil 1983 „ein noch unaufgearbeitetes Stück seiner Rechtsphilosophie.“ –
Für Hegel sei die Korporation das „unentbehrliche Vermittlungsglied zwischen
bürgerlicher Gesellschaft und Staat, indem in ihr die Erwerbstätigkeit von den
bloßen Privatzwecken weggelenkt und zur bewussten Tätigkeit für einen
gemeinnützigen Zweck erhoben wird.“ Ernst-Wolfgang
Böckenförde, Demokratie und Repräsentation, Hannover 1983, S. 32.
[64] Vgl. dazu: F. Neumann, Demokratischer und
autoritärer Staat, Frankfurt/M. 1986, S. 69 ff.
[65] Siehe dazu: Friedhelm Jobs, Die Bedeutung Otto von
Gierkes für die Kennzeichnung des Arbeitsverhältnisses als personenrechtliches
Gemeinschaftsverhältnis, Zeitschrift für Arbeitsrecht, 3. Jgg. (1972), S.
305-343.
[66] Entscheidungen
des Reichsarbeitsgerichts, Band 1, Leipzig 1927/28 (Urteil vom 20. Juni 1928).
[67] Hansjörg Weber, Die Nebenpflichten des
Arbeitgebers, RdA 1980, S. 289-299 (292).
[68] Otto (von) Gierke, Die soziale Aufgabe, (Fn.
37), S. 29.
[69] G.W.F. Hegel, Rechtsphilosophie, § 255.
[70] Reinhard Höhn, Otto von Gierkes Staatslehre und
unsere Zeit, zugleich eine Auseinandersetzung mit dem Rechtssystem des 19.
Jahrhunderts,
Hamburg 1936.
[71] Ebd., S. 8.
[72] Otto von Gierke, Die Grundbegriffe des
Staatsrechts, Tübingen 1915, S. 92.
[73] S. dazu: Friedrich
Engels, Juristen-Sozialismus, Staat und Recht, Berlin 1954, S. 390-406. (nicht
in MEW enthalten!)
[74] Siehe dazu die
Ausführungen in FN 58.