Wo Schelling anfängt und Hegel zu Ende kommt: die Klärung des Begriffs „Natur“

(Der philosophische Naturbegriff)

 

Das Fazit einer Untersuchung zur ökologischen Relevanz der Philosophien Schellings und Hegels[1] lautet: „Für die Bewältigung der ökologischen Krise werden wir uns allerdings naturphilosophisch nur auf Schelling, nicht auf Hegel, berufen und stützen können.“[2]

Dieses Urteil steht nicht allein. Schelling steht im Geruch der größeren ökologischen Kompetenz, während Hegel bis heute eher nachgesagt wird, Apologet der Industriegesellschaft zu sein.

Die nachfolgenden Ausführungen sollen zeigen, dass Schelling zwar damit anfängt, den Naturbegriff der Aufklärung infrage zu stellen, es aber Hegel ist, der diese Aufgabenstellung bewältigt und den Naturbegriff einer Klärung zuführt.

Was hat es mit dem Naturbegriff der Aufklärung auf sich, weshalb gerät er in die Kritik?

Da ich mich dazu bereits ausführlich geäußert habe, auch im Rahmen des „Kaleidoskops“[3], sei hier nur kurz vorangestellt:

Die Philosophie der Aufklärung bringt uns eine „Austauschung“[4] des bis dahin „gültigen“ Naturbegriffs. Derjenige des älteren Naturrechts wird ersetzt durch den des jüngeren Naturrechts. Ein organisch-biologisch gefärbter Naturbegriff weicht jenem physikalischen, für den Descartes steht. Der geschilderte Vorgang hängt mit dem Umbruch zusammen, der den Übergang von der Vorherrschaft der „primären“ Natur zur Vorherrschaft jener Natur markiert, die ich als die „produzierte“ bezeichne. Er führt eine „neue Lage in der Naturphilosophie“[5] herbei, auf die Kant, auf die Fichte und Schelling und auf die dann auch Hegel Bezug nimmt.

Hut ab vor dem, was die Philosophie der Aufklärung leistet. Sie hebt in den Blick, was sich in der Praxis gerade Bahn bricht: die „produzierte“ Natur. Hut ab vor dieser „großen Anregung“. Aber inzwischen, nach „der ersten Befriedigung, welche diese Entdeckung gewährt hat“, zeigt sich deren Manko. Es besteht darin, dass sie alle Natur an Maßstäben misst, die der „produzierten“ Natur eigen sind. Die Folge: die „primäre“ Natur ist damit gezielt aus dem Bereich des Politischen verstoßen. Das erklärt die „Abgunst“[6], unter der sie Ende des 18. Jahrhunderts leidet. Fichte und Schelling machen sich auf, dieses Manko auszuräumen und experimentieren dazu mit „zwei Naturen“[7]. Mit dem Ziel, das „Ding an sich“ in den Gegenstandsbereich der praktischen Philosophie zurückzuführen, setzen sie an die Stelle des analytischen Verfahrens Kants die „wirkliche Construktion“[8]; ersetzen die Analyse durch die Synthese. Ein Bruch. Ein neuer Anfang. Eine „Revolte“.[9] „Ein blendendes Feuerwerk“[10]. Uneins sind sie sich aber bald darin, was jetzt den neuen „Einheitspunkt“[11] bildet. Jeder der beiden nähert sich ihm von der anderen Seite. Fichte meint, ihn in einem „Ich“ gefunden zu haben, dessen Freiheit darin besteht, alles außer ihm als Objekt anzusehen. Ein „Totschlag der Natur“, dem Schelling entgegensetzt: Alle Natur diesseits und jenseits der Trennlinie ist „tätiger Geist“, ist „Wille“, ist „Produktivität“. Da aber jene des „Ich“ über „jede Grenze hinausgeht“, da sich das „Ich als Subjekt jener unendlichen Tätigkeit“ zeigt, die keinen Raum für die „Produktivität“ der anderen Seite lässt, muss etwas her, das ihre „Hervorbringungen“ fesselt und bindet.[12] Nur was? Nur wie?

Hier ist die Natur der „sichtbare Geist“, dort ist der „Geist die unsichtbare Natur“[13]. Ihr Gemeinsames: beide sind „Produkt“ und „Produktivität“, beide sind „Intelligenzen“. Ein „Parallelismus der Natur mit dem Intelligenten“[14], mit dem Schelling die „Ich-Natur“ Fichtes zugunsten einer Dualität zweier Naturen korrigiert.[15] Das ist ein wichtiger Schritt nach vorn, über den Standpunkt der Aufklärung, über Kant und Fichte hinaus. Aber er bleibt beim Versuch stehen; beim Wort „Konstruktion“. Die „starre Gegensätzlichkeit zwischen Verstand und Vernunft“[16] wird nicht überwunden. Obwohl angekündigt[17]: die Konsequenzen aus diesem „Parallelismus“, zu ziehen in einer Wissenschaft, die die Transzendental- und die Naturphilosophie zur Einheit bringt, bleibt er schuldig.[18]

Nicht Schelling geht den nächsten, den entscheidenden Schritt, sondern Hegel.

Die „Konstruktion“ ist unvollendet. So hoch die „heuristische Bedeutung“[19] seines Ansatzes zu veranschlagen ist, so „genialisch“[20] er ist: auch Schellings Weg führt zum bloßen Standpunktwechsel, wenn er bei ihm auch auf Kosten der „Ich-Natur“ geht. Hegel bestätigt Schelling: Auch der „Geist“ ist Natur, weil er sich im „Produkt“ materialisiert. Und auch die Natur ist „Geist“, weil sie „Produktivität“ ist. Und dennoch: Auch sein Weg hat mit dem Fichtes gemeinsam, dass die beiden Naturen identisch gesetzt werden, wenn auch jeder der beiden „seine“ Natur zum Fixpunkt macht. Und gemeinsam gelangen so beide nur zu den „schlechtesten Weisen der Einheit“[21]. Notwendig ist, wie Hegel erkennt, eine konkrete Einheit, eine solche also, die auf den Gegensatz Bezug nimmt und diesen vermittelt.[22] Er sieht, was beide „Identitätsphilosophen“ nicht sehen: dass die Entgegensetzung auf eine dritte Natur verweist. Die „Vermittlung“ fehlt! Ein System „Natur“ ist erst gegeben, wenn die zwei entgegengesetzten Subjekt-Objekt-Naturen und ihre entgegengesetzten Zwecke über eine dritte, über die „Einheitsnatur“, vermittelt werden. 

Einheit statt Identität. Der objektive Idealismus ist geboren.

Zwei entgegengesetzte Naturen. Für den Dialektiker ist daher klar, dass es einer „Vermittlung“ bedarf. Denn er weiß, dass auch das Entgegengesetzte „Fleisch von seinem Fleische“[23] ist. Deshalb ist Dialektik „Fassen des Entgegengesetzten in seiner Einheit“[24]. Und diese „Einheit“ wiederum verweist auf eine spezifische Form des Seins, auf die über die Wesenslogik[25] zu erschließende „Einheitsnatur“, auf die „vernünftige“ Institution.

Der physikalische Naturbegriff ist Gegenstand von Naturwissenschaften, zu denen in diesem Zusammenhang auch die Gesellschaftswissenschaften zu zählen sind. Die „Einheitsnatur“ aber erschließt sich nur über die Logik, über die dialektische Logik, wie unbedingt hinzugefügt werden muss.

Zwei Naturbegriffe, der philosophische und der naturwissenschaftliche. Und was unterscheidet sie?

Hegels Antwort: Die „Idee“. Von ihr führt der Weg zur „Vernunft“ und zum „Vernunftbegriff“. Die „Idee“ ist „überhaupt etwas Vernünftiges“, nämlich das „objektiv Wahre“.[26]

Die „Vernunft“ steht für den sich selbst begreifenden Geist. Sie steht für ein Denken und Handeln, das  die Folgen für das „Ganze“ im Blick hat. Im Unterschied dazu ist das bloß „verständige“ Denken auf das ihm Gegenüberstehende gerichtet. Verstandesdenken ist naturwissenschaftliches Denken; es dient der „Aufklärung“ eines Objekts; es dient der Beherrschung der einen durch die andere Natur. Eine notwendige, eine legitime Denkart. Aber sie ist dort fehl am Platze, wo es um das „Ganze“ geht. Denn dieses hat bereits rein begrifflich kein solches Gegenüber in seinen Teilen. Von daher versteht sich der ständige Kampf, den Hegel gegen die „Verunstaltungen“ führt, die aus dem „Einbruch des verständigen Denkens in eine Sphäre [entstehen], die dem vernünftigen Denken vorbehalten ist.“[27] Denn es liegt nahe, dass das „Ganze“ mit den Augen eines Teils gesehen wird, das sich selbst als Ganzes geriert. Jede der beiden Denkarten hat also „Zuständigkeiten“. Mit Hegel spricht T. Litt daher von dem „bedenklichen Hang“ des Verstandes, „im Vertrauen auf die an seinen Gegenständen bewiesene Leistungskraft die Grenzen seiner Zuständigkeit zu überschreiten“[28].

Solches „Verstandesdenken“ von der Philosophie praktiziert, führt – wie bei Fichte - zu einer „verkehrte[n] Weise“[29] der Naturbetrachtung. Die „Einheitsnatur“ kommt ihm nicht in den Blick. Sein Gegenstand ist das Äußerliche und Gegenüberstehende. Nach Art der Naturwissenschaften[30] wird dabei dessen Binnenstruktur aufgeklärt. Abseits bleibt hingegen die spezifische Aufgabe der Philosophie, eine Antwort auf die Frage zu finden, wie das aus der „Entzweiung“ resultierende Schicksal des Menschen zu meistern ist.[31]  

Da die „produzierte“ Natur Resultat des „tätigen Geistes“ ist, wird sie von Hegel in der „Enzyklopädie“ unter der Rubrik „subjektiver Geist“ abgehandelt.[32] Zwei unterschiedliche, ja: gegensätzliche, „Geister“ also, die sich je in einer Natur materialisieren. Zwei Schöpfer und zwei Schöpfungsakte, die sich, biblisch gesehen, wie „gut“ und „böse“ gegenüberstehen.[33] Verklammert werden daher beide Schöpfer und beide Naturen in der vorneweg[34] abgehandelten „Idee“. Der Übergang von dort zur Natur (§§ 245-376 E) oder zum Geist (§§ 377-482 E) ist ein Übergang von der „Einheit“ zu einem der Entgegengesetzten. Wenn die entsprechenden Textstellen als die „dunkelsten“ im System Hegels angesehen werden, dann deshalb, weil übersehen wird, dass die „Idee“ weder mit der Natur noch mit dem Geist identisch ist. Sondern: sie ist ihre Einheit[35]. Der Geist ist also nichts anderes als ein Aggregatzustand der „produzierten“ Natur. Er zeigt sie in ihrem Werden. Die „primäre“ Natur hingegen ist weitgehend – und besonders aus der Sicht des Menschen - „fertige“ bzw. – wie Hegel formuliert – „vorgefundene“[36] Natur. Als bereits „äußerlich“ gewordener Geist, als „äußere Natur“[37], ist sie deshalb Gegenstand der „Naturphilosophie“. Wesentlich ist aber, dass sich nicht „Geist“ und „Natur“ gegenüberstehen, sondern: zwei „Geister“ und zwei Naturen.

Indem sie den Blick nur auf die eine, auf die „produzierte“, Natur richtet und sie zur einzigen Natur erklärt, schafft die Philosophie der Aufklärung die „Entzweiung“ aus der Welt. Eine Scheinlösung, mit der nichts gewonnen, ja, mit der für die „primäre“ Natur alles verloren ist. Die Aufgabe, eine „Einheit“ zu schaffen, bleibt. Hier setzt Hegel an; seine Philosophie widmet sich der Dialektik zweier gegensätzlicher Schöpfer und zweier gegensätzlicher Naturen. Sie ist der Kern des „System“[38]-Gedankens und erheischt notwendig jene dritte Natur, durch die die beiden Gegenüber relativiert und korrigiert werden. Darum geht es also, wenn Hegel seine Philosophie mit dem erklärten Ziel entfaltet, die ihm nicht genügenden „früheren Behandlungsarten des Naturrechts“ durch die Seinige abzulösen. Eine Korrektur zu Lasten der „produzierten“ und zu Gunsten der jetzt zur Seite geschobenen „primären“ Natur. In der „Differenzschrift“ und anhand des Lösungsversuchs Fichtes zeigt er, was zu tun ist: „Wenn die Aufhebung der Entzweiung als formale Aufgabe der Philosophie gesetzt wird, so kann die Vernunft die Lösung der Aufgabe auf die Art versuchen, dass sie eins der Entgegengesetzten vernichtet und das andere zu einem Unendlichen steigert. Dies ist der Sache nach im Fichteschen System geschehen.“[39]

Das kann nichts werden. Die „Entgegensetzung bleibt auf diese Art. ... Um die Entzweiung aufzuheben, müssen beide Entgegengesetzte, Subjekt und Objekt aufgehoben werden; sie werden als Subjekt und Objekt aufgehoben, indem sie identisch gesetzt sind.“[40] Als „Aufgehobene“ sind sie aufeinander bezogen; der sie trennende Antagonismus ist vermittelt.

Die Vernunft gebietet also, sich an die „Idee“ zu halten; an die „Idee“ des Menschen wie auch an die „Idee“ des Gemeinwesens. Geschieht dies nicht, stehen wir vor einer „halbierten Vernunft“[41]. Die „Idee“ erinnert an die anstehende Aufgabe, jetzt aus eigener Kraft herzustellen, was sich über tausende von Jahren von selbst, „naturwüchsig“, hergestellt hat: eine „Gestalt“, in der die Entgegengesetzten vermittelt, mithin zur Einheit zusammengeführt sind. Die „Idee“ ist die logische Konsequenz der „Entzweiung“. Da diese real ist, ist auch die Idee als „die Einheit des Begriffs und der Objektivität“ das „Wahre“.[42] Sie zeigt einen Menschen, der nicht Fleisch und Blut ist, dennoch aber Objektivität und Wirklichkeit besitzt. Sie zeigt eine Natur, die wirklich ist, deren Wirklichkeit sich aber nur über die Logik erschließt. Und sie spiegelt das Schicksal des Menschen wider, ein Zwitter zu sein - Resultat der einen, Ausgangspunkt der anderen Natur. Ein Schicksal, das nicht beseitigt werden kann, mit dem gelebt, dass daher „vermittelt“ werden muss.[43]

Während Kant in puncto Natur am Tatsächlichen klebt, also – gewissermaßen „vorsichtshalber“ - nur den sinnlich wahrnehmbaren Teil beider Naturen akzeptiert und den untergründigen „Rest“ zum „Ding an sich“ erklärt, macht es sich Hegel zur Aufgabe, diesen „Rest“ als eine Form des Seins sichtbar zu machen.[44] Denn das „Ding an sich“ ist in Wirklichkeit ein Unsichtbar-Materielles. Dieses sichtbar zu machen gelingt ihm mit Hilfe seiner „dialektischen“ Logik. Mit ihr zeigt er, was bisher verborgen blieb: Das „gestaltlose Sein“ seiner „Wesenslogik“[45]. Damit schließt er die Lücke, die bei Kant bleibt[46], weil dieser „Sein“ und „Begriff“ nicht zur Deckung bringen kann. Seine  dreidimensionale Sicht bringt zwei sich gegenüberstehende Naturen ans Licht, die in einer dritten, in einer „vernünftigen“ Natur, in der „Vernunftgestalt“, eingebettet und vermittelt sind. Diese Vernunftgestalt ist „enthüllte Wahrheit“[47]. Denn „die Idee“ ist „das an und für sich Wahre.“[48]

Die „Vernunftgestalt“ zeigt den Ausweg[49]. Sie institutionalisiert und exekutiert ein dauerhaft vernünftiges Miteinander zweier Schöpfer und zweier Schöpfungen. Sie verweist uns auf einen  Staat, der das weiterhin existierende „Ganze“ und dessen Erfordernisse repräsentiert und exekutiert. Jede Seite muss sich Einschränkungen gefallen lassen. Nach zwei Jahrhunderten des unhaltbaren Zustandes unbeschränkter Ausbeutung der „primären“ Natur und der Gewöhnung daran, trifft dies die bürgerliche Gesellschaft wie auch jenen Teil des Menschen, der auf sie entfällt am meisten und wird als unbillige Einschränkung dessen angesehen, was wir gemeinhin unter „Freiheit“ verstehen. Dabei sollte klar sein, dass die längst fällige Korrektur zu Gunsten der „primären“ Natur zugleich eine Korrektur zu Gunsten jenes Menschen ist, der ihr Teil ist. Im Übrigen käme sie spät genug. Denn längst geht es nur noch darum zu retten, was noch zu retten ist.

Wie Schelling sieht auch Hegel die Natur „philosophisch“. Aber über jenen hinaus sieht er sie als System Natur. Hegel hat damit im Blick, was Schelling und Fichte übersehen: Den zwischen den Naturen stehenden Antagonismus, die leergelassene Mitte, das „gestaltlose Sein“, das Fehlen einer Vermittlung. Dieser dritten, dieser „System-Natur“ gilt sein Augenmerk. Über sie führt er beide Naturen gleichberechtigt in die politische Organisation zurück. Beide sind sie „Tätige“, „Produzierende“, stimmt er mit Schelling  überein. Insoweit sind sie „identisch“. Dann aber trennen sich die Wege. Denn Hegel sieht, dass der Zweck des Produzierens jeweils ein anderer ist. Das macht sie zu „Entgegengesetzten“, deren „Einheitspunkt“ außer ihnen liegt. Das alles entzieht sie einer naturwissenschaftlichen Erklärung. Das erkannt zu haben ist seine große, aber bis heute kaum gewürdigte, ja überwiegend missverstandene Leistung. Von daher ist befremdlich, dass eher der „Naturenthusiast“ Schelling[50] Favorit der Politischen Ökologie ist, nicht aber er. Noch befremdlicher ist, wenn selbst eine naturalistisch-empirische Sichtweise[51] a la A. Comte mehr Anklang findet als die seine. Denn hier wie dort wird die Natur außerhalb des Menschen gesucht und gefunden.

Zwei Naturen, die man zwar physikalisch, nicht aber philosophisch über einen Kamm scheren darf. Zwei Menschen, die man zwar biologisch nicht trennen kann, aber logisch. Zwei Naturen, zwei Menschen, die als „Entgegengesetzte“ nicht physikalisch, nicht biologisch, sondern nur philosophisch fassbar sind. Deswegen insistiert Hegel in den Eingangsparagrafen zur „Naturphilosophie“ (§§ 245f.) auf eine Betrachtungsweise, die nicht konkurriert mit jener der Naturwissenschaften, sondern sich von ihr wie beschrieben unterscheidet.[52]  

Der philosophische Naturbegriff zielt auf eine „logische Ansicht“ der Natur. Und, bezogen auf das Leben: er zielt auf das „logische Leben als reine Idee“ – im Unterschied „von dem Naturleben, das in der Naturphilosophie betrachtet wird“[53]. Damit ist gesagt: Es geht hier nicht darum, die eine oder andere Natur zu beschreiben. Nicht Empirismus ist angesagt. Aufgabe ist vielmehr, die Ebene der Vermittlung zu finden[54]; hieraus ergibt sich das jetzige „Bedürfnis der Philosophie“[55].

Der physikalische[56] Naturbegriff hingegen hat eine abstrakte, quantifizierte Natur zum Gegenstand und ist an der „produzierten“ Natur orientiert. Als Philosophie macht sie der Physik Konkurrenz[57] und betrachtet sich insoweit als „eine neue Wissenschaft“[58]. Aber als Physik ist sie keine Philosophie mehr und als Philosophie kann sie keine Physik sein. Hier stimmt also etwas nicht. Diese Naturphilosophie verfehlt ihren Gegenstand. Bleibt es bei ihr, ist das für die Philosophie ein „ruinöser Irrtum“[59]. Hegel setzt ihr daher eine solche entgegen, die die menschliche Natur zum Gegenstand hat - was für ihn heißt: zwei Naturen. Er stellt also gegenüber: Die „eigentümliche Natur“[60] des Menschen und die Natur, die Gegenstand der Physik ist. Erstere Natur kann nur philosophisch aufgeklärt werden; nur die philosophische „Art und Weise des Denkens“[61] führt hier zum Ergebnis, nicht die physikalische.[62] Letztere bringt vielmehr ein „fremdartiges Interesse“ in das Thema hinein und in der Folge wird das, „worauf es bei der Erkenntnis der Wahrheit ankommt, verdunkelt.“[63]

Die Wahrheit des Geometers ist eine andere als die des Philosophen. Denn sie gelangt „nicht zu Unterschieden des Wesens, nicht zur wesentlichen Entgegensetzung oder Ungleichheit, daher nicht zum Übergange des Entgegengesetzten in das Entgegengesetzte, nicht zur qualitativen, immanenten, nicht zur Selbstbewegung“, sondern „abstrahiert“ davon.[64] Es gilt also zunächst „den Unterschied von Physik und Naturphilosophie“[65] herauszuarbeiten. Dabei zeigt sich: Den Physiker interessiert die „Stofflichkeit“ der Natur. Er fragt: Woraus besteht sie? Ihn interessiert nicht, ob die eine Natur „primär“ ist und die andere „sekundär“, ob die eine hervorbringend und die andere hervorgebracht ist. Er sieht beide Male nur eine Anhäufung von Atomen und Molekülen. Genereller: Der Physiker darf von der „Idee“ abstrahieren. Er darf ignorieren, dass „das Subjektive, das nur subjektiv, das Endliche, das nur endlich, das Unendliche, das nur unendlich sein soll und so ferner, keine Wahrheit hat, sich widerspricht und in sein Gegenteil übergeht, womit dies Übergehen und die Einheit, in welcher die Extreme als aufgehobene, als ein Scheinen oder Momente sind, sich als ihre Wahrheit offenbart.“[66] Er darf die Natur als Totalität betrachten. Er darf als Gerade betrachten, was tatsächlich ein Kreis ist.[67] Er darf sich zwecks Erkenntnisgewinns aus der Einheit ein Moment derselben „herausklauben“[68]. Und er darf sie mit dem Verstand betrachten. Ihm ist erlaubt, was dem Philosophen verboten ist. Naturwissenschaften sind Verstandeswissenschaften. Die Philosophie hingegen ist um die „Idee“ zentriert – oder, was dem gleich steht: um die Vernunft. Der Unterschied ist in § 214 E näher ausgeführt. Der Verstand ist auf das Erkennen eines Entgegengesetzten gerichtet, das um der Erkenntnis willen verabsolutiert und „unlebendig“ gemacht wird. Gegenstand ist eine „der Idee entfremdet[e] ... Natur [, die] nur der Leichnam des Verstandes“[69] ist. Die Vernunft hingegen hat ihren Ausgangspunkt in der Einheit, die „als die Einheit des Ideellen und Reellen, des Endlichen und Unendlichen, der Seele und des Leibs“ gefasst wird. Für den Verstand sind das sich gegenseitig ausschließende Gegenstände. Er hat daher „leichte Arbeit, alles, was von der Idee gesagt wird, als in sich widersprechend aufzuzeigen.“[70]

Der Naturwissenschaftler begnügt sich mit „Wechselwirkung“ von Totalitäten, also mit „äußerlicher“ Reflexion, „die nicht in die Idee selbst“ fällt. Das ist nicht Dialektik. Das ist nicht Vernunft. Denn alle drei sind miteinander verknüpft; „die Idee ist selbst die Dialektik“. Idee = Vernunft = Dialektik. Das vom Verstand geschiedene, von ihm endlich gemachte und mit dem „falschen Schein der Selbständigkeit“ versehene wird über sie „in die Einheit zurückgeführt.“[71]

Der Naturwissenschaftler favorisiert das „Stoffliche“. Der Philosoph hingegen abstrahiert davon. Da die „produzierte“ Natur sich nicht durch das „Stoffliche“ von der anderen unterscheidet, sondern durch ein „Geistiges“[72], fragt er: Was ergibt sich aus der Existenz zweier gegensätzlicher Naturen für den Menschen? Wie kann der Gegensatz überbrückt bzw. vermittelt werden?

Beide, Naturwissenschaftler und Philosoph, fragen: „Was ist die Natur?“[73] Ersterer antwortet darauf: Hier und da eine Ansammlung von Atomen und Molekülen, die chemisch, physikalisch, biologisch zu bewerten ist – und schließt daraus auf eine einzige Natur. Dass der Kalkfelsen zur einen, die daraus gefertigten Autobahnen oder Wohnsilos zur anderen Natur gehören, gerät dabei aus dem Blick. Eine Philosophie, die sich dem physikalischen Naturbegriff anschließt, erfasst daher nur jene Seite des modernen Menschen, die sich aus seiner Zugehörigkeit zur „produzierten“ Natur ergibt. Aber wie Hegel zeigt: Der Mensch ist „organisch“ und „unorganisch“, er ist „Organismus“ und „Nicht-Organismus“. Beides macht sein Wesen aus. Dieses aber verfehlt, wer nur so oder so herangeht. Der Mensch wird dann getrennt von der Natur – von der einen oder der anderen. Eine nur-atomistische Betrachtung führt also dazu, ihn zu Lasten seines „organischen“ Teils „unter die mechanischen und chemischen Verhältnisse der gemeinen Objektivität“ zu stellen.[74]

Der Philosoph fasst den Gegensatz ins Auge. Aus ihm schlussfolgert er, dass beide Naturen durch ein Drittes vermittelt werden müssen. Mit dem Ergebnis: Jede der beiden Naturen muss zurückstecken, muss von ihrem Anspruch „Totalität“ zu sein, Abstand nehmen und sich mit weniger begnügen. Da bisher die „organische“ Natur lediglich als Objekt der Ausbeutung durch die „produzierte“ Natur gesehen wurde, sollte klar sein, dass diese Einschränkung der ersteren zugute kommt, die andere aber in ihre Schranken verweist.

Was biologisch gesehen ein Mensch ist, ist philosophisch gesehen „zwei Menschen“. „Logisch“ gesehen ist der Mensch aus Fleisch und Blut spätestens mit der Emanzipation der „produzierten“ Natur ersetzt durch die „Idee“. „Biologisch“ gesehen ist dieser „logische“ Mensch jedoch eine Unmöglichkeit. Wie die „produzierte“ Natur ist auch der „produzierte“ Mensch eine Gestalt, die nur durch Formierung und Anerkennung geschaffen wird. Die biologische Einheit entpuppt sich daher, philosophisch gesehen, als Schein, der dazu genutzt wird, mit „dem Menschen“ zu wuchern, wo in Wirklichkeit nur die „Person“, also der „halbe“ Mensch steht.

Zwei entgegengesetzte Begriffe von „Natur“, die, wie Zunke schreibt, zwar „gleichermaßen modern, aber nicht gleichermaßen fortschrittlich sind“[75]. Der physikalisch-positivistische sagt nichts aus über die menschliche Natur. Er bestärkt den Eindruck, als sei die „primäre“ Natur ein Äußerliches, ein vom Menschen Getrenntes. Er kommt damit dem Bedürfnis entgegen, eine Sonderstellung des Menschen zu behaupten und sein unnatürliches Verhalten dieser Natur gegenüber zu beschönigen und zu rechtfertigen.[76] Anders Hegel. Ihm zeigt sich die Zerstörung der Natur als die Zerstörung auch des Menschen. Er lässt daher keinen Raum für jene Anthropozentrik, die uns den Blick vor dem Ernst der Lage vernebelt und einem konsequenten Handeln entgegensteht.

Zusammenfassend hierzu: Soweit Hegels Philosophie von Aktivisten der ökologischen Bewegung mit Skepsis betrachtet, Schelling ihm vorgezogen wird[77], wird das seiner Philosophie nicht gerecht. Es geht nicht um einen möglichst „schönen“ Naturbegriff. Gefragt ist ein wahrer und realistischer.[78] Ein solcher ist bei Hegel zu finden, in Ansätzen bei Schelling, nicht bei Fichte und Marx/Engels.[79]



[1] Schmied-Kowarzik, „Von der wirklichen, von der seyenden Natur“, Stuttgart-Bad Cannstatt 1996.

[2] Ebd., S. 202.

[3] Siehe dazu: Hegels Zwei-Naturen-Lehre.

[4] Siehe dazu: O. v. Gierke, Johann Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Rechtssystematik, Aalen 1981 (7. Aufl.), S. 99 ff., V. Rüfner, Der Begriff der Natur innerhalb des Naturrechts, ARSP Bd. XXXIV (1940), S. 40-82.

[5] G. Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft, Berlin 1954, S. 107.

[6] Einleitung/Z., MM 9, S. 9.

[7] Bezüglich Schelling: Hans Jörg Sandkühler, Revolution, bürgerliche Gesellschaft, Recht und Staat. Schelling und Hegel, Internationales Jahrbuch des deutschen Idealismus 2 (2004), S. 287-308.

[8]  SchW 2, S. 333.

[9] H. Zeltner, Schelling, Stuttgart 1954, S. 113.

[10] K. Jaspers, Schelling, München 1955, S. 277. „Ein blendendes Feuerwerk, das“ – wie der Satz zu Ende geht – „mit einer Explosion im Nichts endet.“

[11]  Vgl. dazu W. Dilthey, Die Jugendgeschichte Hegels, in: Gesammelte Schriften Bd. IV, Stuttgart 1990, S. 206 u. S. 208f.

[12] SchW 2, S. 430.

[13] SchW 1, S. 706.

[14] SchW 2, S. 331

[15] H. Heine (Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, Stuttgart 1997, S. 138) dazu: „Herr Schelling setzte die Natur wieder ein in ihre legitimen Rechte, er strebte nach einer Versöhnung von Geist und Natur, er wollte beide wieder vereinigen in der ewigen Weltseele. Er restaurierte jene große Naturphilosophie, die wir bei den altgriechischen Philosophen finden, die erst durch Sokrates mehr ins menschliche Gemüt selbst hineingeleitet wird und die nachher ins Ideelle verfließt. Er restaurierte jene große Naturphilosophie, die, aus der alten, pantheistischen Religion der Deutschen heimlich emporkeimend, zur Zeit des Paracelsus die schönsten Blüten verkündete, aber durch den eingeführten Cartesianismus erdrückt wurde.“

[16] G. Lukacs, Die Zerstörung der Vernunft, a.a.O. S. 155.

[17] Vgl. ebd.

[18] G. Irrlitz (Georg Friedrich Wilhelm Hegel. Jenaer Schriften, hrsg. u. eingeleitet von Gerd Irrlitz, Berlin 1972, Einleitung S. XVIII f.) weist darauf hin, dass Schelling seinen fruchtbaren Gedanken der „Einheit von Natur und Geschichte“ nicht zu Ende führt, ja ihn spätestens in seiner „Philosophie der Kunst“ von 1802 aufgibt.  Zeltner, a.a.O., S. 113: „Dass diese Revolte schließlich gescheitert ist, daran ist nicht zu zweifeln.“ Jaspers (a.a.O., S. 117) bezogen auf Schelling: Ihm fehlt gegenüber Hegel „die Hartnäckigkeit der Stoffaneignung und die Kraft der Darstellung großer dialektischer Verwicklungen.“

[19]  C. Siegel, Geschichte der deutschen Naturphilosophie, Leipzig 1913, S. 217.

[20] Lukacs,( Die Zerstörung…), a.a.O., S. 108.

[21] E/Vorrede 1827 = MM 8, S. 21.

[22] Siehe dazu: G. Lukacs, Zur Ontologie des gesellschaftlichen Seins, Berlin u. Neuwied 1971 (Auszug aus Bd. 13/14 der Werkausgabe), S. 6. Siehe dazu auch Phän, S. 22 ff., wo Hegel sich gegen die spezifische Weise wendet, mittels der die „Konstruktion“ die „Auflösung des Unterschiedenen und Bestimmten“ betreibt.

[23] Theodor Litt, Hegel, Heidelberg 1953, S. 180.

[24] L (S), 41.

[25] Siehe dazu: Zwischen Sein und Bewusstsein – ebenfalls zu finden auf dieser Plattform.

[26] L (B), S. 205.

[27] Ebd., S. 99.

[28] Ebd., S. 178.

[29] Einleitung/Z E 2 (MM 9, S. 10).

[30] Im Falle des „Geistes“: der Psychologie – siehe § 4 R/A.

[31] Das verkennt E. Marie-Luise Heuser (Schellings Kritik des Hegelschen Naturbegriffs, HJ 1989, S. 135-142), die Hegel (mit Schelling) eine „unevolutionistische Naturkonzeption“ vorhält, weil sie (mit Schelling) den (diesen) Schwerpunkt nicht erkennt, der der Philosophie bei der Bearbeitung der „Naturfrage“ zukommt.

[32] Damit ist das Verhältnis von Natur- und Geistphilosophie berührt, das eigentlich das Verhältnis zweier Naturen ist. M. Quante (Die Natur: Setzung und Voraussetzung des Geistes, in: Barbara Merker u.a. [Hrsg.], Subjektivität und Anerkennung, Paderborn 2004, S. 82 u. 86) untersucht deren „Gelenkstellen“ mit dem Ergebnis, dass beide Teile mit der Natur zu tun haben. Das Problem aber: „Geist“ und „Natur“ sind nicht bloß unterschiedliche Modi der gleichen Natur, sondern von Naturen, die sich qualitativ unterscheiden und sich gegenüberstehen.

[33]  Hegel spricht die Thematik z.B. im § 18 R an.

[34]  §§ 213-235 Enz.

[35] Hier stütze ich mich auf Rolf-Peter Horstmann, Logifizierte Natur oder naturalisierte Logik? in: Hegels Philosophie der Natur, hrsg. von R.-P. Horstmann und Michael John Petry, Stuttgart 1986, S. 290 ff. (S. 299), der zeigt, dass für Hegel die „Idee wesentlich Einheit“ ist.

[36] § 39 R.

[37] § 381/Z E.

[38] Stichwort „System“: Da sich die „Einheitsnatur“ jetzt nicht mehr von selbst, „naturwüchsig“, herstellt, ist die Philosophie gefordert. Es gilt, das jetzt „verhüllte Ganze“ sichtbar zu machen. Das Aufzeigen der „Vernunftgestalt“ wird ihr zentraler Gegenstand. Aber: „das Wahre [ist] nur als System wirklich“ (MM 3, S. 19, 21, 28).  Wenn es Engels (MEW Bd. 21, S. 268) mit dem Satz abtut, Hegel sah sich „genötigt ..., ein System ... nach den hergebrachten Anforderungen“ zu machen, übersieht er, dass darin der (im Falle Hegels gelungene) Versuch steckt, die verlorene Einheit der Naturen zurückzugewinnen. Andersherum: Der Spott zeigt, dass Marx/Engels selbst auf der Linie der „produzierten“ Natur argumentieren.

[39] DS, S. 94 f.

[40] Ebd., S. 95.

[41] Ein Ausdruck, den P. Stekeler-Weithofer (Erste und zweite Natur. Bemerkungen zu Hegels Analyse geistiger Bildung und Selbstformung, in: P. Stekeler-Weithofer u.a. [Hrsg.], Der Naturbegriff in der klassischen Deutschen Philosophie, Würzburg 2013, S. 23) gebraucht.

[42] L (B), S. 206. „Einheit des Begriffs und der Realität“, ebd., S. 207.

[43] Das ist ein Standpunkt, den sich Hegel bereits in Frankfurt erarbeitet hat, wie z.B. das dort gefertigte Systemfragment von September 1800 (MM 1, S. 419-427) zeigt. Siehe dazu die hoch interessante Deutung durch G. Lukacs (Der junge Hegel. Über die Beziehungen von Dialektik und Ökonomie, Zürich, Wien 1948, S. 231-234).

[44] G. Lukacs (Die Zerstörung der Vernunft), a.a.O., S. 435 zum Unterschied und dessen Bedeutung:

    Der Leugnung der Erkennbarkeit des „Dinges an sich“ stellt Hegel dessen Erkennbarkeit gegenüber. Das sei der „springende Punkt“ der dialektischen Methode, so Lukacs.

[45] Die „Wesenslogik“ wird von Engels (Dialektik der Natur = MEW Bd. 20, S. 348) zu Recht als der „weitaus bedeutendste Teil seiner ‚Logik‘“ bezeichnet. Und zwar, weil deren Schwerpunkt die Einheit der Gegensätze, das Kernthema der Dialektik, behandele. W. Jaeschke (Einleitung zu G.W.F. Hegel, Wissenschaft der Logik. Die Lehre vom Wesen, Hamburg 1992, S. XXXIII) hebt hervor, dass Hegel mit der Wesenslogik eine Wirklichkeit sichtbar macht, die bis dahin nicht gesehen wurde. Man kann getrost hinzufügen: die auch heute noch meist übersehen wird. Angesichts der sonstigen Literaturflut zu fast jeder Äußerung Hegels ist die „Wesenslogik“ aus meiner Sicht aber bis heute geradezu stiefmütterlich behandelt worden.

[46] Siehe dazu die Ausführungen in der L (B), S. 24. Diese „Lücke“ zeigt an, dass das Ineinandergreifen von Wesen und Begriff nicht verstanden wird. Sie wird genutzt, um Hegel der „Begriffshuberei“ zu bezichtigen – z.B. von Marx/Engels. Was also Hegels Philosophie von der Kantischen, aber auch vom Marxismus abhebt, ist die Lehre vom Wesen. Sie steht „zwischen der Lehre vom Sein und der vom Begriff“. (L[S], S. 47). Eine gleich lautende Aussage findet sich in der „Wesenslogik“. (L [W], S. 5).

[47] L (B),  S. 30.

[48] Ebd., S. 212.

[49] Ein Ausweg, der ihm von all denen verübelt wird, die in der (Kehrt-)Wendung zur „produzierten“ Natur kein Problem, sondern Fortschritt pur sehen: Zu ihnen gehören auch Marx/Engels, weil sie zwar die Verhältnisse innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft umkrempeln, aber es bei der Ausbeutung der „primären“ Natur  belassen wollen.

[50]  G. Lukacs (Der junge Hegel, a.a.O., S. 320) in Anspielung auf eine Bemerkung des jungen Marx in seinem Brief an L. Feuerbach vom 3. Oktober 1843. Schelling führt seine Naturphilosophie nicht zu einem Begriff von „Staat“ fort. Er bewegt sich „unter Blumen und Sternen“, wo er es „gar gewaltig blühen und strahlen“ lässt. (H. Heine, Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland, Stuttgart 1997, S. 131) Käme er von dort zu einem Staat, könnte dieser eigentlich nur das sein, was gemeinhin als „Öko-Diktatur“ bezeichnet wird.  

[51] Für Hegel Ausdruck eines „rohen Empirismus“ (MM 9, S. 9). Was deutlich wird: der Weg von dem „erdichteten“ Naturzustand der    Aufklärung zum romantischen Naturbegriff Schellings, aber auch zum positivistischen Comtes ist nicht weit. Zu ihnen führt ein gerader  Weg, wenn die Dialektik ausgelassen wird.

[52]  Siehe dazu H.F. Fulda, Georg Friedrich Wilhelm Hegel, München 2003, S. 133 f., der dort zum Ausdruck bringt: „[I]n der philosophischen Betrachtung der Natur“ geht es „ausdrücklich nicht mehr um eine theoretisch-wissenschaftliche Erkenntnis“, wie sie die Biologie, die Chemie oder die Physik anstrebt.

[53]   L (B), S. 212 f.

[54]  Ein Blick auf den Marxismus: Dieser unterscheidet in einen „historischen“ und in einen „dialektischen“ Materialismus und zerreißt damit den Faden zur „Einheitsnatur“ und zur „Vermittlung“. Eine Naturphilosophie im Sinne Hegels ist damit für ihn nicht nur entbehrlich, sondern „heute … endgültig beseitigt.“ (MEW 21, S. 295).

[55]  DS, S. 20. Hier, in der Differenzschrift, finden wir die erste und bleibende Aussage dazu, was die Philosophie jetzt, nach der „Entzweiung“, zu leisten hat und wohin der Mangel der Philosophie seiner Zeit führt.

[56]   Mehr noch der mathematische; dieser hat insofern also etwas Bestechendes an sich, weil er eine scheinbar neutrale, für alle  Natur gültige Logik zur Anwendung bringt. Folgerichtig also: die Übertragung der Methode der Mathematik „auch auf die Philosophie“ (L [B], S. 38) durch Spinoza, Wolff u.a.

[57]   Siehe dazu: L (S), S. 37f. und L (B), S. 16f.

[58]   Einleitung/Z E 2 (MM 9), S. 11.

[59]   K. Jaspers, a.a.O., S. 118.

[60]   L (S), S. 10.

[61]   Einleitung/Z E (MM 9, S. 11).

[62]  In diesem Zusammenhang ein Wort zu dem „für uns“ in § 381 E. Ich denke, man muss in diese Worte nicht so viel hineingeheimnissen (wie M. Quante in der angeführten Arbeit), wenn man die Polemik Hegels gegen den Natur- und Geistbegriff der „Erfahrungswissenschaften“, die seine gesamte „Logik“ durchzieht veranschlagt. „Für uns“ soll m.E. nichts weiter heißen als: für uns Philosophen ist das so. Für uns gilt dieser Begriff, während für die Naturwissenschaftler ein anderer gilt. § 381 steht in engem Bezug zu § 378, wo sich Hegel mit Betrachtungsweisen auseinandersetzt, die die „einzelnen empirischen Erscheinungen des Geistes“ zum Gegenstand haben.

[63]   Phän/Vorrede, S. 12.

[64]   Phän/Vorrede, S. 42 u. 45..

[65]   Einleitung/Z E (MM 9, S. 11).

[66]   § 214/A E.

[67] Siehe dazu: Zeltner, a.a.O., S. 114f. Z. macht damit auf eine Leistung Schellings aufmerksam, die Hegel übernimmt und weiterführt.

[68]   § 214/A E.

[69]   § 247/Z E. (MM 9, S. 25).

[70]  § 214/A E. 

[71]   § 214/ E.

[72]   Vgl. § 4 R – dort in Bezug auf das Recht als einem Teil der „produzierten“ Natur.

[73]   Einleitung/Z E (MM 9), S. 12.

[74]   L (B), S. 218.

[75]   Chr. Zunke, Die zwieschlächtige Natur der Moderne. Vom Hegelschen Naturrecht und positivistischem Naturbegreifen, HJ 2012, S. 62.

[76]  Siehe dazu: J. Wilke, Was ist Natur? Natur als Gegenstand der Naturwissenschaften, in: Zum Naturbegriff der Gegenwart Bd.1, Stuttgart-Bad Cannstatt 1994, S. 28.

[77]  Schelling hat seine Naturphilosophie nicht ausdrücklich in einen Staats-und Rechtsbegriff überführt; alles bleibt nur angedeutet. Man kann nur spekulieren, was dabei herausgekommen wäre, hätte er es getan. Aber es liegt nahe, an ein Ergebnis a la Haller zu denken. Gut möglich, dass die bürgerliche Gesellschaft und die „Person“ darin „gestrichen“ wären. Der Mensch wäre wieder hergestellt – aber der mittelalterliche Mensch.

[78]  S. Zizek (Weniger als nichts. Hegel und der Schatten des dialektischen Materialismus, Berlin 2014, S. 358) plädiert unter Bezug auf Hegel für eine „radikal-emanzipatorische Politik“, die „weder auf die vollkommene Beherrschung der Natur noch auf das demütige Hinnehmen der Herrschaft von Mutter Erde über uns Menschen ausgerichtet“ ist.

[79] Fichtes „Wissenschaftslehre“ ist eine Absage an eine Philosophie, deren Gegenstand das „Ganze“ (also die Einheit zweier Naturen) ist; sie ersetzt Letzteres durch seine „Ich-Natur“. Marx/Engels teilen diesen Ansatz. Denn auch sie gehen davon aus, dass die Naturwissenschaften die Naturphilosophie abgelöst hat. Auch für sie ist die „primäre“ Natur bloßes Objekt und daher ausschließlich Gegenstand der modernen Naturwissenschaften. Der Bedarf an einer Naturphilosophie ist für Engels „heute … endgültig beseitigt. Jeder Versuch ihrer Wiederbelebung wäre nicht nur überflüssig, er wäre ein Rückschritt.“ (MEW 21, S. 295 – Hervorhebung dort).

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