Der Monarch, „der schwerste Begriff für das Räsonnement“ ( 279 R)
Kaum etwas hat Hegel mehr Kritik eingetragen
als sein Begriff des Monarchen. Eine Störgröße erster Ordnung. Ein Gräuel für
alle Sucher des „liberalen“ Hegel.[1]
Der wundeste Punkt seiner Staatsphilosophie. Schon der junge Marx macht seinem
Unmut Luft: Was bezweckt Hegel mit ihm? „Will er den Eindruck des Mystischen
und Tiefen“ erwecken? Wo es Hegel doch um den „Vernunftstaat“ geht: Hat denn
sein „Monarch“ nicht zur Konsequenz, dass „auf der höchsten Spitze des
Staates …statt der Vernunft die bloße Physis“ entscheidet?[2]
Es ist ein breiter Strom von Autoren und
Arbeiten, die sich nun schon seit Jahrzehnten dem Anliegen verschreiben, Hegels
Staatsphilosophie von jenen Teilen zu bereinigen, die nicht zu seiner
bürgerlichen Gesellschaft passen. Den unpassenden Teilen wird dazu meist
nachgesagt, nicht Philosophie zu sein, sondern Anbiederungsversuche an den
Dienstherrn, dem preußischen König.
Beispiel: Die Interpretationen der §§ 273 und
275 R. Der Tenor lautet dahin, dass Hegel die „korrekte“ Reihenfolge:
Legislative, Regierung, Monarch, einfach umgekehrt habe, um seinem Dienstherrn,
dem preußischen König, zu gefallen. Jedenfalls werde die Souveränität des
Monarchen „ohne irgendeine überzeugende logische Schlussfolgerung … behauptet.“[3]
Von einer „äußerst auffälligen Umkehrung der
Reihenfolge einer soeben aufgestellten Disposition in der sofort folgenden
Ausführung“, spricht F. Rosenzweig unter Bezug darauf, dass Hegel bei der
Aufzählung der Staatsgewalten in § 273 zwar mit der gesetzgebenden Gewalt
beginnt, zwei Paragrafen weiter aber mit seinen näheren Ausführungen bei der
fürstlichen Gewalt einsetzt. Er sieht darin einen „tiefen gedanklichen
Widerstreit“, der das „Hegelsche Bild der Monarchie so schillernd“ macht.[4]
Deutlich kritischer äußert sich V. Hösle hierzu. Für ihn ist diese „Umpolung …
das eklatanteste Beispiel für einen Begriffsfehler bei Hegel – d.h. für eine
logisch unbegründete Abweichung vom eigenen Ansatz.“ Und warum? „[U]m sich
kontingenten Zeitverhältnissen zu akkommodieren.“[5]
Moderater formuliert H. Kastner seine prinzipiell gleichen Einwände. Auch er
spricht von einem Argumentationsfehler, von einer Vermengung der Ebenen und
geht davon aus, dass Hegel „sich – zumindest bis zu einem gewissen Grade –
sicherlich jener Ambivalenz bewusst“ war.[6]
Auch K. Vieweg, ein Autor, der mit Hegel durchweg feinfühlig umgeht, empfindet
die Aussagen zum Monarchen als „schwere theoretische Hypothek“, sieht darin
einen „logischen Fauxpas“ erster Ordnung. Er entschuldigt Hegel aber damit,
dass dieser ihn lediglich aus Zensurgründen in das Werk „eingebaut“ habe. Der
Fehler sei so offensichtlich, dass er als „Wink mit dem Zaunpfahl“ anzusehen
sei, verbunden mit der Aufforderung an den Leser zensurfreierer Zeiten, ihn
aufzugreifen und richtig zu stellen.[7]
Ähnlich, und vermeintlich ebenfalls zu Gunsten Hegels, argumentiert D. Suhr.[8]
Die Argumente, die Hegel in der
„Rechtsphilosophie“ wie auch in seinen Vorlesungen anführt, um diese „Umpolung“
zu begründen, werden von Hösle geprüft, gewogen und im Ergebnis als zu leicht
befunden. Bestärkt durch Aussagen A. Ruges und des jungen K. Marx zu eben
diesem Teil der hegelschen Staatsphilosophie bleibt er dabei, das „Hegels
Argumentation … nicht anders als absurd zu bezeichnen“ ist.[9]
Wie man es auch dreht und wendet: Mit dieser „Umpolung“ der Reihenfolge beweise
„Hegel, dass er sich ganz auf die Seite der Restaurationspolitik Metternichs
stellt.“[10]
Verbreitet ist die Meinung, dass im Abschnitt
zum Staat der „Rechtsphilosophie“ Politik und Philosophie auseinander klaffen.
Politisch (gemeint: opportunistisch) gesehen bereite die dortige Umkehrung der
Reihenfolge „keine Probleme“, mag sie auch in philosophischer und logischer
Hinsicht dem Hegelschen Systems widersprechen.[11]
Was ist solchen Urteilen entgegenzusetzen?
An erster Stelle sollte der Hinweis darauf
stehen, dass in Hegels Staatsphilosophie ein Staat porträtiert ist, der Bezug
nimmt auf zwei Naturen: auf die „vorgefundene“[12]
sowie auf die menschgeschaffene „produzierte“ Natur. Das ist ein Ansatz, der
Hegels Philosophie von allen neuzeitlichen Philosophien unterscheidet, sie
einzigartig, aber auch unverstanden macht. Sein Staat ist die „Einheit“ dieser beiden
Naturen; er vermittelt ihren Gegensatz. Die Interpretationen der benannten
Textstellen leiden also darunter, dass der in den §§ 257 ff. porträtierte Staat
und jener „Not- und Verstandesstaat“, der im Abschnitt zur bürgerlichen
Gesellschaft abgehandelt ist, in einen Topf geworfen werden. Aber um es auch in
diesem Zusammenhang zu wiederholen: Letzterer ist nur der Staat einer, der
„produzierten“, Natur; ein Teil-Staat mit Aufgaben, die sich auf diese Natur
beziehen.[13] Schon aufgrund der
atomistischen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft ist er in allen
wesentlichen Bereichen anders strukturiert als der sittliche, auf beide Naturen
bezogene, Staat. Und trotzdem: er gilt uns bis heute als der einzige, als der
„ganze“ Staat. An ihm messen wir, wenn wir über Hegels Staat urteilen. Die
Folge: der Vergleich fällt selbst bei jenen, die ihm wohl gesonnen sind,
regelmäßig zum Nachteil Hegels aus. Nichts an seinem Staat ist so, als dass es
uns genügen würde. Zum Beispiel die Gewaltenteilung: Unter der Rubrik „Not- und
Verstandesstaat“ hat sie einen ganz anderen Sinn als unter der Rubrik „Staat“.
Darauf weist allein schon das Fehlen der Gewalt „Judikative“ hier, in den
Ausführungen zum Staat, hin, obwohl Hegel sehr wohl weiß, dass die
rechtsprechende Gewalt unverzichtbarer Teil des „Not- und Verstandesstaates“
ist und dort, wo er abgehandelt wird, auch ihren gebührenden Platz erhalten
hat. Da die Materie „Recht“ sich aus der atomistischen Struktur der
„produzierten“ Natur ergibt, also ihr essentieller Bestandteil ist, findet die
Judikative hier – unter „Staat“ – deshalb auch keine Erwähnung. Salopp
formuliert: Sie fehlt hier, weil es ausgeschlossen ist, dass sich die beiden
Naturen oder ihre Derivate je vor Gericht begegnen. Denn das Recht, das wir
kennen ist „Naturbeherrschungsrecht“[14]. Oder so gesagt: Der Rechtsstaat ist aus Sicht
der „primären“ Natur ein Unrechtsstaat.
Wer nur auf die „produzierte“ Natur starrt, wer
sie zum Non plus Ultra erhebt, sieht nur, dass von diesem Staat eine deren
Freiheit einschränkende Wirkung ausgeht. Oder wie der junge Marx messerscharf
urteilt: Dass dieser Staat als „Staat gegen die bürgerliche Gesellschaft“
konzipiert ist.
Ein weiterer Mangel besteht darin, dass unsere
Sicht auf die hegelsche Staatsphilosophie zu sehr an der Oberfläche bleibt.
Eine Folge dessen: der Konflikt der beiden Naturen wird damit als Konflikt
zwischen Monarch hier und Parlament dort sowohl „personifiziert“ als auch
verflacht. Die Repräsentanten stehen im Vordergrund, nicht das von ihnen
Repräsentierte.
Was nun die angebliche „Umpolung“ der §§
273/275 anbelangt:
In § 273 zeigt Hegel auf, dass der Staat seine
Aufgaben arbeitsteilig verwirklicht. Er enthält keine Aussage dazu, welcher
Personenkreis bzw. welche Institution welche Aufgabe zu erfüllen hat. Die
dortige Reihenfolge bezieht sich also auf Tätigkeiten, nicht auf Institutionen.
§ 275 enthält eine nähere Bestimmung der
fürstlichen Gewalt. Wir erfahren, dass in ihr die Teil-Gewalten zur „Einheit“
gebracht sind. Als der Repräsentant des Ganzen, als „Spitze“, ist der Monarch
deswegen auch an allen „Gewalten“ beteiligt; er verkörpert „das Einzelnste und
das Allgemeinste.“
Was die Kritik unbeachtet lässt: Vor der (Gewalten-)Trennung steht die (weiterhin)
bestehende (Gewalten-)Einheit. Die
einzelnen Gewalten sind das Inwendige eines Organismus. Und zur Natur des
Organismus gehört, „dass, wenn nicht alle Teile zur Identität übergehen, wenn
sich einer als selbständig setzt, alle zugrunde gehen müssen.“[15] Hegel
verweist deshalb in § 275 auf § 272, wo er sich mit dieser Einheit befasst, die
vor der Trennung bestand bzw. trotz Trennung bestehen bleibt. Die Aussage im
Hauptteil des Paragrafen: Jede der drei genannten Gewalten hat die anderen „in
sich“, jede von ihnen ist aus der gleichen „Totalität“ hervorgegangen und bleibt
der Idee nach mit ihr verbunden. Wir haben ein Beispiel der Umwandlung einer
Totalität in ein aus Teilen bestehendes Gesamtsystem vor uns. Was mit den
„Gewalten“ entsteht, sind „relative Totalitäten“ im Sinne des § 141 R, die ihre
Einheit im „Ganzen“ finden. Das Problem daran: Wir sehen zunächst nur die
Teile, während das Ganze als „gestaltloses Sein“ unsichtbar bleibt, ehe es in
einer „Vernunftgestalt“ ebenfalls materiell wird.[16]
Aber über die (Wesens-)Logik erschließt sich das „Ganze“ sofort, wie Hegel in
der Anmerkung zu § 141 deutlich macht. Wird es übersehen, führt das dazu, dass
die Teile, die „relativen Totalitäten“, hier: die Gewalten, verabsolutiert
werden und ihr Charakter als „lebendige Einheit“ außer acht bleibt. Die weitere
Folge einer solchen Verabsolutierung: „die Zertrümmerung des Staats“[17].
Was bedeutet diese
„Zertrümmerung“ des vormaligen „Ganzen“ für den Monarchen? Dieser Restposten
eines untergegangenen „Ganzen“: Ist er nun nicht überflüssig? Warum hält Hegel
an ihm fest? Welcher Grund steht seiner Weiterexistenz zur Seite?
Da das zentrale Element der
dialektischen Logik, die Erkenntnis des „Wesens“ über die „Wesenslogik“ so
schwer fällt, kämpft Hegel einen einsamen Kampf, sowohl über seine
Publikationen mit der Kollegenschaft als auch vom Katheter herab. Zur weiteren
Klarstellung des so schwer Begreiflichen fügt er dem Paragrafen § 272 einen
Zusatz bei, dessen entscheidender Passus lautet:
Wenn man von der
unterschiedenen Wirksamkeit der Gewalten spricht, muss man nicht in den
ungeheuren Irrtum verfallen, dies so anzunehmen, als wenn jede Gewalt für sich
abstrakt bestehen sollte, da die Gewalten vielmehr nur als Momente des Begriffs
unterschieden sein sollen. Bestehen die Unterschiede dagegen abstrakt für sich,
so liegt am Tage, dass zwei Selbständigkeiten keine Einheit ausmachen können,
wohl aber Kampf hervorbringen müssen, wodurch entweder das Ganze zerrüttet
wird, oder die Einheit durch Gewalt sich wieder herstellt.
Der Gedankengang des § 272 wird an vielen Stellen
aufgegriffen und vertieft. So in § 300/Z, wo Hegel von dem der landläufigen
Auffassung von Gewaltenteilung innewohnenden „Grundirrtum“ spricht, „dass die
unabhängigen Gewalten dennoch einander beschränken sollen. Aber durch diese
Unabhängigkeit wird die Einheit des Staates aufgehoben, die vor allem zu
verlangen ist.“
Wie war es früher? Hegel verweist
darauf, dass es vor der Gewaltenteilung eine Gewalteneinheit gab. Und diese
löst sich nicht in Nichts auf, sondern wird auf einer höheren Ebene
fortgesetzt. Die Gewaltenteilung tritt ein und sie bleibt erhalten. Aber sie
ist eingebettet in eine neue Art von Einheit, die als „konstitutionelle
Monarchie“ manifest wird. Den
Kritikern seines Staates und des Monarchen hätte zu denken geben sollen:
„Organismus“ heißt Gliederung, „heißt Entwicklung der Idee zu ihren
Unterschieden.“[18]
Das verweist uns auf das „Gemeinwesen“, auf jenes „naturwüchsige Gemeinwesen“,
das damals auch in Deutschland sein vieltausendjähriges Leben ausgehaucht hat.
Aber anders als es landläufige Meinung ist, zerbricht es nicht in „Staat“ und
„Gesellschaft“, sondern in die zwei Naturen, die „primäre“ und die
„produzierte“; ehemalige Glieder des Gemeinwesens, die nun als Teile fortleben; Teile eines „Ganzen“,
das dabei ist, sich in „vernünftigen Institutionen“[19]
zu materialisieren.
Man beachte die Schärfe, mit der
Hegel in der Anmerkung zu § 272 gegen das in Deutschland seiner Zeit üblich
gewordene „Verfassungsgeschwätz“, insbesondere gegen die „kursierenden
Vorstellungen“ von der Gewaltenteilung polemisiert. „[U]nverdautes Gerede“,
„Räsonnement“, Sprache des „Gemüts“, der „Liebe und Begeisterung“ statt
„philosophische Erkenntnis solcher
Gegenstände“ urteilt er über die hierzu geführte Diskussion.
Was ihn empört ist die Ignoranz
philosophischer Erkenntnisse, insbesondere die Ignoranz solcher Erkenntnisse,
die über die Logik zu gewinnen sind „-freilich nicht [mit] der sonst gang und
gäben -“, sondern mit seiner, der dialektischen, Logik. Eine Logik, die das
gegenwärtig Notwendige nicht statisch betrachtet, sondern es in sein „Davor“
und „Danach“, in seine Vergangenheit und in seine Zukunft einbettet. Dieser
Verweis hätte Anlass geben sollen, nicht vorschnell zu urteilen. Denn er zeigt
uns eine Spur auf, die zu einem anderen Verständnis der „Umpolung“ führt.
Hätte er sich, bloß um seinem
Dienstherrn zu gefallen, so echauffieren müssen?
***
Konstitutionelle Monarchie
besagt, dass sich der Schwerpunkt verlagert hat. Nicht mehr der Monarch, sondern
der „Staat ist [nunmehr] die Wirklichkeit des Göttlichen“[20].
Oder mit den Worten C. Schmitts: „[N]icht mehr das Monarchische, sondern das
Konstitutionelle [ist jetzt] die
Hauptsache.“[21]
Das ist eine Klarstellung, die
uns weiter hilft.
Das Deutschland Hegels ist
geprägt durch den endgültigen Zerfall jenes „naturwüchsigen Gemeinwesens“, in
dem die Menschen über die Bande des Blutes und des Bodens zur Einheit gebracht
waren. Ein Gemeinwesen verabschiedet sich, das unter Führung der
„vorgefundenen“ Natur stand. Ein „Organismus“, dessen Zentrum der feudale
Monarch war. Ein Zerfall, der nachdrücklich durch die Auflösung des Reiches
äußerlich gemacht ist. Die Frage, was diesem Gemeinwesen nachfolgt, war zu
beantworten – theoretisch wie praktisch. Zuständig für den praktischen Teil:
Metternich und Gentz.
Hegel sieht sich für die
philosophischen Fragestellungen zuständig. Nicht erst, seit er nach Berlin
berufen ist. Über alle Stationen seines bisherigen Schaffens beschäftigt ihn
das Schicksal des Gemeinwesens.[22] Mit
seiner „Logik“ hat er die Voraussetzungen geschaffen, diese Frage einer Antwort
zuzuführen. Er weiß nun, dass mit dem Untergang seiner „Naturgestalt“ nicht das
Gemeinwesen selbst die Geschichte verlässt, sondern der „Naturgestalt“ eine
„Vernunftgestalt“ folgen muss.
Ein historisches Ereignis erster Ordnung ist zu
beurteilen. Ein Wendepunkt, aus dem drei Totalitäten hervorgehen: Die Teile in
Gestalt der beiden Naturen. Das „Ganze“ als ihrer Einheit. Weil sie aber, wie
der frühere „Organismus“, weiterhin einen Verbund bilden, statt des früher
biologischen jetzt einen „logischen“, sind alle drei nur relative Totalitäten, Totalitäten, die sich gegenseitig bedingen
und beschränken. Interpretiert wird dieses geschichtliche Großereignis von den
Philosophen der Aufklärung, von den ihnen nahestehenden Ökonomen und Politikern
jedoch höchst einseitig - aus der Sicht der „produzierten“ Natur. Ihre Befreiung steht im Mittelpunkt und
wird als Sieg über die bisher tonangebende „primäre“ Natur angesehen, als
„Freiheit“! Tonangebend ist nun diese Natur, während die andere zum Objekt der
Ausbeutung herabgestuft wird und philosophisch, ökonomisch und politisch
„mundtot“ gemacht wird. Scheinbar eine bloße Umkehrung: Nach der Herrschaft der
einen nun die Herrschaft der anderen Natur.
Und das „Ganze“? Dieses geht als Verlierer
hervor; es gerät vollends aus dem Blick. Denn während sich mit dem organismisch
strukturierten „naturwüchsigen“ Gemeinwesen eine „Personalunion“ der damals
tonangebenden „primären“ Natur mit dem Ganzen verband, schließt der jetzige
Verbund der Teile mit dem Ganzen eine solche aus. Das Ganze hat sich frei
gemacht von den Teilen. Aber auch die Teile haben sich vom Ganzen separiert.
Eine neue Konstellation – aber sie wird ignoriert. Alles dreht sich vielmehr um
den „Sieger“, um die „produzierte“ Natur; sie schwingt sich zur „Führungsnatur“
auf, sie geriert sich jetzt als das „Ganze“.
So der Befund, auf den Hegel zu Beginn seiner
wissenschaftlichen Karriere stößt und dem er in immer neuen Anläufen und bei
immer neu gesetzten Schwerpunkten Zeit seines Lebens auf dem Grund gehen wird.
Gutgeheißen von der Philosophie der Aufklärung,
gutgeheißen später von den Liberalen seiner Zeit, gutgeheißen noch später auch
von Marx/Engels, ist diese Umkehrung des früheren Zustandes für Hegel hoch
problematisch. Macht sie doch eine Natur zum Herrn, die ihre Existenz von der
anderen, jetzt versklavten, Natur ableitet. Das hat verhängnisvolle Folgen! Denn
die „primäre“ Natur ist die erste Natur – und sie bleibt es. An der Reihenfolge
ihrer „Geburt“ kann es keine Umkehrung geben. Wie richtig es auch ist, dass die
„produzierte“ Natur jetzt als „erwachsen“ und gleichberechtigt anerkannt ist:
Die „primäre“ Natur ist und bleibt die „Allmutter“, die Nährmutter für alle von
ihr hervorgebrachten Geschöpfe. Sollen beide Naturen Bestand haben, soll dieser
„Sieg“ nicht zum Pyrrhussieg werden, bedürfen sie, jetzt dringender denn je,
wiederum der „Einheit“, damit: der Vermittlung durch etwas, das außer ihnen
liegt, der Vermittlung durch ein Drittes, durch das „Ganze“.
Auf der Tagesordnung steht der
„Vernunftstaat“. Er bezeichnet den Sprung von einem „biologisch“ geprägten
Ganzen zu einem logischen Verbund des Ganzen und der Teile.[23] Was
unselbständiges „Glied“ war ist nun relativ selbständige Totalität. Keimzelle
des „Vernunftstaates“ ist das Konstitut. Er ist die Antwort auf die Teilung;
nach Verlust der „biologischen“ Einheit ist er die logisch hergestellte Einheit der beiden Naturen. Die Zeitgenossen Hegels verstehen den
Untergang des „naturwüchsigen Gemeinwesens“ so, dass jetzt ein Teil, und zwar
unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft“ die „produzierte“ Natur, zur
Herrschaft gelangt. Sie nimmt jetzt den Rang ein, den die „primäre“ Natur
bisher innehatte. Hinzu kommt: Sie geriert sich als das „Ganze“; der Organismus
„naturwüchsiges Gemeinwesen“ scheint sich mit ihr fortzusetzen. Eine überaus
bequeme und überaus vorteilhafte Interpretation, zu der wir uns, korrumpiert
durch das Glück, das sie uns verheißt, verleiten lassen. Diese Sichtweise verbindet
sich im politischen Bereich mit einer „Umpolung“ vom absolut regierenden
Monarchen zum absolut regierenden Parlament. Sie lässt für einen Monarchen
eigentlich keinen Raum. Sie akzeptiert ihn daher nur, wenn er sich unter
Verzicht auf Teilhabe an der politischen Macht mit dem bloßen Titel bescheidet.
Nur die besonderen deutschen Verhältnisse bringen es mit sich, dass sich hier auch die liberale Fraktion mit einer konstitutionellen Monarchie abfindet.
Aber sie sieht sie als eine Übergangsfigur an, die so bald als möglich dem
„Parlamentsstaat“ zu weichen hat.
Hegel sieht das anders:
Sein Konstitut ist die Keimzelle des
„Vernunftstaates. Es ist das Ergebnis eines „historischen Kompromisses“, der
beide Naturen zusammen bringt, ihre gegensätzlichen Interessen aufzugreift und sie vermittelt. Es
ist das Grundgesetz der beiden Naturen - und dem Staat fällt die Aufgabe zu, es
zu exekutieren. Jede der beiden Naturen muss zurückstecken, muss sich Einschränkungen
ihrer Totalität gefallen lassen. Wahrgenommen werden Letztere aber nur bei der
bürgerlichen Gesellschaft. Diese hält ihren maß- und grenzenlosen
Betätigungsdrang ebenso für selbstverständlich, wie die jetzige Reduzierung der
„primären“ Natur auf ein Objekt der Ausbeutung.
Hegel erkennt schon damals[24],
was wir Heutigen tausendfach bestätigt sehen: diesen Hang zum Maßlosen. Wohin
er führt, wenn er ausgelebt werden darf, haben wir längst vor Augen: eine
heruntergewirtschaftete, bereits irreparabel geschädigte Natur. Einschränkung
also nicht aus Willkür heraus, sondern weil das Überleben der anderen, der
„primäre“ Natur sichergestellt werden muss. Wer das „Ganze“ auf den Teil
„bürgerliche Gesellschaft verkürzt, für den verengt sich der Begriff Staat von
einem Begriff, der die politische Organisation zweier Naturen meint, auf einen
Begriff, der nur auf die „produzierte“ Natur bezogen ist. Für den, der nur eine Natur kennt bzw.
anerkennt, wäre es logisch, wenn der Teil „Staat“ der „Rechtsphilosophie“
weiter vorn untergebracht wäre – im Teil, der sich mit der bürgerlichen
Gesellschaft befasst. Zum Beispiel hätte er den dort vorgestellten „Not- und
Verstandesstaat“ ausschmücken können. Und
schon sähe die Welt des Staates ganz anders aus. Von daher ist es irritierend,
warum Hegel seine Ausführungen zum Staat auf zwei Abschnitte zerstreut und noch
dazu hier und dort zu unterschiedlichen Aussagen gelangt.
Die Vorrangstellung der einen
weicht also nicht der Vorrangstellung der anderen Natur, sondern wird überhaupt
beseitigt und ersetzt durch ein Miteinander. Da sich dieses nicht von selbst
herstellt, ist „Vermittlung“ notwendig.[25]
Dazu Hegel bereits in der „Phänomenologie“: „[I]hr Gegensatz ist vielmehr die
Bewährung des einen durch das andere, … ihre Mitte … ist die unmittelbare
Durchdringung“ durch das Ganze.[26]
Beide Extreme, beide Gegenüber sind im Ganzen zusammengeschlossen. Bleibt die
Vermittlung aus, geschieht, dass die jetzt herrschende Natur, diese neue
Wirklichkeit, daran geht, die ihr
„entgegengesetzte Wirklichkeit durch Gewalt zu unterwerfen.“[27]
Wo wir gemeinhin aus dem Zerfall
des Gemeinwesens „Staat“ und „Gesellschaft“ hervorgehen sehen, erkennt Hegel
einen Prozess, der ungleich komplizierter ist: die Umbildung eines
gegliederten, „biologisch“ zu beurteilenden, Organismus zu einem logischen
Maßstäben folgenden System des Ganzen und seiner Teile. Das Gemeinwesen
zerfällt nicht in „Staat“ und „Gesellschaft“, sondern in „primäre“ und
„produzierte“ Natur. Der Staat ist nicht das Gegenüber der bürgerlichen
Gesellschaft, sondern die Einheit beider Naturen. „Staat“ bezieht sich daher
auf das, was früher „Organismus“ war. So ist zu verstehen, wenn es im Zusatz zu
§ 269 heißt: „Der Staat ist Organismus“. Aber „Organismus“ ist jetzt, nach
Zerfall des „naturwüchsigen Gemeinwesens“ logisch
zu verstehen, also als Zusammenspiel des Ganzen und der Teile. Das
erkenntnistheoretische Problem: die Teile sind handfeste, real existierende
Größen. Das „Ganze“ aber scheint mit Ausbildung der Teile zu Nichts geworden zu
sein. Aber wie uns die Wesenslogik belehrt: der „Organismus“ geht lediglich in
das „gestaltlose Sein“ über. Darin verharrt es, bis es in die menschgeschaffene
„Vernunftgestalt“, hier: den Staat, überführt ist.
Das Unsichtbare und das
Sichtbare, das „Göttliche“ und das „Irdische“: Beide Seiten, beide
Daseinsweisen machen aus dem Staat ein „Irdisch-Göttliches“.
***
All dies bezogen auf den
Monarchen:
Der Staat als „Naturgestalt“ ist
tot und hat seiner „Vernunftgestalt“ Platz gemacht. Für den Monarchen bedeutet
das, dass auch er jetzt unter dem Konstitut steht. Er ist damit nicht mehr Teil
des „Irdisch-Göttlichen“. Nur noch seine „Leiblichkeit“ ist auf dieser Ebene
von Bedeutung. Wie auch in England fungiert er bloß noch als repräsentative
„Spitze“ bzw. als „i-Punkt-Setzer“, als Symbol der Einheit. Anders auf der
Ebene der Teile: Dort führt der Monarch fort, was er auch vorher getan hat und
vertritt die „primäre“ Natur. Für sie ist er sowohl am Gesetzgeben wie am
Regieren beteiligt.
Der Monarch ist nicht einbezogen
in die „Personalisierung“, in die Umformung sowohl des Sklaven als auch des
Freien zur „Person“. Der „völlige Verlust des Menschen“[28],
der damit einhergeht, wenn der Mensch zur Person wird, macht vor ihm halt. Er
bleibt das „Höchste“, nämlich Mensch.[29] Er
wird nicht in die Tretmühle „bürgerliche Gesellschaft“ hinabgestoßen, er ist
nicht Teil der von ihr ausgehenden Willkür gegen die andere Natur. Er geht
nicht in den dritten Stand ein, in dem jetzt die anderen nivelliert sind. Er
bleibt außerhalb; er ist der, der nicht der „primären“ Natur entfremdet wird.
Er bleibt freigestellt von „allem [mit der ‚Person‘ verbundenen] Inhalte“[30].
Er bleibt Individuum der absoluten Sittlichkeit“[31].
Er ist der letzte Mensch. Das macht ihn zur „Idee des von der Willkür Unbewegten“,
das macht jetzt die „Majestät des Monarchen aus.“[32]
Für Hegel ist er Monarch der
einzige, der als Interessenvertreter der „primären“ Natur infrage kommt. Ob er
sich dessen nun bewusst ist oder nicht: er verkörpert weiterhin das
Naturprinzip. Zwar sind das Ganze und die Teile jetzt getrennt und auf
verschiedenen Ebenen verteilt. Zwar ist die frühere „Personalunion“ beendet. Zwar
kann das Ganze nicht mehr über eines der Teile „regiert“ werden. Wohl aber
können im Rahmen des Konstituts und über die Beteiligung an allen Gewalten die
Interessen der „primären“ Natur vertreten werden. Und so wird das jetzt zum
Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Da wir uns in der ersten Stufe des
„Vernunftstaates“ befinden und nicht wissen, auf wen oder was seine jetzigen
Funktionen in späteren, reiferen Stufen übergehen, bleibt er auf seinem Posten.
Und wenn der Monarch „übel
gebildet“[33]
ist? Vergessen wir nicht, was C. Schmitt uns dazu zu sagen hat: Das
Konstitutionelle ist die Hauptsache, nicht das Monarchische. Auch der „übel
gebildete“ Monarch ist eingebunden in das Konstitut. Und wenn dieses „fest“
ist, so hat der Monarch „oft nicht mehr zu tun, als seinen Namen zu
unterschreiben.“[34]
Wichtiger als seine Bildung ist für Hegel, dass der Monarch die „Naturseite“
verkörpert. Mit ihm ist also die Kontinuität des „Naturprinzips“ bzw. einer
Sittlichkeit sichergestellt, wie sie den „unausgebildeteren Gestaltungen des
Staates“ zugrunde lag.[35]
Insoweit steht er außerhalb jener Willkür, die die bürgerliche Gesellschaft
gegenüber der „primären“ Natur ausübt, insoweit verkörpert er die „Idee des von
der Willkür Unbewegten“[36].
Und was die „Bildung“ anbelangt: Soweit der Bildungsbegriff der bürgerlichen
Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, der „primären“ Natur ihre Geheimnisse
abzulisten, um sie besser ausbeuten zu können, wird das Manko an Bildung beim
Monarchen weniger relevant. Ganz richtig, wenn Cesa schreibt: „Und man hat den
Eindruck, dass der Monarch das einzige Element zu sein scheint, das fähig ist,
den negativen Folgen der ‚Bildung‘ zu widerstehen.“[37] Bis die „Vernunftgestalt“ ausgereift
ist, müssen wir ohnehin mit ihm auskommen. Und selbst der übel gebildete
Monarch ist auf diesem Hintergrund das kleinere Übel gegenüber einer
„produzierten“ Natur, die sich zum Nachteil der anderen Natur zum „Ganzen“
aufschwingt.
Der Status „letzter Mensch“
erhebt ihn zugleich, umgeben von der Aura des Göttlichen, zur „Idee“ des
Menschen, zur irdisch gemachten „letzten Entscheidung“. Der Monarch steht
außerhalb des „Getriebes und Geschiebes“. Er führt ein „allgemeines, dem
Öffentlichen ganz gehöriges Leben“[38].
Ihm sind nicht die Scheuklappen der bürgerlichen Gesellschaft angelegt. Er ist
nicht verbildet.
Der Monarch erinnert an Zeiten,
wo alles noch „ungetrennt“ war, wo jeder mit jedem über die Bande des Bodens
und des Blutes verbunden war, an das „Gemeinwesen“. Das ist der Hintergrund der
Frage O. Brunners: „Steht nicht hinter dieser mythisch-magischen
Vorstellungswelt die Überzeugung von der Eigenberechtigung, Eigenständigkeit
der sittlichen und rechtlichen Anschauungen, die auch in einer rationaler
denkenden Zeit, die die magischen Elemente abstößt, fortlebt?“[39]
Der Monarch fungiert als
Platzhalter des neuen, auf die „Vernunft“ gegründeten, Ganzen. Er markiert „den obersten Punkt, wo es sich um die Erhaltung
des Ganzen handelt“[40].
In ihm bricht sich das „Ganze“. Das ist der Grund, warum er
„Letztentscheidender“ ist. Da aber das „Ganze“ geleugnet, und wenn nicht
geleugnet, dann mit einem Teil gleichgesetzt wird, der die „Unnatürlichkeit“
verkörpert, leugnet die „räsonierende Gescheitheit“ daher, „dass das Moment der
letzten Entscheidung im Staate an und für sich … mit der unmittelbaren
Natürlichkeit verbunden ist“[41].
So gesehen, kann es, entgegen der Meinung Hösles u.a. nicht falsch und kein
„grober Schnitzer“ sein, wenn Hegel mit ihm seine Ausführungen zur inneren
Verfassung beginnt. Im Gegenteil: „Der Fürst ist, systematisch gesehen, der
Ursprung der Staatstätigkeit – ‚erste Gewalt‘ – und zugleich, praktisch
gesehen, nur der fast inhaltslose abschließende ‚formelle‘ Wille, durch den der
im Amtsweg … zustande gekommene Beschluss vollzogen wird.“[42]
Solange der Staat „Organismus“
ist, muss auch dessen „Spitze“ eine physische Größe sein: die „Leiblichkeit“
des Monarchen. Aber der Monarch ist nicht zu verwechseln mit einen
„Einzelleiter“, der aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus erwächst. In
diesem Punkt haben all jene, die Hegels „Monarchen“ ablehnen also recht: Mit
all seinen Machtbefugnissen wäre er als Regent einer bürgerlichen Gesellschaft
nichts weiter als ein ordinärer Diktator oder, wie C. Cesa[43]
formuliert, ein „Seelenführer“ und –verführer. Wer den Monarchen Hegels,
überhaupt: wer Hegels Staatsphilosophie von dieser Plattform aus interpretiert
kann relativ mühelos von Hegel zu Stalin oder, wie H. Kiesewetter[44],
von Hegel zu Hitler gelangen. Napoleon I. wie auch Napoleon III. wären, da Repräsentanten der bürgerlichen
Gesellschaft, aus dieser Sicht keine Monarchen im Sinne Hegels. Sie sind
„individuelle Gewalthaber“[45],
die die Flagge der Monarchie nutzen, um die Zwecke der „produzierten“ Natur,
meist unter Zurückdrängung oder gar Ausschaltung der Korrekturmechanismen der
„invisible Hand“, treibhausmäßig zu fördern.
Stemmt sich aber der Monarch der
Entwicklung zur konstitutionellen Monarchie entgegen, gewinnt das Ganze eine
Ausrichtung, die sich als Gegenüber von Staat und bürgerlicher Gesellschaft
zeigt. Absolutismus! Der absolut
regierende Monarch verlängert jene Staatsformen, denen die „ungetrennte
substanzielle Einheit“[46]
zugrunde lag über deren Zeit. Ein historisch gewordener Zustand wird
konserviert. Aber die Entwicklung zur Teilung ist unaufhaltsam. Das heißt aber
nicht, dass nun die bloße „Umkehrung“ auf der politischen Tagesordnung stünde.
Nicht statt des absolut regierenden Monarchen jetzt das absolut regierende
Parlament. Was Not tut, ist nicht der Wechsel von einem Extrem ins das andere,
sondern die Einheit. Und Einheit heißt Vermittlung. „Einheit“ und „Vermittlung“
führen uns zum „Verfassungsmonarchen“ im Sinne Metternichs und Gentz und der
Philosophie Hegels. Der „konstitutionelle“
Monarch ist nicht mehr Allein-Herrscher,
sondern „Vermittler“. Zugleich ist er es, der im Rahmen der Legislative die
„Naturseite“ vertritt. Eine Doppelfunktion, die ihn befähigt, die „produzierte“
Natur objektiv zu sehen und ihr entgegenzutreten, wo dies im Interesse des
„Ganzen“ notwendig ist. So eingeordnet, ist „der der fürstlichen Gewalt
zugedachte erste Platz vollständig vom theoretischen Standpunkte
gerechtfertigt.“[47]
Aus der Sicht jener, die nur diese Natur im Blick haben, müssen Hegels Aussagen
allerdings als „ambivalent“[48]
erscheinen.
***
Abschließend:
Wer die „produzierte“ Natur mit
„Natur“ gleichsetzt, reflektiert den Zerfall des „naturwüchsigen“ Gemeinwesens
als einen Zerfall, aus dem „Staat“ und „Gesellschaft“ hervorgehen - und nicht zwei Naturen und der Staat. Und der reflektierte
Staat ist ein ganz anderer als der Hegels, nämlich der von ihm sogenannte „Not-
und Verstandesstaat“, der Teilstaat der „produzierten“ Natur.
Wer also in der Alleinherrschaft
der bürgerlichen Gesellschaft das Zeitgemäße sieht, kann sich mit dem Monarchen
Hegels nicht anfreunden; er ist von daher nicht zu rechtfertigen. Er fände nur
das Vorurteil bestätigt, dass Hegel der Restaurationspolitik Metternichs und Gentz‘ beigetreten
ist, ja diese philosophisch sogar vorweggenommen[49] hat. Aber ist es denn „Restauration“, wenn die
rechtlos gemachte Natur wieder in ihre Rechte eingesetzt wird? Und darum geht
es!
Hegel, an die
Reflexionsphilosophen“ adressiert:
„Der Begriff des Monarchen ist
deswegen der schwerste Begriff für das Räsonnement, d.h. für die reflektierende
Verstandesbetrachtung, weil es in den vereinzelten Bestimmungen stehen bleibt,
und darum dann auch nur Gründe, endliche Gesichtspunkte und das Ableiten aus
Gründen kennt.“[50]
Gemeint ist damit: Wer nur aus der Sicht einer, der „produzierten“, Natur
urteilt, sieht durch ihn alle Heiligtümer unseres gegenwärtigen politischen
Systems infrage gestellt. Nicht ins Bild der „räsonierenden Gescheitheit“
passt, dass der Monarch „den obersten Punkt [bezeichnet], wo es sich um die
Erhaltung des Ganzen handelt“[51]. Ein
goldener Mittelweg wurde deshalb jahrzehntelang darin gesehen, diesen Teil der
„Rechtsphilosophie“ links liegen zu lassen, um „sich nicht weiter mit der
inneren Verfasstheit des Staats in seiner Rechtsphilosophie beschäftigen zu
müssen“[52].
Und wenn er schon zum Gegenstand gemacht wird, dann mit dem Ziel, den
„Monarchen“ weg- oder kleinzudiskutieren – zum Beispiel, indem er auf den
bloßen „i-Punkt-Setzer“ oder gar auf „Folklore“ reduziert wird.
Hegel wendet sich gegen den
Trugschluss, dass mit Parlament und Parlamentarismus unseres heutigen
Verständnisses die Schöpfung zu bewahren ist. Eine Alleinherrschaft des Parlaments,
die Forderung der Liberalen, kommt für Hegel nicht infrage, weil (bzw.
solange!) sie für einen Staat gegen die „primäre“ Natur steht. Das ist der
Grund, weshalb seine Reformbill-Schrift das englische Beispiel hierfür so
negativ beurteilt.[53] Sie
kann das nicht leisten, weil sie einseitig auf die Interessen der „produzierten“
Natur fixiert ist. Und die andere Natur? Für sie, für ihre Rechte und
Interessen, steht damals der Monarch. Hegel schließt jedoch keineswegs aus,
dass auch ein anderer als er, überhaupt ein Anderes an dessen Stelle treten
könnte. „Der Staat ist die Wirklichkeit des Göttlichen. … Ob also Unterschiede
sind, ob ein Monarch sei oder nicht, ob es psychologisch wahrscheinlich sei, ob
es für den Staat besser sei oder nicht – dies alles ist auszuschließen, wenn
man philosophische Betrachtungen anstellen will“[54],
lesen wir in der Nachschrift Griesheim
zu § 279 R. Die Betonung liegt nicht auf „Monarch“, sondern auf „Repräsentanz
beider Naturen“. Gerade in der Zukunft werden es also nicht die „Monarchen“
sein, sondern „vernünftige Institutionen“, die die Interessen beider Naturen
vertreten und auch durchsetzen. Eingeschlossen darin selbstverständlich auch
das Parlament. Der Monarch ist eine Figur des Übergangs – bis auch für ihn ein vernünftiger Ersatz gefunden ist. Es
wäre angezeigt, Hegel in diesem Punkt
zeitgemäß zu interpretieren.
[1] Siehe dazu: H.
Schnädelbach, Die Verfassung der Freiheit, in: L. Siep Hg.), Klassiker
auslegen. G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1997, S.
243-265.
[2] MEW 1, S. 235.
(Hervorhebung bei Marx).
[3] P. Becchi, Diskrepanzen in Hegels Theorie der fürstlichen Gewalt (1817-1820), HJ 1986, S. 393.
[4] F. Rosenzweig,
Hegel und der Staat, Berlin 2010, S. 414.
[5] V. Hösle, Der
Staat, in: Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie, hrsg. v.
Christoph Jermann, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, S. 201.
[6] H. Kastner, Noch
einmal: Die Stellung des Monarchen, in HS 43 (2008), S. 74 f.
[7] K. Vieweg, Das
Denken der Freiheit. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, München
2012, S. 407 ff.
[8] D. Suhr, Hegels
Vorlesungen über Rechtsphilosophie, in: Rechtstheorie 5 (1974), S. 175 f.
[9] Hösle, a.a.O.,
S. 205.
[10] Becchi, a.a.O.,
S. 395.
[11] H. Boldt, Hegel
und die konstitutionelle Monarchie – Bemerkungen zu Hegels Konzeption des
Staates aus verfassungsgeschichtlicher Sicht, in: E. Weisser-Lohmann/D. Köhler
(Hrsg.), Verfassung und Revolution, Hamburg 2000, S. 182.
[12] § 39 R.
[13] Hegel weist in §
258/A R ausdrücklich darauf hin, dass es ihm im 3. Abschnitt nicht um diesen Staat geht, also um einen Staat
der „mit der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt“ wird und seine Hauptaufgabe
in der Sicherung des Eigentums und der
persönlichen Freiheit sieht.
[14] Wie A.
Hollerbach (Der Rechtsgedanke bei Schelling, Frankfurt a.M. 1957, S. 114) unter
Bezug auf Schellings Naturrechtsschrift von 1797 formuliert.
[15] § 269/Z R.
[16] Ich verweise auf
den Beitrag „Zwischen Sein und Bewusstsein: das Wesen“, hier auf dieser
Plattform, der sich mit diesen Zusammenhängen als dem zentralen Problem der
„Wesenslogik“ näher befasst.
[17] § 272/A R.
[18] § 269/Z R.
[19] Der Begriff
klingt in § 265 u. in § 263/Z R an. Zu diesem Begriff ausführlich: G.
Lübbe-Wolf, Die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Birgit
Sandkaulen/Volker Gerhardt/Walter Jaeschke (Hrsg.), Gestalten des Bewusstseins.
Genealogisches Denken im Kontext Hegels, Hamburg 2009, S. 328-349.
[20] VRph 4, S. 670
(Nachschrift Griesheim zu § 279 R).
[21] C. Schmitt,
Verfassungslehre (6. Auflage), Berlin 1983, S. 200.
[22] Und auch des
Monarchen. Selbstverständlich erfahren seine Positionen zu beiden eine
Weiterentwicklung. Aber es ist nicht so, wie Becchi behauptet (a.a.O., S. 396),
dass er seiner ursprünglichen Auffassung zu beiden die „später verfälschte, der
Selbstzensur unterworfene“ der „Rechtsphilosophie“ entgegensetzt.
[23] Siehe dazu §
278/A R, wo er den Unterschied hervorhebt. Die Glieder sind „organische
Momente“, die jetzt daraus gewordenen Teile sind Totalitäten. Aber für beide
gilt: Ihr „Isolieren und Für-sich-Bestehen“ ist „Krankheit“.
[24] Im Zusatz zu §
185 R heißt es: „Die Besonderheit für sich ist das Ausschweifende und Maßlose,
und die Formen dieser Ausschweifung selbst sind maßlos.“ Um ihr Herr zu werden bedarf es des sie
„gewältigenden“ Staates.
[25] Vermittlung muss sein, wo sich „Entgegengesetzte“ gegenüberstehen. Sie bedeutet, dass die Teile auf die Relativität ihrer Totalität hingewiesen werden, dass ihnen vom „Ganzen“ klargemacht wird, dass sie „relative Totalitäten“ sind, die sich um des Erhalts des Ganzen willen Einschränkungen ihrer Totalität gefallen lassen müssen.
[26] Phän, S. 341.
[27] Ebd., S. 343 f.
[28] MEW 1; S. 390.
[29] Siehe VRph I, S.
292, wo es heißt: „nicht der Bürger [ist] das höchste, sondern der Mensch“.
[30] § 280 R.
[31] NR, S. 489.
[32] § 281 R.
[33] § 280/Z R.
[34] § 279/Z R.
[35] Jenaer
Realphilosophie, zitiert bei C. Cesa, a.a.O., S. 200, auf den in dem hier
behandelten Zusammenhang verwiesen wird.
[36] § 281 R.
[37] Cesa, a.a.O., S.
190.
[38] NR, S. 489.
[39] Brunner, Vom
Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, in: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 3. Aufl., Göttingen
1980, S. 167.
[40] Rosenzweig,
a.a.O., S. 174.
[41] § 280/A R –
Hervorhebung bei H.
[42] Rosenzweig,
a.a.O., S. 413.
[43] C. Cesa,
Entscheidung und Schicksal: die fürstliche Gewalt, in: Hegels Philosophie des
Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, hrsg. v. Dieter Henrich
und Rolf-Peter Horstmann, Stuttgart 1982, S. 202.
[44] Von Hegel zu
Hitler (2. Aufl.), Frankfurt a.M. 1995.
[45] VPhG, S. 41.
[46] § 273/A R.
[47] C. Cesa, a.a.O.,
S. 198 f.
[48] H. Kastner,
a.a.O., S. 74.
[49] Siehe dazu: R.
K. Hovecar, Der Anteil Gentz‘ und Hegels an der Perhorreszierung der Repräsentativverfassung
in Deutschland; ARSP Vol. 1966, S. 117-133 – eine Arbeit, die sich anhand der
„Landständeschrift“ das Ziel setzt zu zeigen, dass Hegel die philosophische
Grundlage der konstitutionellen Monarchie bereits gelegt hat, bevor Gentz mit dem
Begriff an die Öffentlichkeit tritt.
[50] § 279/A R.
[51] Rosenzweig,
a.a.O., S. 413.
[52] Kastner, a.a.O.,
S. 67.
[53] Siehe hierzu der
Beitrag „Hegel und England“ auf dieser Plattform.
[54] VRph 4, S. 670.