Der Monarch, „der schwerste Begriff für das Räsonnement“ ( 279 R)

Kaum etwas hat Hegel mehr Kritik eingetragen als sein Begriff des Monarchen. Eine Störgröße erster Ordnung. Ein Gräuel für alle Sucher des „liberalen“ Hegel.[1] Der wundeste Punkt seiner Staatsphilosophie. Schon der junge Marx macht seinem Unmut Luft: Was bezweckt Hegel mit ihm? „Will er den Eindruck des Mystischen und Tiefen“ erwecken? Wo es Hegel doch um den „Vernunftstaat“ geht: Hat denn sein „Monarch“ nicht zur Konsequenz, dass „auf der höchsten Spitze des Staates  …statt der Vernunft die bloße Physis“ entscheidet?[2]

Es ist ein breiter Strom von Autoren und Arbeiten, die sich nun schon seit Jahrzehnten dem Anliegen verschreiben, Hegels Staatsphilosophie von jenen Teilen zu bereinigen, die nicht zu seiner bürgerlichen Gesellschaft passen. Den unpassenden Teilen wird dazu meist nachgesagt, nicht Philosophie zu sein, sondern Anbiederungsversuche an den Dienstherrn, dem preußischen König.

Beispiel: Die Interpretationen der §§ 273 und 275 R. Der Tenor lautet dahin, dass Hegel die „korrekte“ Reihenfolge: Legislative, Regierung, Monarch, einfach umgekehrt habe, um seinem Dienstherrn, dem preußischen König, zu gefallen. Jedenfalls werde die Souveränität des Monarchen „ohne irgendeine überzeugende logische Schlussfolgerung … behauptet.“[3]

Von einer „äußerst auffälligen Umkehrung der Reihenfolge einer soeben aufgestellten Disposition in der sofort folgenden Ausführung“, spricht F. Rosenzweig unter Bezug darauf, dass Hegel bei der Aufzählung der Staatsgewalten in § 273 zwar mit der gesetzgebenden Gewalt beginnt, zwei Paragrafen weiter aber mit seinen näheren Ausführungen bei der fürstlichen Gewalt einsetzt. Er sieht darin einen „tiefen gedanklichen Widerstreit“, der das „Hegelsche Bild der Monarchie so schillernd“ macht.[4] Deutlich kritischer äußert sich V. Hösle hierzu. Für ihn ist diese „Umpolung … das eklatanteste Beispiel für einen Begriffsfehler bei Hegel – d.h. für eine logisch unbegründete Abweichung vom eigenen Ansatz.“ Und warum? „[U]m sich kontingenten Zeitverhältnissen zu akkommodieren.“[5] Moderater formuliert H. Kastner seine prinzipiell gleichen Einwände. Auch er spricht von einem Argumentationsfehler, von einer Vermengung der Ebenen und geht davon aus, dass Hegel „sich – zumindest bis zu einem gewissen Grade – sicherlich jener Ambivalenz bewusst“ war.[6] Auch K. Vieweg, ein Autor, der mit Hegel durchweg feinfühlig umgeht, empfindet die Aussagen zum Monarchen als „schwere theoretische Hypothek“, sieht darin einen „logischen Fauxpas“ erster Ordnung. Er entschuldigt Hegel aber damit, dass dieser ihn lediglich aus Zensurgründen in das Werk „eingebaut“ habe. Der Fehler sei so offensichtlich, dass er als „Wink mit dem Zaunpfahl“ anzusehen sei, verbunden mit der Aufforderung an den Leser zensurfreierer Zeiten, ihn aufzugreifen und richtig zu stellen.[7] Ähnlich, und vermeintlich ebenfalls zu Gunsten Hegels, argumentiert D. Suhr.[8]

Die Argumente, die Hegel in der „Rechtsphilosophie“ wie auch in seinen Vorlesungen anführt, um diese „Umpolung“ zu begründen, werden von Hösle geprüft, gewogen und im Ergebnis als zu leicht befunden. Bestärkt durch Aussagen A. Ruges und des jungen K. Marx zu eben diesem Teil der hegelschen Staatsphilosophie bleibt er dabei, das „Hegels Argumentation … nicht anders als absurd zu bezeichnen“ ist.[9] Wie man es auch dreht und wendet: Mit dieser „Umpolung“ der Reihenfolge beweise „Hegel, dass er sich ganz auf die Seite der Restaurationspolitik Metternichs stellt.“[10]

Verbreitet ist die Meinung, dass im Abschnitt zum Staat der „Rechtsphilosophie“ Politik und Philosophie auseinander klaffen. Politisch (gemeint: opportunistisch) gesehen bereite die dortige Umkehrung der Reihenfolge „keine Probleme“, mag sie auch in philosophischer und logischer Hinsicht dem Hegelschen Systems widersprechen.[11]

Was ist solchen Urteilen entgegenzusetzen?

An erster Stelle sollte der Hinweis darauf stehen, dass in Hegels Staatsphilosophie ein Staat porträtiert ist, der Bezug nimmt auf zwei Naturen: auf die „vorgefundene“[12] sowie auf die menschgeschaffene „produzierte“ Natur. Das ist ein Ansatz, der Hegels Philosophie von allen neuzeitlichen Philosophien unterscheidet, sie einzigartig, aber auch unverstanden macht. Sein Staat ist die „Einheit“ dieser beiden Naturen; er vermittelt ihren Gegensatz. Die Interpretationen der benannten Textstellen leiden also darunter, dass der in den §§ 257 ff. porträtierte Staat und jener „Not- und Verstandesstaat“, der im Abschnitt zur bürgerlichen Gesellschaft abgehandelt ist, in einen Topf geworfen werden. Aber um es auch in diesem Zusammenhang zu wiederholen: Letzterer ist nur der Staat einer, der „produzierten“, Natur; ein Teil-Staat mit Aufgaben, die sich auf diese Natur beziehen.[13] Schon aufgrund der atomistischen Struktur der bürgerlichen Gesellschaft ist er in allen wesentlichen Bereichen anders strukturiert als der sittliche, auf beide Naturen bezogene, Staat. Und trotzdem: er gilt uns bis heute als der einzige, als der „ganze“ Staat. An ihm messen wir, wenn wir über Hegels Staat urteilen. Die Folge: der Vergleich fällt selbst bei jenen, die ihm wohl gesonnen sind, regelmäßig zum Nachteil Hegels aus. Nichts an seinem Staat ist so, als dass es uns genügen würde. Zum Beispiel die Gewaltenteilung: Unter der Rubrik „Not- und Verstandesstaat“ hat sie einen ganz anderen Sinn als unter der Rubrik „Staat“. Darauf weist allein schon das Fehlen der Gewalt „Judikative“ hier, in den Ausführungen zum Staat, hin, obwohl Hegel sehr wohl weiß, dass die rechtsprechende Gewalt unverzichtbarer Teil des „Not- und Verstandesstaates“ ist und dort, wo er abgehandelt wird, auch ihren gebührenden Platz erhalten hat. Da die Materie „Recht“ sich aus der atomistischen Struktur der „produzierten“ Natur ergibt, also ihr essentieller Bestandteil ist, findet die Judikative hier – unter „Staat“ – deshalb auch keine Erwähnung. Salopp formuliert: Sie fehlt hier, weil es ausgeschlossen ist, dass sich die beiden Naturen oder ihre Derivate je vor Gericht begegnen. Denn das Recht, das wir kennen ist „Naturbeherrschungsrecht“[14]. Oder so gesagt: Der Rechtsstaat ist aus Sicht der „primären“ Natur ein Unrechtsstaat.  

Wer nur auf die „produzierte“ Natur starrt, wer sie zum Non plus Ultra erhebt, sieht nur, dass von diesem Staat eine deren Freiheit einschränkende Wirkung ausgeht. Oder wie der junge Marx messerscharf urteilt: Dass dieser Staat als „Staat gegen die bürgerliche Gesellschaft“ konzipiert ist.

Ein weiterer Mangel besteht darin, dass unsere Sicht auf die hegelsche Staatsphilosophie zu sehr an der Oberfläche bleibt. Eine Folge dessen: der Konflikt der beiden Naturen wird damit als Konflikt zwischen Monarch hier und Parlament dort sowohl „personifiziert“ als auch verflacht. Die Repräsentanten stehen im Vordergrund, nicht das von ihnen Repräsentierte.

Was nun die angebliche „Umpolung“ der §§ 273/275 anbelangt:

In § 273 zeigt Hegel auf, dass der Staat seine Aufgaben arbeitsteilig verwirklicht. Er enthält keine Aussage dazu, welcher Personenkreis bzw. welche Institution welche Aufgabe zu erfüllen hat. Die dortige Reihenfolge bezieht sich also auf Tätigkeiten, nicht auf Institutionen.

§ 275 enthält eine nähere Bestimmung der fürstlichen Gewalt. Wir erfahren, dass in ihr die Teil-Gewalten zur „Einheit“ gebracht sind. Als der Repräsentant des Ganzen, als „Spitze“, ist der Monarch deswegen auch an allen „Gewalten“ beteiligt; er verkörpert „das Einzelnste und das Allgemeinste.“ 

Was die Kritik unbeachtet lässt: Vor der (Gewalten-)Trennung steht die (weiterhin) bestehende (Gewalten-)Einheit. Die einzelnen Gewalten sind das Inwendige eines Organismus. Und zur Natur des Organismus gehört, „dass, wenn nicht alle Teile zur Identität übergehen, wenn sich einer als selbständig setzt, alle zugrunde gehen müssen.“[15] Hegel verweist deshalb in § 275 auf § 272, wo er sich mit dieser Einheit befasst, die vor der Trennung bestand bzw. trotz Trennung bestehen bleibt. Die Aussage im Hauptteil des Paragrafen: Jede der drei genannten Gewalten hat die anderen „in sich“, jede von ihnen ist aus der gleichen „Totalität“ hervorgegangen und bleibt der Idee nach mit ihr verbunden. Wir haben ein Beispiel der Umwandlung einer Totalität in ein aus Teilen bestehendes Gesamtsystem vor uns. Was mit den „Gewalten“ entsteht, sind „relative Totalitäten“ im Sinne des § 141 R, die ihre Einheit im „Ganzen“ finden. Das Problem daran: Wir sehen zunächst nur die Teile, während das Ganze als „gestaltloses Sein“ unsichtbar bleibt, ehe es in einer „Vernunftgestalt“ ebenfalls materiell wird.[16] Aber über die (Wesens-)Logik erschließt sich das „Ganze“ sofort, wie Hegel in der Anmerkung zu § 141 deutlich macht. Wird es übersehen, führt das dazu, dass die Teile, die „relativen Totalitäten“, hier: die Gewalten, verabsolutiert werden und ihr Charakter als „lebendige Einheit“ außer acht bleibt. Die weitere Folge einer solchen Verabsolutierung: „die Zertrümmerung des Staats“[17].

Was bedeutet diese „Zertrümmerung“ des vormaligen „Ganzen“ für den Monarchen? Dieser Restposten eines untergegangenen „Ganzen“: Ist er nun nicht überflüssig? Warum hält Hegel an ihm fest? Welcher Grund steht seiner Weiterexistenz zur Seite?

Da das zentrale Element der dialektischen Logik, die Erkenntnis des „Wesens“ über die „Wesenslogik“ so schwer fällt, kämpft Hegel einen einsamen Kampf, sowohl über seine Publikationen mit der Kollegenschaft als auch vom Katheter herab. Zur weiteren Klarstellung des so schwer Begreiflichen fügt er dem Paragrafen § 272 einen Zusatz bei, dessen entscheidender Passus lautet:

                Wenn man von der unterschiedenen Wirksamkeit der Gewalten spricht, muss man nicht in den ungeheuren Irrtum verfallen, dies so anzunehmen, als wenn jede Gewalt für sich abstrakt bestehen sollte, da die Gewalten vielmehr nur als Momente des Begriffs unterschieden sein sollen. Bestehen die Unterschiede dagegen abstrakt für sich, so liegt am Tage, dass zwei Selbständigkeiten keine Einheit ausmachen können, wohl aber Kampf hervorbringen müssen, wodurch entweder das Ganze zerrüttet wird, oder die Einheit durch Gewalt sich wieder herstellt.

Der Gedankengang des § 272 wird an vielen Stellen aufgegriffen und vertieft. So in § 300/Z, wo Hegel von dem der landläufigen Auffassung von Gewaltenteilung innewohnenden „Grundirrtum“ spricht, „dass die unabhängigen Gewalten dennoch einander beschränken sollen. Aber durch diese Unabhängigkeit wird die Einheit des Staates aufgehoben, die vor allem zu verlangen ist.“

Wie war es früher? Hegel verweist darauf, dass es vor der Gewaltenteilung eine Gewalteneinheit gab. Und diese löst sich nicht in Nichts auf, sondern wird auf einer höheren Ebene fortgesetzt. Die Gewaltenteilung tritt ein und sie bleibt erhalten. Aber sie ist eingebettet in eine neue Art von Einheit, die als „konstitutionelle Monarchie“ manifest wird. Den Kritikern seines Staates und des Monarchen hätte zu denken geben sollen: „Organismus“ heißt Gliederung, „heißt Entwicklung der Idee zu ihren Unterschieden.“[18] Das verweist uns auf das „Gemeinwesen“, auf jenes „naturwüchsige Gemeinwesen“, das damals auch in Deutschland sein vieltausendjähriges Leben ausgehaucht hat. Aber anders als es landläufige Meinung ist, zerbricht es nicht in „Staat“ und „Gesellschaft“, sondern in die zwei Naturen, die „primäre“ und die „produzierte“; ehemalige Glieder des Gemeinwesens, die nun als Teile fortleben; Teile eines „Ganzen“, das dabei ist, sich in „vernünftigen Institutionen“[19] zu materialisieren.

Man beachte die Schärfe, mit der Hegel in der Anmerkung zu § 272 gegen das in Deutschland seiner Zeit üblich gewordene „Verfassungsgeschwätz“, insbesondere gegen die „kursierenden Vorstellungen“ von der Gewaltenteilung polemisiert. „[U]nverdautes Gerede“, „Räsonnement“, Sprache des „Gemüts“, der „Liebe und Begeisterung“ statt „philosophische Erkenntnis solcher Gegenstände“ urteilt er über die hierzu geführte Diskussion.

Was ihn empört ist die Ignoranz philosophischer Erkenntnisse, insbesondere die Ignoranz solcher Erkenntnisse, die über die Logik zu gewinnen sind „-freilich nicht [mit] der sonst gang und gäben -“, sondern mit seiner, der dialektischen, Logik. Eine Logik, die das gegenwärtig Notwendige nicht statisch betrachtet, sondern es in sein „Davor“ und „Danach“, in seine Vergangenheit und in seine Zukunft einbettet. Dieser Verweis hätte Anlass geben sollen, nicht vorschnell zu urteilen. Denn er zeigt uns eine Spur auf, die zu einem anderen Verständnis der „Umpolung“ führt.

Hätte er sich, bloß um seinem Dienstherrn zu gefallen, so echauffieren müssen?

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Konstitutionelle Monarchie besagt, dass sich der Schwerpunkt verlagert hat. Nicht mehr der Monarch, sondern der „Staat ist [nunmehr] die Wirklichkeit des Göttlichen“[20]. Oder mit den Worten C. Schmitts: „[N]icht mehr das Monarchische, sondern das Konstitutionelle  [ist jetzt] die Hauptsache.“[21]

Das ist eine Klarstellung, die uns weiter hilft.

Das Deutschland Hegels ist geprägt durch den endgültigen Zerfall jenes „naturwüchsigen Gemeinwesens“, in dem die Menschen über die Bande des Blutes und des Bodens zur Einheit gebracht waren. Ein Gemeinwesen verabschiedet sich, das unter Führung der „vorgefundenen“ Natur stand. Ein „Organismus“, dessen Zentrum der feudale Monarch war. Ein Zerfall, der nachdrücklich durch die Auflösung des Reiches äußerlich gemacht ist. Die Frage, was diesem Gemeinwesen nachfolgt, war zu beantworten – theoretisch wie praktisch. Zuständig für den praktischen Teil: Metternich und Gentz.

Hegel sieht sich für die philosophischen Fragestellungen zuständig. Nicht erst, seit er nach Berlin berufen ist. Über alle Stationen seines bisherigen Schaffens beschäftigt ihn das Schicksal des Gemeinwesens.[22] Mit seiner „Logik“ hat er die Voraussetzungen geschaffen, diese Frage einer Antwort zuzuführen. Er weiß nun, dass mit dem Untergang seiner „Naturgestalt“ nicht das Gemeinwesen selbst die Geschichte verlässt, sondern der „Naturgestalt“ eine „Vernunftgestalt“ folgen muss.

Ein historisches Ereignis erster Ordnung ist zu beurteilen. Ein Wendepunkt, aus dem drei Totalitäten hervorgehen: Die Teile in Gestalt der beiden Naturen. Das „Ganze“ als ihrer Einheit. Weil sie aber, wie der frühere „Organismus“, weiterhin einen Verbund bilden, statt des früher biologischen jetzt einen „logischen“, sind alle drei nur relative Totalitäten, Totalitäten, die sich gegenseitig bedingen und beschränken. Interpretiert wird dieses geschichtliche Großereignis von den Philosophen der Aufklärung, von den ihnen nahestehenden Ökonomen und Politikern jedoch höchst einseitig - aus der Sicht der „produzierten“ Natur. Ihre Befreiung steht im Mittelpunkt und wird als Sieg über die bisher tonangebende „primäre“ Natur angesehen, als „Freiheit“! Tonangebend ist nun diese Natur, während die andere zum Objekt der Ausbeutung herabgestuft wird und philosophisch, ökonomisch und politisch „mundtot“ gemacht wird. Scheinbar eine bloße Umkehrung: Nach der Herrschaft der einen nun die Herrschaft der anderen Natur.

Und das „Ganze“? Dieses geht als Verlierer hervor; es gerät vollends aus dem Blick. Denn während sich mit dem organismisch strukturierten „naturwüchsigen“ Gemeinwesen eine „Personalunion“ der damals tonangebenden „primären“ Natur mit dem Ganzen verband, schließt der jetzige Verbund der Teile mit dem Ganzen eine solche aus. Das Ganze hat sich frei gemacht von den Teilen. Aber auch die Teile haben sich vom Ganzen separiert. Eine neue Konstellation – aber sie wird ignoriert. Alles dreht sich vielmehr um den „Sieger“, um die „produzierte“ Natur; sie schwingt sich zur „Führungsnatur“ auf, sie geriert sich jetzt als das „Ganze“.  

So der Befund, auf den Hegel zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere stößt und dem er in immer neuen Anläufen und bei immer neu gesetzten Schwerpunkten Zeit seines Lebens auf dem Grund  gehen wird.

Gutgeheißen von der Philosophie der Aufklärung, gutgeheißen später von den Liberalen seiner Zeit, gutgeheißen noch später auch von Marx/Engels, ist diese Umkehrung des früheren Zustandes für Hegel hoch problematisch. Macht sie doch eine Natur zum Herrn, die ihre Existenz von der anderen, jetzt versklavten, Natur ableitet. Das hat verhängnisvolle Folgen! Denn die „primäre“ Natur ist die erste Natur – und sie bleibt es. An der Reihenfolge ihrer „Geburt“ kann es keine Umkehrung geben. Wie richtig es auch ist, dass die „produzierte“ Natur jetzt als „erwachsen“ und gleichberechtigt anerkannt ist: Die „primäre“ Natur ist und bleibt die „Allmutter“, die Nährmutter für alle von ihr hervorgebrachten Geschöpfe. Sollen beide Naturen Bestand haben, soll dieser „Sieg“ nicht zum Pyrrhussieg werden, bedürfen sie, jetzt dringender denn je, wiederum der „Einheit“, damit: der Vermittlung durch etwas, das außer ihnen liegt, der Vermittlung durch ein Drittes, durch das „Ganze“.

Auf der Tagesordnung steht der „Vernunftstaat“. Er bezeichnet den Sprung von einem „biologisch“ geprägten Ganzen zu einem logischen Verbund des Ganzen und der Teile.[23] Was unselbständiges „Glied“ war ist nun relativ selbständige Totalität. Keimzelle des „Vernunftstaates“ ist das Konstitut. Er ist die Antwort auf die Teilung; nach Verlust der „biologischen“ Einheit ist er die logisch hergestellte Einheit der beiden Naturen. Die Zeitgenossen Hegels verstehen den Untergang des „naturwüchsigen Gemeinwesens“ so, dass jetzt ein Teil, und zwar unter dem Namen „bürgerliche Gesellschaft“ die „produzierte“ Natur, zur Herrschaft gelangt. Sie nimmt jetzt den Rang ein, den die „primäre“ Natur bisher innehatte. Hinzu kommt: Sie geriert sich als das „Ganze“; der Organismus „naturwüchsiges Gemeinwesen“ scheint sich mit ihr fortzusetzen. Eine überaus bequeme und überaus vorteilhafte Interpretation, zu der wir uns, korrumpiert durch das Glück, das sie uns verheißt, verleiten lassen. Diese Sichtweise verbindet sich im politischen Bereich mit einer „Umpolung“ vom absolut regierenden Monarchen zum absolut regierenden Parlament. Sie lässt für einen Monarchen eigentlich keinen Raum. Sie akzeptiert ihn daher nur, wenn er sich unter Verzicht auf Teilhabe an der politischen Macht mit dem bloßen Titel bescheidet. Nur die besonderen deutschen Verhältnisse bringen es mit sich, dass sich hier auch die liberale Fraktion mit einer konstitutionellen Monarchie abfindet. Aber sie sieht sie als eine Übergangsfigur an, die so bald als möglich dem „Parlamentsstaat“ zu weichen hat.

Hegel sieht das anders:

Sein Konstitut ist die Keimzelle des „Vernunftstaates. Es ist das Ergebnis eines „historischen Kompromisses“, der beide Naturen zusammen bringt, ihre gegensätzlichen Interessen aufzugreift und sie vermittelt. Es ist das Grundgesetz der beiden Naturen - und dem Staat fällt die Aufgabe zu, es zu exekutieren. Jede der beiden Naturen muss zurückstecken, muss sich Einschränkungen ihrer Totalität gefallen lassen. Wahrgenommen werden Letztere aber nur bei der bürgerlichen Gesellschaft. Diese hält ihren maß- und grenzenlosen Betätigungsdrang ebenso für selbstverständlich, wie die jetzige Reduzierung der „primären“ Natur auf ein Objekt der Ausbeutung.

Hegel erkennt schon damals[24], was wir Heutigen tausendfach bestätigt sehen: diesen Hang zum Maßlosen. Wohin er führt, wenn er ausgelebt werden darf, haben wir längst vor Augen: eine heruntergewirtschaftete, bereits irreparabel geschädigte Natur. Einschränkung also nicht aus Willkür heraus, sondern weil das Überleben der anderen, der „primäre“ Natur sichergestellt werden muss. Wer das „Ganze“ auf den Teil „bürgerliche Gesellschaft verkürzt, für den verengt sich der Begriff Staat von einem Begriff, der die politische Organisation zweier Naturen meint, auf einen Begriff, der nur auf die „produzierte“ Natur bezogen ist. Für den, der nur eine Natur kennt bzw. anerkennt, wäre es logisch, wenn der Teil „Staat“ der „Rechtsphilosophie“ weiter vorn untergebracht wäre – im Teil, der sich mit der bürgerlichen Gesellschaft befasst. Zum Beispiel hätte er den dort vorgestellten „Not- und Verstandesstaat“ ausschmücken können. Und schon sähe die Welt des Staates ganz anders aus. Von daher ist es irritierend, warum Hegel seine Ausführungen zum Staat auf zwei Abschnitte zerstreut und noch dazu hier und dort zu unterschiedlichen Aussagen gelangt.

Die Vorrangstellung der einen weicht also nicht der Vorrangstellung der anderen Natur, sondern wird überhaupt beseitigt und ersetzt durch ein Miteinander. Da sich dieses nicht von selbst herstellt, ist „Vermittlung“ notwendig.[25] Dazu Hegel bereits in der „Phänomenologie“: „[I]hr Gegensatz ist vielmehr die Bewährung des einen durch das andere, … ihre Mitte … ist die unmittelbare Durchdringung“ durch das Ganze.[26] Beide Extreme, beide Gegenüber sind im Ganzen zusammengeschlossen. Bleibt die Vermittlung aus, geschieht, dass die jetzt herrschende Natur, diese neue Wirklichkeit, daran geht,  die ihr „entgegengesetzte Wirklichkeit durch Gewalt zu unterwerfen.“[27]

Wo wir gemeinhin aus dem Zerfall des Gemeinwesens „Staat“ und „Gesellschaft“ hervorgehen sehen, erkennt Hegel einen Prozess, der ungleich komplizierter ist: die Umbildung eines gegliederten, „biologisch“ zu beurteilenden, Organismus zu einem logischen Maßstäben folgenden System des Ganzen und seiner Teile. Das Gemeinwesen zerfällt nicht in „Staat“ und „Gesellschaft“, sondern in „primäre“ und „produzierte“ Natur. Der Staat ist nicht das Gegenüber der bürgerlichen Gesellschaft, sondern die Einheit beider Naturen. „Staat“ bezieht sich daher auf das, was früher „Organismus“ war. So ist zu verstehen, wenn es im Zusatz zu § 269 heißt: „Der Staat ist Organismus“. Aber „Organismus“ ist jetzt, nach Zerfall des „naturwüchsigen Gemeinwesens“ logisch zu verstehen, also als Zusammenspiel des Ganzen und der Teile. Das erkenntnistheoretische Problem: die Teile sind handfeste, real existierende Größen. Das „Ganze“ aber scheint mit Ausbildung der Teile zu Nichts geworden zu sein. Aber wie uns die Wesenslogik belehrt: der „Organismus“ geht lediglich in das „gestaltlose Sein“ über. Darin verharrt es, bis es in die menschgeschaffene „Vernunftgestalt“, hier: den Staat, überführt ist.

Das Unsichtbare und das Sichtbare, das „Göttliche“ und das „Irdische“: Beide Seiten, beide Daseinsweisen machen aus dem Staat ein „Irdisch-Göttliches“.  

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All dies bezogen auf den Monarchen:

Der Staat als „Naturgestalt“ ist tot und hat seiner „Vernunftgestalt“ Platz gemacht. Für den Monarchen bedeutet das, dass auch er jetzt unter dem Konstitut steht. Er ist damit nicht mehr Teil des „Irdisch-Göttlichen“. Nur noch seine „Leiblichkeit“ ist auf dieser Ebene von Bedeutung. Wie auch in England fungiert er bloß noch als repräsentative „Spitze“ bzw. als „i-Punkt-Setzer“, als Symbol der Einheit. Anders auf der Ebene der Teile: Dort führt der Monarch fort, was er auch vorher getan hat und vertritt die „primäre“ Natur. Für sie ist er sowohl am Gesetzgeben wie am Regieren beteiligt.

Der Monarch ist nicht einbezogen in die „Personalisierung“, in die Umformung sowohl des Sklaven als auch des Freien zur „Person“. Der „völlige Verlust des Menschen“[28], der damit einhergeht, wenn der Mensch zur Person wird, macht vor ihm halt. Er bleibt das „Höchste“, nämlich Mensch.[29] Er wird nicht in die Tretmühle „bürgerliche Gesellschaft“ hinabgestoßen, er ist nicht Teil der von ihr ausgehenden Willkür gegen die andere Natur. Er geht nicht in den dritten Stand ein, in dem jetzt die anderen nivelliert sind. Er bleibt außerhalb; er ist der, der nicht der „primären“ Natur entfremdet wird. Er bleibt freigestellt von „allem [mit der ‚Person‘ verbundenen] Inhalte“[30]. Er bleibt Individuum der absoluten Sittlichkeit“[31]. Er ist der letzte Mensch. Das macht ihn zur „Idee des von der Willkür Unbewegten“, das macht jetzt die „Majestät des Monarchen aus.“[32]

Für Hegel ist er Monarch der einzige, der als Interessenvertreter der „primären“ Natur infrage kommt. Ob er sich dessen nun bewusst ist oder nicht: er verkörpert weiterhin das Naturprinzip. Zwar sind das Ganze und die Teile jetzt getrennt und auf verschiedenen Ebenen verteilt. Zwar ist die frühere „Personalunion“ beendet. Zwar kann das Ganze nicht mehr über eines der Teile „regiert“ werden. Wohl aber können im Rahmen des Konstituts und über die Beteiligung an allen Gewalten die Interessen der „primären“ Natur vertreten werden. Und so wird das jetzt zum Schwerpunkt seiner Tätigkeit. Da wir uns in der ersten Stufe des „Vernunftstaates“ befinden und nicht wissen, auf wen oder was seine jetzigen Funktionen in späteren, reiferen Stufen übergehen, bleibt er auf seinem Posten.  

Und wenn der Monarch „übel gebildet“[33] ist? Vergessen wir nicht, was C. Schmitt uns dazu zu sagen hat: Das Konstitutionelle ist die Hauptsache, nicht das Monarchische. Auch der „übel gebildete“ Monarch ist eingebunden in das Konstitut. Und wenn dieses „fest“ ist, so hat der Monarch „oft nicht mehr zu tun, als seinen Namen zu unterschreiben.“[34] Wichtiger als seine Bildung ist für Hegel, dass der Monarch die „Naturseite“ verkörpert. Mit ihm ist also die Kontinuität des „Naturprinzips“ bzw. einer Sittlichkeit sichergestellt, wie sie den „unausgebildeteren Gestaltungen des Staates“ zugrunde lag.[35] Insoweit steht er außerhalb jener Willkür, die die bürgerliche Gesellschaft gegenüber der „primären“ Natur ausübt, insoweit verkörpert er die „Idee des von der Willkür Unbewegten[36]. Und was die „Bildung“ anbelangt: Soweit der Bildungsbegriff der bürgerlichen Gesellschaft darauf ausgerichtet ist, der „primären“ Natur ihre Geheimnisse abzulisten, um sie besser ausbeuten zu können, wird das Manko an Bildung beim Monarchen weniger relevant. Ganz richtig, wenn Cesa schreibt: „Und man hat den Eindruck, dass der Monarch das einzige Element zu sein scheint, das fähig ist, den negativen Folgen der ‚Bildung‘ zu widerstehen.“[37] Bis die „Vernunftgestalt“ ausgereift ist, müssen wir ohnehin mit ihm auskommen. Und selbst der übel gebildete Monarch ist auf diesem Hintergrund das kleinere Übel gegenüber einer „produzierten“ Natur, die sich zum Nachteil der anderen Natur zum „Ganzen“ aufschwingt.

Der Status „letzter Mensch“ erhebt ihn zugleich, umgeben von der Aura des Göttlichen, zur „Idee“ des Menschen, zur irdisch gemachten „letzten Entscheidung“. Der Monarch steht außerhalb des „Getriebes und Geschiebes“. Er führt ein „allgemeines, dem Öffentlichen ganz gehöriges Leben“[38]. Ihm sind nicht die Scheuklappen der bürgerlichen Gesellschaft angelegt. Er ist nicht verbildet.

Der Monarch erinnert an Zeiten, wo alles noch „ungetrennt“ war, wo jeder mit jedem über die Bande des Bodens und des Blutes verbunden war, an das „Gemeinwesen“. Das ist der Hintergrund der Frage O. Brunners: „Steht nicht hinter dieser mythisch-magischen Vorstellungswelt die Überzeugung von der Eigenberechtigung, Eigenständigkeit der sittlichen und rechtlichen Anschauungen, die auch in einer rationaler denkenden Zeit, die die magischen Elemente abstößt, fortlebt?“[39]

Der Monarch fungiert als Platzhalter des neuen, auf die „Vernunft“ gegründeten, Ganzen. Er markiert  „den obersten Punkt, wo es sich um die Erhaltung des Ganzen handelt“[40]. In ihm bricht sich das „Ganze“. Das ist der Grund, warum er „Letztentscheidender“ ist. Da aber das „Ganze“ geleugnet, und wenn nicht geleugnet, dann mit einem Teil gleichgesetzt wird, der die „Unnatürlichkeit“ verkörpert, leugnet die „räsonierende Gescheitheit“ daher, „dass das Moment der letzten Entscheidung im Staate  an und für sich … mit der unmittelbaren Natürlichkeit verbunden ist“[41]. So gesehen, kann es, entgegen der Meinung Hösles u.a. nicht falsch und kein „grober Schnitzer“ sein, wenn Hegel mit ihm seine Ausführungen zur inneren Verfassung beginnt. Im Gegenteil: „Der Fürst ist, systematisch gesehen, der Ursprung der Staatstätigkeit – ‚erste Gewalt‘ – und zugleich, praktisch gesehen, nur der fast inhaltslose abschließende ‚formelle‘ Wille, durch den der im Amtsweg … zustande gekommene Beschluss vollzogen wird.“[42]

Solange der Staat „Organismus“ ist, muss auch dessen „Spitze“ eine physische Größe sein: die „Leiblichkeit“ des Monarchen. Aber der Monarch ist nicht zu verwechseln mit einen „Einzelleiter“, der aus der bürgerlichen Gesellschaft heraus erwächst. In diesem Punkt haben all jene, die Hegels „Monarchen“ ablehnen also recht: Mit all seinen Machtbefugnissen wäre er als Regent einer bürgerlichen Gesellschaft nichts weiter als ein ordinärer Diktator oder, wie C. Cesa[43] formuliert, ein „Seelenführer“ und –verführer. Wer den Monarchen Hegels, überhaupt: wer Hegels Staatsphilosophie von dieser Plattform aus interpretiert kann relativ mühelos von Hegel zu Stalin oder, wie H. Kiesewetter[44], von Hegel zu Hitler gelangen. Napoleon I. wie auch Napoleon III. wären,  da Repräsentanten der bürgerlichen Gesellschaft, aus dieser Sicht keine Monarchen im Sinne Hegels. Sie sind „individuelle Gewalthaber“[45], die die Flagge der Monarchie nutzen, um die Zwecke der „produzierten“ Natur, meist unter Zurückdrängung oder gar Ausschaltung der Korrekturmechanismen der „invisible Hand“, treibhausmäßig zu fördern. 

Stemmt sich aber der Monarch der Entwicklung zur konstitutionellen Monarchie entgegen, gewinnt das Ganze eine Ausrichtung, die sich als Gegenüber von Staat und bürgerlicher Gesellschaft zeigt. Absolutismus! Der absolut regierende Monarch verlängert jene Staatsformen, denen die „ungetrennte substanzielle Einheit“[46] zugrunde lag über deren Zeit. Ein historisch gewordener Zustand wird konserviert. Aber die Entwicklung zur Teilung ist unaufhaltsam. Das heißt aber nicht, dass nun die bloße „Umkehrung“ auf der politischen Tagesordnung stünde. Nicht statt des absolut regierenden Monarchen jetzt das absolut regierende Parlament. Was Not tut, ist nicht der Wechsel von einem Extrem ins das andere, sondern die Einheit. Und Einheit heißt Vermittlung. „Einheit“ und „Vermittlung“ führen uns zum „Verfassungsmonarchen“ im Sinne Metternichs und Gentz und der Philosophie Hegels. Der „konstitutionelle“ Monarch ist nicht mehr Allein-Herrscher, sondern „Vermittler“. Zugleich ist er es, der im Rahmen der Legislative die „Naturseite“ vertritt. Eine Doppelfunktion, die ihn befähigt, die „produzierte“ Natur objektiv zu sehen und ihr entgegenzutreten, wo dies im Interesse des „Ganzen“ notwendig ist. So eingeordnet, ist „der der fürstlichen Gewalt zugedachte erste Platz vollständig vom theoretischen Standpunkte gerechtfertigt.“[47] Aus der Sicht jener, die nur diese Natur im Blick haben, müssen Hegels Aussagen allerdings als „ambivalent“[48] erscheinen.

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Abschließend:

Wer die „produzierte“ Natur mit „Natur“ gleichsetzt, reflektiert den Zerfall des „naturwüchsigen“ Gemeinwesens als einen Zerfall, aus dem „Staat“ und „Gesellschaft“ hervorgehen - und nicht zwei Naturen und der Staat. Und der reflektierte Staat ist ein ganz anderer als der Hegels, nämlich der von ihm sogenannte „Not- und Verstandesstaat“, der Teilstaat der „produzierten“ Natur.

Wer also in der Alleinherrschaft der bürgerlichen Gesellschaft das Zeitgemäße sieht, kann sich mit dem Monarchen Hegels nicht anfreunden; er ist von daher nicht zu rechtfertigen. Er fände nur das  Vorurteil bestätigt, dass Hegel der Restaurationspolitik Metternichs und Gentz‘ beigetreten ist, ja diese philosophisch sogar vorweggenommen[49] hat. Aber ist es denn „Restauration“, wenn die rechtlos gemachte Natur wieder in ihre Rechte eingesetzt wird? Und darum geht es!

Hegel, an die Reflexionsphilosophen“ adressiert:

„Der Begriff des Monarchen ist deswegen der schwerste Begriff für das Räsonnement, d.h. für die reflektierende Verstandesbetrachtung, weil es in den vereinzelten Bestimmungen stehen bleibt, und darum dann auch nur Gründe, endliche Gesichtspunkte und das Ableiten aus Gründen kennt.“[50] Gemeint ist damit: Wer nur aus der Sicht einer, der „produzierten“, Natur urteilt, sieht durch ihn alle Heiligtümer unseres gegenwärtigen politischen Systems infrage gestellt. Nicht ins Bild der „räsonierenden Gescheitheit“ passt, dass der Monarch „den obersten Punkt [bezeichnet], wo es sich um die Erhaltung des Ganzen handelt“[51]. Ein goldener Mittelweg wurde deshalb jahrzehntelang darin gesehen, diesen Teil der „Rechtsphilosophie“ links liegen zu lassen, um „sich nicht weiter mit der inneren Verfasstheit des Staats in seiner Rechtsphilosophie beschäftigen zu müssen“[52]. Und wenn er schon zum Gegenstand gemacht wird, dann mit dem Ziel, den „Monarchen“ weg- oder kleinzudiskutieren – zum Beispiel, indem er auf den bloßen „i-Punkt-Setzer“ oder gar auf „Folklore“ reduziert wird.

Hegel wendet sich gegen den Trugschluss, dass mit Parlament und Parlamentarismus unseres heutigen Verständnisses die Schöpfung zu bewahren ist. Eine Alleinherrschaft des Parlaments, die Forderung der Liberalen, kommt für Hegel nicht infrage, weil (bzw. solange!) sie für einen Staat gegen die „primäre“ Natur steht. Das ist der Grund, weshalb seine Reformbill-Schrift das englische Beispiel hierfür so negativ beurteilt.[53] Sie kann das nicht leisten, weil sie einseitig auf die Interessen der „produzierten“ Natur fixiert ist. Und die andere Natur? Für sie, für ihre Rechte und Interessen, steht damals der Monarch. Hegel schließt jedoch keineswegs aus, dass auch ein anderer als er, überhaupt ein Anderes an dessen Stelle treten könnte. „Der Staat ist die Wirklichkeit des Göttlichen. … Ob also Unterschiede sind, ob ein Monarch sei oder nicht, ob es psychologisch wahrscheinlich sei, ob es für den Staat besser sei oder nicht – dies alles ist auszuschließen, wenn man philosophische Betrachtungen anstellen will“[54], lesen wir in der Nachschrift  Griesheim zu § 279 R. Die Betonung liegt nicht auf „Monarch“, sondern auf „Repräsentanz beider Naturen“. Gerade in der Zukunft werden es also nicht die „Monarchen“ sein, sondern „vernünftige Institutionen“, die die Interessen beider Naturen vertreten und auch durchsetzen. Eingeschlossen darin selbstverständlich auch das Parlament. Der Monarch ist eine Figur des Übergangs – bis auch für ihn ein vernünftiger Ersatz gefunden ist. Es wäre angezeigt, Hegel in diesem Punkt  zeitgemäß zu interpretieren.



[1] Siehe dazu: H. Schnädelbach, Die Verfassung der Freiheit, in: L. Siep Hg.), Klassiker auslegen. G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Berlin 1997, S. 243-265.

[2] MEW 1, S. 235. (Hervorhebung bei Marx).

[3] P. Becchi, Diskrepanzen in Hegels Theorie der fürstlichen Gewalt (1817-1820), HJ 1986, S. 393.

[4] F. Rosenzweig, Hegel und der Staat, Berlin 2010, S. 414.

[5] V. Hösle, Der Staat, in: Anspruch und Leistung von Hegels Rechtsphilosophie, hrsg. v. Christoph Jermann, Stuttgart-Bad Cannstatt 1987, S. 201.

[6] H. Kastner, Noch einmal: Die Stellung des Monarchen, in HS 43 (2008), S. 74 f.

[7] K. Vieweg, Das Denken der Freiheit. Hegels Grundlinien der Philosophie des Rechts, München 2012, S. 407 ff.

[8] D. Suhr, Hegels Vorlesungen über Rechtsphilosophie, in: Rechtstheorie 5 (1974), S. 175 f.

[9] Hösle, a.a.O., S. 205.

[10] Becchi, a.a.O., S. 395.

[11] H. Boldt, Hegel und die konstitutionelle Monarchie – Bemerkungen zu Hegels Konzeption des Staates aus verfassungsgeschichtlicher Sicht, in: E. Weisser-Lohmann/D. Köhler (Hrsg.), Verfassung und Revolution, Hamburg 2000, S. 182.

[12] § 39 R.

[13] Hegel weist in § 258/A R ausdrücklich darauf hin, dass es ihm im 3. Abschnitt nicht um diesen Staat geht, also um einen Staat der „mit der bürgerlichen Gesellschaft verwechselt“ wird und seine Hauptaufgabe in der Sicherung  des Eigentums und der persönlichen Freiheit sieht.

[14] Wie A. Hollerbach (Der Rechtsgedanke bei Schelling, Frankfurt a.M. 1957, S. 114) unter Bezug auf Schellings Naturrechtsschrift von 1797 formuliert.

[15] § 269/Z R.

[16] Ich verweise auf den Beitrag „Zwischen Sein und Bewusstsein: das Wesen“, hier auf dieser Plattform, der sich mit diesen Zusammenhängen als dem zentralen Problem der „Wesenslogik“ näher befasst.

[17] § 272/A R.

[18] § 269/Z R.

[19] Der Begriff klingt in § 265 u. in § 263/Z R an. Zu diesem Begriff ausführlich: G. Lübbe-Wolf, Die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie, in: Birgit Sandkaulen/Volker Gerhardt/Walter Jaeschke (Hrsg.), Gestalten des Bewusstseins. Genealogisches Denken im Kontext Hegels, Hamburg 2009, S. 328-349.

[20] VRph 4, S. 670 (Nachschrift Griesheim zu § 279 R).

[21] C. Schmitt, Verfassungslehre (6. Auflage), Berlin 1983, S. 200.

[22] Und auch des Monarchen. Selbstverständlich erfahren seine Positionen zu beiden eine Weiterentwicklung. Aber es ist nicht so, wie Becchi behauptet (a.a.O., S. 396), dass er seiner ursprünglichen Auffassung zu beiden die „später verfälschte, der Selbstzensur unterworfene“ der „Rechtsphilosophie“ entgegensetzt.

[23] Siehe dazu § 278/A R, wo er den Unterschied hervorhebt. Die Glieder sind „organische Momente“, die jetzt daraus gewordenen Teile sind Totalitäten. Aber für beide gilt: Ihr „Isolieren und Für-sich-Bestehen“ ist „Krankheit“.

[24] Im Zusatz zu § 185 R heißt es: „Die Besonderheit für sich ist das Ausschweifende und Maßlose, und die Formen dieser Ausschweifung selbst sind maßlos.“  Um ihr Herr zu werden bedarf es des sie „gewältigenden“ Staates.

[25] Vermittlung muss sein, wo sich „Entgegengesetzte“ gegenüberstehen. Sie bedeutet, dass die Teile auf die Relativität ihrer Totalität hingewiesen werden, dass ihnen vom „Ganzen“ klargemacht wird, dass sie „relative Totalitäten“ sind, die sich um des Erhalts des Ganzen willen Einschränkungen ihrer Totalität gefallen lassen müssen.

[26] Phän, S. 341.

[27] Ebd., S. 343 f.

[28] MEW 1; S. 390.

[29] Siehe VRph I, S. 292, wo es heißt: „nicht der Bürger [ist] das höchste, sondern der Mensch“.

[30] § 280 R.

[31] NR, S. 489.

[32] § 281 R.

[33] § 280/Z R.

[34] § 279/Z R.

[35] Jenaer Realphilosophie, zitiert bei C. Cesa, a.a.O., S. 200, auf den in dem hier behandelten Zusammenhang verwiesen wird.

[36] § 281 R.

[37] Cesa, a.a.O., S. 190.

[38] NR, S. 489.

[39] Brunner, Vom Gottesgnadentum zum monarchischen Prinzip, in: Neue Wege der Verfassungs- und Sozialgeschichte, 3. Aufl., Göttingen 1980, S. 167.

[40] Rosenzweig, a.a.O., S. 174.

[41] § 280/A R – Hervorhebung bei H.

[42] Rosenzweig, a.a.O., S. 413.

[43] C. Cesa, Entscheidung und Schicksal: die fürstliche Gewalt, in: Hegels Philosophie des Rechts. Die Theorie der Rechtsformen und ihre Logik, hrsg. v. Dieter Henrich und Rolf-Peter Horstmann, Stuttgart 1982, S. 202.

[44] Von Hegel zu Hitler (2. Aufl.), Frankfurt a.M. 1995.

[45] VPhG, S. 41.

[46] § 273/A R.

[47] C. Cesa, a.a.O., S. 198 f.

[48] H. Kastner, a.a.O., S. 74.

[49] Siehe dazu: R. K. Hovecar, Der Anteil Gentz‘ und Hegels an der Perhorreszierung der Repräsentativverfassung in Deutschland; ARSP Vol. 1966, S. 117-133 – eine Arbeit, die sich anhand der „Landständeschrift“ das Ziel setzt zu zeigen, dass Hegel die philosophische Grundlage der konstitutionellen Monarchie bereits gelegt hat, bevor Gentz mit dem Begriff an die Öffentlichkeit tritt.

[50] § 279/A R.

[51] Rosenzweig, a.a.O., S. 413.

[52] Kastner, a.a.O., S. 67.

[53] Siehe hierzu der Beitrag „Hegel und England“ auf dieser Plattform.

[54] VRph 4, S. 670.

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