Der „versteckte Hintergrund”
(Im Urteil der Philosophie G.W.F. Hegels: Das
Arbeitsverhältnis bei F.C. v. Savigny, K. Marx und O. v. Gierke)
Das Problem umreißt K. Marx wie folgt:
„Wenn wir den Austausch zwischen
Kapital und Arbeit betrachten, so finden wir, dass er in zwei nicht nur
formell, sondern qualitativ verschiedene und selbst entgegengesetzte Prozesse
zerfällt. … Die Trennung dieser beiden Prozesse ist so augenfällig, dass sie in
der Zeit auseinanderfallen können und keineswegs zusammenfallen müssen.”[1] Austausch
und Nicht-Austausch: gegeneinander aufgerechnet wird daraus ein bloßer „Schein”
von Austausch.[2]
Und weshalb? Das habe damit zu tun, dass die „Produktionsverhältnisse als
Rechtsverhältnisse in ungleiche Entwicklung treten.” Und präzisierend: „Also
z.B. das Verhältnis des römischen Privatrechts … zur modernen Produktion.”[3]
Der „Auseinanderfall” beider,
kapitalistische Produktionsverhältnisse hier, „römisch” gebliebene
Rechtsverhältnisse dort: diese ungleiche Entwicklung ist für Marx der „eigentlich
schwierige Punkt”[4],
den es zu erörtern gelte.
Was verbirgt sich hinter dieser
ungleichen Entwicklung? Ein „Etwas”, eine „Einzigartigkeit”[5], das/die
zwar zu den Produktionsverhältnissen der bürgerlichen Gesellschaft gehört, aber
nicht von ihren Rechtsverhältnissen ausgewiesen wird. Dieses „Etwas”, diese
„Einzigartigkeit” sei die „Aneignung fremder Arbeit ohne Austausch” - der
„versteckte Hintergrund” [6].
Kapitalistische
Produktionsverhältnisse, die sich mit „römischen” Rechtsverhältnissen
vertragen. Stimmt dieser Befund – und wenn ja: wie ist er zu erklären?
Über den einen, auf dem Markt
stattfindenden, Austausch erhält der Arbeiter – rechtlich abgesichert - als
Gegenwert seiner Arbeitskraft einen Lohn, der ausreicht, die Reproduktion
seiner Arbeitskraft sicherzustellen. Der andere Austausch, der sogenannte
„Stoffwechsel”, ist, weil er der Produktionssphäre angehört, rechtlich
irrrelevant, weswegen der aus ihm resultierende Mehrwert, ohne dass gegen das
Recht verstoßen wird, auch allein von dem oder den Kapitalisten „eingesackt”
werden darf. Dieser Austausch geht
also am Recht vorbei, er ist gewissermaßen dessen „blinder Fleck”. Rechtsstaat
hin, Rechtsstaat her: hier darf sich der Arbeiter vom Recht nichts erhoffen.
Tritt dieses Ergebnis nur auf,
weil – was nicht verwunderlich wäre – die ökonomischen Verhältnisse der Neuzeit
nicht mit einem „römisch” geprägten Recht kompatibel sein können; liegt es
darin begründet, dass ein antiquiertes, tausend Jahre (zu) altes Recht zur
Anwendung kommt?
Anders gefragt: Ist das Recht
generell „blind” für diesen Austausch oder nur das römische?
Obwohl in den „Grundrissen” an
vielen Stellen thematisiert, bleibt die „Erörterung” der Frage in den späteren
Arbeiten aus – gerade auch in seinem Hauptwerk. Zeit seines Lebens findet Marx
keine Gelegenheit, diesem „schwierigen Punkt”, dieser „Lücke” im Recht, zu
Leibe zu rücken. Weder er noch F. Engels[7]
hinterfragen diese „ungleiche” Entwicklung. Sie verbleiben bei dem Standpunkt,
dass es jetzt, bei kapitalistischen Produktionsverhältnissen, durchaus seine
Richtigkeit hat, wenn es bei einem „römischen” bzw. „römisch” geprägten Recht
verbleibt. Frühere Wendungen in ihren Werken, die den Eindruck erwecken, dass
das römische Recht beim Übergang zum Kapitalismus deswegen „als das Recht der
aufkommenden bürgerlichen Gesellschaft geltend gemacht werden musste”[8],
weil ein besseres, weil ein adäquates Recht noch nicht zur Verfügung stand,
also aushilfsweise, werden nicht weiter verfolgt. Es überwiegen die
Bemerkungen, die in eine andere Richtung deuten und in denen zum Ausdruck
kommt, dass das römische Recht als das Verkehrsrecht jeder Warenproduktion anzusehen ist, also auch der
kapitalistischen. Das sind jene Stellen, wo Marx ausführt, dass das Recht den
Umschlag von der einfachen zur qualifizierten Warenproduktion nicht mit
vollzieht (und auch nicht mit vollziehen kann!), dass das Recht, gemeint ist
das Privatrecht, für den
Inhaltswandel der Warenproduktion „blind” ist, ja dass es, juristisch gesehen,
ohnehin gleichgültig ist, ob sich der Austausch nach der Formel W – G – W,
stehend für die einfache Warenproduktion, oder nach der Formel G –W – G,
stehend für die qualifizierte, für die kapitalistische Warenproduktion,
vollzieht. Entstand zunächst der Eindruck, als habe Marx das Unvermögen, den
„versteckten Hintergrund” sichtbar zu machen, mit der Unzulänglichkeit des
„römisch” geprägten Rechts begründet, so zeigt sich nun, dass er dieses
Unvermögen auch auf das der bürgerlichen Gesellschaft adäquate Recht erstreckt.
Ein generelles Unvermögen also.
Die Rechtsform spiegele lediglich
eine „umgekehrte Reihenfolge derselben zwei entgegengesetzten Prozesse, Verkauf
und Kauf”[9]
wider. Ihr qualitativer Unterschied bleibe unberücksichtigt. Und so bleibe im
Verborgenen, dass der Austausch Kapital – Arbeit genau genommen kein Austausch
ist, weil er lediglich zwei zusammen gehörige Gestalten von Arbeit: Kapital
(=vergegenständlichte Arbeit) und lebendige Arbeit zu einer handlungsfähigen
Einheit, zur Unternehmung, zusammenführt. Der eigentliche Austausch, Austausch
im Rechtssinne, knüpfe hingegen an das Produkt an, das aus dem Handeln einer
produzierenden Einheit hervorgeht.
Entsprechend beginnt der zweite
Band des „Kapital” mit der „Formel für den Kreislauf des Geldkapitals …:
G – W … P … W‘ – G‘, wo die
Punkte andeuten, dass der Zirkulationsprozess unterbrochen ist, und W‘ wie G‘
ein durch Mehrwert vermehrtes W und G bezeichnen.”[10]
Der springende Punkt ist das „P”,
stehend für „Produktion” „P” liegt außerhalb des Rechts[11].
Das Charakteristische des Produktionsprozesses sei, dass er sich sowohl in
„Rom” wie auch in der Moderne, in einem rechtsfreien Raum vollzieht. Ist das
so?
Der Zirkulationsprozess nach der
Formel W-G-W beginnt bei dem bereits fertigen Produkt „W”. Nichts kommt mehr
hinzu. Die Produktion fand bereits statt. Lediglich der Austausch des fertiggestellten
Produkts gegen dessen Geldwert ist noch offen. Anders beim Austausch nach der
Formel G-W-G: hier liegt der entscheidende Vorgang, das Produzieren, der
„Stoffwechsel”, in der Mitte. Zunächst findet jener „Austausch” statt, über den
lediglich die Hauptkomponenten des „Produzierens”, Kapital und Arbeit,
zusammengeführt werden. Das ist kein Austausch, sondern, wie Marx formuliert, „objektive
Assoziation”[12].
Ein Austausch also, der nicht auf dem „freien Willen” der Beteiligten beruht,
der deswegen auch nichts mit dem Recht zu tun hat, der vielmehr auf die von
vornherein gegebene Kollektivität des Produzierens verweist. Darüber
konstituiert sich die produzierende Einheit der Moderne, die „Unternehmung”,
diese Hauptperson der „produzierten”
Natur. Nun erst wird produziert und anschließend wird nach der Formel W-G das
Produzierte im echten Sinne ausgetauscht.
Gegenstand des „einfachen”
Austausches sind die Produkte eines vorhergehenden Produktionsvorgangs. Hier
aber interessiert jener Austausch, der nötig ist, um überhaupt erst
„Produktion” stattfinden zu lassen, der die Grundkomponenten der Produktion, „lebendige”
und „vergegenständlichte” Arbeit, zusammenführt. Was sich sodann abspielt, in
der Produktionsstätte, ist der Austausch mit dem Naturstoff, ist der „Stoffwechsel”[13].
Lohnarbeit und Kapital verkörpern
lediglich unterschiedliche Aggregatszustände der Arbeit. Allein bringen sie es
zu nichts. Daher werden sie im Unternehmen zur Einheit zusammengeführt. „Objektive Assoziation”! Kein Weg
führt daran vorbei. Kein „freier Wille” verhindert dies. Es kommt also nicht –
mindestens nicht vorrangig – auf den „Willen” an, dass dies geschieht; betont
wird die objektive Seite. Was aber sehen wir: Der Vorgang wird
individualisiert; der „Wille” tritt in den Vordergrund, die objektive Seite
rückt in den Schatten, wird jedenfalls vom Recht nicht sichtbar gemacht.
Überdies werden beide, Lohnarbeit und Kapital, „als Sache gefasst, nicht als
Verhältnis.”[14]
Das heißt zweierlei: Bezogen auf die Unternehmung führt diese Denkweise dazu,
dass das, was als institutionalisierte Einheit, was als ein Drittes originäre
Person ist, zu Privateigentum eines oder mehrerer Kapitalisten erklärt wird.
Und bezogen auf den Lohnarbeiter führt sie dazu, dass die ihm abgekaufte
Arbeit, diese Sache, von seiner Person getrennt wird.
Die Arbeitskraft ist als „Ding”,
als selbständige, unabhängig von der „Person” existente Sache erkannt und
anerkannt. Sie ist Handelsgut geworden. Marx dazu: Einmal ist „der Lohnarbeiter
im Unterschied zum Sklaven … selbst ein selbständiges Zentrum der Zirkulation,
ein Austauschender, Tauschwertsetzender und –durch-den-Austausch-erhaltender.”[15]
Das kann er sein, weil er jetzt „Person” ist. Dieses Dasein des Lohnarbeiters
und diese Art Austausch sind von dem Recht römischen Typs abgesichert. Der
andere Teil entzieht sich ihm schon deshalb, weil in Rom das „Produzieren”
außerhalb des Rechts lag. Ihr Ort ist die auf Sklavenarbeit beruhende
„Wirtschaftsfamilie”.
Aber was geschieht mit dieser
„Wirtschaftsfamilie”, die tausende von Jahren Ort der Produktion ist? Nun dies:
Im Zuge der Produktivkraftentwicklung und der weiteren Arbeitsteilung spaltet
sie sich auf. Als Spaltprodukte entsteht auf der einen Seite die bürgerliche
Kleinfamilie und auf der anderen Seite die kapitalistische Unternehmung.
Gemeinsam ist beiden, dass sie Produktionsstätten sind. Ausschließliches
Produkt der Kleinfamilie ist die Arbeitskraft, die – fertiggestellt – in Person
des Lohnarbeiters den Arbeitsmarkt betritt, im Regelfall in einem der
Unternehmen Arbeit findet. Es ist nahezu
einhellige Meinung – auch die von Marx -, dass die „Wirtschaftsfamilie” in der
Neuzeit ihr Leben aushaucht bzw. dass sie zur bürgerlichen Kleinfamilie
verschrumpft. Die „Produktion” scheint die Seiten gewechselt zu haben und jetzt
als Hervorbringung der „Zirkulation”, als industrielle
Produktion, neu zu starten. Die moderne Fabrik scheint mit der
„Wirtschaftsfamilie” in keinerlei Zusammenhang zu stehen.
Richtig ist, dass das in der
Zirkulationssphäre aufgehäufte Kapital jetzt zum weiterführenden, den engen
Rahmen der bisherigen „Wirtschaftsfamilie” durchbrechenden, Moment, zum
Ausgangspunkt einer neuen, kolossal erweiterten Form der Produktion wird; der
Produktion im Unternehmen. Es steht für „vergegenständlichte” Arbeit, für
„Maschinenarbeit”. Die „Geschicklichkeit” des mittelalterlichen Gesellen scheint
jetzt auf die Maschine übergegangen zu sein. Der Arbeiter scheint ihr bloßes
Zubehör zu sein. Daraus wird der Schluss gezogen, dass eine qualitativ neue, sich
aus dem Kaufmannskapital herauskristallisierende Produktionsweise etabliert,
die die alte komplett ersetzt. Kurzum: die Unternehmung wird zum Produkt der
Zirkulation. Aus der Sicht von Marx: Dort kommt es (über Zwischenstationen wie
Verlegersystem, Manufaktur) im Rahmen eines „konzentrierenden Austausches”,
also durch schrittweise „Vertikalisierung” der horizontalen Austauschbeziehungen,
zur Neubildung der Produktionssphäre.[16]
Das Problem aber: Wer die
Wirtschaftsfamilie in der Unternehmung nicht wiedererkennt, darf auch getrost
die dortigen Verteilungsgrundsätze ignorieren. Das scheint mir auch bei Marx
der Fall zu sein. Die Ausbeutung der Lohnarbeit, sagt er, ist ein ökonomischer
Fakt, für welchen das Recht „blind” ist; sie findet statt in einem rechtsfreien
Raum. Ihr ist daher nur mit außerjuristischen Mitteln beizukommen, mit der
revolutionären Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft überhaupt.
Die
Fragestellung bei O. v. Gierke:
Auch er befasst sich, nahezu
zeitgleich mit Marx[17],
mit diesem besonderen Austausch, wie er in der kapitalistischen Unternehmung
stattfindet.
Was ist die Unternehmung?
Während Marx davon ausgeht, dass
die Unternehmung durch Umwandlung von Kaufmannskapital in Produktivkapital aus
der Zirkulation hervorgeht, hebt Gierke hervor: Die moderne kapitalistische
Unternehmung hat ihren Stamm in der feudalen „Wirtschaftsfamilie”. Sie ist eine
originäre, von der „natürlichen” Person „Mensch” unabhängige und unterschiedene
„Verbandsperson” sie ist „Organismus”. Ihr Inneres ist von (Mit-)Gliedern „bevölkert”, die sich in
die Aufgabe teilen, sie in Betrieb[18]
zu setzen und zu halten.
Die Perspektive ist eine je
andere: Für den einen ist die Fortexistenz der „Wirtschaftsfamilie” als
kapitalistische Unternehmung der Generalfall, für den anderen hingegen ist das
lediglich die Ausnahme.[19]
Marx betont ihre Diskontinuität, Gierke ihre Kontinuität. Und so sieht Gierke:
Was aus dem Zerfall der „Wirtschaftsfamilie” hervorgeht: die bürgerliche
Kleinfamilie hier, die Unternehmung dort, haben gemeinsam, dass sie auf notwendiger Kollektivität beruhen. Mann und Frau zeugen die Kinder. Lohnarbeit und Kapital, lebendige und vergegenständlichte Arbeit erzeugen
die „profanen” Produkte. Gierke sieht lebendige und vergegenständlichte Arbeit
als gleich notwendige Produktionsfaktoren an; beide zusammen erzeugen das
Mehrprodukt, das deswegen auch beiden Seiten zukommt. Zeigte sich früher diese
notwendige Kollektivität in der Institution „Wirtschaftsfamilie”, so sind jetzt
die „Kleinfamilie” und die „Unternehmung” an ihre Stelle getreten; sie sind
gegenüber den in ihnen agierenden Individuen Personen höherer Ordnung. Die notwendige Kollektivität ist ein so
wesentlicher Aspekt, dass hinter ihm das Privateigentum an Produktionsmitteln,
von dem aus Savigny im Wesentlichen seine juristische
Person herleitet, zurücktritt.
Gierke erkennt, dass auch die
Unternehmung eine Gemeinschaft, mithin: eine überindividuelle Verbandsperson,
im Sinne seiner „Genossenschaften” ist; im Unterschied zur „Genossenschaft” ist
sie jedoch eine „Gemeinschaft kraft herrschaftlicher Gewalt”[20];
eine Gemeinschaft, die von „Kapital” und „Kapitalist” dominiert wird. Trotzdem,
sie ist nicht bloß Annex eines oder mehrerer Kapitalisten. Beide, Lohnarbeiter
und Kapitalist bringen in die Unternehmung ein, was sie zu bieten haben: der
eine „lebendige” Arbeit, der andere Arbeit in vergegenständlichter Form. In der
Unternehmung werden sie vereinigt und „produktiv” gemacht. Lebendige und
vergegenständlichte Arbeit sind gleich gestellt. Beide sind nicht
„Arbeitskraft” hier und „Produktionsmittel” dort, sondern „Arbeit”.
Marx unterscheidet: Ökonomisch
gesehen sind Kapital und Arbeit „Verhältnisse” Verhältnisse, die eingebettet
sind in die „objektive Assoziation”. Das Recht aber sieht sie als „Sachen”. Und
Sachen sind beziehungslos! Sie sind keine Personen, sondern sind Personen
zugeordnet: das Arbeitsvermögen dem Arbeiter, das Kapital dem oder den
Kapitalisten. Anders Gierke. Er bezieht auch die „Verhältnisse” in das Recht
ein. Er sieht, dass die ökonomische und juristische Wesenheit „Unternehmung”
nicht erst „künstlich” geschaffen werden muss. Die „juristische Person” Savignys
ist für ihn eine „Vogelscheuche”[21],
die den Blick auf das Wesen der „Verbandsperson” verstellt. Diese existiert kraft
der Tatsche, dass der Arbeitsprozess zu jeder Zeit „Kollektivität” erfordert. Deshalb ist sie ist die natürliche
Person des Produktionsprozesses. Und wo bei Marx der Lohnarbeiter mit Antritt
des Arbeitsverhältnisses auf die Sache
„Arbeitskraft” reduziert ist, sieht er den früheren Gesellen vor sich, der in
der „Wirtschaftsfamilie” keineswegs nur als „Sache” gilt, sondern deren „Glied”
ist.
In „Rom” war das
Arbeitsverhältnis als locatio conductio operarum der Sachmiete gleichgestellt.
Der Modellfall war die Vermietung eines Sklaven. Obwohl eines freien Römers
unwürdig, waren aber auch immer größere Teile des Plebs gezwungen, Lohnarbeit
zu verrichten - je älter Rom wird, in umso größerer Zahl. Das verändert die
juristische Sachlage; macht sie verzwickt. Denn der Status „frei” tritt in
dieses Sachmietverhältnis hinein. Ein „Freier” vermietet einen Teil von sich
selbst, seine Arbeitskraft, an einen anderen „Freien”. Ein Rechtsverhältnis,
das auf zwei Menschen „verteilt” war, ist auf einen einzigen Menschen
reduziert, der jetzt als Vermieter und Mietsache zugleich fungiert. Er ist
Rechtssubjekt, bezüglich seiner Arbeitskraft aber Rechtsobjekt. Eine höchst
widersprüchliche Situation: Der Sache nach verrichtet er Sklavenarbeit, doch
die juristische Beurteilung des gesamten Sachverhalts folgt dem Status. Die „Mietsache”, nur sie, untersteht
jetzt dem Willen des Mieters, ist dessen „Direktion”, ist dessen „Plan”
unterworfen. Der Status „frei”, bleibt von der Transaktion unberührt.
Was wir vor uns haben, scheint
ein Vertragsverhältnis unter vielen zu sein. Aber wäre es nicht das
Arbeitsverhältnis, würden wir sagen, es liegt ein Fall der „Konfusion” vor, der
im Normalfall ein bestehendes Schuldverhältnis erlöschen bzw. es gar nicht erst
entstehen lässt. Hier aber soll es anders sein. Um diesen Schein glaubhaft zu
machen, muss die schwerwiegende „Verunreinigung”
des an sich klaren Sachverhaltes mit „Konstruktionen” überbrückt werden, was
heißt: aus einem Dreiecksverhältnis wird eine Zweierbeziehung gemacht. Was
objektiv die Qualität von „Sozialrecht” hat, wird in bloß „verwickelteres
Individualrecht”[22]
umkonstruiert.
Für Gierke kann sich das
Arbeitsverhältnis nicht im Vertrag erschöpfen, ja der Vertrag steht hier eher
am Rande, weil bereits die Kollektivität des Vorgangs „Produktion” die
Zusammenführung beider Grundkomponenten erheischt. Die Zweier-Beziehung
„Austauschvertrag” tritt hier also hinter eine Dreiecks-Beziehung oder – wie
Gierke formuliert - hinter den „Organismus” zurück. Der Austausch von „Dingen”
verfehlt also das Wesen dieses speziellen Austausches, er verfehlt die
körperschaftliche Dimension des Verhältnisses. Der Vertrag dient nur dazu, ist
nur insoweit notwendig, wie es erforderlich ist, den Arbeiter zunächst vom
Markt in den Wirkungsbereich der Verbandsperson zu überführen. Da der Arbeiter
aber nicht auf seine Arbeitskraft reduziert werden kann, sondern als ganzer
Mensch in die Unternehmung eintritt und dort tätig wird, wird mit dem
eingegangenen Vertrag dieser „ganze” Mensch in die Unternehmung überführt. Er
wird darin „eingegliedert”[23],
er wird deren „Glied”. Als „Glied” ist er gegenüber der „Person” in einer,
juristisch gesehen, minderen Stellung. Ein Verlust. Andererseits ist er als
„Glied” mehr als eine „Sache”. Ein Gewinn.
Anders Marx: Die Person
„Lohnarbeiter” bringt nur die Sache „Arbeitskraft” in die Unternehmung ein; nur
sie wird während der Arbeitszeit deren Bestandteil. Die „Person” bleibt als
leere Hülle vor dem Fabriktor zurück.[24]
Während ein „römisch” geprägter
Arbeitsvertrag dem Arbeiter ein lediglich modifiziertes Sklavendasein einräumt,
ist es für Gierke undenkbar, „dass wir hier auf die Dauer bei dem im römischen
Sklavenrecht wurzelnden Schema der nach dem Muster der Sachmiete geformten
Dienstmiete stehen bleiben.”[25]
Vielmehr ist es so: was für die „Wirtschaftsfamilie” galt, gilt auch für die
jetzige Unternehmung. Auch sie ist vom Recht durchdrungen, jedoch –
aristotelisch gesehen – nicht von einem kommutativen, sondern von einem
distributiven Recht, von einem Recht also, das aus dem Rahmen des uns bekannten
Privatrechts fällt. Zwar gehört Gierke wie Savigny der historischen Schule an.
Aber er setzt nicht bei „Rom” an, sondern bei dem, was „Rom” nachfolgt: bei den
feudalen Verhältnissen des römischen Reiches deutscher Nation. Dessen
„unfertigen”[26],
noch eng mit der Sittlichkeit verwobenen, Recht gilt sein Interesse. Wie auch
F. Engels[27],
sieht er hierin das weiterführende, das über „Rom” hinausweisende Moment. Rom
hat sich in einem strikten Gegenüber, in die Scheidung der Menschen in Freie
und Sklaven verrannt. Genereller gesagt: alle Verhältnisse werden in ein
Entweder-Oder aufgeteilt und sich entgegengestellt. Eine „ausweglose
Sackgasse”, konstatiert Engels. Folgenreich für den Bereich „Produktion”, weil
es das Recht vor dessen Türen enden lässt. Ein neuer Anlauf ist nötig. Und so
wird es die „historische Tat der Deutschen”, ihren „unfertigen Staat”, ihr
„unfertiges Recht” in die Konkursmasse Roms einzubringen. Gerade ihre
unentwickelten Zustände werden zur „Brücke” zwischen Rom und der Neuzeit.
Tatsächlich aber ist das römische
Recht für die Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft nicht gemacht. Was so
nah erscheint, ist durch tausend Jahre von der Moderne getrennt. Mit „Rom” hat
sich die Geschichte noch nicht erschöpft. Das Verhältnis Lohnarbeit – Kapital
war dort noch nicht aktuell. Und das
damalige Recht konnte nur abbilden, was bereits existent war. Wo sich auch
damals schon ein Freier als Arbeiter verdingen musste, fand die Praxis daher
nur eine pragmatische, begrifflich[28]
„unsaubere”, Lösung, die die Grenzen
des römischen Rechts zeigt.
„Gliedschaft” statt Sklaventum.
Die „Gliedschaft” ist das neue, das gegenüber „Rom”, weiterführende Element der
Wirtschaftsfamilie. Sie betrifft beide: Der „Freie” wird zum Glied erniedrigt
und der Sklave wird dazu erhöht. Die Feudalität beendet das „römische”, rein
sachenrechtliche, Verhältnis zum Arbeiter. Sie ersetzt es durch ein
personenrechtliches Verhältnis, das für beide Seiten Rechte und Pflichten
bereit hält. Dieses Neue und Weiterführende überlebt den Zerfall der
Wirtschaftsfamilie und setzt sich in ihren Zerfallsprodukten - „Kleinfamilie”
und „Unternehmung” - fort. Jedermann ist dort „Glied”, wenn auch die
individuelle Stellung und die individuelle Aufgabe innerhalb der
„Verbandsperson” eine ganz verschiedene und ungleiche ist, wenn auch der eine
ein „schwaches”, der andere ein „starkes” Glied ist, wenn auch der eine oben
steht, der andere unten. Das „Glied” ist gegenüber der „Person”, der der gesamte
Freiheitsraum eröffnet ist, den die bürgerliche Gesellschaft zu bieten hat, ein
Weniger, gegenüber dem Sklaven jedoch ein Mehr. Und wie gesagt: Gemeinsam ist,
dass jeder in den Arbeitsprozess Einbezogene, ob Lohnarbeiter oder Kapitalist,
dort nur als Glied agiert.
Das Glied hat, gebunden an seinen
jeweiligen Aufgabenkreis im Unternehmen, Rechte und Pflichten, die zu einer
konkreten „Rechtsstellung” führen. Mathematisch gesehen, nimmt das „Glied” eine
Mittelstellung zwischen „Person” und „Sache” ein. Und das kann man auch für das
Recht sagen, das sich um den Begriff „Glied” rankt und von Gierke
„Personenrecht” genannt wird – ein Recht, das sich als Binnenrecht der
Verbandsperson versteht. Es hat die Rechte und Pflichten der Glieder zum
Gegenstand. Es ordnet sie in den Organismus der „Verbandsperson” ein; es weist
ihnen ihre Stellung in der ”Glieder-Hierarchie” zu. „Gliedstellung” und
„Rechtsstellung bilden eine Einheit.[29]
Die „Wirtschaftsfamilie” also;
sie ist es, die Gierke unter Verwendung seiner „Organismus-Metapher”[30]
als den Ursprung auch der modernen Unternehmung sichtbar macht. Ihr und ihrem
Binnenrecht gilt sein Interesse. Die „Wirtschaftsfamilie” überbrückt zwei
Sphären, die in Rom und dann wieder in der modernen bürgerlichen Gesellschaft
durch eine chinesische Mauer getrennt zu sein scheinen: Produktion und
Zirkulation. Eine besondere Brücke, weil sie die Einheit beider Sphären
stiftet. Ihr Binnenrecht nennt er, in Unterscheidung von den beiden anderen
Privatrechten, dem Schuld- und dem Sachenrecht, „Sozialrecht”. Das ist ein
Recht, welches dem Marx des „Kapital” schon deshalb nicht in den Blick kommt,
weil er sich mit den bürgerlichen Theoretikern und Praktikern der modernen
Ökonomie darin einig ist, dass die Unternehmung mit der untergegangenen
„Wirtschaftsfamilie” nichts zu tun hat. Er unterscheidet sich von ihnen
dadurch, dass er vom Faktor „Arbeit” aus denkt, wo jene den Faktor „Kapital” in
die Mitte stellen. Eine bloße Gegenposition. Er folgt dem vom „Willen” und vom
Vertrag diktierten (Rechts-)Denken, wonach das Unternehmen lediglich Annex
eines oder mehrerer „natürlicher” Personen bzw. Kapitalisten ist. Damit steht
er bei Savigny. Eine der Konsequenzen: Juristisch gesehen bezieht der Arbeiter
mit dem Lohn das Seine. Ein weiterer Anspruch besteht nicht.
Gierke steht, philosophisch
gesehen, eher bei Kant als bei Hegel.[31]
Aber er steht Hegel dort nahe, wo dessen Philosophie und jene Kants sich
berühren, ja zur Deckung gelangen. Und das ist auf dem Gebiet der „Rechtslehre”
der Fall. Jedenfalls dort, wo Kant ein Recht kreiert, das aus dem Rahmen der
aus Rom tradierten Einteilung fällt: das „auf dingliche Art persönliche Recht”.[32] Dieses Recht setzt Kant jener
Gleichschaltung der Personen und jenem Verlust von Dimensionen des Rechts
entgegen, die Folge des zu seiner Zeit herrschenden philosophischen und
rechtswissenschaftlichen Individualismus ist. Die juristische Welt ist auflöst
in Dichotomien, wo in Wirklichkeit Tetrachotomien existieren, rügt er. Die bisherige Einteilung hält er
für ungenügend, für ein bloß „aufgerafftes Aggregat”, welches die
Rechtswissenschaft, bliebe es dabei, zu einer „bloß statuarisch[en]”,
metaphysisch bereinigten Wissenschaft, machen würde. Daher: keine bloße
Dichotomie, die aus jedem Recht „entweder ein dingliches oder ein
nicht-dingliches Recht”[33] macht!
Wo bloß „statuarisch” verfahren,
wo bloß „aggregiert” wird, treten zwei Rechte in den Blick: Schuldrecht und
Sachenrecht. Eine metaphysische Betrachtung des gleichen Gegenstandes, der
gleichen Verhältnisse zeigt jedoch drei Rechte.
Auf diese Tetrachotomien,
tatsächlich „Dreiheiten”[34], nimmt
Gierke Bezug. Was sind die „Verbandspersonen”, darunter die Unternehmung,
anderes als solche. Mit ihnen kommen ihm Rechtsbeziehungen in den Blick, die
das römische Recht nicht oder jedenfalls nur ansatzweise kennt. Die
Organismus-Metapher, die er statt der Metaphysik gebraucht, schützt ihn davor,
der eindimensionalen Weltsicht seiner Zeit zu verfallen. Sie wird zur
Plattform, von der aus er sich dem
„versteckten Hintergrund” des Austausches Kapital – Arbeit nähert. Das „auf
dingliche Art persönliche Recht” Kants, mit dem dieser die innerfamiliären
(Rechts-)Strukturen zu erfassen sucht, wird bei ihm zu einem, auf die
wirtschaftlichen „Verbandspersonen” übertragenen, „Sozialrecht”. Wir stehen vor
einer dritten Säule, die zu der bisherigen Einteilung in Schuld- und
Sachenrecht hinzukommt; gewissermaßen ein „internes” Privatrecht. Jedes Glied
hat ein „dingliches” Verhältnis zu „seinem” Organismus; jedes ist an ihm
beteiligt, insbesondere an ihrem Ertrag. Und wiederum ist jedes Glied der Verbandsperson
persönlich verpflichtet. In der Sprache des Rechts: es besteht eine
gesamthänderische Bindung; das Eigentum der Familie ist ein Eigentum zur
gesamten Hand. Das ist eine eher germanische, also feudal geprägte, als eine
römische Rechtsfigur, die hier von Kant beschrieben bzw. zur philosophischen
Aufklärung des Sachverhalts herangezogen wird.
Gierke differenziert. Der
Oberbegriff, mit dem er arbeitet ist das Arbeitsverhältnis.
Mit „Verhältnis” ist das hervorgehoben, was Marx unter „objektiver Assoziation”
fasst: die Vermittlung 2-er Teile durch ein Übergeordnetes, das selbst „Person”
ist. Mit dieser Person stehen sowohl der Kapitalist als auch der Lohnarbeiter
im Verhältnis; beide sind „Glieder” von ihr. Damit ist „personenrechtliche”
Teil als der im Vordergrund stehende Teil hervorgehoben. Weil sich die
Komponenten des Verhältnisses auf dem Markt erst finden und binden müssen, ist
Teil des Verhältnisses auch das vertragliche Element. Aber Gierke lässt keinen
Zweifel daran, dass das objektive, das vorgegeben Element „Kollektivität” im
Vordergrund steht, dass es tonangebend ist. Ja, das Arbeitsverhältnis ist auch
Schuldvertrag, aber nicht in erster Linie. „[D]as moderne geschäftliche
Unternehmen [ist] eine Form personenrechtlicher Verbindung”! Zäumt man diese
Verbindung von hinten, vom Vertrag auf, wird hingegen das nachgeordnete Element
tonangebend gemacht. Aber: „Löst da wirklich das gemeine Privatrecht seine
Aufgabe, wenn es gleich dem Vogel Strauß den Kopf in den Busch steckt und bei
dem lügenhaften Schema de streng individualistischen reinen Obligationenrechtes
verharrt?”[35]
Und die soziale Folge dieser Lüge: Die Einordnung des Arbeitsvertrages in das
Schuldrecht „gibt den … Arbeiter dem Kapitalisten wehrlos in die Hand.”[36]
Aus liberalistischer Sicht mag es
anmuten, als wolle Gierke eine untergegangene, eine historisch gewordene
Institution, die feudale Wirtschaftsfamilie, als Institution in der Gegenwart
fortleben lassen. Dieser Eindruck trügt. Allerdings macht die
„Organismus-Metapher” sein Anliegen missverständlich. Aber dieser Fehler wiegt
weniger schwer als jener Savignys, der die „Organismus- Familie” endgültig
durch die „Vertragsfamilie” abgelöst sieht. Denn Gierke gelangt immerhin zu
einer dreidimensionalen Sicht, die ihm den Blick auf eine Ebene und eine Personengruppe
eröffnet, die aus der zweidimensionalen (Vertrags-)Sicht eines Savigny zu
bloßen Spukgestalten werden. Und Gierke leistet auch mehr zur Aufklärung der
„objektiven Assoziation” als Marx, der das Problem zwar sieht, aber nicht
tiefer auslotet, weil er ahnt, dass das Ergebnis seiner Revolutionstheorie
widerstreiten würde.
Die
Standpunkte von Marx und Gierke gegenübergestellt:
Beide sehen das Defizit, das aus
einer bloß schuldrechtlichen Betrachtung des Arbeitsverhältnisses zu Lasten des
Arbeiters entsteht. Beide fragen, wie es beseitigt oder wenigstens verringert
werden kann. Aber Marx folgt der herrschenden Lehre, die davon ausgeht, dass
der Arbeiter über das Recht nur den vereinbarten Arbeitslohn erlangen kann. Und
das Recht ist „blind” für das Defizit; es steht dem Arbeiter nicht zur Seite. Hält er es in den
„Grundrissen” noch für möglich, dass dies nur für ein Recht gilt, das nicht zu
den jetzigen Produktionsverhältnissen passt, vertritt er später den
Standpunkt, dass das Recht überhaupt nur einen Teil des ökonomischen
Verhältnisses widerspiegeln kann, dass es also generell nicht in der Lage ist,
das Defizit auszuweisen. Vom Recht hat der Proletarier also nichts zu erwarten.
Es garantiert dem Lohnarbeiter nur den vereinbarten Lohn. Wegen der darüber
hinaus bestehenden Ansprüche verweist Marx ihn auf das außerökonomische und
außerrechtliche Mittel; Hilfe kann nur der Umsturz der ökonomischen
Verhältnisse, kann nur die Revolution bringen. Ein eigenartiges Abgehen
von der Dialektik wird sichtbar: Während die ökonomischen Sachverhalte dialektisch
hinterfragt werden, akzeptiert er ein positivistisches Recht a la Savigny. Er
stellt es nicht in Frage, weil er generell in Abrede stellt, dass das Recht
auch andere Interessen als die der herrschenden Klasse vertreten könnte. Das
Rechtsverständnis eines Savigny ist ihm willkommene Argumentationshilfe.
Wo der Marx der „Grundrisse” noch
unschlüssig ist, hat sich der Marx des „Kapital” entschieden: das römische
Recht spiegelt die jetzige Rechtslage zutreffend wider. Das zeigt sich, wo er
sich zur „Direktionsmacht” des Kapitalisten äußert und diese der
Verfügungsmacht des Eigentümers gleichsetzt. Das antike sachenrechtliche
Verhältnis des Herrn zum Sklaven hat seine moderne Gestalt gefunden. „Diese Macht asiatischer und
ägyptischer Könige oder etruskischer Theokraten usw. ist in der modernen
Gesellschaft auf den Kapitalisten übergegangen, ob er nun als vereinzelter
Kapitalist auftritt, oder, wie bei Aktiengesellschaften, als kombinierter
Kapitalist.”[37]
Marx folgt Savigny, für den es scheint,
als wiederhole die bürgerliche Gesellschaft das römische Recht. Aber dieser
Schein entsteht nur, wenn „Rom” auf seine Schokoladenseite reduziert wird. Die
nachfolgende Feudalzeit erscheint dann als Zeit, die gegenüber „Rom” stark
abfällt und aus der Geschichte des Rechts ausgeblendet wird. Aber diese Zeit ist
kein Irrweg der Geschichte, keine verlorene Zeit. Sie hatte eine Aufgabe zu
erfüllen. Unter Korrektur des Alten fügte sie dem Vorhandenen etwas hinzu. So
das „Glied”, das die bloße Objektstellung des Sklaven in eine Subjektstellung
überführt. Gerade das aber ist
jetzt, im Zeitalter der Unternehmung, eine unbequeme Tatsache. Nichts ist deren
Eignern unlieber als ein Recht, dass die Unternehmung und ihre
Binnenbeziehungen in die Nähe der Familie bzw. familiärer Strukturen rücken. Sie
favorisieren ein Rechtsverständnis, das „Recht” von der Zirkulation her versteht.
Und der äußere Umstand, dass im damaligen Unternehmen das Novum „Maschine” im
Mittelpunkt steht und der Arbeiter nur als deren Anhängsel fungiert, bestärkt
sie darin.
Und Marx nimmt sie beim Wort.
Denn der Vorteil, der seiner Sache aus der „römischen” Sichtweise erwächst: Sie
schärft die Konturen des „Ausbeutungsverhältnisses” sie rückt die zu Lasten
des Arbeiters klaffende Lücke ins Licht. Der Lohnarbeiter? Ein auf die Sache
„Arbeitskraft” reduzierter Lohnsklave, ein willenloses Ding, ein Objekt. Eine
bessere Argumentationshilfe als das Institut der Sachmiete kann es nicht geben,
wenn es darum geht, die moderne Lohnarbeit als Ausbeutungsverhältnis
bloßzustellen und die revolutionäre Lösung zu propagieren. Wohl deshalb lässt
er die gerechtere und richtigere Beurteilung der Feudalzeit in den
„Grundrissen” fallen.
Anders Gierke. Dieser lässt mit
seiner „Verbandsperson” die Wirtschaftsfamilie wieder aufleben - und damit das
in ihr herrschende rechtliche Regime. Er erlöst die „Jurisprudenz aus dem
Zauberberg des Rechtspositivismus”.[38] Ohne
die bürgerliche Gesellschaft prinzipiell in Frage zu stellen, gelangt er so zu
seinem „Sozialrecht”, dem dritten Bestandteil des Privatrechts neben Schuld-
und Sachenrecht. Mit dem „Sozialrecht” werden Ansprüche des Arbeiters gegen die
„Verbandsperson”, deren Glied er ist, anerkannt und durchgesetzt, die über den
Lohnanspruch hinausgehen.
Während Marx die Beziehungen im
Inneren der Unternehmung „sachenrechtlich” interpretiert, verengt Gierke den
Gegenstandsbereich des Sachenrechts, indem er die Lohnarbeit herausnimmt. Sein
Arbeiter ist während der Arbeitszeit weder bloße „Sache” noch „Person” er ist
„Glied”. Das Recht, dem er in dieser Zeit unterliegt ist weder Schuld- noch
Sachenrecht; es ist „Personenrecht”. Die Unternehmung ist im Inneren nach Art
der „Wirtschaftsfamilie” verfasst. Wer dort arbeitet ist nicht lediglich auf
die Sache „Arbeitskraft” reduziert, also „Ding”, sondern ist Mitglied einer
familiären Struktur. Er gehört der Unternehmung als „ganzer” Mensch an. Anders,
wenn man die Unternehmung als Produkt der Zirkulation ansieht. Die horizontale
(Schuld-)Rechtsbeziehung wäre in diesem Fall ersetzt durch eine
sachenrechtliche Beziehung des Unternehmers zum eingekauften Ding Arbeitskraft.
Der Begriff „Direktion” macht es deutlich. Im Verständnis von Marx bezieht er
sich auf das Ding, auf das Zusammenspiel der im Unternehmen zusammengefassten
Arbeitskräfte. Diese haben sich nicht als Person an den Unternehmer verkauft,
sondern nur den dinglichen Teil von sich.
Marx‘ Standpunkt: Das
Privatrecht, verstanden als Austauschrecht, vermag nur die Beziehungen zwischen
Produzenten, nicht aber die Beziehungen innerhalb einer produzierenden Einheit
zu erfassen; es ist daher blind für Verteilungsfragen. Anders Gierke: Er
verknüpft die Pflichten des Lohnarbeiters aus der „Gliedschaft” und die
Beteiligungsrechte am wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmung. Beide bilden
eine Einheit, die sich aus dem Fortbestand der Wirtschaftsfamilie ergibt. Das
juristische Innenleben der Familie wiederholt sich in der Unternehmung. Der
Kapitalgeber vertritt lediglich einen/seinen Anteil an der eingesetzten
„vergegenständlichten” Arbeit. Und ist er zugleich auch am Management der
Unternehmung beteiligt, kann er zusätzlich auch daraus seine Beteiligung am
Gewinn ableiten. Aber wie die „Wirtschaftsfamilie” nicht dem Hausvater gehörte,
gehört auch die Unternehmung nicht ihm; diese bleibt ein „höheres Drittes”,
demgegenüber alle in ihr Vereinten Rechte und Pflichten der gleichen Qualität,
wenn auch nicht gleicher Quantität haben.
Gierke richtet den Blick auf das,
was bei „römischer”, also „ebenerdiger” Betrachtungsweise übersehen wird. Er
sieht räumlich bzw. dreidimensional, was nach individualistischer Lesart eine
Beziehung zweier, völlig getrennter und unabhängiger Parteien ist. Und er macht
es sich zur Aufgabe, die Beziehungen innerhalb der wirtschaftlichen „Verbandsperson”
auf den juristischen Begriff zu bringen; auf den Begriff „Sozialrecht”. Ein
wichtiger Satz bei ihm lautet: „Aber dieser Vertrag erzeugt nicht bloß ein
einzelnes Schuldverhältnis, sondern gliedert die Persönlichkeit selbst einem
wirtschaftlichen Organismus ein.”[39] Resultat
ist ein „personenrechtliches” Verhältnis, das besondere Rechte und Pflichten
mit sich bringt. Diese interne, „familiäre” Seite des Verhältnisses Lohnarbeit
– Kapital wird von einem Privatrecht nicht erfasst, das sich nur als
Austauschrecht versteht. Die von Gierke angesprochene Dimension wird jetzt nur
noch in jenen Teilen des Rechts berücksichtigt, die im BGB unter Familien- und
Erbrecht firmieren - und auch dort nur unzureichend.
Ein solches „Personenrecht” zu
akzeptieren setzt wiederum voraus, dass die Unternehmung, als eine originäre
Person angesehen wird, als die natürliche
Person der besonderen Ebene „Produktion”. Hier liegt der tiefere Grund, weswegen
sich Gierke im gleichen Atemzug gegen die juristische
Person Savignys wendet. Sie ist für ihn gerade auch deshalb eine
„Vogelscheuche”, weil mit ihr die „Unternehmung”, diese Person der
„Besonderheit”, in eine Reihe gestellt ist mit den Personen der „Einzelheit”.
Alle „Glieder” sind an der Person
„Unternehmung” beteiligt – und zwar im Sinne der „auf dingliche Art
persönlichen Rechte” Kants, an die Gierke anknüpft. Gegenüber früher hat sich
nichts geändert: Das Produzieren bleibt eine kollektive, bzw. familiäre
Angelegenheit. Und wenn jetzt auch der Unternehmer an die Stelle des Familienvaters
tritt: die Unternehmung wird dadurch nicht zu seinem Privateigentum. Sie ist
und bleibt eine Person höherer Ordnung, wenn auch die Beteiligungsverhältnisse
an ihr ungleich sein mögen (und tatsächlich ja auch sind!). Damit gelangt
Gierke in die Nähe dessen, was Marx den „frei assoziierten Produzenten” einer
kommunistischen Gesellschaft zuspricht. Der Unterschied besteht darin, dass er
die vom Unternehmer eingebrachte „vergegenständlichte” Arbeit in Gestalt der
Produktionsmittel im weitesten Sinne der „lebendigen” Arbeit gleichstellt und
sie, und auch seine „Planungs”- und „Direktionsarbeit”, als solche dem
Unternehmer zurechnet. Aber es bleibt dabei, dass jedes Glied am Erfolg teilhat,
weswegen auch dem Lohnarbeiter mehr daran zusteht als das, was er über den Lohn
erhält. Unterschiedliche Befunde also, die zu unterschiedlichen juristischen Bewertungen
führen. Die Konsequenz bei Marx: die „Direktion” drückt das Verhältnis eines
„Willens” zu einer „Sache” aus. Ein sachenrechtliches, kein schuldrechtliches
Verhältnis. Anders bei der „Wirtschaftsfamilie”. Das Verhältnis des Mitglieds
zu ihr ist sehr wohl ein Rechtsverhältnis, eines, das außerhalb des
Schuldrechts wie auch des Sachenrechts liegt; jedes Mitglied ist „persönlich” an die Familie gebunden, jedes
Mitglied ist zugleich „dinglich” an ihr beteiligt.
***
Bei Hegel sind die beiden Standpunkte zur Einheit geführt. Was bei Kant
angesichts seines Gesamtwerkes nur als ein (zumeist unverstandener und zur
Seite geschobener) Ausflug ins Metaphysische erscheint, wenn er im Zusammenhang
seines „auf dingliche Art persönlichen Rechts” davon spricht, „eine Person
außer sich als das Seine zu haben”, ergibt sich bei Hegel aus dem Grundgedanken
seiner Philosophie.
Hegel unterscheidet sich von den
Denkern der Aufklärung und ihren Nachfolgern darin, dass er das menschliche
Dasein auf drei miteinander verwobenen Ebenen realisiert sieht:
-
Auf
der Ebene der Einzelheit, also auf der Ebene des Individuums;
-
Auf
der Ebene der Besonderheit, also auf der Ebene der Familie. Hier wird der
„Stoffwechselprozess” vollzogen, d.h. die Umformung der „vorgefundenen Natur”[40]
in eine „produzierte” Natur mittels Arbeit. Dieser Prozess wird zu allen Zeiten
„kollektiv” vollzogen, so dass diese Ebene ein Bereich notwendiger Kollektivität ist. Sie Ebene steht daher im
Mittelpunkt, wenn es um die ökonomische und rechtliche Einordnung des
Arbeitsverhältnisses geht.
-
Auf
der Ebene der Allgemeinheit, also auf der Ebene des Gemeinwesens.
Institutionalisiert betrachtet heißt das: auf der Ebene des Staates[41].
Anmerkung:
Die
Ebene der Einzelheit besteht aus den sogenannten „natürlichen”, aus den
„Mensch-Personen”. Die Ebene der „Besonderheit” als die Ebene notwendiger
Kollektivität besteht hingegen aus „Kollektiv-Personen” das sind (nach Zerfall
der „Wirtschaftsfamilie”) in erster Linie die bürgerliche Kleinfamilie und die
moderne produzierende Einheit, das Unternehmen.
Der
Begriff „notwendige Kollektivität”, den ich hier verwende, verweist auf
Folgendes:
-
Nur Mann und Frau erzeugen das
Kind und bilden mit ihm die Kleinfamilie.
-
Nur Arbeit und Kapital bringen
das Produkt hervor und bilden mit ihm die Unternehmung.
Für
unser Thema ist wichtig, dass sich die Personen, die diese beiden Ebenen „bevölkern”,
qualitativ voneinander unterscheiden. Beide Ebenen sind zwar nicht durch eine
chinesische Mauer voneinander getrennt. Aber rechtlich gesehen stehen sie nicht
auf gleicher Stufe. Die Person der Einzelheit kann nicht mit einem Recht
erfasst werden, das nur auf die Personen der Besonderheit passt. Und umgekehrt:
letztere können nicht zutreffend mit einem Recht erfasst werden, das auf die
Personen der Einzelheit zugeschnitten ist.
Das
Problem besteht nun darin, dass unser nur auf die Ebene der „Einzelheit” und
deren Personen zugeschnittenes, also rein individualistisch aufgebautes, Privatrecht
für beide Ebenen und deren Personen Gültigkeit beansprucht. Geleugnet oder doch
wenigstens ignoriert ist damit, dass der Ebene notwendiger Kollektivität ein
eigenständiges Recht zur Seite steht.
Mit der Hegelschen Einteilung ist
der Standpunkt der Aufklärung, und
mit ihm: der Standpunkt des mit ihr verbundenen „Vertragsdenkens”, überwunden. Was
unter dem Stichwort „Individuum” zusammengeworfen ist, ist für Hegel lediglich
ein „abstraktes” Recht, bezogen „auf die bloße abstrakte Persönlichkeit”[42].
Dieses wird von Hegel unter anderem dadurch entzerrt und konkretisiert, dass er
die Ebene der Familie und deren spezifisches Recht sichtbar macht. Marx
hingegen übernimmt den Individualismus der Aufklärung, verbleibt also bei
dieser Ineinssetzung der Sphären zu Lasten jener der „Besonderheit”. Allerdings
steht bei ihm nicht der Kapitalist in der Mitte, sondern der Lohnarbeiter. Die
juristische Folge der Ineinssetzung: Auch das Recht beider Ebenen wird vereinheitlicht,
d.h. individualisiert. Das erklärt, warum das römische Recht, dass sich (als
Schuldrecht) als Recht unter „Freien” versteht, jetzt, gereinigt von seinen
byzantinischen und feudalen Beimengungen, zum Privatrecht beider Ebenen
avanciert.
Aber wie wir bereits sahen: Gerade
diese Einebnung, und so auch dieses Recht, werden zum „Versteck” wichtiger
Sachverhalte, die sich um das „Produzieren” ranken. Indem nun Hegel mit der „Wirtschaftsfamilie”
und ihren Nachfolgern, den Unternehmen, die Ebene des „Stoffwechsels” sichtbar
macht, legt er zugleich das „Versteck” offen. Das führt dazu, dass sich zwei
zentrale Begriffe in einem neuen Licht zeigen: Eigentum und Unternehmung.
Verdeutlicht zunächst an der
Kategorie „Eigentum”.
In der Moderne ist die
„Leiblichkeit” des Menschen für die Zwecke der „produzierten” Natur zu einem
selbständigen und allgemein als selbständig anerkannten „Ding” umgestaltet. Sie
ist „formiert”, sie ist „unter die Bestimmung von Sachen gesetzt”[43],
sie ist etwas „Äußerliches”, sie ist „Ware”, sie ist „Arbeitsvermögen”. Und das
in Bezug auf alle „Geschicklichkeiten”[44],
die den Menschen „individuell”, mithin: zur Persönlichkeit, machen. Das Ur-
bzw. Ausgangseigentum ist ans Licht getreten; jenes „erste Dasein”[45]
des Eigentums, das jeder Person eigen ist und sie individualisiert. Dieses Eigentum, das individuelle
Arbeitsvermögen, muss jeder haben. Kein
beliebiges „Ding” also, sondern die Hauptsache, das dem Geiste angemessene
Ding, von dem sich alle anderen Sachen ableiten. Das erste und bleibend
wichtigste Produktionsmittel. Die Hauptproduktivkraft. Das eigentliche
Privateigentum. Noch in höherem Maße trifft darauf zu, was Hegel zum Pflug
sagt: Dieser „ist ehrenvoller, als
unmittelbar die Genüsse sind, welche durch ihn bereitet werden und die Zwecke
sind. Das Werkzeug erhält sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und
vergessen werden.”[46]
Beide, das „Arbeitsvermögen” und der „Pflug”, sind als „lebendige” und
„vergegenständlichte” Daseinsformen der Arbeit deutlich von jenem Eigentum
unterschieden, das lediglich Mittel der Bedürfnisbefriedigung ist. Obzwar in
der Regel zum Ersten gemacht, ist es dieses nicht. Hegel erläuternd: denn es
macht nicht frei, es ist „nicht identisch der Freiheit gesetzt”. In Bezug auf
dieses Eigentum gilt vielmehr: „Was
und wieviel Ich besitze, ist …
rechtliche Zufälligkeit.”[47]
Den Unterschied aufzeigend, formuliert er: „Eigentum zu haben erscheint mit
Rücksicht auf das Bedürfnis, indem dieses zum Ersten gemacht wird, als Mittel.
Die wahrhafte Stellung aber ist, dass vom Standpunkt der Freiheit aus das
Eigentum als das erste Dasein derselben, wesentlichster Zweck für sie ist.”[48]
Der Austausch von Lohnarbeit und
Kapital führt die zwei Daseinsformen von Arbeit, führt Pflug und Pflüger
zusammen. Der Arbeiter verkauft mit seiner Arbeitskraft ein Eigentum anderer,
höherer Ordnung. Entlohnt wird er dafür aber nach den Grundsätzen des einfachen
Austausches, weil dieser ja für diese besondere Qualität blind ist. Er verkauft
jenes produktive „erste Dasein” des
Eigentums und erhält als Gegenleistung ein lediglich konsumtives Eigentum[49];
er verliert das eine und gewinnt das andere. Dieser Unterschied wird übersehen
bzw. wird bedeutungslos gemacht, wenn die Ebene des Produzierens jener des
Konsumierens gleichgestellt wird. Das „konsumtive” Eigentum tritt uns
aufgesplittert in abertausend „Dinge” entgegen, die je für sich Gegenstand des
Austausches und damit des Rechts sind. Abertausend Dinge, die – denkt man an
Nahrungsmittel – schnell verbraucht also ständig ersetzt werden müssen. Das
Arbeitsvermögen als Hauptbestandteil des „produktiven” Eigentums ist hingegen
nur als Ganzes Gegenstand des Austausches. Und es wird in aller Regel nicht Tag
für Tag verkauft, sondern bildet im Rahmen der Unternehmung einen dauernden
Verbund mit dem Kapital.
Zwei Ebenen und zweierlei
Eigentum. Aber nur ein Recht, das ihnen beiden genügen soll; ein abstraktes
Recht, dem ein abstrakter Begriff von „Eigentum” zu Grunde liegt. Geeignet, die
Spezifik der Ware Arbeitskraft zu verdecken. Solange also das Arbeitsvermögen
nicht als selbständiges „Ding” erkannt und anerkannt ist, stehen wir vor der
Situation, dass Eigentum daran nur erlangt werden kann, wenn der Mensch selbst ge-
bzw. verkauft wird. In der bürgerlichen Gesellschaft hat es damit ein Ende. Der
„Sklave” ist nun aus der Welt. Aber nur in der besonderen, in der einseitigen
und damit ungenügenden Weise, dass nun auch er den Status „frei” für sich
beanspruchen kann. Hegel aber weist darauf hin, dass nunmehr jeder Status, der
positive wie der negative, aus der Welt ist.[50] Beide,
der Freie und der Sklave, sind jetzt historisch geworden; beide sind ersetzt
durch die „Person”. Die „Person” wiederum ist die Einheit der jetzt zutage
getretenen logisch-ökonomischen Substrate des (biologischen) Menschen, damit
auch Einheit der verschiedenen Formen des Eigentums, damit auch Einheit von
„lebendiger” und „vergegenständlichter” Arbeit.
Da Hegel alle
„Geschicklichkeiten” zum individuellen Arbeitsvermögen, mithin zur Hauptform
des Eigentums, zählt, gelangt er zu einem weiten Begriff von „Eigentum”, der
die Unterscheidung in Vermögen und Eigentum sowie die davon abgeleitete
Unterscheidung in Schuld- und Sachenrecht nicht kennt. Für ihn sind das
Unterscheidungen, die sich lediglich auf unterschiedliche Aggregatzustände der
Arbeit bzw. der Arbeitsergebnisse beziehen. Die Predigt eines Pfarrers z.B. ist
für ihn das Resultat von „Arbeit” und deshalb auch Eigentum.[51]
Bei dem Marx des „Kapital” hingegen ist „Arbeit” nahezu ausschließlich auf die körperliche Arbeit[52]
reduziert. Nicht zuletzt deshalb, weil er so am besten begründen kann, weshalb
nur der Lohnarbeiter und diese Art von Arbeit den Mehrwert hervorbringt. Er
setzt der verengten, auf die „vergegenständlichte” Arbeit, auf das „Kapital”,
reduzierten Auffassung des Kapitalisten also eine ebenso einseitige Auffassung
entgegen. Eine Parteinahme für die körperliche Arbeit, die gegen die
Parteinahme der bürgerlichen Kollegen für das Kapital antritt. Aber ist es
nicht so, dass ein Mehrwert nur erwirtschaftet werden kann, wenn
geistig-schöpferische, planende, leitende, ausführende Tätigkeiten, wenn Arbeit
in „lebendiger” und „vergegenständlichter” Gestalt zusammenwirken? Was wäre,
wenn der Produktion kein „Plan” zugrunde läge, was wäre das moderne Produzieren
ohne die als „Technik” bereit gestellte vergegenständlichte Arbeit, was wäre
sie ohne professionelles Management? Je nach Art der Produktion und des
Produzierten mag die Gewichtung der einzelnen Faktoren variieren. Aber
notwendig sind sie deswegen doch. Hegel vermeidet jede Einseitigkeit. Es geht
nicht darum, ob der Lohnarbeiter am Betriebsergebnis beteiligt ist, sondern nur
in welcher Höhe. Der Marxsche Denkansatz, der in die Forderung mündet, das Ausbeutungsverhältnis durch revolutionäre Umwälzung der
Eigentumsverhältnisse zu beseitigen, ist aus seiner Sicht also einseitig und
deswegen korrekturbedürftig. Ebenso einseitig und korrekturbedürftig sind aber
auch jene Ansichten, die Mehrwert und Profit allein der Kapitalseite zuordnen.
Äquivalent ist der Austausch
Lohnarbeit - Kapital, wenn man alles Eigentum über einen Kamm schert und es auf
das Niveau des bloß „zufälligen” Eigentums herabsetzt. Die Nichtäquivalenz –
und damit der „versteckte Hintergrund” - zeigt sich, wenn das „Arbeitsvermögen”
in seiner Bedeutung als „erstes Dasein” des Eigentums erkannt wird, wenn also
gesehen wird, dass unterschiedliche Qualitäten von „Eigentum” ausgetauscht
werden.
Welches Arbeitsvermögen wird zur
„Sache” (bzw. zur Ware) und welches nicht?
Obwohl erwähnt und für wichtig
für den Erfolg gehalten, werden „Plan”[53]
und „Direktion”[54]
von Marx nicht unter „Arbeit”, werden beide nicht als Planungs- und Direktionsarbeit verbucht. Er bleibt dabei, dass
allein der Spezialfall der Arbeit, die körperliche, die planausführende, den
Mehrwert erzeugt, d.h. die Arbeit des (damaligen!) Lohnarbeiters. Hierauf ruht
seine Mehrwert-Theorie. Hegel sieht das anders. Sein Ausgangspunkt ist der
„Geist”, der sich mittels Arbeit zu einer eigenen, zur „produzierten”, Natur
materialisiert. Von vornherein steht bei ihm das Geistig-Schöpferische im
Mittelpunkt seines Arbeitsbegriffes. Das „Dirigieren” ist daher für ihn ebenso
„Geschicklichkeit” wie die Arbeiten planausführender Natur. Und das „Planen”,
wenn man dieses nicht bloß buchhalterisch, sondern es (wie Marx ja auch!) als
geistige Vorwegnahme des Produzierten[55]
versteht, stünde von der Bedeutung her weit über der bloß planausführenden
Arbeit. Lohnarbeiter und Kapitalist
stehen sich daher im Regelfall nicht als „Arbeit” und „Nichtarbeit” gegenüber.
Wenn man daran denkt, welch einen ungeheuren Fortschritt seit Marx‘, noch mehr:
seit Hegel, Wissenschaft und Technik gemacht haben, wie sehr durch beide gerade
die körperliche Arbeit substituiert worden ist, zeigt sich uns also die Hegelsche
Auffassung von „Arbeit” als die weit modernere.
Kommen wir zur „Wirtschaftsfamilie”.
Die „Wirtschaftsfamilie” ist die Ebene
des „Stoffwechsels”. Dort wird die „primäre”, die vorgefundene Natur in eine
andere, in die „produzierte” Natur umgewandelt; „Naturstoff” wird in jenen
„Kunststoff” umgearbeitet, wie er in Gestalt der uns bekannten Produktpalette
auf den Gabentisch des modernen Menschen gelangt. Ein Vorgang, der „familiär” bzw. kollektiv vollzogen wird. Für Hegel
und auch für Gierke ist die Wirtschaftsfamilie eine eigenständige, gegenüber
dem Individuum wie auch gegenüber dem Gemeinwesen abgegrenzte Ebene. Sie ist
die „selbständige konkrete Person”[56]
der Ebene des „Produzierens”. In ihr sind „lebendige” und „vergegenständlichte”
Arbeit zur Einheit zusammengeführt.
Die herkömmliche
Wirtschaftsfamilie zerfällt in der Moderne; die in ihr gebundenen Momente des
Produzierens treten in die „Differenz”. Ist es dazu gekommen, stehen wir vor
der bürgerlichen Kleinfamilie hier und vor der Unternehmung dort. Wie jetzt die
Ehe zwischen Mann und Frau die Institution „Kleinfamilie” stiftet, so stiftet
der Verbund von Kapital und Lohnarbeit, von vergegenständlichter und lebendiger
Arbeit die Institution „Unternehmung”. Auf beide ist das moderne Produzieren
aufgeteilt: Die Kleinfamilie erzeugt ein einziges Produkt, die menschliche
Arbeitskraft, die Hauptproduktivkraft. Die Unternehmen produzieren im Rahmen
des „Stoffwechsels” die ganze Palette „profaner” Güter. Dort wechselt die eine
Natur zur anderen über; aus Erz wird Metall, aus Ton wird Töpferware. Die
„primäre” Natur wird abgebaut, die „produzierte” Natur wird aufgebaut. Was
Hegel und seine Philosophie uns aber zeigt: bei der bloßen Differenz, beim
bloßen „Zerfall darf es nicht bleiben, wenn das Verhältnis der Zerfallsprodukte
zueinander nicht aus dem Lot geraten soll. Das Prinzip „Wirtschaftsfamilie” bleibt
erhalten und bildet das Programm „Einheit”. Und vom Programm, von der „Idee”,
wie er formuliert, muss sie über unser vernünftiges Handeln zur Gestalt, zur
Institution gebracht werden. Das Problem des Ganzen und seiner Teile, ihr
wechselseitiges Verhältnis zueinander, ist angesprochen. Beide Teile bleiben Teile des Ganzen „Wirtschaftsfamilie”. Sie
sind lediglich durch eine interne
Arbeitsteilung getrennt. Der
Arbeiter, dieses Produkt der Kleinfamilie, wechselt von dort über die
Zwischenstation Arbeitsmarkt zur anderen Teil-Familie, zur „Unternehmung”.
Selbst kein „profaner” Austausch, sondern eine Zusammenführung, muss er sich
dennoch wie jener über den Vertrag realisieren.
Die einfache bzw. „zweipolige”
Logik, die dem römischen Recht zugrunde liegt, erfasst nur die horizontale und
die vertikale Beziehung der Person „Lohnarbeiter” zur Person „Kapitalist”.
Beide einigen sich über den Ver- bzw. Ankauf der Sache „Arbeitskraft”. Mit
Übergabe an den Unternehmer unterfällt diese Sache seiner „Direktionsmacht”.
Ein Nacheinander von Schuld- und Sachenrecht. Dagegen Hegel und Gierke. Bei
ihnen steht die produzierende Einheit, das „geschäftliche Unternehmen”, in der
Mitte. Sie ist die übergeordnete Person, deren „Glieder”, Unternehmer und
Lohnarbeiter, zu ihr in einem besonderen Rechtsverhältnis stehen, dem
„Personenrechtsverhältnis”.
Als Person der „Besonderheit”
umfasst die Unternehmung die darin Agierenden, ob Kapitalist oder Lohnarbeiter
in ihrer Totalität. Es ist nicht bloß die Sache „Arbeitskraft”, die der
Lohnarbeiter einbringt. Alle tragen sie zum Erfolg bei, wenn auch an
unterschiedlichen Plätzen, in unterschiedlichem Umfang und mit
unterschiedlichen Mitteln. Alle Beteiligten sind daher an ihm angemessen zu
beteiligen. Hegel unterscheidet sich von Gierke aber darin, dass er das Problem
der Beteiligung aus den Unternehmen auslagert, es zentralisiert und zur Aufgabe
des „Not- und Verstandesstaates” macht. Seine Lösung heißt, kurz gefasst,
„Sozialstaat”. Wo Gierke biologisch, mit
der „Organismus-Metapher”, argumentiert, wendet sich Hegel an die Logik.[57] Die
„Wirtschaftsfamilie” existiert nicht mehr. Sie ist zerfallen in „Entgegengesetzte”,
die, sollen sie dauerhaft Bestand haben, über ein Drittes vermittelt werden.
Eine „Aufhebung” findet statt. Was früher Realität hatte, ist zur „Idee”
geworden. Diese gilt es, in eine neue Gestalt zu überführen, in die
Vernunftgestalt „Sozialstaat”. Dieser wird das neue Zuhause für ihre soziale
Funktion. Der Unterschied also: Wo Gierke zu einem „Sozialrecht” gelangt, wurde
Hegel fünfzig Jahre zuvor bereits zum Vater des „Sozialstaates”.
Kein Untergang, sondern eine
Fortsetzung in anderer Gestalt. Deshalb bleibt es auch bei der
Verteilungsfrage. Das Thema „Polizei” und „Korporationen” ist eröffnet. Was dem
Austauschrecht fehlt: das distributive Element, wird nicht der einzelnen
Unternehmung überlassen, geht nicht in ihr unter, sondern wird auf der Ebene
aller Unternehmen, d.h. auf der Ebene der bürgerlichen Gesellschaft und ihres
„Not- und Verstandesstaates” konzentriert und exekutiert. Eine Verlagerung, die
Hegel in § 289 R als „Einwurzelung des
Besonderen in das Allgemeine”[58]
charakterisiert. Nicht eine spezielle Lösung pro Arbeitsvertrag, sondern eine Lösung,
die alle Arbeitsverträge einbezieht. Der Arbeitnehmer erhält über „Polizei” und
„Korporationen”, zusammengefasst im „Sozialstaat”, zurück, was er über den
austauschenden Vertrag nicht erlangen kann.
Eine Ökonomie, ein Recht
„römischen” Typs ist blind für das Verteilungsproblem. Anders aber, wenn wir
die feudale Wirtschaftsfamilie in den Blick nehmen. Diese führt über die
römische hinaus, weil jedes ihrer Glieder, wenn auch ungleich, an ihr beteiligt
ist. Im Unterschied zur römischen, die nur die sachenrechtliche Beziehung des
Familienvaters zum Sklaven kennt, ist die feudale Wirtschaftsfamilie daher
„personenrechtlich” verfasst. Dieser Fortschritt gegenüber „Rom” bleibt
erhalten; er übersteht den Zerfall der Wirtschaftsfamilie und wird in der
bürgerlichen Gesellschaft zur Aufgabe ihres Not- und Verstandesstaates. Er
setzt fort, was die feudale Wirtschaftsfamilie zu leisten hatte, er ist jetzt
gegenüber den beiden Teil-Familien das „höhere Dritte” das „Ganze”.
„Kleinfamilie” und „Unternehmung”
stellen die Aneignung der „primären” Natur, den „Stoffwechsel”, auf eine neue
Basis. Aber beide dürfen nicht „entgegengesetzt” bleiben, sondern müssen
„vermittelt” werden. Beide sind mit dem Zerfall „bedürftig” geworden. Denn sie
sind beide nur „relative Totalitäten”[59],
also Totalitäten, die der „Hilfe” durch das „Ganze” bedürfen. „Polizei” und
„Korporationen” – hier stoßen wir auf die Institutionen und die Instrumente.
Kindergeld, Bafög, Kitas, Schulen, Universitäten etc. für die Kleinfamilie.
Erschlossene Gewerbegebiete, Subventionen, Häfen und Autobahnen etc. für die
Unternehmen. „Staatshilfen” für die eine und für die andere Teil-Familie.
Vorsorge für den Krankheits- und Invalititätsfall. Rentenansprüche im Alter
speziell für die Arbeitnehmer.
Nochmals zu dem, was Hegel zum
„Pflug” sagt:
Ist dieser für ihn ein Beispiel
dafür, wie uns die spezifische Fähigkeit zu planvoller Arbeit in
unvergänglicher, von der Leiblichkeit abgelöster, Vergegenständlichung
entgegentritt, so verlagert Marx diese spezifische Fähigkeit auf die Arbeit
desjenigen, der den Pflug handhabt, des Pflügers. Marx bezieht also lediglich
eine Gegenposition, während Hegel klarstellt: Jede menschliche, auf
„Stoffwechsel” gerichtete, Tätigkeit ist Arbeit. Pflug und Pflüger ergeben jene Einheit, die die Tätigkeit „Pflügen”
verkörpert.
Mit Savigny und Marx sagt Hegel,
dass im Arbeitsverhältnis ein Austauschvertrag steckt. Zwei Personen begegnen
sich und tauschen „Sachen” aus; die Sache „Arbeitskraft” gegen die Sache
„Arbeitslohn”. Die austauschenden Personen selbst sind nicht Gegenstand des
Austausches. „Wille” und „Arbeitskraft” – logisch/juristisch gesehen: die
beiden Elemente der „Person” - gehen getrennte Wege. Mit Marx und Gierke stimmt
Hegel darin überein, dass das Arbeitsverhältnis sich darin nicht erschöpft. Das
„Logische” des Verhältnisses entspricht nicht seinem „Tatsächlichen”. „Biologisch”
gesehen erfasst das Arbeitsverhältnis den ganzen Menschen. In diesem Punkt
unterscheidet es sich von allen anderen Austauschverhältnissen. Von daher ist
es ein personenrechtliches Verhältnis. Und beiden Befunden, dem „logischen” und
dem „biologischen”, ist Rechnung zu tragen; der Zerfall der
„Wirtschaftsfamilie” ändert daran nichts. Die distributiven Elemente des Gesamtverhältnisses
bleiben über den Zerfall hinaus erhalten.
Während sie für Gierke aber auf die moderne Unternehmung übergehen, während
sie für Marx jetzt überhaupt aus der Welt sind, sieht Hegel, dass sie von den
sozialstaatlichen Instrumentarien des „Not- und Verstandesstaates” aufgegriffen
und exekutiert werden. Das ist die logisch „saubere” Lösung. Außerdem ist sie
praktikabel, wenn man ihr die Schwierigkeiten entgegenhält, die eine
individuelle Durchsetzung gesamthänderisch gebundener Ansprüche bereiten würde.
Letztere stieße auf tausenderlei Schwierigkeiten, denen der Lohnarbeiter
zumeist hilflos ausgeliefert wäre. Und sie bliebe immer nur Stückwerk. Schon
deshalb ist die „Wirtschaftsfamilie” als Sozialstaat wiederherzustellen. Er ist
für die zentralisierte Wahrnehmung der übergeordneten Belange beider Seiten
unabdingbar; Wirtschaftsförderung und Familienförderung sind also seine großen
Themen.
***
Was Gierke von Savigny trennt,
was ihn an Hegel heranführt, ist die Beurteilung des Mittelalters. Statt „römischer”
Trennung und Entgegensetzung stellt Gierke die feudale „Einheit” in die Mitte.
Das ist der Vorzug seines Ansatzes; das hebt ihn aus dem damaligen juristischen
Mainstream heraus und rückt ihn in die Nähe Hegels. Ohne „Rom” zu verwerfen,
nehmen sie das nachfolgende „germanische” Zeitalter in den Blick und prüfen und
übernehmen von dort, was diese Zeit der Moderne zu sagen und zu geben hat. Das
Gierke sich dabei mit einer Organismus-Metapher behilft, dieser Schwachpunkt
seines Ansatzes, tritt dem gegenüber zurück.
Während Savigny das Mittelalter
und seine juristischen Errungenschaften zu Gunsten „Roms” verwirft, richtet
Gierke den Blick auf das, was davon Dauer hat, sich also in der Moderne erhält,
aber ignoriert wird. Insoweit urteilt er nach dialektischen Maßstäben. Und nach
solchen sind weder „Rom” noch die nachfolgende Feudalordnung einfach nur durch
die bürgerliche Gesellschaft verworfen, sondern durch sie „aufgehoben” beide finden sich in ihr wieder. Sowohl
Elemente der einen und der anderen negierten
Ordnung werden aufgegriffen und leben in der bürgerlichen Gesellschaft fort.
Die Sphäre des Austausches bleibt
erhalten. Jetzt wird auf kolossal erweiterter Stufenleiter fortgeführt, was in
„Rom” seinen ersten Höhepunkt erlebt. Schwerer zu beurteilen ist, was in puncto
„Produktion” geschieht. Oberflächlich gesehen, oder was dem gleichsteht: aus
der Sicht nur einer Seite, Kapital oder
Lohnarbeit, scheint auch hier „Rom” Pate gestanden zu haben. Und wenn man
genügend abstrahiert und konstruiert, kann das sogar halbwegs schlüssig
begründet werden. Das wiederum klappt am besten, wenn man die nachfolgenden
1000 Jahre Mittelalter einfach vergisst und ihren positiven Beitrag zur
Geschichte mit Null ansetzt. Weder Hegel noch Gierke gehören zu denen, die so
verfahren.
Und wir sahen es bereits:
Zu geben hat diese Zeit der
jetzigen für den Bereich der Produktion das „Glied” das Glied statt des
Sklaven. Das „Glied” überwindet in diesem
Bereich das bloß Fiktionale der „Person”. Der Arbeiter ist während der Arbeitszeit
keine Person, aber auch kein Sklave; er ist „Glied”. Aus der Sicht der „Person”
ist es ein Schritt zurück, ein teilweises „Aufgeben der Persönlichkeit”[60]
zugunsten der „Verbandsperson”. Aus der Sicht des „Sklaven” ist es ein Schritt
nach vorn – noch dazu hier, im Bereich der „Produktion”. Das gleiche auf der
anderen Seite: auch der Kapitalist wird zum Glied der Unternehmung, wenn auch
zu einem privilegierten. Beide, Arbeiter und Kapitalist, gehen einen Vertrag
ein, mit dessen Erfüllung sie sich als Personen aufheben[61]
und zu Gliedern der Person „Unternehmung” machen.
Erstaunlich ist, dass Marx, sonst
Dialektiker durch und durch, sich an „Rom” orientiert, wenn es gilt, die Zustände
im Unternehmen zu beurteilen. Aber wie schon ausgeführt: umso deutlicher wird,
was dem „Freien” widerfährt, sobald er für Lohn zu arbeiten hat. Sklaverei!
Marx fragt nicht, ob das römische Recht die Rechtsstellung des Arbeiters
während der Arbeitszeit richtig abbildet. Solche Fragerei täte der eigenen
Doktrin Abbruch. Er nutzt also aus, was das römische Recht an Argumenten
bietet, wenn man es von „hinten”, aus der Sicht des Arbeiters interpretiert.
Genereller gesehen: Er nimmt die klassischen bürgerlichen Ökonomen beim Wort
und setzt ihrem „Entweder” sein „Oder” entgegen.
Gierke geht anders heran. Sein
Augenmerk gilt den „Genossenschaften” des Mittelalters. Was überdauert ihren
„Zerfall”, fragt er – und stößt auf den „familiären” und damit personenrechtlichen
Charakter auch des jetzigen Produzierens. Für das moderne Arbeitsverhältnis
folgt daraus, dass dieses sowohl austauschende wie distributive Elemente
enthält, dass es austauschendes und distributives Recht zugleich ist;
„Sozialrecht” eben. Ja, der Arbeiter ist während der Arbeit „Glied”, also
weniger als eine „Person”. Aber er ist auch dort kein Sklave mehr.
In „Rom” war das Recht nur im
Bereich der Zirkulation „fertiggestellt”[62].
Was dort geschaffen wird ist ein Teil-Recht; ein Recht nur für diesen Bereich.
In sich nochmals gegliedert in Schuld- und Sachenrecht. In der „Rom”
nachfolgenden Zeit erleidet das Schuldrecht erhebliche Bedeutungsverluste.
Dafür kommt an anderer Stelle, in der Produktion, Recht auf, das in „Rom”
unbekannt war; ein „Personenrecht”. Die Feudalordnung ist also die
Geburtsstätte eines Rechts neuer Art. Was heißt: alle ihre Mitglieder, auch die
geringsten, haben nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte. Damit ist die
bisherige sachenrechtliche Beziehung zur Arbeit und zum Arbeiter gesprengt und
ersetzt durch eine „personenrechtliche”. Wo in Rom der Sklave stand, steht
jetzt das „Glied”. Damit ist das Neue (und aus Sicht F. Engels) Weiterführende
benannt. „Rom” hat sich im Entweder-Oder festgefahren. Was Rom nachfolgt ist
ein Neustart, bei dem die Startpositionen zurückverlegt werden. Die Geschichte
wiederholt sich nicht. Sie ist nicht dazu da, wieder bei „Rom” zu enden. Sie
zielt darauf, diese „Sackgasse” zu überwinden, die sich u.a. darin zeigt, dass
das Recht auf die Zirkulation beschränkt war.
In Deutschland ist es Savigny,
der dafür sorgt, dass der „römische” Zustand nahezu 1:1 wiederhergestellt und
der sich jetzt etablierenden bürgerlichen Gesellschaft übergestülpt wird. Während
er also das römische Recht in die Mitte stellt, das Recht außerhalb der „Produktion”, das Recht zwischen „Freien”, gilt das Interesse Gierkes dem Recht innerhalb der produzierenden Einheiten,
d.h. der „Verbandspersonen”. Gierke knüpft dazu bei Kant an; an dessen damals
wie heute unverstandenes „auf persönliche Art dingliches Recht”, mit dem er die
Einteilung in Schuld- und Sachenrecht ergänzt. Kant hält sie für ungenügend,
für ein bloß „aufgerafftes Aggregat”, welches die Rechtswissenschaft, bliebe es
dabei, zu einer „bloß statuarisch[en]”, Wissenschaft machen würde. Daher: keine
bloße Dichotomie, die aus jedem Recht „entweder ein dingliches oder ein
nicht-dingliches Recht”[63]
macht! Außerhalb dieser Logik, die
eine Gleichschaltung der „Einzelheit” und der „Besonderheit” sowie ihrer
Personen mit sich bringt, gibt es eine metaphysische Logik, die den Unterschied
sichtbar macht. Wird sie angewendet, treten zwei weitere Rechtsverhältnisse ans
Licht:
-
Ein
auf persönliche Art dingliches Recht, das aber deswegen auszuschließen ist,
weil „sich kein Recht einer Sache gegen eine Person denken” lässt.
-
Ein
„auf dingliche Art persönliches Recht”, unter dem zu verstehen ist: „Es ist das
Recht des Menschen, eine Person außer sich als das Seine zu haben.”[64]
Kant sagt damit, dass nicht nur
der einzelne Mensch „Person” ist, sondern bejaht auch institutionalisierte
Gattungszusammenhänge als „Personen”. Wer im Inneren einer solchen überindividuellen
Person agiert wird zum „Glied”. Hier knüpft Gierke an. Auch seine „Verbandspersonen” beherbergen
„Glieder”, deren Rechte- und Pflichtenlage sich danach bestimmt, welche Aufgabe
sie für die Verbandsperson zu erfüllen haben. Von dieser Aufgabe bestimmt sich,
in welchem Umfang sie an ihrem Vermögen beteiligt sind.
Das „Personenrecht” hat also das
Verhältnis der „Glieder” zur „Verbandsperson” zum Gegenstand. Nach römischem Recht beurteilt ist die
Binnenbeziehung Lohnarbeit – Kapital sachenrechtlicher Natur. Schuldrechtlichen
Charakter trägt nur ihre Außenbeziehung. Das ist der Grund, weshalb sich Gierke
gegen die bloß „schuldrechtliche” Ausgestaltung des Arbeitsverhältnisses im
Entwurf des BGB wendet. Sie legalisiert die Selbstversklavung des Arbeiters,
kritisiert er, weil die Spezifik der Erfüllungshandlung gegenüber jener bei
Austausch „profaner” Güter unbeachtet bleibt. Vom Abschluss her beurteilt, scheint ein normaler schuldrechtlicher
Austauschvertrag vorzuliegen. Der wesentliche Unterschied zu einem solchen
zeigt sich erst, wenn wir dessen „Erfüllungsteil” betrachten. Dann zeigt sich,
dass der rein schuldrechtliche Vertrag nur auf bestimmte Leistungen gerichtet
ist, das Arbeitsverhältnis aber auf die Eingliederung der Person des Arbeiters
in die Verbandsperson „Unternehmung” gerichtet ist. Und während der
schuldrechtliche Vertrag Reaktion auf die Folgen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung
ist und dessen Erfüllung am Ende individueller Produktionsprozesse steht,
bewirkt das Arbeitsverhältnis eine „objektive Assoziation”, wie sie am Anfang
eines „Stoffwechsel-” bzw. eines Produktionsprozesses steht. Diesen wesentlichen Unterschied will
Gierke zugunsten des Arbeitnehmers berücksichtigt haben. Für Marx dagegen
spräche der Entwurf nur aus, was ist – was unverrückbarer Teil des
Ausbeutungsverhältnisses ist – und was nur durch die revolutionäre Umwälzung zu
beseitigen ist. Kurzum: er argumentiert gemäß der eigenen Ideologie. Die
„Rechts-Lücke” ist eine wichtige Voraussetzung seiner politischen Lösung:
Revolution. Für Marx wäre daher Gierkes Ansatz ein Versuch mit „feudalem”, noch
deutlicher: mit reaktionärem Beigeschmack. Ein Versuch, der den Proletarier von
der proletarischen Revolution wegführen soll. Also tritt er Savigny bei: der
Arbeitsvertrag ist reine Ware-Geld-Beziehung. Juristisch gesehen ist alles in
Ordnung. Vom Recht darf sich der Arbeiter also nichts erhoffen.[65]
Marx tritt all jenen entgegen,
die sich auf die Hegelsche „Vermittlung”[66] berufen.
Seine Position: ein Antagonismus ist nicht vermittelbar. Und schon gar nicht
jener von Lohnarbeit und Kapital. Hieraus resultiert auch seine Haltung zum
Recht. Dieses steht auf Seiten der herrschenden Klasse. Es kann schon deshalb
vom Proletariat nicht für seine Zwecke genutzt werden.
Sozialrecht, Sozialstaat? Übel, die
der Revolution entgegenstehen.
Den „versteckten Hintergrund”
über das Recht transparent und beherrschbar machen? Das bedeutet, den
Proletarier statt auf die Revolution auf den Rechtsweg zu verweisen. Wozu noch
Revolution machen, wenn er hierüber das Seine erhielte?
Auch Savigny hätte Gierkes
Standpunkt nicht geteilt. So ist es nun einmal: Das Arbeitsverhältnis ist
reines Austauschverhältnis – so bitter die Konsequenzen für den Arbeiter auch
sein mögen.[67]
In dieser wichtigen Frage stehen Savigny und Marx also Seite an Seite, wenn
auch aus ganz unterschiedlichen, ja entgegengesetzten Motiven. Für Savigny
genügt es, wenn die Gerichte über die Anwendung der Generalklauseln dem
Arbeiter beistehen. Die Berufung auf „Treu und Glauben” muss reichen, wenn der
Arbeiter gar zu grob behandelt wird.
***
Hegel und Gierke stimmen darin
überein, dass die Unternehmung nicht bloß eine vom Kapital und vom Kapitalisten
abgeleitete, über sie zu definierende, Größe ist, sondern eine „selbständige
konkrete Person”[68],
die alle darin Agierenden, sowohl den Kapitalisten wie die Lohnarbeiter,
umfasst. Was im Unternehmen erzeugt wird, ist erzeugt im Zusammenwirken von
lebendiger und vergegenständlichter
Arbeit, von „Wille” und „Werkzeug”. Jeder bringt ein, was er hat: der eine
seine Arbeitskraft, der andere Kapital. Der eine bringt den „Plan” ein, der
andere ist an dessen Umsetzung beteiligt. Was als „Mehr” dabei herauskommt wird
gesamthänderisch gebundenes Vermögen der Verbandsperson. Alle ihre Glieder sind
daran beteiligt. Fällig wir diese Beteiligung spätestens dann, wenn die
individuelle Mitgliedschaft endet oder die Unternehmung zu bestehen aufhört. Ein
Recht römischen Typs ist allerdings „blind” dafür, weil es die Lohnarbeit als
Sache behandelt und einer Sache kein Recht zukommt. Grundlegend anders ist die
Rechtslage, wenn – wie bei Gierke - statt der Arbeit der Arbeiter in den Blick
genommen wird, wenn also nicht sachenrechtlich, sondern personenrechtlich
gedacht wird. Dann wird jenes „Sozialrecht” sichtbar, dass als eine dritte
Qualität des Privatrechts neben Schuld- und Sachenrecht tritt. Über dieses
„Sozialrecht” werden die Ansprüche gegen die „Verbandsperson” realisiert. Hegel
würde zu diesem Recht sagen: es wird seinem Begriff gerecht.[69]
Von Interesse ist in diesem
Zusammenhang eine von der Rechtsphilosophie Hegels und ihrer Interpretation
durch seinen Schüler E. Gans beeinflusste Rechtsprechung zum Pflichtteilsrecht
des ALR in der Zeit von 1840 bis 1881. P. Landau[70]
berichtet davon.
Es ging um die Frage, an wen das
Vermögen der Familie im Falle ihrer Auflösung fällt.
Sieht man das Familienrecht
romanistisch, also als ein „bloßes verwickelteres Individualrecht”, sind Erblasser die Eltern – und es hängt
von ihrem Willen ab, wer erbt und wer nicht. Anders die Rechtslage, wenn die
Familie als „Verbandsperson” angesehen wird und der Nachlass deshalb ihr und
nicht den Eltern zugeordnet wird. In diesem Fall wird die abzuwickelnde Familie
von allen ehemaligen Mitgliedern beerbt.
Die Testierfreiheit als ein
wichtiger Unterfall der Willensfreiheit ist berührt.
Die Regelungen des ALR zum
Erbrecht, darunter: zum Pflichtteilsrecht, sind eher „romanistisch” als „germanistisch”
geprägt. Die „Testierfreiheit” steht in der Mitte. Dieser Regelung folgte die
Rechtsprechung hierzu. Unter dem Einfluss E. Gans‘[71]
und seiner Schüler und entgegen dem Zeitgeist ändert nun das preußische
Obertribunal seine Rechtsprechung zu Gunsten der Pflichtteilberechtigten. Fast contra legem greift das Gericht dabei
auf Gedanken zurück, die Hegel unter dem Stichwort „Familie” entwickelt.
Während die ALR-Regelungen hierzu eher dahin tendieren, im Pflichtteil einen
schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben zu sehen, interpretiert das Gericht
den Pflichtteil als einen Anteil an der Erbmasse. Oder so gesagt: es
interpretiert ihn nicht als schuldrechtlichen, sondern als dinglichen Anspruch.
Voraussetzung dafür ist, dass die Erbmasse von der Person „Familie” abgeleitet
wird, sie also unabhängig vom Erblasser und dem von ihm erklärten Willen
gesehen wird. Ihr „Tod” löst den Erbfall aus – nicht der Tod des
Familienvaters. Und daher wird der Willkür des testierenden Familienvaters
entgegengetreten, wenn diese den Pflichtteil gefährdet. Diese ”hegelisch”
geprägte Rechtsprechung endet mit der Auflösung des Obertribunals 1879 bzw. mit
Übergang seiner Führungsrolle auf das Reichsgericht, das, gestützt auf die
Gutachten, die dem 14. Deutschen Juristentag 1878 in Jena zu Grunde lagen, mit
einer Entscheidung aus dem Jahre 1881 Schluss macht mit dieser Auslegung des
ALR und den bloß schuldrechtlichen Charakter des Pflichtteilsanspruchs
klarstellt.
***
Marx hat sich davor gedrückt, Hegels
Rechtsphilosophie fruchtbar zu machen. Denn das wäre zu Lasten der
revolutionären Umwälzung gegangen, auf die seine Philosophie abzielt. Statt
Revolution ein „Kampf um das Recht”? Daran hat Marx kein Interesse haben
können. Und die Aufklärung der „ungleichen Entwicklung”, die Gegenstand dieser
Abhandlung ist, hätte die Kategorie „Ausbeutung” und die daran anknüpfende
Revolutionstheorie wenn nicht zu Fall, so doch in Frage gestellt! Ein dritter
Weg wäre sichtbar geworden. Es bei der „ungleichen Entwicklung” zu belassen, bot
für Marx also den Vorteil, den Abstand zum zentralen Punkt, um den sich seine politische
Lehre rankt, stabil zu halten.
Hätte er die Bemerkungen in den
„Grundrissen” weiter verfolgt, hätte das im „Kapital” Niedergelegte und noch
folgenreicher: seine daraus gezogene politische Schlussfolgerung, Schaden
genommen. Eine römisch-rechtliche Interpretation der untersuchten ökonomischen
Verhältnisse war also von Nutzen, weil sie die proletarische Revolution
alternativlos macht. Der Manchester-Liberalismus und ein Recht a la Savigny[72]
kommen ihm entgegen, weil beide den Antagonismus, der die bürgerliche
Gesellschaft seiner Zeit durchzieht, gutheißen und zementieren.[73]
Stärker als durch sie kann das dem Proletarier angetane ökonomische Unrecht
nicht ins Licht gerückt werden.
Salopp formuliert: Der
manchesterliche Kapitalismus ist das Brot, der sozialstaatliche Kapitalismus
hingegen der Tod der Revolution.
Marx setzt also ganz bewusst auf
diese Diskrepanz. Die Aufklärung des „schwierigen Punktes” lässt er fallen,
weil sie geeignet gewesen wäre, dass bereits im „Kommunistischen Manifestes”
fixierte politische Ziel zu verwässern.
Hegel? Revolutionäre meiden ihn;
seine Philosophie ist anti-revolutionär. Wo seine Kollegen und wo auch
Marx/Engels, mit dem „Entweder-Oder” hantierend, zur Revolution gelangen,
stoßen wir bei ihm auf „Vermittlung” bzw. auf ein „Sowohl-Als-Auch”. Wo Savigny
nur zwischen dem „Willen” und der „Willenlosigkeit” unterscheiden kann, sieht
er sowohl die objektive wie die subjektive Seite der Medaille.
Verglichen mit der an Hegel
orientierten Fragestellung in den „Grundrissen”, gelangt Marx im „Kapital” zu einer
vergleichsweise „billigen” Erklärung. Nicht unberechtigt ist daher der Vorwurf,
den Siemek[74]
ihm macht, das Ökonomische vom Politischen getrennt zu haben. Statt in Sachen
„Recht” bei Hegel oder auch – was nahe gelegen hätte - bei E. Gans Rat zu
suchen, stützt er sich philosophisch auf die „Umkehrmethode” Feuerbachs und bei
der juristischen Beurteilung übernimmt er die Position Savignys. Beides führt
ihn schon früh zu der vereinfachten Auffassung, wonach das Recht als „zum
Gesetz erhobene[r] Wille”[75]
der herrschenden Klasse” bloßer Bestandteil des „Überbaues” ist. Jenes Recht,
das in den „Grundrissen” zur Sprache kommt, ist hingegen unzweideutig Teil der
Basis[76],
was nichts anderes heißt als: die logisch-juristische Kehrseite der
ökonomischen Verhältnisse. Und auch soweit er dieses „Basisrecht” auch später
noch akzeptiert, interpretiert er dieses „römisch”, nicht „hegelisch”, also
unter Ausblendung eines Teils der Basis. Der „versteckte Hintergrund” ist in
der Sphäre der Produktion zu suchen. Und nach Marx gilt in dieser Sphäre „Sachenrecht”
– und dabei hat es zu bleiben, weil eine Korrektur in Richtung auf das
„Personenrecht” Gierkes eher die Interessen der Arbeiter als die der
Kapitalisten aufgreift. Eine juristische Alternative? Nein, das passt nicht in
das revolutionäre Weltbild.
Letzte Frage: Wie wollen wir es
künftig halten mit dem „versteckten Hintergrund”?
Gierkes „Sozialrecht”, verstanden
als jener Teil des Privatrechts, der die Binnenbeziehungen der Verbandsperson
„Unternehmung” abbildet, als Recht also, das Ansprüche des Lohnarbeiters
formuliert, die über den bloßen Lohnanspruch hinausgehen, hat sich nicht als
ein Bestandteil unserer Rechtsordnung durchsetzen können. Gleichwohl ist
Gierkes Wirken nicht erfolglos geblieben. Praktische Ergebnisse zeigen sich
dort, wo sich sein Ansatz mit jenem Hegels trifft: auf der Ebene des Staates.
Dessen Bestandteile „Polizei” und „Korporationen” nehmen Bezug auf die
„sozialrechtlichen” Ansprüche der Arbeiter und verweisen auf die Aufgabe, sie
gegenüber den Unternehmen durchzusetzen. An der Sozialpolitik des deutschen
Reiches unter Bismarck können sich insofern Hegel und Gierke beteiligt sehen,
mindestens aber werden sie durch diese bestätigt. Auch das aus den politischen
und gewerkschaftlichen Kämpfen der Arbeiterbewegung hervorgehende kollektive
Arbeitsrecht, wie es ab Ende des 19. Jahrhunderts zum festen Bestandteil der
Praxis wird, steht der Intention Gierkes sehr nahe – und so wurde das auch von
H. Sinzheimer u.a. anderen gesehen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben,
diese Materie auf den Begriff zu bringen. Gleichwohl ist hier noch vieles offen
geblieben – theoretisch wie praktisch.[77]
Ebenso sind aber auch viele positive Ansätze dieser Zeit wieder aufgegeben oder
zugeschüttet worden. So die Erkenntnisse des sog. „Institutionalismus”, die
dahin führen, das Unternehmen als eine „Arbeits- und Betriebsgemeinschaft” zu
sehen, die abgelöst vom Betriebsinhaber bzw. von den Gesellschaftern besteht.
Wurden sie zur Seite gelegt, weil sie von Faschisten und Nationalsozialisten
aufgegriffen und, erweitert auf die Ebene des Staates, zur Begründung
totalitärer Staatlichkeit missbraucht wurde? Oder deshalb, weil die damals
starken Gewerkschaften sich darauf beriefen?[78]
Tatsache ist, dass sie in die heile liberale und neo-liberale Denkwelt nicht
hineinpassen und aus dieser Sicht als vom Teufel selbst abstammend angesehen werden,
wenn man sich ihre praktischen Auswirkungen vor Augen führt.
Die personenrechtliche Auffassung
Gierkes dominierte noch bis in die 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts die
arbeitsrechtliche Diskussion in der BRD.[79]
Und sie war noch bin in die 80-er Jahre fester Bestandteil der Rechtsprechung,
erst jener des RAG[80],
dann der des BAG. Dann aber wurde sie, nahezu neunzig Jahre nach Inkrafttreten
des BGB, mit der vergleichsweise billigen Begründung verabschiedet, sie sei „mit
der eindeutigen gesetzlichen Regelung des Arbeitsverhältnisses in § 611 ff. BGB
als schuldrechtliches Verhältnis” nicht vereinbar.[81]
Warum diese Abkehr jetzt und
warum mit so dürftiger Begründung?
Ein rigider
Wirtschaftsliberalismus brach sich Bahn. Von Keynes zu Friedman, zu Mises, zu
Hayek. Zurück zum Manchestertum. Erst in der Theorie, dann auch in der Praxis.
Mit dem Amtsantritt Reagans wurde die wirtschaftsliberale Rezeptur nicht nur
zur Politik der USA, sondern auch zur Politik nahezu aller Staaten. Die global
agierende Wirtschaft trat ihren Siegeszug an. Nationalstaatliche Beschränkungen,
wo es solche gab, wurden beiseite geschoben - auch in Deutschland. Die von
Gierke damals beklagte „schonungslose Ausbeutung geistiger und wirtschaftlicher
Übermacht”[82]
erlebte ihre Wiedergeburt. Eine in der Geschichte beispiellos dastehende
Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten ganz Weniger setzte
ein. Man denke an das Auseinandertriften der Einkommen seit dem Jahre 1980, das
längst die Grundfesten vieler nationaler Gesellschaften und ihrer politischen
Systeme erschüttert. In Windeseile vergrößerte sich (in den USA) der Abstand
zwischen den durchschnittlichen Arbeiterlöhnen und den Löhnen der Topmanager
von 1: 40 auf den Wert 1:400.[83] Das
führt schon längst – und trotz aller Predigten an die ausgeschlossenen
Bevölkerungsschichten, nicht dem „Sozialneid” zu verfallen - zur
„Desorganisation der bürgerlichen Gesellschaft”[84],
hat einem D. Trump den Weg ins Präsidentenamt geebnet und wird sicher auch in Europa
noch so manchen Oligarchen auf den Thron bringen.
Hegel und Gierke haben erkannt,
dass den üblichen, bereits von „Rom” her überkommenen Dimensionen des Rechts
und des Staates, im spezifischen Raum der „Besonderheit”, dem Bereich des
„Stoffwechsels”, eine weitere Dimension zur Seite steht, für den einen in
Gestalt eines „Sozialrechts”, für den anderen in Gestalt sozialstaatlicher
Institutionen. Jetzt aber wird dieser besondere Raum zugunsten einer rabiat
individualistischen Anschauung ignoriert bzw. weggeredet. Ein in Deutschland
nicht zuletzt mit dem römischen Recht begründeter Rückfall ins andere Extrem.
Damit verbunden: eine „Umwidmung”, eine „Verkürzung des Privatrechts”[85] –
insoweit nämlich, wie dessen personenrechtliches, mithin: soziales, Element
daraus entfernt wird. „Treue” und „Fürsorge”, wird in Bezug auf Gierke gesagt,
seien ohnehin nur „ethische”, also „rechtsfremde” Begriffe, die im Recht nichts
zu suchen haben. Jedenfalls legitimieren sie nicht dazu, ein schuldrechtliches
in ein personenrechtliches Verhältnis umzuqualifizieren. Damit wird
geflissentlich übersehen, worauf es Gierke ankommt: zu zeigen, dass aus dem
personenrechtlichen Charakter des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitnehmer ein
geldwerter Anspruch gegen das Unternehmen erwächst. Ein Anspruch, der über den
Lohnanspruch hinausgeht. Judex
non calculat!?
Aber jeder praktisch tätige Jurist erfährt tagtäglich, dass es bei
Rechtsstreitigkeiten in allererster Linie um zwei Dinge geht: um das Eigentum
und um das Geld. Nirgendwo ist der Krämergeist ausgeprägter, nirgendwo kommt er
ungehemmter ans Licht als vor Gericht. Und das Recht ist ja auch dazu da, diese
elementaren Güter der bürgerlichen Welt mit einer Unzahl von Paragrafen zu
verteidigen.
„Treue” und „Fürsorge” sind für
Hegel und Gierke Begriffe mit „geldwertem” Gehalt. Es geht um Mitgliedschaft,
um Teilhabe der Arbeitnehmer am Erfolg der Unternehmung, der sie angehören. Hinter
der Abkehr von der personenrechtlichen Natur des Arbeitsverhältnisses steckt
also sehr viel mehr als die Kritiker sehen wollen; vor allem viel Geld. Die
geschilderte Umverteilung zu Gunsten Weniger wird also nicht zuletzt mit
Mitteln finanziert, die durch diese Kurskorrektur „gewonnen” werden.
Was unser bisheriges Verständnis
von „Sozialstaat” nicht offenlegt, ist, dass der dem Arbeiter erwachsende
Anspruch nicht dem öffentlichen Recht zugehört, sondern dem Privatrecht. Seine
Quelle ist nicht schlechthin die Staatskasse, sondern die Unternehmung. Der
Staat realisiert lediglich den Anspruch für die Berechtigten; er betreibt
insoweit Inkasso. Er macht ihn für diese über Umlagen und dergleichen
pauschalisiert geltend; er nimmt die Verteilung vor. Besser wohl: er sollte es
tun, denn bislang stammen die über den Sozialstaat umverteilten Mittel
ausschließlich aus Steuermitteln, die in der Mehrzahl von denen erbracht
werden, die über diesen Weg eigentlich Anteile an den Gewinnen ihrer
Unternehmen zu erwarten hätten. Auch das Schuldenmachen gehörte über Jahrzehnte
zu den Quellen, aus denen sich der Sozialstaat finanzierte. Aber die
Obergrenzen der Staatsverschuldung sind aller Orten längst erreicht und
überschritten; diese Quelle ist also so gut wie versiegt. Angesichts dessen
wäre es höchste Zeit, die eigentliche Quelle dieser Mittel zu erschließen.
Das Problem ist bisher also nur
im Ansatz gelöst. Das meiste ist zu Lasten der abhängig Beschäftigten noch
offen geblieben. Und das bereits Erreichte ist durch den wiederbelebten und
grassierenden wirtschaftlichen Liberalismus der letzten Jahrzehnte bereits
wieder in Frage gestellt.
Sowohl in der Weimarer Republik
als auch in der BRD der siebziger Jahre gab es Versuche, dem Arbeitsrecht in
einem Arbeitsgesetzbuch ein angemessenes Zuhause zu geben. Beide Vorhaben
scheiterten bzw. wurden eingestellt. Das einzige Ergebnis von Dauer: Das
Arbeitsgerichtsgesetz von 1926, das die sich aus dem Arbeitsverhältnis
ergebenden Streitigkeiten unter dem Aspekt, diese einer schnellen und billigen
Rechtsverfolgung zuzuführen, einer eigenen Gerichtsbarkeit unterstellt. Das
staatlich gesetzte materielle Recht aber blieb im Wesentlichen unverändert.
Warum?
Nicht nur Marx hatte ein
Interesse daran, den „versteckten Hintergrund” in seinem Versteck zu belassen.
Auch seine Gegenüber. Grundsätzliches würde aufgerührt, Feststehendes wäre in
Frage gestellt, würde das Geheimnis gelüftet. Bisherige Grundwahrheiten der
bürgerlichen Gesellschaft und ihres Rechts kämen ins Wanken. Die mühsam
konstruierte Einheit des Privatrechts, erzielt dadurch, dass alles Recht über
einen Leisten, noch dazu: einem „römischen” Leisten, geschlagen wird, geriete
in Gefahr. War es denn nicht mühsam genug, musste nicht viel Gelehrtenschweiß
fließen, ehe alles darauf reduziert war: auf die „abstrakte Schablone,
romanistisch, individualistisch, verknöchert in toter Dogmatik.”[86]
Der ganze Bau könnte einbrechen, nähme man das nicht Passende, sondern nur
passend Gemachte aus ihm heraus. Und denken wir nicht zuletzt an jene kleine,
aber tonangebende Menschengruppe, die kräftig davon profitiert, dass das
Geheimnis nicht gelüftet wird.
Hegel und auch Gierke helfen uns,
das Entweder-Oder-Denken zu überwinden. Die unterschiedlichen Ebenen,
„Potenzen”, wie Hegel auch sagt, auf denen sich, seiner Philosophie nach, die
Lebenszusammenhänge realisieren, weisen uns den Weg. Qualitativ unterschiedenen
Personen stehen qualitativ unterschiedene Rechte zur Seite. Zwei große,
artverwandte Gruppen stechen auf der zweiten Ebene, der Ebene der Familie,
hervor: das Binnenrecht der bürgerlichen Kleinfamilie und das Binnenrecht der
Unternehmung. Beide sprengen das individualistische Weltbild. Werden sie
trotzdem unter dieses subsumiert, privilegiert das jene Personen der ersten
Ebene, denen sie dann zugeschlagen werden: die Familie den Eltern oder gar nur
dem „Hausherrn”, die Unternehmung jenen, die das Kapital einbringen.
Benachteiligt werden jene Glieder, die – wie im Fall der Unternehmung – nur
ihre Arbeitskraft beisteuern können.
Fassen
wir zusammen:
Das Arbeitsverhältnis trägt einen
Doppelcharakter. Es ist in erster Linie ein personenrechtliches (Gliedschafts-)Verhältnis
im Rahmen der Unternehmung. Dahinter tritt zurück, dass es zugleich auch
(schuldrechtlicher) Austauschvertrag ist. Die Konsequenz aus beiden: Der
Arbeitnehmer schließt den Vertrag über den Verkauf seiner Arbeitskraft als
„Person”, vollzieht ihn jedoch als „Glied” der Unternehmung.
Für
Savigny ist das Arbeitsverhältnis ein an den Maßstäben des einfachen
Austausches ausgerichteter, rein schuldrechtlicher Vertrag. Der Anspruch des
Arbeiters daraus ist erfüllt, wenn er den vereinbarten Lohn in Händen hält;
damit hat er das Seine erlangt. Marx sieht, dass Ökonomie und Recht getrennte
Wege gehen. Eine „Lücke” tut sich auf, in der sich die „Ausbeutung” verbirgt.
Nur die proletarische Revolution vermag sie zu schließen. Gierke ist es, der den
personenrechtlichen Charakter des Arbeitsverhältnisses erkennt. Die Folge
daraus: Über den Lohnanspruch hinaus erwächst dem Arbeiter ein
sozialrechtlicher Anspruch am Vermögen des Unternehmens, der spätestens im
Falle der Auflösung des Arbeitsverhältnisses oder der Auflösung der
„Verbandsperson” fällig wird.
In der Sache steht Gierke Hegel
nahe. Wo jener aber die personenrechtliche Natur des Arbeitsverhältnisses
„biologisch”, über die „Organismus-Metapher”, aufzeigt, gelangt Hegel zu einer
Lösung, die beides zugleich ist: logisch und praktikabel. Das Arbeitsverhältnis
ist auf der horizontalen Ebene ein schuldrechtlicher Vertrag zwischen
Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Gegenseitige Ansprüche daraus sind Sache der
Gerichte. Die sich aus dem personenrechtlichen Charakter ergebenden Ansprüche
daraus werden bei ihm über die sozialstaatlichen Einrichtungen des „Not-und
Verstandesstaates” – gefasst unter „Polizei” und „Korporationen” - realisiert.
Zuständig sind diese Ebene und ihre Einrichtungen für jene Grundbedürfnisse der
Kleinfamilie wie auch der Unternehmungen, die ihrer Natur nach am effektivsten,
orientiert am Solidarprinzip, zentralisiert befriedigt werden können. Bildung,
Kultur, Erholung. Vorsorge für den Krankheitsfall, für den Invaliditätsfall.
Altersvorsorge. Die Unternehmen profitieren von dieser Lösung über die ganze
Palette wirtschaftsfördernder Maßnahmen, über die Bereitstellung von
Infrastruktur, über die Vorhaltung gut ausgebildeten Humankapitals.
[1] Marx, Grundrisse
der Kritik der Politischen Ökonomie (Rohentwurf) – entstanden in den Jahren
1857-1858, Berlin 1953, S. 185. (nachfolgend zitiert: GR).
[2] Ebd., S. 362.
[3] Vgl. ebd., S.
30. Das scheint mir eine ganz wichtige, bisher nicht hinterfragte, Behauptung
im Rahmen der ökonomischen Theorie des Marxismus zu sein. Und es wird noch
deutlich werden, dass diese von Marx behauptete Diskrepanz wesentlich dafür
wird, dass Marx nicht Reformer, sondern Revolutionär wird.
[4] Marx, GR, S., S.
30.
[5] So F. Neumann,
Das Arbeitsrecht in der modernen Gesellschaft, Recht der Arbeit 4.Jahrg. 1951,
S. 1.
[6] GR, S. 409.
[7] Dieser vertritt,
etwas vereinfacht gesagt, den Standpunkt, dass das Recht Roms auch das Recht
der kapitalistischen Gesellschaft ist, dass es „das „das reine” Privatrecht
ist, an dem „alle späteren Gesetzgebungen nichts Wesentliches … zu bessern
vermochten” (MEW 21, S. 397).
[8] GR, S. 157.
[9] MEW 23, S. 170.
[10] MEW 24, S. 31.
[11] Jedenfalls des
Schuldrechts!
[12] GR, S. 484. Der
Begriff wird uns noch an anderer Stelle beschäftigen.
[13] Zum Beispiel in Gestalt der Umwandlung des Naturstoffes Lehm in Töpferwaren!
[14] GR, S. 169.
[15] GR, S. 322.
[16] Es findet dort,
wie er formuliert, „konzentrierender Austausch” statt, an dessen Ende die
kapitalistische Unternehmung steht. Die Geburt einer völlig neuen
Produktionsweise. Die Verbindung zur „Wirtschaftsfamilie” ist gekappt. Zwischen
ihnen steht die meist unüberwindliche Barriere „Kapital”. (Dazu GR, S. 480 f.)
Der Begriff „konzentrierender Austausch) ist von mir ausführlich vorgestellt
worden in: B. Rettig, Hegels sittlicher
Staat, …, S. 299ff.
[17] Das „Kapital”
erscheint 1867, der erste Band des „Genossenschaftsrechts” 1868. Diese zeitlich
parallele Bearbeitung und ihr grundverschiedenes Endergebnis sind bisher, mit
Ausnahme der Arbeit von H. Spindler (Von
der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft. Kritische Darstellung der
Sozialrechtslehre Otto von Gierkes, Frankfurt a.M., Bern 1982) kaum
beachtet worden. Sie sollen daher nachfolgend näher beleuchtet werden.
[18] Der Begriff des
„Betriebes” ist daher für E. Rosenstock (Vom Industrierecht, Berlin u. Breslau
1926, S. 17 ff.) die Ausgangsgröße zum Verständnis des Arbeitsverhältnisses
[19] Marx GR, S. 405:
„Es steht dem nicht im Wege, dass bei der Auflösung der Zünfte einzelne
Zunftmeister sich in industrielle Kapitalisten verwandeln; indes ist der Kasus
rar und so der Natur der Sache nach. Im Ganzen geht das Zunftwesen unter, der
Meister und der Gesell, wo der Kapitalist und der Arbeiter aufkommt.”
[20] Vgl. dazu H.
Spindler, a.a.O., S. 137. Anfang der 90-er
Jahre überträgt Gierke den Grundgedanken seiner Genossenschaftslehre auf die
kapitalistische Unternehmung. Er erkennt auch sie als Ort notwendiger
Kollektivität. Er setzt also die Produktionsstätte, in der Gleiche unter sich
sind mit der Produktionsstätte gleich, in der Ungleiche, nämlich Lohnarbeiter
und Kapitalist, vereinigt sind.
[21] O. v. Gierke, Das Wesen der menschlichen Verbände, Berlin
1902, S. 6f.
[22] Ders., Die
soziale Aufgabe des Privatrechts, Berlin 1889, S. 36.
[23] Ebd., S. 34.
[24] Marx, MEW 23, S.
189: Der Arbeiter betritt als Sache die „verborgne Stätte der Produktion”. Ihr
Träger, die „Person”, bleibt vor der Tür; für sie gilt: „No admittance except
on business.”
[25] O. v. Gierke,
Die soziale Aufgabe, S. 32.
[26] Vgl. ebd., S. 7.
[27] F. Engels (AS II, S. 273 ff., besonders S. 280-282) bezeichnet es bekanntlich als die „historische Tat der Deutschen”, ihre unentwickelten Zustände in die Konkursmasse Roms eingebracht zu haben. „Aber nicht ihre spezifischen nationalen Eigenschaften waren es, die Europa verjüngt haben, sondern einfach – ihre Barbarei, ihre Gentilverfassung”, ihr noch vor der Institutionalisierung stehendes „Gemeinwesen”. Zustände, die elastisch genug sind, um „Brücke” zwischen Rom und der Neuzeit zu sein, die es ermöglichten, „aus dem Schlamm der Römerwelt neue Staaten entstehen zu lassen.” Das deckt sich mit Hegel, der (in § 358 R) meint, dass die Verbindung, die die Germanen mit Rom eingehen, einen „Wendepunkt” darstellt.
[28] Hier ist auf das
zu verweisen, was Hegel in § 40 R zur begrifflichen „Unreife” des römischen
Rechts ausführt.
[29] Da die
„Rechtsstellung” im „Dritten Reich” und dann wieder im realen Sozialismus
(nicht nur) der DDR Furore macht, halte ich eine Bemerkung zum Unterschied für
notwendig: Für Gierke ist klar, dass sich seine „Gliedschaft” und seine
„Rechtsstellung” nur auf die Bereiche der ehemaligen „Wirtschaftsfamilie”
beziehen, also auf Kleinfamilie und Unternehmung. Seine „Rechtsstellung” ist also privatrechtlich, enger gefasst
„sozialrechtlich” gemeint. Im „Dritten Reich” und in der DDR trat die
„Rechtsstellung” jedoch generell an die Stelle der subjektiven Rechte im
privaten wie öffentlichen Raum. Überall war dort die „Person” durch das „Glied”
ersetzt, überall herrschte dort ein rechtliches Regime, wie es Gierke für das
Innere der „Verbandsperson” beschreibt. Deshalb habe ich diese beiden
Staatstypen an anderer Stelle („Hegels sittlicher Staat” und „Staat, Recht,
Ökologie”), ungeachtet der großen Unterschiede zwischen ihnen, als
„Betriebsstaaten” bezeichnet.
[30] F. Wieacker: Zur
Theorie der Juristischen Person des Privatrechts, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag am 8. Juni 1973,
hrsg. v. E. Forsthoff u.a., Göttingen 1973, S. 368.
[31] Vgl. dazu: G.
Gurwitsch, Otto v. Gierke als Rechtsphilosoph, Logos XI. Bd. (1922/23), S.
86-132. Soweit ich sehe, bringt lediglich W. Schönfeld (Puchta und Hegel, in: Rechtsidee
und Staatsgedanke, FS f. J. Binder, Berlin 1930, S. 29) Gierke mit Hegel in
Verbindung: O. v. Gierke, dessen Lehre, wenn auch „vielleicht unbewusst vom
Geiste Hegels lebt.”
[32] Kant, MdS § 22
ff. Hans Kiefner (Der Einfluss Kants auf Theorie und Praxis des Zivilrechts im
19. Jahrhundert, in: J. Blühdorn, J. Ritter (Hrsg.), Philosophie und Rechtswissenschaft, Frankfurt a.M. 1969, S. 3-26
[S.12]) bezeichnet diese Art Recht als ein „Kuriosum”. Zur Kuriosität wird
dieses Recht aber nur dann, wenn man die Unternehmung als von einem oder
mehreren Kapitalisten geschaffene juristische Figur ansieht, nicht aber als die
eigenständige natürliche Person der Ebene der „Besonderheit”.
[33] Kant MdS, S.
601f.
[34] Rein logisch
gesehen kommen zu den Schuld- und Sachenrechten sowohl ein „auf persönliche Art
dingliches” als ein „auf dingliche Art persönliches” Recht hinzu. Jedoch wird
nur das Letztere praktisch: Denn „[d]er Begriff eines auf persönliche Art
dinglichen Rechts fällt ohne weitere Umstände weg; denn es lässt sich kein
Recht einer Sache gegen eine Person denken.” (MdS, S. 602).
[35] Gierke, Die
soziale Aufgabe, a.a.O., S. 41.
[36] Ebd., S. 31.
[37] MEW 23, S. 353.
[38] E. Fraenkel,
Hugo Sinzheimer, JZ 1958, S. 458.
[39] Gierke, Die
soziale Aufgabe, a.a.O., S. 40.
[40] § 39 R.
[41] Auf der Ebene
des sittlichen Staates muss
klarstellend hinzugefügt werden. Also des Staates, der – im Gegensatz zum
bloßen „Not-und Verstandesstaat” als der politischen Organisation bloß der
bürgerlichen Gesellschaft – Staat beider Naturen ist: der von der bürgerlichen
Gesellschaft umfassten „produzierten” wie der richtigen bzw. ursprünglichen
Natur. (siehe hierzu: B. Rettig, Staat, Recht, Ökologie. Das „grüne” Weltbild
GWF Hegels, Köln/Weimar/Wien 2018, S. 307ff.)
[42] § 40/A R.
[43] § 43/A R.
[44] § 43/A R, § 52/A R u. § 57/Z R.
[45] § 45/A R.
[46] L(B), S. 197.
[47] § 49 R –
Hervorhebung bei Hegel.
[48] § 45 R.
[49] Dazu Marx (GR,
S. 16): „Ein Individuum, das in der Form der Lohnarbeit an der Produktion
teilnimmt, nimmt in der Form des Arbeitslohns an den Produkten, den Resultaten
der Produktion teil.”
[50] Den jetzigen
Zustand fasst Hegel in die Worte: „kein Herr, kein Sklave – ebenso aber kein
Sklave, kein Herr.” (§ 57/N R).
[51] § 43/A R:
„[S]elbst Religiöses (Predigten, Messen, Gebete, Segen in geweihten Dingen) …
werden Gegenstände des Vertrags, anerkannten Sachen in Weise des Kaufens,
Verkaufens usf. gleichgesetzt.”
[52] Nicht so in den
„Grundrissen”, wo, wie besonders die Ausführungen zum Zeitökonomiegesetz
zeigen, der Schwerpunkt auf die geistig-schöpferische Arbeit gelegt ist.
[53] Dazu Marx im „Kapital” (MEW 23, S. 193): „Eine Spinne verrichtet Operationen, die denen des Webers ähneln, und eine Biene beschämt durch den Bau ihrer Wachszellen manchen menschlichen Baumeister. Was aber von vornherein den schlechtesten Baumeister vor der besten Biene auszeichnet, ist, dass er die Zelle in seinem Kopf gebaut hat, bevor er sie in Wachs baut.”
[54] Vgl. dazu MEW
23, S. 350. Marx spricht dort vom „Kommando des Kapitals über die Arbeit”, vom
„Befehl des Kapitalisten auf dem Produktionsfeld”, der „jetzt so unentbehrlich [ist]
wie der Befehl des Generals auf dem Schlachtfeld.” Und auch nach gelungener
proletarischer Revolution wird sich daran nichts ändern, wie Engels weiß. Denn
auch dann wird ein solches „Kommando” notwendig sein, weil dieses sich uns
aufzwingt „unabhängig von aller sozialen Organisation” (Von der Autorität in:
M/E, AS I, S. 601).
[55] Am Beispiel des
Pfluges: das Pflügen als geistige Vorwegnahme des Pfluges.
[56] § 181 R.
[57] Zur „Organismus”-Analogie
merkt H. Freyer (Die Bewertung der Wirtschaft im philosophischen Denken des 19.
Jahrhunderts, Leipzig 1921, S. 115 u. 120f.) an, damit sei in einer Zeit
„philosophischen Vakuums” eine „handliche Formulierung” gefunden, die
allerdings den Nachteil habe, die „feinste begriffliche Arbeit”, die Hegel
geleistet hatte, zu vergröbern.
[58] Hervorhebung bei
H.
[59] Die „relative
Totalität” ist ein Schlüsselbegriff der Hegelschen Philosophie. Siehe dazu: B.
Rettig, Staat, Recht, Ökologie, S.51ff.
[60] § 40/A R und
–noch deutlicher und bezogen auf die Familie- §§162,163 R.
[61] Vgl. §§ 162,163
R.
[62] E. Gans,
Naturrecht uns Universalgeschichte. Vorlesungen nach G.W.F. Hegel, hrsg. u.
eingeleitet v. Johann Braun, Tübingen 2005, S. 83) hebt damals, bezugnehmend
auf seinen Lehrmeister Hegel, hervor: Das römische Recht ist „anfangendes”
Recht; Recht, dass noch nicht alle Sphären der Gesellschaft durchdringt,
sondern sich fertig ausbildet nur im Austauschbereich. Im Unterschied dazu ist
in der bürgerlichen Gesellschaft das Recht in allen gesellschaftlichen
Bereichen präsent und „fertiggestellt”.
[63] MdS, (bei mir)
S. 601.
[64] Ebd., S. 602.
[65] Dabei bleibt es,
obwohl sein Freund Engels mit Blick auf England differenziertere Ansichten zum
Recht vertritt, die – hätte Engels sie weiter verfolgt – zu Einsichten hätten
führen können, die denen Gierkes nahe stehen. F. Engels hebt als einen Vorzug
des englischen Rechts hervor, dass dieses seine Modernität und praktische
Brauchbarkeit nicht zuletzt aus seinen feudalen Wurzeln bezieht. Eine gleiche
Wertschätzung kontinental-europäischer „Übergangsrechte” findet sich bei ihm
nicht. Das ALR z.B. bezeichnet es als Ergebnis „angeblich aufgeklärter,
moralisierender Juristen” (MEW 21, S. 301), spätere Bemühungen um ein
„Sozialrecht” a la Gierke werden von ihm als „Juristensozialismus” abgetan. (Siehe
dazu: E. Engels, Juristen-Sozialismus, geschrieben 1887, abgedruckt in StuR
1954, S. 390-406. Die Arbeit nimmt hauptsächlich Bezug auf A. Menger). Gierke
(Die Wurzeln des Dienstvertrages, a.a.O., S. 44 –FN 2) hebt hervor: „Im
englischen Recht wurde der Dienstvertrag überhaupt nicht zu einem eigentlichen
Schuldvertrage. Er blieb grundsätzlich ein personenrechtlicher Vertrag zwischen
master und servant und wurde als Anwendungsfall der Munt zusammen mit Ehe,
Kindschaft und Vormundschaft unter die Kategorie der rights in private
relations außerhalb des Obligationenrechts behandelt.”
[66] Diese
„Vermittlung” ist der Ausgangspunkt der hegelschen Sozialphilosophie, wie sie
vor allem in seiner Rechtsphilosophie niedergelegt ist. Marx hat diese
„Vermittlung” bereits 1843 mit seiner „Kritik des Hegelschen Staatsrechts”
zugunsten der „Umkehrmethode” Feuerbachs verworfen. Und wenn auch die
„Grundrisse” eine gerechtere und richtigere Beurteilung Hegels enthalten, kehrt
er im Hauptwerk zu seiner frühen Einschätzung zurück. Dies erfolgt jetzt auch
unter dem eminent politisch-praktischen Gesichtspunkt, dass eine
„Sozialstaatspolitik” in scharfer Konkurrenz zur Revolution steht.
(Eindringlich dazu M.J. Siemek, Was ist der Marxismus Hegel schuldig? HJ 1986,
S. 171-176.)
[67] Mit durchaus
bedauernden Unterton benennt er die Folge der von ihm favorisierten
Konstruktion: dass jetzt „der Reiche den Armen untergehen lassen [kann] durch
versagte Unterstützung oder durch harte Ausübung des Schuldrechts”. (System 1,
371). Aber so ist es nun einmal; so ist das Recht.
[68] § 181 R.
[69] Gierke, Die
soziale Aufgabe, a.a.O., S. 32: „Mit dem vertragsmäßigen Eintritt in die
Hausgemeinschaft beginnt das Familienrecht, mit dem Eintritt in ein
geschäftliches Unternehmen, das gewerbliche Sozialrecht gebieterisch zu
walten.”
[70] P. Landau, Hegel
und das preußische Obertribunal. Ein Beitrag zur preußischen Rechtsgeschichte
und der Geschichte des Pflichtteilsrechts, in: FS für Sten Gagner z. 70.
Geburtstag, hrsg. v. M. Stolleis, … 1991, S. 177-195, sowie die dort angegebene
Literatur.
[71] Siehe dazu: E.
Gans, Das Erbrecht in weltgeschichtlicher
Entwicklung. Bd. 1: Das römische Erbrecht in seiner Stellung zum vor- und
nachrömischen, Aalen 1963 (Neudruck der Ausgabe Berlin 1834).
[72] Die bissigen,
überwiegend polemischen Äußerungen des jungen Marx zu Savigny bzw. zur
historischen Schule (z.B. MEW 1, S. 380) gelten also nicht so sehr dem
wissenschaftlichen Hauptwerk Savignys, sondern dem als Gesetzgebungsminister
Mitverantwortlichen für die (z.B.) restriktive Zensurgesetzgebung, die Marx als
Redakteur der Rheinischen Zeitung zu spüren bekam.
[73] H. Freyer
(a.a.O., S. 93) zitiert Marx, der 1848 in einer Rede zum Freihandel (MEW 4, S.
444ff.) diesen insoweit befürwortet, wie er den Gegensatz zwischen Bourgeoisie
und Proletariat auf die Spitze treibt, mit den Worten: „In diesem
revolutionären Sinne, meine Herren, stimme ich für den Freihandel.” Zur
gleichen Rede äußert sich F. Engels 40 Jahre später so: Freihandel bedeutete
für Marx „Verrennung der Gesellschaft in eine Sackgasse, aus der kein Entkommen
möglich ist, außer durch eine vollständige Umgestaltung der der Gesellschaft
zugrunde liegenden ökonomischen Struktur.” (MEW 21, S. 374).
[74] Siehe dazu M.J. Siemek,
Was ist der Marxismus Hegel schuldig? a.a.O., S. 171-176, besonders S. 175.
[75] MEW 4, S. 477.
[76] In der DDR wurde
in den Endsechziger Jahren eine Diskussion zum „Basischarakter” des Rechts
geführt, weil sich immer mehr zeigte, dass mit These vom Recht als „Überbau”
gerade der Bereich der Wirtschaft nicht adäquat erfasst werden kann.
[77] 1983 nennt E.-W.
Böckenförde (Demokratie und Repräsentation, Hannover 1983, S. 32, FN 54) unter
Bezug auf §§ 254-256 R diesen Teil „ein noch unaufgearbeitetes Stück seiner
Rechtsphilosophie.” Für Hegel sei die Korporation das „unentbehrliche
Vermittlungsglied zwischen bürgerlicher Gesellschaft und Staat, indem in ihr
die Erwerbstätigkeit von den bloßen Privatzwecken weggelenkt und zur bewussten
Tätigkeit für einen gemeinnützigen Zweck erhoben wird.”
[78] Vgl. dazu: F.
Neumann, Demokratischer und autoritärer Staat, Frankfurt/M. 1986, S. 69 ff.
[79] Siehe dazu:
Friedhelm Jobs, Die Bedeutung Otto von Gierkes für die Kennzeichnung des
Arbeitsverhältnisses als personenrechtliches Gemeinschaftsverhältnis, ZfA, 3.Jg.
(1972), S. 305-343.
[80] Urteil vom
20.6.1928.
[81] Hansjörg Weber,
Die Nebenpflichten des Arbeitgebers, RdA 1980, S. 289-299 (292).
[82] Gierke, Die
soziale Aufgabe, S. 29.
[83] Stand 2006.
[84] § 255 R.
[85] Knut Wolfgang
Nörr, Römisches Recht zwischen Technik und Substanz: Bemerkungen zu seiner
Rolle am Ende des 20. Jahrhunderts, ZEuP 1/1994, S. 67-76 (73).
[86] Gierke, Die
soziale Aufgabe, a.a.O., S. 16.