Der „Betriebsstaat“ - Randnotiz der Geschichte?
von
Bernd Rettig, 07774 Dornburg-Camburg
Auch 30 Jahre nach dem Mauerfall
schlagen die Wogen noch immer hoch, wenn nach dem Wesen jenes deutschen Staates
gefragt wird, der seine Existenz 40 Jahre lang unter der Kurzbezeichnung „DDR“
behauptete. Was für eine Art Staat war dieses Gebilde? Ein „Unrechtsstaat“,
eine „Diktatur des Proletariats“, ein „Machtstaat“, ein „sozialistischer“ Staat?
Die DDR hat endliche 40 Jahre
existiert. Unendlich aber scheint das Bedürfnis zu sein, ihren Charakter als
„Unrechtsstaat“ ins Licht zu rücken. Adressat dieser Bemühungen sind weniger die
Westdeutschen, die davon ohnehin mehrheitlich überzeugt waren und sind, sondern
die Ostdeutschen, bei denen der Begriff nicht so recht Fuß fassen will. Und
dass, wo doch jeder Bürger der ehemaligen DDR das Unrecht am eigenen Leibe
verspürt hat und ihm von daher längst klar sein müsste, dass er, politisch
gesehen, mit der Einheit das große Los gezogen hat und seit 1990 in einem
besseren, wenn nicht im allerbesten politischen System aller Zeiten lebt. Was hat
es für eine Bewandtnis mit diesem Teil-Volk? Warum ist es auch 30 Jahre danach nötig,
es immer wieder oder immer noch mit der Nase auf all das Unrecht zu stoßen, mit
dem es leben musste? Und dies mit einer Leidenschaft und einem finanziellen und
propagandistischen Aufwand, die in großem Kontrast zu der Unlust stehen, mit der
nach 1945 der Unrechtsstaat „Drittes Reich“ personell und inhaltlich aufgearbeitet
wurde.
Für die Genossen an seiner Spitze
war er der erste Arbeiter- und Bauernstaat in der deutschen Geschichte. Und ja,
dieser Staat, so verkommen und heruntergewirtschaftet er sich personell und
materiell in seinen letzten Jahren zeigte, stand den Arbeitern und Bauern näher
als die deutschen Staaten vor und nach ihm – was freilich viele Mitglieder
dieser beiden Stände erst bemerkten, als er untergegangen war.
Meine These hierzu: Dieser Staat
ging unter, weil er weder das Eine (echter Sozialismus) noch das Andere (echter
Kapitalismus) war. Eine Kunstfigur - und als solche nur ein schwächeres Kettenglied
der Staaten des westlichen Typs. Er war ein Staat auf Zeit; ein Staat vom
Zuschnitt der Sowjetunion und mit der Eignung, die ökonomische und politische
Nachkriegs-Situation aus eigener Kraft zu meistern. Ein „Betriebsstaat“, der
sich vom „gewöhnlichen“ Kapitalismus durch die Zentralisation des
Produktionsmitteleigentums, damit: des Produzierens, beim Staat und die
Organisation der bürgerlichen Gesellschaft nach Art eines Betriebes unterschied.
Das innerbetriebliche „Direktionsprinzip“ wird bei derlei Staatswesen zum
politischen „Prinzip des demokratischen Zentralismus“.
Ein Staat der Tonnen und
Stückzahlen, ein Staat einer raschen quantitativen Erweiterung des
wirtschaftlichen Volumens. Aber schon Ende der 50-er Jahre hatte sich dieses
Potential erschöpft. Von da an begann die DDR, auch die Sowjetunion, zum
ökonomischen und politischen Anachronismus zu werden, der mehr und mehr hinter
den „echten“ Kapitalismus zurückfiel.
***
Zwei Theoretiker
des Betriebsstaates: W.I. Lenin und C. Schmitt
Was an „Staat“ 1917 in Russland, 1949 in
Ostdeutschland entstand, war deutlich mehr an Lenin orientiert als an Marx. Für
letzteren war die Diktatur des Proletariats nur als ein Hilfsmittel bei der
Expropriation der Kapitalisten gedacht. Ist dies getan, ist das Expropriierte
an die Proletarier herausgegeben, ist ihre Aufgabe erfüllt. Der Staat stirbt
ab.
Lenin nimmt hieran am Vorabend der
Oktoberrevolution wesentliche Änderungen vor. Er ist seit April 1917 „vor Ort“.
Er hat sich kundig gemacht. Er weiß nun, wie es um die Ökonomie Russlands
steht. Erschreckend! Mit Händen ist greifbar, dass sie kurz vor dem Kollaps
steht.
Eine ernüchternde Bilanz. Was nun? Was kann,
was muss getan werden? Er schreibt gerade an „Staat und Revolution“. Die Hälfte
davon ist bereits fertiggestellt, als er diese Arbeit unterbricht und sich
dringlicheren Themen zuwendet. Zwei Arbeiten entstehen, die der dramatischen
ökonomischen Lage gewidmet sind: „Die drohende Katastrophe und wie man sie
bekämpfen soll“ und „Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?“ Beide
Aufsätze erscheinen im Oktober, noch vor der Revolution.
In „Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten?“ verweist er
auf eine demnächst erscheinende Abhandlung aus seiner Feder, „deren erste Folge
bereits beendet ist“[1]:
„Staat und Revolution“. Was zu diesem Zeitpunkt noch fehlt, ist der Text, der
sich u.a. mit jener Fragestellung befasst, die er vorab in diesem Aufsatz
behandelt. Und er verweist darin auch auf die bereits genannte dritte Schrift.
Liest man diese drei Schriften im Zusammenhang, fällt auf: Ging er bisher, in
Übereinstimmung mit Marx, davon aus, dass der (ganze!) alte Staat zerschlagen
werden muss, fragt er jetzt, konfrontiert mit der konkreten ökonomischen Lage
Russlands:
Was steht auf der Tagesordnung? Was muss, was kann getan werden
nach dem Sieg der Revolution? Was ist überhaupt möglich?
Er antwortet mit einer wesentlichen Korrektur der eigenen, im
ersten Teil von „Staat und Revolution“ bereits niedergelegten, Theorie. Sie
besteht darin, dass er jetzt von den „zwei Hälften“ des Staates[2]
spricht. Zwei Hälften, die ganz unterschiedlich zu bewerten seien und mit denen
man deshalb auch ganz unterschiedlich umgehen müsse. Eine Hälfte, die
Politische, müsse beseitigt und ersetzt werden durch einen von den Bolschewiki beherrschten
Machtapparat. Die andere Hälfte aber, jene, die sich mit „Kontrolle“, mit
„Rechnungsführung“ verbindet, müsse bleiben, müsse übernommen, müsse dem neuen
politischen Staat dienstbar gemacht werden.
Eine Hälfte wird „zerschlagen“, die andere Hälfte aber darf nicht
zerschlagen werden (und stellt sich ohnehin sehr bald als unzerschlagbar
heraus).
Mit diesen beiden „Hälften“ führt Lenin eine
Differenzierung ein, die ihn scheinbar an Hegel
heranführt. Denn er entdeckt
mit dieser anderen, unzerschlagbaren, Hälfte jenen Staat, der sich der Marxschen
„Überbau“-Doktrin entzieht, weil er Teil der „Basis“[3] ist. Aber er übersieht bzw. ignoriert zwei
Dinge: Nämlich, dass er damit die Diktatur verewigt. Und dass er aus der
Diktatur des Proletariats überhaupt eine ganz andere Diktatur macht. Praktisch aber verhält er sich,
verhält sich die Sowjetführung nach der Revolution entsprechend – und jedes
andere Verhalten wäre auch auf bloße Bilderstürmerei hinausgelaufen.
Statt „Zerschlagen“ jetzt also "Inbesitznahme".[4]
Dieser Staats-Teil wird der Partei unterstellt und verschmilzt mit ihr zu einem
historisch neuen Staatstyp – den ich,
gestützt auf M. Weber, „Betriebsstaat“[5]
nenne.
Der „Eigentümer-Staat“ als Dauerzustand. Das „Zunächst“, dass
Engels[6]
zwischen Übernahme der .Produktionsmittel durch den Staat und
Produktion durch „frei assoziierte Produzenten“ geschoben hatte, ist
gestrichen. Aus dem Übergangsstaat „Diktatur des Proletariats“ wird die
Dauereinrichtung „Betriebsstaat“. Und mögen die Bolschewiki zum Zeitpunkt der
Revolution auch eine Partei gewesen sein, die die Interessen des Proletariats
vertrat, so werden sie in den Folgejahren zwangsläufig eine Partei, die die
Interessen des „Eigentümer-Staates“ vertritt.
Was steht im Vordergrund? Elektrifizierung, Industriealisierung,
Erhöhung der Arbeitsproduktivität. Und
das um jeden Preis.
Das geht nur, wenn sich die Ressourcen der Gesellschaft in einer
Hand befinden; dass geht nur mit den Zwangsmitteln des Staates.[7]
Von Schrift zu Schrift nimmt Lenin weitere
Korrekturen/Relativierungen vor, die den "Kommune-Staat" betreffen.
Dieser, wie der Kommunismus überhaupt, rücken folglich von Schrift zu Schrift
in die Ferne. Was jetzt im Mittelpunkt steht, stehen muss, sind:
„Eigentümerstaat“ und „Staatskapitalismus“.
Was in der Sowjetunion der Jahre 1917 ff.
entsteht, ist ein Kapitalismus ohne Kapitalisten. Der Staat an seiner Spitze
hat die Aufgabe, im Interesse des Kapitals die bürgerliche Revolution in
„plebejischer Manier“ zu betreiben, um auf diese Weise mit den „Feinden der
Bourgeoisie, dem Absolutismus, dem Feudalismus und dem Spießbürgertum fertig zu
werden“[8].
Er bestätigt jenen früheren Lenin (des Jahres 1905), wo er schreibt, dass es
ein „reaktionärer Gedanke“ ist, „Sozialismus“ zu wollen, wenn objektiv
„Kapitalismus“ auf der Tagesordnung steht[9]. Ein Kapitalismus unter dem politischen Hut
„revolutionär-demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft.“[10] Sie ist der kurze Weg zum vollen Siege.[11] Im Unterschied zu 1905 wird sie jetzt aber als
„Diktatur des Proletariats“ ausgegeben. Unter dem Kommissariat der Bolschewiki und
abgeschottet wie in einem Treibhaus wird in den folgenden Jahrzehnten in der
Sowjetunion der Aufbau eines Staatskapitalismus betrieben.
***
Ein Theoretiker des „Betriebsstaates“ neben Lenin und Weber ist C.
Schmitt. Auch er ist ein aufmerksamer
Bobachter all der neu auftretenden Phänomene. Und schon bevor Lenin seine
Imperialismus-Schrift veröffentlicht (1917) hat er sich mit ihnen
auseinandergesetzt. Bezogen auf das vorliegende Tatsachenmaterial erkennt er
bereits 1914, dass der noch tonangebende Liberalismus nicht mehr der „Geist der
Zeit“ ist. „Unsere Zeit ist keine individualistische“. Die „Rangordnung“ habe
sich geändert. War der bisherige Staat durch das Individuum und dessen Recht
definiert, so ist es jetzt umgekehrt: „nicht der Staat [ist] eine Konstruktion,
die Menschen sich gemacht haben, er macht im Gegenteil aus jedem Menschen eine
Konstruktion. … [Er] ergreift das Individuum und fügt es seinem Rhythmus ein“[12].
Und 18 Jahre später: Kennzeichnend für die Gegenwart sei die „‘Wendung zum
totalen Staat‘ mit ihrer unvermeidlichen Tendenz zum ‚Plan‘ (statt, wie vor
hundert Jahren, zur ‚Freiheit‘)“[13].
Der „Parlamentsstaat“, diese Schöpfung einer Zeit, in der der
Kapitalismus der freien Konkurrenz herrschend war, habe an Bedeutung verloren. Was in Ländern wie Russland und
Italien entsteht, bestärkt ihn: Dort sei eine „völlig neue
Verfassungsproblematik“ aufgekommen. Zugeschnitten auf ökonomische und
politische Nachhole- und Havarie-Situationen. In solchen befinden sich das
Russland des Jahres 1917, das Nachkriegs-Italien[14],
später auch das Deutschland der Jahre 1929 ff. Und wie es C. Schmitt sieht: Aus
ihnen erwächst „ein Recht zur Diktatur“.[15]
Denn nur sie macht die „Beseitigung des Sachwidrigen“[16]
möglich. Mit der Diktatur gegen die akute ökonomische und politische Krise. Und
tatsächlich, sie löst Effekte aus, die jenen gleichkommen, die uns aus der
Phase der ursprünglichen kapitalistischen Akkumulation bekannt sind. Schmitt
vergleicht und hebt das Gemeinsame der Verfassungen der Sowjetunion und des
faschistischen Italien hervor: Es sind „Wirtschaftsverfassungen“[17],
Verfassungen für Staaten, die das Ziel verfolgen, durch treibhausmäßige
Beschleunigung des technischen Fortschritts Anschluss an die entwickelten
Industrienationen zu gewinnen.
Schmitt ist Dezisionist. Er setzt der totalen Gesellschaft zur Zeit
der „freien Konkurrenz“ den totalen Staat entgegen. Keine Halbheit! Er verwirft
den Pluralismus. Er ist für ihn nur die politische Entsprechung dieser
„Halbheit“; er konserviert sie. Dieses „Halbe“ aber ist nur ein Übergang im
Rahmen jener „gewaltigen Wendung“, an deren Ende der „Staat … alles
Gesellschaftliche“ durchdringt.[18]
Also weiter, vorwärts zum totalen Staat. Ganz ähnlich auf der anderen Seite E.
Paschukanis. Vorwärts zum „Endsieg der Planwirtschaft“.[19]
Denn er „tötet“ die juristische Persönlichkeit der Warenproduzenten und
überführt das traditionelle Privatrecht in „technisch-zweckmäßige“ Beziehungen,
wie er die jetzt vorherrschenden Äußerungsformen der „Direktion“ bezeichnet.[20]
Schmitt sieht es wie Lenin: Entweder – Oder[21],
nicht auf halben Wege stehen bleiben.
Der Sieg der proletarischen Revolution in Russland war abhängig von
ihrem Sieg im Weltmaßstab. Was als Staat in der Sowjetunion bereits entstanden
war, galt als Vorgriff auf den nach erfolgreicher Weltrevolution aufzubauenden
staatlosen Weltkommunismus. Aufgabe
wäre es gewesen, „die Diktatur des Proletariats umzuwandeln aus einer
nationalen Diktatur … in eine internationale“[22].
Dazu hätte eine Gruppe fortgeschrittener Länder hinzukommen müssen – wenigstens
aber Deutschland. Als dort die Revolution ausblieb, „erhob sich gebieterisch
die Frage … des Schicksals des Sozialismus in der Sowjetunion. In welcher
Richtung soll der wirtschaftliche Aufbau in der Sowjetunion geführt werden, in
der Richtung des Sozialismus oder in irgendeiner anderen Richtung? Müssen und
können wir die sozialistische Wirtschaft errichten, oder ist es uns beschieden,
den Boden für eine andere, für die kapitalistische Wirtschaft zu düngen? …
Jawohl, antwortete die Partei, die sozialistische Wirtschaft kann und muss in
unserem Lande errichtet werden“.[23]
Aber über das Schicksal der russischen Revolution war bereits entschieden.
Sie verlor ihren Charakter als proletarische Revolution, sie fiel zurück auf
das Niveau dessen, was in Russland ökonomisch anstand: Kapitalismus. Statt zur
sozialistischen Gesellschaft wurde die Sowjetunion ab 1925 zum nationalen „Betriebsstaat“
ausgebaut. War schon Lenins, an die Stelle der „assoziierten Produzenten“
gesetzter, „Syndikatsstaat“ eine problematische „Weiterentwicklung“ des Marxismus,
so bedeutete die jetzige Wendung die endgültige Abkehr von ihm.[24]
Was weiter geschah? Unter der falschen Flagge „Sozialismus“ verfestigte sich
der bereits bestehende Staatskapitalismus zu einer Sonderform kapitalistischer
Staatlichkeit.[25]
Die Nationalisierung der proletarischen Revolution setzt ein. Ein
nationaler Sozialismus, ein nationaler „Betriebsstaat“ – beide treten an sowohl
gegen die (ihm von Marx nachgesagte) Internationalität des Proletariats und
gegen die wesentlich realere Internationalität des Kapitals. Eine Gesellschaft
und ein Staat entstehen, die weder in der einen, noch in der anderen
Internationalität Halt findet. Weil aber beide eine internationalistische Natur
haben, das Proletariat und das
Kapital, verstößt sie gegen die Natur beider. Die Preisgabe des echten
Sozialismus bedeutet also hier zugleich die Preisgabe auch des echten
Kapitalismus. Mit dem „Betriebsstaat“ wird in der Sowjetunion der Kapitalismus
permanent gegen den Strich gebürstet, ohne dass deshalb „Kommunismus“ aus ihm
würde. Ein Kunstprodukt. Eine Missgeburt.[26]
Es ist daher nicht von ungefähr, dass der „reale Sozialismus“ zu Fall kommt,
als die Internationalität des Kapitals im Rahmen der Globalisierung einen
erneuten Schub erhält.
Das Kapital, sagt Marx, kennt keine nationalen Grenzen. Es ist
seinem Wesen nach international. Auf der Suche nach den besten
Verwertungsbedingungen jagt es um den Globus, errichtet nach Art eines
Wanderzirkus fliegende Bauten, in denen bis auf Abruf, bis zur Auffindung
günstigerer Verwertungsbedingungen, die unmittelbare Produktion durchgeführt
wird. Der „Betriebsstaat“ kann damit nicht mithalten. Er ist stationär. Er ist
national verortet. Gemessen am internationalistischen Wesen des Kapitals, ist
er ein Widerspruch in sich, ein Verstoß gegen die Logik des Kapitals. Der
„reale“ Sozialismus und die zu ihm gehörenden Staaten gingen an diesem
Widerspruch und den Folgen daraus zugrunde.
Zwar bestehen Unterschiede. In Italien und im „Dritten Reich“ blieb,
anders als in der Sowjetunion, das Privateigentum an Produktionsmitteln unangetastet,
soweit es nicht das Eigentum von Regimegegnern und (in Deutschland) von Juden war.
Daraus schlussfolgern zu wollen,
dass Italien und „Drittes Reich“ schon deswegen keine „Betriebsstaaten“ sein
konnten, wäre aber falsch. Sieht man die Sache inhaltlich, steht nicht die
formale Eigentümerschaft im Mittelpunkt, sondern die Frage, wer die
„Direktionsmacht“ inne hat. Und diese liegt, was die Schwerpunkte des
Produzierens anbetrifft, hier wie dort beim Staat.
***
Zauberwort
„Gemeinschaft“
Hier wie dort wird der mit dem „Betriebsstaat“
geschaffene politisch-ökonomische Tatbestand mit einer Ideologie überbaut, in
deren Mittelpunkt das Wort „Gemeinschaft“ steht. Ein Zauberwort, das „stets etwas Irrationales
mitschwingen“[27]
lässt.
Verlief die bisherige Entwicklung von
gemeinschaftlichen Zuständen zu gesellschaftlichen, so legt die Entwicklung
jetzt einen „Rückwärtsgang“ ein und führt erneut zur „Gemeinschaft“. Die Umkehrung
des Tönniesschen Theorems steht auf der politischen Agenda – und in der praktischen
Umsetzung bedeutet das: Abbruch der „Gesellschaft“ und Wegräumung des „störenden
Gerölls“[28]. Da die „Gesellschaft“
nur eine Summe „verschiedener Personen“ ist, eine „Einheit, die nur
Gemeinsamkeit ist“[29],
bedeutet deren Wegräumung zugleich auch die Wegräumung der Person. Zurück zum
mittelalterlichen Menschen. Voran zum kommunistischen Menschen. Zwei Brüder
in der Sache, zwei Feinde im Glauben. Der eine zehrt vom Mythos, der andere von
der Utopie. Hier wie dort, so die Behauptung, ist der Mensch „in der Ganzheit seines Lebens erfasst,
beschützt und vollendet.“[30]
Der fundamentale Unterschied
von Gesellschaft und Gemeinschaft führt uns zur „Grundunterscheidung“[31]
von traditionell-bürgerlicher
Staatlichkeit und „Betriebsstaat“.
Die „sozialistische Menschengemeinschaft“ der
Sowjetunion versteht
sich als eine Gemeinschaft der befreundeten Klassen der Arbeiter und Bauern;
das rassistische Element fehlt. Ihr Ökonomisches Zentrum ist das
„sozialistische Produktions- und Eigentumsverhältnis“, ihr ideologisches
Zentrum ist das „sozialistische Bewusstsein“. Die faschistische Gemeinschaft
Mussolinis stützt sich philosophisch auf den „Irrational-Philosophen“ G. Sorel.
Der „Volksgemeinschaft“ des
„Dritten Reiches“ liegt ein
eklektisches Gebräu von Philosophien und Ideologien zugrunde, das sich um
Begriffe wie Volk, Blut, Boden, Ehre, Treue, Gefolgschaft, Führertum rankt. Schwülstige Anrufungen dieser Art gepaart mit
militanten Rassismus und Antisemitismus charakterisieren ihn. Ein Triumph des „Erdigen“, „Gefühligen“ und
„Blutigen“. Die biologische und mythische
Deutung der „Gemeinschaft“ steht hier ganz im Vordergrund. Nicht die „vom
Geistigen her bestimmte Teilhaberschaft“ an der völkischen Gemeinschaft, die
auch dem „Fremdrassigen“ möglich sei, präge den Begriff, sondern die
„Gleichrassigkeit“.[32] Das
frühere „Gesellschaftsvolk“ wurde ersetzt durch eine „Volksgemeinschaft“, die
wiederum als „Volkheit“ verstanden wurde. Plastisch formulierte W. Schönfeld
dazu: Volkheit – „worunter wir … nicht nur das Volk als Idee, darüber hinaus das Volk als Person verstehen,
weil wir nicht vergessen haben, dass das Wörtchen ‚heit‘ Person bedeutet. In
der Persönlichkeit des Führers tritt die Persönlichkeit des Volkes in
Erscheinung, die nicht fehlt und fehlen kann, wenn anders es ein freies Volk
sein will. Im Führer ehrt und liebt das Volk sich selbst, genießt es seine
Freiheit und Persönlichkeit.“[33]
„Gemeinschaft“ ist verklärtes Führertum. Sie
teilt das, was gewöhnlich als „Volk“ bezeichnet wird, auf in einen „Führer“ und
in die „Gefolgschaft“. Und als Mittler zwischen beiden: die Partei. Hier
genannt der „bewusste und organisierte Vortrupp“ der Arbeiterklasse, dort
genannt das „geistig-weltanschauliche Kraftzentrum“[34]
des deutschen Volkes. Voll-Person ist
nur noch der „Führer“. Alle anderen sind herabgestuft zum „Glied“. Die
„Gemeinschaft“ führt also zu einem „Kurssturz der Person“[35].
Alle treten zurück, damit einer im Lichte stehen kann – hier wie dort eine
mächtige Triebkraft für den Personenkult.
In der Sowjetunion und im
späteren Lager des „realen Sozialismus“ wird dieses Wesen der „Gemeinschaft“ über
Jahrzehnte mit einer sich marxistisch gebenden Rhetorik überdeckt. Wir erleben
dort, dass der Parteifunktionär zum Feldprediger, die Parteischule zur
Klosterschule wird. Von daher ist die Unterscheidung fragwürdig, die C. Schmitt
zwischen der „rationalen“, auf die Lehre von Marx gestützte, und der
„irrationalen“, auf den „Mythos“ gestützte, Variante der „Gemeinschaft“ trifft.[36]
Und die Partei, die Führung, der
Führer – sie haben immer recht. Rechthaberei ist ein gemeinsamer Grundzug. Und
auch deren Kehrseite, der Voluntarismus. Der Wille Vieler wird ersetzt durch
den Willen Einiger oder auch nur des Einen. Und wie in der Bibel: dieser Wille versetzt
Berge; jedenfalls wird hier wie dort dem Berg ein „trotziges Dennoch, ein
Heroismus des Wollens und der Tat“[37]
entgegengesetzt.
Die Folge: Kostenintensive Irrtümer
und Fehlentscheidungen. Verbrechen. Millionenfache Opfer. Der verbrecherische
Charakter des „Dritten Reiches“ ergab sich aus der praktischen Umsetzung
solcher Begriffe wie „Rasse“, „Blut“, „Boden“. Aber auch unter Stalin geschah
Vieles, was den Verbrechen des „Dritten Reiches“ gleich stand.[38] Differenzierter
ist die Zeit unter Chrustschow und dessen Nachfolgern einzuschätzen, die sich
im Grad solches Irrationalismus vom Vorgänger deutlich unterschied.
Bei allen Unterschieden: die
jeweiligen Begründungen sind zugleich nur unterschiedliche ideologische Mäntel,
die einem Gemeinsamen übergehängt sind: dem nach außen gestülpten
Betriebsinneren. Und die Grenzen zwischen den Varianten sind fließend. Auch der
von Schmitt ausgemachte „rationale“ Typ ist, wie wir sehen, reichlich von
Irrationalität durchsetzt. Besonders der nationale Charakter des
„Betriebsstaates“ ist eine mächtige Quelle des Irrationalismus. Das bekamen
jene Genossen zu spüren, die innerhalb der KPdSU internationalistische
Positionen vertraten und sich plötzlich wegen „Kosmopolitismus“[39]
angeklagt und verurteilt sahen. Und ein Blick auf den Personenkult belehrt uns,
dass jener um Stalin den Kult um den „Führer“ A. Hitler um nichts nachsteht. Gemeinsam
ist die Art des Wählens, die Praxis, Bürgern die Staatsbürgerschaft
abzuerkennen, falls sie sich im Ausland kritisch äußern. Gemeinsam ist das
rigorose Vorgehen gegen Andersdenkende mit einem tiefgestaffelten politischen
Strafrecht. Der Gulag hier, die KZ dort.
Vieles mehr. Zu Vieles, um von Zufall reden zu können.[40]
Statt „Gesellschaft“ nun „Gemeinschaft“[41]!
So die Losung, unter der in beiden Systemen der Staatsbegriff nicht nur
umformuliert, sondern geradezu auf den Kopf gestellt wurde. Der horizontal und
individualistisch organisierte „Parlamentsstaat“ wurde ersetzt durch den
vertikal und kollektivistisch organisierten „Betriebsstaat“ – durch den
„Führerstaat“ hier, durch die „Diktatur des Proletariats“ dort. Nehmen wir den Rechtsbegriff:
Hier wie dort wurde das traditionelle individualistische „Gesellschaftsrecht“
ersetzt durch ein „gemeinschaftsmäßiges“ Recht, dessen Markenzeichen die Einheit
von „Recht“ und „Pflicht“ ist. Die Rechtsordnung der sich um den „Betrieb“
sammelnden und vom „Betriebsregime“ beherrschten Gemeinschaft ist geprägt durch
„gesellschaftlich“ abgemilderte innerbetriebliche Verhältnisse. Und wie schon
gezeigt, heißt das: nicht die „Person“, nicht der „freie Wille“, nicht die
„Gleichordnung“ dominieren, sondern „Glied“ und „Subordination“. Nicht von
„subjektiven Rechten“ ist die Rede, sondern von der „Rechtsstellung“. Diese
Gemeinsamkeit ist der Grund, weshalb es in der DDR seitens der
Rechtswissenschaft so gut wie keine fundierte Auseinandersetzung mit dem
nationalsozialistischen Rechtsverständnis gab.[42]
Die verblüffende Übereinstimmung vieler wissenschaftlicher und praktischer
Lösungen, die die Nähe beider Ordnungen anzeigt, schiebt man die jeweils andere
Phraseologie beiseite, sollte nicht aufgedeckt werden.
Oberste Begriffe hier wie dort sind
„Arbeit“ und „Wirtschaft“; sie sind die
Ausgangspunkte der Verfassung.
Für das Italien Mussolinis führt G. Leibholz dazu aus:
„Hiernach ist es nicht mehr
berechtigt, in Italien wie in den meisten anderen Ländern noch das Arbeits- und
Wirtschaftsrecht als einen für sich bestehenden Zweig des öffentlichen Rechts
zu behandeln. Jenes ist in Wirklichkeit vielmehr zu einem integrierenden
Bestandteil des italienischen Verfassungsrechts geworden.“[43]
Die Carta del Lavoro vom 21.4.1927, das „Gesetz
zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar 1934 und Artikel 24 der
DDR-Verfassung vom 1968 stehen sich also, bei vielen Unterschieden im Detail,
recht nahe. „Drittes Reich“ und Sowjetunion haben außerdem mit dem Gulag und
mit den KZs ein breit gefächertes Zwangsarbeitssystem gemeinsam. Rechtsstaatliche
Institutionen und Aufgaben des Staates treten hingegen in ihrer Bedeutung
zurück und sind teilweise nur noch rudimentär vorhanden. Sie begegnen uns hier
wie dort nur noch als „registrierend arbeitende Maschinen“, dazu da, „den Etat [zu]
bewilligen, den ihnen vorgelegten Gesetzentwürfen zuzustimmen, die
Dekretgesetze zu konvertieren“.[44]
Das gleiche Bild beim Wählen. Hier wie dort ist sichergestellt, dass „richtig“
gewählt wird, dass der „Führer“ bzw. die „Führung“ also nicht abgewählt werden
können.[45]
***
Eine wichtige Kategorie:
der „konzentrierende Austausch“
Um die Wende zum 20. Jahrhundert erleben wir unter
der Bezeichnung „organisierter Kapitalismus“ eine Neuauflage eines Vorgangs,
den Marx als „konzentrierenden Austausch“[46]
bezeichnet. Darunter zeigt er uns eine Sphäre, die sich im Vorfeld der
bürgerlichen Gesellschaft, in der Phase der ursprünglichen Akkumulation,
herausbildete. Eine Sphäre, die Elemente sowohl der Zirkulation wie der
Produktion in sich vereinigte. Eine Sphäre, von der aus das Handelskapital
Einfluss auf die Produktionsprozesse der
einfachen Warenproduzenten nahm, bevor es selbst als nun industriell gewordenes
Kapital das Produzieren in die Hand nimmt. „Direktion“ und „unmittelbare
Produktion“, Leitung hier, Ausführung dort – ehe in der „Unternehmung“ beide
(Teil-)Prozesse (wieder-)vereinigt sind.
Wie damals, auf dem Weg zur Unternehmung, stoßen wir darauf, dass der
Produktionsprozess von außerhalb geleitet wird. Erneut werden die Funktionen
der Leitung und Planung „ausgelagert“ und in Institutionen dieser neu
auflebenden Ebene zentralisiert. Ausübende dieser Funktionen sind die
Konzernzentralen, aber auch die Banken. Diese Sphäre und die dortigen
Institutionen beenden die Planlosigkeit des bisherigen Kapitalismus. Aber
ungenügend – jedenfalls aus der Sicht der beiden Dezisionisten Lenin und
Schmitt. „Eine vollständige Planmäßigkeit boten die Trusts natürlich nicht,
bieten sie bis auf den heutigen Tag nicht und können sie auch nicht bieten“[47].
Deswegen sei es notwendig, sie dem Staat als Aufgabe zu übertragen.
Vorwärts zum „Staatskapitalismus“!
(Lenin)
Vorwärts zum „totalen Staat“!
(Schmitt)
Im Unterschied zu den
„Rechtsstaaten“, die sich um den Bereich der „Zirkulation“ gruppieren und deren
politische Organisation vor den Toren der Unternehmung halt macht, steht im
Mittelpunkt des „Betriebsstaates die „Produktion“; die Einflussnahme auf sie. Das
wiederum verweist uns auf das Innere der „Unternehmung“ – beschrieben von Marx
auf den Seiten 341 ff. des „Kapital“. Was sich dort abspielt, das
„Produzieren“, hebt sich in zwei entscheidenden Punkten vom gesellschaftlichen
Raum ab:
·
durch
seine „bewusste, planmäßige und systematische Form“;
·
durch
die dortige „Despotie“.
Und jetzt sehen wir, dass diese
beiden Elemente, der „Plan“ und die „Despotie“, das Unternehmen verlassen und,
sich mit den Elementen des Austausches verbindend, zur eigenständigen Sphäre „konzentrierender Austausch“ konstituieren. Diese
neue Sphäre gibt den Ton an. Sie tritt an die Stelle des bisherigen
gesellschaftlichen Raums; sie segmentiert diesen. Das bewirkt tiefgreifende
Veränderungen der Staats- und Rechtsordnung. Erstere erfährt die Umgestaltung des bisherigen
„Parlamentsstaats“ zum „Betriebsstaat“,
letztere die in „konkrete Ordnungen“.
Das Fundament des bisherigen Rechts, der Vertrag, wird „angereichert“ durch
Elemente der „Direktion“. Dadurch verliert das Privatrecht den Charakter der
Gegenseitigkeit und wird „vereinseitigt“. Es gewinnt eine neue Qualität, die
nur bei apologetischer Bemühung des „freien Willens“ durch die bezahlte
Wissenschaft weiterhin dem hergebrachten „Privatrecht“ zugeordnet werden kann. Die Folge: die „tragende Stellung des
Zivilrechts“[48]
kommt zu Fall. An seine Stelle treten „konkrete Ordnungen“ wie Familie und
Familienrecht, Arbeit und Arbeitsrecht, Boden und Bodenrecht. Vom einheitlichen
Privatrecht bleibt ein auf den „einfachen“ Austausch reduziertes Zivilrecht.
Im größeren Zusammenhang gesehen:
„Alles wird in die Sphäre des
Staatlichen gehoben.“[49]
Der bisherige „Gesetzesstaat“
wird zum „Maßnahmestaat“.
Eine „Umschichtung der
Rechtsordnung“[50]
findet statt.
„Das ganze Rechtssystem bildet
sich neu.“[51]
In Zeiten ökonomischer und politischer
Havariesituationen erleben wir, dass der „konzentrierende Austausch“ auf
nationaler Ebene institutionalisiert wird; das private Monopol wird zum
„Betriebsstaat“ erweitert und damit zugleich „politisch“ gemacht. Damit ist
eine noch „offene“ in eine
„geschlossene“ Gesellschaft überführt. Politisch stehen wir vor dem autoritären oder auch offen
diktatorischen Staat.[52]
Aus der Sicht des Überlieferten:
eine asynchrone Entwicklung setzt ein. Hier der Aufstieg und die extreme
Ausweitung des Staates zum „totalen“ Staat, dort die ebenso extreme Einengung
des Gegenstandsbereichs des „echten“ bzw. traditionellen Rechts. Wir beobachten
jene Wandlungen zentraler Staats- und Rechtsinstitute: des „Rechtsstaats“ zum
„Betriebsstaat“, des „Gesetzes“ zur „Maßnahme“, des Vertrages in Richtung auf
den Befehl, der Person und des subjektiven Rechts in Richtung „Glied“ und
„Rechtsstellung“, die mit Beginn des 20. Jahrhunderts in plakativen Wendungen
wie „Veröffentlichung“ des privaten, „Privatisierung“ des öffentlichen Rechts,
zum Gegenstand der Staats- und Rechtswissenschaft wird.
Tausendfach zeigen die Tatsachen
dies an und werden zur Herausforderung ganzer Heerscharen von Juristen, die
ihre Aufgabe darin sehen, den Rechtsstaat und speziell die Einheit des
Privatrechts zu retten, indem diese Tatsachen kleingeredet und in das
traditionelle Bild eingemeindet werden. Gering ist dagegen die Zahl derer, die
daran gehen, die gesammelten
Tatsachen zu einem Gesamtbild zu vereinen.
Der „konzentrierende Austausch“ ist eine Zwittergestalt. Er
signalisiert Abweichungen vom Leitbild der „freien Konkurrenz“, die daraus
resultieren, dass „Plan“ und „Direktion“, beide bisher im Unternehmen
verkapselt, zunehmend den öffentlichen Raum erobern. Doch er lässt die Entwicklung in der Schwebe. Das Bild, das er abgibt, ist
daher interpretierbar: Je nach dem, von woher wir es sehen wollen, von der
„Zirkulation“ oder von der „Produktion“, eröffnet es die Möglichkeit, zu einer
eher positiven wie zu einer eher negativen Beurteilung. Wie das Glas Wasser,
das für den einen halb voll, für den anderen halb leer ist.
Interpretationssache. Was für die einen noch „Rechtsstaat“ ist, ist für die
anderen bereits der „Unrechtsstaat“. Entweder – Oder.
Als wenn es nicht auch ein
Sowohl-als-Auch gäbe. Eine Qualität, die weder das eine noch das andere ist.
Alle modernen Industrie-Staaten vereinen inzwischen Elemente des „Rechts“- wie
des „Betriebsstaates“ in sich und firmieren unter „Sozialstaat“. Der
„Idealzustand“ des Kapitalismus, die „freie Konkurrenz“, ist trotz
Wiederbelebungsversuche im Rahmen einer neo-liberalen Doktrin, passe´. Auf ihn aber stützen sich die bis
heute gültigen Grundannahmen des Rechtsstaates: „Person“, „freier Wille“ etc.
Und die ökonomischen Tatsachen, die für „Glied“ und „Rechtsstellung“ sprechen?
Sie sind damit nicht aus der Welt; sie wirken trotzdem. Wer das halb gefüllte
Glas weiterhin als „halb voll“ ansieht, beschönigt den tatsächlichen Zustand
und vergrößert den Abstand zu jenen, die das gleiche Glas halb leer sehen. Was
damit gesagt sein soll: es ist außerordentlich viel Ideologie und Psychologie
im Spiel. Die Abstände zwischen den beiden Typen des „Not- und
Verstandesstaates“ sind jedenfalls, wenn man den Blick auf das Wesentliche
richtet, in der Realität und bezogen auf die große Masse der Bevölkerung
geringer als ideologischer Eifer glauben machen will.
***
Lassen
wir zwischendurch Hegel zu Wort kommen.
Er erkennt, dass sich das
menschliche Dasein auf drei Ebenen vollzieht,
-
auf
der der „Allgemeinheit“, institutionell gesehen ist das die Ebene des Staates;
-
auf
der der „Besonderheit“, institutionell gesehen ist das die Ebene der
kollektiven Naturaneignung, des „Stoffwechsels“, der Arbeit und des Produzierens
– über tausende von Jahren vollzogen in der „Wirtschaftsfamilie“;
-
auf
der der „Einzelheit“, institutionell gesehen ist das die Ebene der Person.
Über tausende von Jahren steht
die Ebene der „Besonderheit“, steht die „Wirtschaftsfamilie“ im Zentrum.
Elemente der beiden anderen Ebenen kommen allmählich hinzu. Aber erst in der
Neuzeit sind die drei Ebenen voll ausgeprägt. Jetzt gilt:
„Das Wesen des neuen Staates ist,
dass das Allgemeine verbunden sei mit der vollen Freiheit der Besonderheit und
dem der Individuen, dass also das Interesse der Familie und der bürgerlichen
Gesellschaft sich zum Staate zusammennehmen muss, dass aber die Allgemeinheit
des Zwecks nicht ohne das eigene Wissen und Wollen der Besonderheit, die ihr
Recht behalten muss, fortschreiten kann.“[53]
Lenken wir den Blick auf die
Sphäre der „Besonderheit“ und ihr Subjekt, die „Wirtschaftsfamilie“. Tausende
von Jahren ist sie der Ort, in dem in „doppelter Art“ produziert wird.
Hergestellt werden zum einen Produkte für den Konsum und zum anderen die
„Menschen selbst“[54]. Dann
aber, in unserer Zeit, wird die „Wirtschaftsfamilie“ abgelöst durch diese zwei:
„Kleinfamilie“ und „Unternehmung“. Ein Umbruch. Er vollzieht sich in jener
Phase, die bereits als die des
„konzentrierenden Austausch“ bezeichnet wurde. Das Handelskapital erobert den
Produktionsprozess. Ist das geschehen, stehen wir vor einer völlig neuen
Situation: Als „Produktion“ gilt nun nur noch das, was in der kapitalistischen
Unternehmung stattfindet. Die „doppelte Art“ ist nur „einer Art“ des
Produzierens gewichen. Die „Wirtschaftsfamilie“ scheint zur „Kleinfamilie“
verschrumpft zu sein. Und auch diese wird nur noch als soziologische, nicht
mehr auch als „rechtliche Person“[55]
geduldet.
Die „Wirtschaftsfamilie“ war eine
„rechtliche Person“. In ihr waren die beiden essentiellen Produktionsfaktoren,
lebendige und vergegenständlichte Arbeit, vereint. Es war klar, dass das Produzieren und das Ergebnis desselben nur im Zusammenwirken beider Faktoren zustande
kommt und dass daher auch jedem Beteiligten ein, wenn auch nicht gleicher,
Anteil daran zukommt. Das ist plötzlich ganz anders. Jetzt beansprucht
derjenige, der die vergegenständlichte Arbeit beisteuert, der Unternehmer, das
gesamte Ergebnis, den Mehrwert, für sich. Die „lebendige“ Arbeit hingegen wird
davon ausgeschlossen, sie wird nur noch nach ihrem Marktwert entlohnt und geht
mit diesem Betrag in die fixen Kosten des Endprodukts ein.
Wie ist das möglich? Wie kann die
bloße Arbeitsteilung innerhalb der „Besonderheit“ solch eine Wirkung entfalten?
Wir stehen vor jenem
„historische[n] Scheidungsprozess von Produzent und Produktionsmittel“[56],
der auch „lebendige“ und „vergegenständlichte“ Arbeit voneinander scheidet. Das
Produktionsmittel schiebt sich in den Vordergrund. Da dieses als Sache keine
Subjektivität besitzt, wird es seinem Eigentümer, dem Kapitalisten zugeordnet,
d.h. einer Person der „Einzelheit“. Um einen Gleichklang herzustellen, wird auch
die „lebendige“ Arbeit zur „Sache“ erklärt; sie wird zu einer Unterform des
Produktionsmitteleigentums gemacht und dazu einem neuen Typus von Mensch
zugeordnet: dem Lohnarbeiter. Über den Austauschvertrag zwischen Arbeiter und
Unternehmer werden beide „Sachen“ in die Unternehmung überführt.
Hegel sieht das anders. Die
„Wirtschaftsfamilie“ wird durch die Unternehmung nicht ersetzt, sondern im Rahmen der gesellschaftlichen Arbeitsteilung in
zwei Produktionsstätten geteilt, in
„Kleinfamilie“ und „Unternehmung“. Sie sind die Teile eines fortbestehenden,
lediglich „gestaltlos“[57]
gewordenen, Ganzen. Die „Wirtschaftsfamilie“ ist also nicht aus der Welt. Die
Kleinfamilie produziert die „lebendige“ Arbeit und bringt sie auf den
Arbeitsmarkt. Dort steht ihr unter dem Begriff „Kapital“ die
„vergegenständlichte“ Arbeit gegenüber. Zwei gleichrangige Produktionsfaktoren,
die in der kapitalistischen Unternehmung zusammengeführt werden. Da der
„Stoffwechselprozess“, d.h. die Umformung der „vorgefundenen“ in eine
„produzierte“ Natur mittels Arbeit, zu allen Zeiten kollektiv vollzogen wird und vollzogen werden muss[58],
steht für Hegel die Ebene der „Besonderheit“ im Mittelpunkt, wenn es um die
ökonomische Bewertung der Arbeit und um die rechtliche Einordnung des Arbeitsverhältnisses
geht. Was aber geschieht? Die Teile
werden verselbständigt, werden aus bloß „relativen Totalitäten“ zu Totalitäten
gemacht. Die Folge ist, dass die Unternehmung als eine Neuschöpfung angesehen
wird, die mit der „Wirtschaftsfamilie“ in keiner Beziehung steht. Damit ist der
Bezug zum Ganzen gekappt und die „Besonderheit“ gerät aus dem Blick. Ihre Teile
werden der „Einzelheit“ zugeschlagen: die Unternehmung dem Kapitalisten, die
Kleinfamilie dem Familienvater. Die Privatisierung der „Besonderheit“ ist
vollzogen. Zugleich sind zwei grundverschiedene Vorgänge vereinheitlicht: Das
im Rahmen des „Stoffwechsels“ notwendige Zusammenwirken von „lebendiger“ und
„vergegenständlichter“ Arbeit in der „Wirtschaftsfamilie“ und der Austausch
fertiger Produkte zwecks individuellen Konsums. Qualitativ verschiedene
„Austausch“-Vorgänge werden einem
Recht zugeordnet – und zwar dem Recht, welches eigentlich nur für den Austausch
der letzteren Art, dem Austausch von „Sachen“, zuständig ist.
Marx sagt es in den „Grundrissen“
so:
„Wenn wir den Austausch zwischen Kapital und Arbeit
betrachten, so finden wir, dass er in zwei nicht nur formell, sondern
qualitativ verschiedene und selbst entgegengesetzte Prozesse zerfällt. … Die
Trennung dieser beiden Prozesse ist so augenfällig, dass sie in der Zeit
auseinanderfallen können und keineswegs zusammenfallen müssen.“[59] Einmal
Austausch und einmal der bloße „Schein“ von Austausch.[60]
Und weshalb? Das habe damit zu tun, dass die „Produktionsverhältnisse als
Rechtsverhältnisse in ungleiche Entwicklung treten.“ Und präzisierend: „Also
z.B. das Verhältnis des römischen
Privatrechts … zur modernen Produktion.“[61]
Dieser „Auseinanderfall“, diese ungleiche
Entwicklung von Ökonomie und Recht, ist der „eigentlich schwierige Punkt“[62];
der „versteckte Hintergrund“[63],
der die „Aneignung fremder Arbeit ohne Austausch“ verbirgt. Die Folge: Der Tatbestand
der Ausbeutung wird von den Rechtsverhältnissen nicht ausgewiesen.
Weil das römische Recht die
„lebendige“ Arbeit nur als „Sache“ betrachten kann, ist es aus dieser Sicht
völlig korrekt, wenn der Käufer für sie nur zahlt, was sie als Sache wert ist. Und weil der Sache die
Subjektivität fehlt, kommt ihre Beteiligung am Ergebnis ihres Einsatzes unter
keinem juristischen Gesichtspunkt in Betracht. Das kapitalistische
Produktionsverhältnis wird also vom Recht so behandelt, als sei es nach wie vor
ein „römisches“. Den Kapitaleignern erwächst daraus der große Vorteil, dass der
ökonomische Tatbestand der Ausbeutung vom Recht nicht als juristischer
Tatbestand „Diebstahl“ widergespiegelt wird. Der Vergleich mit einem Eisberg
drängt sich auf: Nur der über Wasser liegende, der kleinere Teil des
einheitlichen Verhältnisses stellt sich dem Recht.
Anders wäre es, wenn der Lohnarbeiter nicht nur als
lebendiges, von seiner Persönlichkeit abgetrenntes, Produktionsmittel gesehen
würde, sondern als Subjekt des Aneignungsprozesses. Sofort stünde die Frage
seiner Beteiligung am Produktionsergebnis im Raum.
Und anders war es im Mittelalter.
Dort war der Arbeiter nicht „Sache“, sondern „(Mit-)Glied“ der
„Wirtschaftsfamilie“. Diese „Gliedschaft“ ist der Beitrag des Mittelalters zur
Moderne. Sie führt aus der „ausweglose[n] Sackgasse“ heraus, in die sich „Rom“ durch
das strikte Gegenüber in „Freie“ und „Sklaven“ verrannt hatte. Ein neuer Anlauf
war nötig. Und so wird es die „historische Tat der Deutschen“, ihren
„unfertigen Staat“, ihr „unfertiges Recht“ in die Konkursmasse Roms
einzubringen. Gerade ihre unentwickelten Zustände werden zur „Brücke“ zwischen
Rom und der Neuzeit.[64]
Hier setzt O. v. Gierke ein. Er gehört wie Savigny der historischen Schule an.
Aber er setzt nicht bei „Rom“ an, sondern bei dem, was „Rom“ nachfolgt: bei den
feudalen Verhältnissen des römischen Reiches deutscher Nation. Seinem noch eng
mit der Sittlichkeit verwobenen Recht gilt sein Interesse. Wie auch F. Engels,
sieht er hierin das weiterführende, das über „Rom“ hinausweisende Moment.
Statt „römischer“ Trennung und Entgegensetzung stellt
Gierke mit Hegel die „Einheit“ in die Mitte. Der „Sklave“ ist durch das „Glied“ ersetzt.
Ein wichtiger Schritt nach vorn, denn er erhebt die „lebendige“ Arbeit von
einer „Sache“ zum Subjekt. Diese Erkenntnis hebt Gierke aus dem damaligen
juristischen Mainstream heraus und rückt ihn in die Nähe Hegels. Ohne „Rom“ zu
verwerfen, nehmen beide das nachfolgende „germanische“ Zeitalter in den Blick
und prüfen und übernehmen von dort, was diese Zeit der Moderne zu geben hat: die
„Wirtschaftsfamilie“.
War die „Besonderheit“ bisher,
institutionell gesehen, mit der „Wirtschaftsfamilie“ identisch, so zeigt sie
sich jetzt als zwei „gegenseitig verschiedene“ Subjekte, als „Kleinfamilie“ und
„Unternehmung“, die vereint sind durch „eine und dieselbe Allgemeinheit.“[65] Doch
Hegel und Gierke gelten nicht viel in dieser Zeit. Es bleibt bei der
Fehlinterpretation der „Scheidung“. Denn sie ist überaus nützlich für die
tonangebenden Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft. Das sie zugleich jene,
die über nichts weiter verfügen als über ihre Arbeitskraft, von den wichtigsten
„Garantien ihrer Existenz“[66]
trennt, bleibt unbeachtet.
Schon zu Lebzeiten Hegels war die
„Wirtschaftsfamilie“ nahezu aus dem Blick der ökonomischen und noch mehr: der
juristischen Wissenschaft, geraten. Sie passt nicht in das jetzt herrschende
individualistische Weltbild. Und so kommt es, dass die Ökonomen wie die
Juristen die Unternehmung, obwohl sich an ihrer Subjektivität und an der
„Kollektivität“ des Arbeitens und Produzierens in ihr nichts ändert, mit ihren
Eintritt in die Geschichte der „Einzelheit“ zuschlagen, juristisch gesehen: sie
entsubjektivieren und als Privateigentum
betrachten. Was zu Zeiten der „Wirtschaftsfamilie“ deren Vermögen und nur
Titulareigentum des Familienvaters war, wird jetzt zum Privateigentum des
Unternehmers.[67]
Seither gibt es diese zwei
Ebenen: „Staat“ und „Gesellschaft“. Da die „Gesellschaft“ aus Atomen besteht,
steht diese Formel der Formel „Staat“ und „Individuum“ gleich.
Doch die „Besonderheit“ ist nicht
aus der Welt. Weil sie aber „gestaltloses Sein“ geworden ist, wird sie ignoriert
– und auf diesem Ignorantentum basieren die moderne Ökonomie und das moderne
Recht. Eine Fehlentwicklung nimmt ihren Lauf. Sie hat dramatische Folgen. Sie
zeigen sich, als der Kapitalismus Anfang des 20. Jahrhunderts in die Krise gerät.
Damals schlägt das Pendel in den von ihr besonders betroffenen Ländern zur
anderen Seite aus, zum Staat. War die „Besonderheit“ bisher der „Gesellschaft“
bzw. den Einzelnen zugeordnet, so jetzt dem Staat.
Gemeinsam ist also dem
„Rechtsstaat“ wie dem „Betriebsstaat“, dass mit ihnen der gesamte Bereich des
„Stoffwechsels“, des Arbeitens und Produzierens um seine Eigenständigkeit
gebracht wird. Was eigentlich der „Genossenschaft“ gehört, wird hier jenen
Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft zugeordnet, die Eigentümer der
Produktionsmittel bzw. die im Besitz der „vergegenständlichten“ Arbeit sind, und
dort dem „Eigentümer-Staat“. Das führt zu der bereits erwähnten „Umschichtung
des Rechtssystems“, die für das Arbeitsverhältnis bedeutet: Dessen rechtliche
Qualität wird von der „Zirkulation“ aus bestimmt, d.h. von einem Bereich, der sich
lediglich als Folge der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zwischen Kleinfamilie
und Unternehmung schiebt. Diese zwei Hälften werden jetzt über ein Recht
zusammengeführt, das bislang nur dem Austausch von Sachen diente. Um es
anwendbar zu machen, muss das auf den Arbeitsmarkt gestoßene „Produkt“ der
„Kleinfamilie“ zur „Person“ gemacht werden, d.h. zu diesen Kunstmenschen, der
aus den beiden Komponenten „Wille“ und „Eigentum“ besteht. Denn nur sie ist
befähigt, einen Teil von sich selbst zu verkaufen.
Nahezu alle modernen Ökonomen,
auch Marx, unterstellen, dass die Unternehmung eine originäre, aus der
„Zirkulation erwachsene Institution ist, die in keinem Zusammenhang mit der
ehemaligen „Wirtschaftsfamilie“ steht. Anders Hegel. Er hält diese Auffassung
für eine „Verwirrung“ der Sachverhalte. Deren Folge: Das im Austauschbereich
begründete Arbeitsrechtsverhältnis
ist „kürzer“ als das Arbeitsverhältnis; es beginnt bei der „Person“ und endet
bei der „Sache“. Sein juristischer Teil endet vor dem Fabriktor. Nur die
verkaufte Sache, die Arbeitskraft, wird in der Unternehmung geduldet; nur das „Ding“ hat dort Zutritt. Für den
Verkäufer gilt, was auf dem Fabriktor steht: „No admittance except on
business.“[68] Und die Früchte dieser Sache gehören
nach römischen und von dort ins BGB[69] übertragenen
Grundsätzen ihrem Eigentümer.
Was nach der Teilung der
„Wirtschaftsfamilie“ nichts weiter ist als ein bloßes Überwechseln von einer
Produktionsstätte zur anderen, die an der Verteilung nichts ändert, wird zu
einem völlig anderen Vorgang. Die Zwischenstation wird zur Endstation. Das
Arbeitsverhältnis wird verfälscht. Ein „personenrechtliches“ Verhältnis wird in
ein „sachenrechtliches“ umgewandelt - und dabei bleibt es.
Mittels dieser Konstruktion wird die Freiheit
der Person gerettet. Aber auf die sonderbare Weise, dass nur ihr „Wille“ frei
bleibt, während ihre Leiblichkeit der Unfreiheit ausgesetzt wird. Dieser Vorgang, weltweit kultiviert und
dogmatisiert, findet im Begriff „Rechtsstaat“ seinen Niederschlag. Dieser kann
eine pflichtlose Freiheit versprechen, weil er sich aus der „Produktion“
heraushält. Und so trägt er dazu bei, die ökonomische Ungleichheit über etwas
zu apologisieren, „was vornehmlich in der allgemeinen Vorstellung Freiheit heißt“[70],
was also in seiner Abstraktheit und Übertreibung der Wirklichkeit nicht
standhält. Die dunklen, problematischen Seiten der bürgerlichen Gesellschaft
werden verdeckt. Ein schönes Bild entsteht – und trotzdem ein Zerrbild. Insoweit
sind der „Betriebsstaat“ und seine in all ihren Lebenslagen in einen Rechte-
und Pflichten-Kanon eingebundene „konkrete“ Person ungeschönter dargestellt.
Auch in der Unternehmung nicht nur als „Sache“, sondern als „Glied“ zu gelten,
käme der Wiederherstellung jenes Status gleich, den der jetzige Lohnarbeiter in
der „Wirtschaftsfamilie“ inne hatte. „Glied“ ist mehr als „Sache“; „Glied“
bedeutet zuerkannte Subjektivität. Der Status „Person“ bedeutet hingegen für
den Lohnarbeiter für die Zeit, die er in der Unternehmung verbringt, eine
Entsubjektivierung, eine Reduktion, eine Herabstufung auf die Sache
„Arbeitskraft“.
Es sollte uns nachdenklich
stimmen, dass wir es seit Savigny für ganz selbstverständlich halten, mit dem
zweitausendjährigen römischen Recht ökonomische Verhältnisse erfassen zu
können, die erst seit 200 Jahren in der Welt sind. Oder ist es vielleicht so,
dass wir zu unserem Verständnis von „Rechtsstaat“ nur gelangen, weil wir uns auf römisches Recht
stützen? Wer die Produktion beherrscht, kann so davon profitieren, dass deren
Inneres vom Recht weitgehend unberührt bleibt und „Recht“ und „Rechtsstaat“
dafür sorgen, dass es dabei auch bleibt. Die Verhältnisse in den Unternehmen,
den Orten größter Ungerechtigkeit, haben im Begriff „Rechtsstaat“ keinen Platz.
So bereinigt und blank geputzt, zeigt sich uns der „Rechtsstaat“ in einem
besonders strahlenden Licht. Dass die große Mehrzahl der Mitglieder der
bürgerlichen Gesellschaft den aktivsten Teil ihres Lebens in einer Sphäre
verbringen, in der nicht der „freie Wille“, sondern die „Direktion“ waltet,
bleibt so außerhalb der Wertung. Und nicht nur das: Jeder Staat, der Einfluss
auf diese Sphäre nimmt, setzt sich sofort der Gefahr aus, zum „Unrechtsstaat“
erklärt zu werden. Der ursprüngliche Rechtsstaat ist also der auf den Schutz
der Zirkulationssphäre traditioneller Art reduzierte Minimalstaat liberaler
Lesart. Aber wo gibt es diesen noch in Europa? Und wo er anderswo noch
anzutreffen ist, gereicht dies in aller Regel jenen Schichten der Bevölkerung
zum Nachteil, die nicht auf der Siegerseite der bürgerlichen Gesellschaft
stehen.
***
„Betriebsstaat“
- der bessere Sozialstaat?
Weil er den Bereich „Produktion“ zur Privatsache
erklärt, ist der „Rechtsstaat“ sanktionierte
soziale Ungerechtigkeit. Er ist ein Staat der sich, nach einem Wort von
Lassalle, den Schutz der „Bourgeoisieökonomie“ zur Aufgabe macht. Er bietet
rechtliche Gleichheit bei ökonomischer Ungleichheit. Er legitimiert diese
Sachlage mit einem Leistungsbegriff, der auf der Unterstellung beruht, dass,
wer viel hat, auch viel geleistet haben muss. Sein oberstes Ziel ist der Schutz
des Privateigentums. Er bezeichnet einen Staat, der die Eigentümer der
Produktionsmittel vor Ansprüchen der Arbeitnehmer schützt, die über den
Lohnanspruch hinausgehen. Er bedeutet den endgültigen Bruch des Rechts mit der
Gerechtigkeit.
Wie ist es mit dem
„Betriebsstaat“? Er hat seinen Ort dort, wo die Entwicklung auf die
industrielle Massenproduktion zusteuert; Leitbild ist der Großbetrieb des 20.
Jahrhunderts mit Massenproduktion und Fließbandarbeit. Mit dem Versprechen, den
dort Tätigen ein größeres Maß an ökonomischer Gerechtigkeit zuteil werden
lassen, versucht er, sich eine Massenbasis zu verschaffen. Er trägt von daher
bonapartistische Züge, gibt sich als Staat der „kleinen Leute“ aus, was auch
erklärt, dass er in ihnen seine Hauptstütze fand. Das gilt für Italien, das
gilt für Hitler-Deutschland und das gilt für die Sowjetunion, die ja auch eher
ein Staat der Kleinbürger, denn eines klassenbewussten Proletariats war, wenn
man an die Millionen kleinbäuerlicher Existenzen denkt, die binnen weniger
Jahre das zahlenmäßig geringe Proletariat auffüllen.
Aber löst der „Betriebsstaat“ sein
Versprechen auch ein? Ist es so, dass mit ihm der „unmittelbar gerechte“ Staat
in der Welt ist, wie C. Schmitt[71]
meint, und den „Rechtsstaat“ als den Staat sozial-ökonomischer Ungerechtigkeit
ersetzt?
Mindestens ergibt sich für ihn dadurch,
dass er die „Produktion“ beherrscht, die Möglichkeit
einer gerechteren Verteilung des erarbeiteten Gesamtprodukts. Und so lockt er
mit einem hohen Maß an sozialer Homogenität. Er lockt mit dem sicheren
Arbeitsplatz. Das sind „Lockmittel“ mit denen sich „Rechtsstaaten“ schwertun,
ja, denen sie als „rechtsstaatsfeindlich“ ablehnend gegenüber stehen. Aber kann
ein Staat deswegen zum „Unrechtsstaat“ werden, weil er einen Anspruch auf
Arbeit kennt, selbst wenn er als Recht und Pflicht zur Arbeit daherkommt? Die
sozialen Rechte sind Rechte, die gleichrangig neben den „klassischen“
Bürgerrechten stehen. Beide sind Rechte, die das Dasein des Menschen
unmittelbar und elementar bestimmen. Stehen die Freiheitsrechte für sich
allein, führt dies zu einer Zunahme der sozial-ökonomischen Ungleichheit. Gerade
die Gegenwart wird durch sie geprägt. Die ins uferlose wachsenden Gegensätzen von arm
und reich zeigen deutlich, dass wir längst vor einem Verteilungsunrecht stehen, das zu der von
Hegel vorausgesagten „Desorganisation“ der bürgerlichen Gesellschaft führt.
Nehmen wir die DDR. Ihre Bürger
waren durch den „billigen“ Zugang zur Bildung, zur Kultur, waren durch niedrige
Festpreise für Grundnahrungsmittel, für Miete und Heizung besser vor einer
„Verpöbelung“ geschützt als ihre bundesdeutschen Nachbarn. Sie verdienten mit
durchschnittlich 1.000 Mark zwar deutlich weniger als ihre bundesdeutschen
Kollegen, wussten aber außerdem, dass ihre Generaldirektoren nicht das
100-fache, sondern maximal 3.600 Mark verdienten. Hier kam es also zur
Ausbildung jener Mittelschicht, die in der westlichen Welt gerne als die
staatstragende Schicht beschworen wird, dort aber tatsächlich seit den 80-er
Jahren des 20. Jahrhunderts in Vollzug eines rabiaten Neo-Liberalismus unter
einer historisch beispiellosen Verteilungspraxis aufgerieben wird.
Die Kehrseite war, dass der
DDR-Bürger ständiger Bevormundung und Besserwisserei sowie allerlei
Beschränkungen ausgesetzt war, die sich auf alle Facetten seines Lebens
erstreckten. So wie die „Freiheitsrechte entwertet sind, wenn die sozialen
Rechte fehlen, so ist es auch im umgekehrten Fall. Das Fehlen ersterer führte
dazu, dass auch die durchaus achtbaren sozialen Rechte und Möglichkeiten gering
geschätzt wurden. Hinzu kam die permanente Mangel-Situation: Sie führte dazu,
dass vielfach nur daran gemessen wurde, was in der DDR nur überteuert oder gar
nicht zu haben war.
Zu erinnern ist an die
historische Mission des „Betriebsstaates“, schnellstmöglich den Anschluss an
das industrielle Niveau der fortgeschrittenen Staaten herzustellen. Dieser
Aufgabe kann er nur gerecht werden, wenn er das Mehrprodukt tatsächlich für
diesen Zweck einsetzt, nicht, wenn er es zur Verteilung bringt. Die
„ursprüngliche Akkumulation“ war eine blut- und tränenreiche Zeit. Es war keine
Zeit des Schlemmens und Wohllebens – jedenfalls nicht für jene, die
Lohnarbeiter waren oder die erst in diesen Status hinein gezwungen werden
sollten. Das gilt auch für ihre Neuauflage, besonders in der Sowjetunion, wo
der Rückstand am größten war. Die dortigen Völker hatten einen hohen Preis zu
zahlen, während sich der Umschlag in die „Sozialökonomie“ für die große Masse sehr
auf sich warten ließ. Die größere soziale Gleichheit war also besonders dort
eine Gleichheit auf niedrigem Niveau. Das hat in den ersten Jahrzehnten mit der
schwierigen Wirtschaftslage infolge des Krieges und des Bürgerkrieges zu tun.
Dass es aber auch später hier, wie im gesamten Ostblock, nur zu einem
bescheidenen Anstieg des Lebensstandards kam, hängt mit der geringeren
Effektivität des Produzierens zusammen.
Da sie wiederum zu einem guten Teil eine Folge der allgegenwärtigen Gängelei
und Bevormundung war, also systembedingt, entwertet dies eine größere Verteilungsgerechtigkeit des
„Betriebsstaates“ erheblich.
Die Sowjetunion und
Hitler-Deutschland als Staaten anzusehen, in denen die „Bourgeoisieökonomie“ in
eine „Sozialökonomie“ umschlägt, ist also fehl am Platze. Wenn C. Schmitt das „Dritte Reich“ als eine „unmittelbar
gerechte Ordnung“ positiv von den „Rechtsstaaten“ als Ordnungen einer bloß
formalen Gleichheit abgrenzt, ist das überwiegend ein apologetisch motiviertes
Fehlurteil.
Für den „Rechtsstaat“ spricht,
dass sich mit ihm die „Freiheitsrechte“ verbinden. Meinungs-, Versammlungs-, Pressefreiheit.
Wer möchte diese Rechte, mit denen sich „Betriebsstaaten“ naturgemäß schwertun,
in unserer Zeit missen? Unbestritten dürfte sein, dass, je kreativer die
ausgeübte Tätigkeit ist, jede Gängelei, jede Bevormundung, jede Zensurmaßnahme
den Erfolg beeinträchtigt, selbst den
Erfolg solcher Arbeiten, die in aller Welt dem werktäglichen Direktionsrecht
unterliegen. Und für Literaten, Künstler und Philosophen, die ihr Können nicht
bloß in den Dienst einer Ideologie stellen wollen, sind die klassischen
Freiheitsrechte wichtig wie das tägliche Brot. Je individueller, originärer, schöpferischer die zu leistende
Arbeit ist, umso mehr werden sie zur unmittelbaren Produktivkraft. Der
zunehmende Rückstand bei der Arbeitsproduktivität, in den die Staaten des
„realen Sozialismus“ gerieten, ist also nicht zuletzt eine Folge ihres Fehlens.
Seine national-ökonomische Abgeschlossenheit, gepaart mit einer Unzahl
tatsächlicher und juristischer Grenzen und Verbote, wurde also letzten Endes zu
einer Falle, in der sich der „Betriebsstaat“ selber fing. Das hat der nahezu
zeitgleiche Zusammenbruch der Länder des „realen Sozialismus“ eindrucksvoll gezeigt.
„Römisch“ gesehen, dürfte es im „Betriebsstaat“
überhaupt kein Recht geben, weil Ort des jetzigen Produzierens die zum Staat
gewordene Unternehmung ist. Und so sah es E. Paschukanis auch. Er leugnet
deshalb die Existenz eines sowjetischen
Rechts. Denjenigen, die ein solches behaupten hält er entgegen: Damit werde der
„Unsterblichkeit der Rechtsform“ das Wort geredet. Er formuliert: „Das
Absterben gewisser Kategorien … des bürgerlichen Rechts bedeutet keineswegs
ihre Ersetzung durch neue Kategorien des proletarischen Rechts, genau wie das
Absterben der Kategorien des Wertes, Kapitals, Profits usw. bei dem Übergang
zum entfalteten Sozialismus nicht das Auftauchen neuer proletarischer
Kategorien des Werts, Kapitals usw. bedeuten wird.“[72]
Aber die Tatsachen zeigen ein anderes Bild. Sie zeigen ein Recht, das sich
erheblich von dem unterscheidet, was es in rechtsstaatlichen Gefilden ist. Der
Unterschied zeigt sich, besonders im Bereich der Wirtschaft, in der
„Vereinseitigung“ und „Vertikalisierung“ der Vertragsform durch Einlagerung
„direktiver“ Elemente – bis hin zum Befehl.
Mindestens in den Anfangsjahren war die Wirtschaft in der Sowjetunion,
auch in der DDR, nahezu „Befehlswirtschaft“. Logische Folge des „Staatskapitalismus“;
Staat statt Genossenschaft! Die Leninsche Lösung des Problems der
Vergesellschaftung. Die produzierenden Einheiten, in der DDR die VEB, waren
weitgehend ihres eigenen Lebens beraubt und in ein so engmaschiges Netz von
staatlichen Vorgaben gepfercht, dass ihr Produzieren dem Ausführen von Befehlen
gleich kam. Die Kernzone jeder bürgerlichen Gesellschaft, die Wirtschaft, war
damit zugunsten des Staates nahezu willenlos gemacht. Das zeigt sich nicht
zuletzt am Schicksal des BGB: Dieses war in der DDR im Bereich der Wirtschaft von
Anfang an durch ein der „Direktion“ nahestehendes Sonderrecht ersetzt.
Insgesamt ergab sich daraus eine die Eigeninitiative und das schöpferischen
Potential lähmende Situation.
Im „Betriebsstaat“ sind die im
Inneren der Unternehmung anzutreffenden Verhältnisse nach außen gestülpt. Das
Direktionsrecht des Unternehmers wird so als „demokratischer Zentralismus“ zum
Direktionsrecht des Staates. Indem er zur politischen und ökonomischen
„Direktionszentrale“ wird, gewinnt der Staat eine enorme Machtfülle, die an die
„Macht asiatischer und ägyptischer Könige“[73]
erinnert. Und wie die „Direktion“ eines Unternehmens von der Belegschaft nicht
abgewählt werden kann, so auch hier: Natürlich können die Funktionäre des
„Betriebsstaates“ nicht abgewählt werden. Der demokratielose Zustand in der
Unternehmung setzt sich also, mehr oder weniger modifiziert, im
gesellschaftlichen Raum fort. Die Treuepflicht des Arbeiters wird zur Treuepflicht
des Staatsbürgers. Aber auch die Fürsorgepflicht des Unternehmers wird zur Pflicht
des Staates – ein Grund dafür, dass der „Betriebsstaat“ in Bereichen der
Daseinsvorsorge ein viel intensiverer Sozialstaat sein kann, als der „Rechtsstaat“.
Zum völligen „Absterben“ des
Rechts auch im Bereich „Wirtschaft“ kommt es deshalb nicht, weil das in den öffentlichen Raum tretende
innerbetriebliche Regime immer einen
politischen und mehr oder weniger auch juristischen Charakter erlangt.
Ist die Selbständigkeit der
Sphäre der „Einzelheit“ zugunsten jener der „Allgemeinheit beseitigt, entfällt scheinbar der Warencharakter der Arbeit
und tatsächlich die Notwendigkeit einer „Person“. Von daher
ist es konsequent, dass sie - dieser Eckpfeiler des BGB - im VGB-Entwurf des
„Dritten Reiches“ durch den „Volksgenossen“ und im ZGB der DDR durch den „Bürger“
ersetzt wird, mit Begriffen also, die nicht gleichwertig sind, weil sie nicht
dem gesellschaftliche Raum entstammen, sondern dem Begriff der „Gemeinschaft“
nahe stehen. Da die Ebene der Zirkulation, die gewöhnlich mit der bürgerlichen
Gesellschaft gleichgesetzt wird, nahezu wegfällt, erinnert das äußere Bild des
„Betriebsstaates“ daher auffällig an das Mittelalter und seine, ganz wesentlich
durch die „Wirtschaftsfamilie“ geprägten, Rechtsinstitute. Das „Dritte Reich“
nimmt auf sie ausdrücklich Bezug und betont die wiederhergestellte Kontinuität
des „Germanischen“, während die DDR sich dieser Verwandtschaft eher schämte.
Doch ein wichtiger Unterschied besteht: Was damals als „Staat“ bestand, waren
„naturwüchsige Gemeinwesen“. Und das gleiche galt für dessen Recht, das insoweit
noch echtes Naturrecht war.[74] Die
modernen Staatswesen, ob als „Rechtsstaaten“
oder als „Betriebsstaaten“ organisiert, sind hingegen Kunstgestalten. Dies in
dem Sinne, dass sie die Wirklichkeit des Staates, selbst die des „Not- und
Verstandesstaates“, einseitig und unvollständig widerspiegeln. Insoweit waren
die mittelalterlichen Staatswesen, so fern sie uns heute stehen mögen, auf jeden Fall wahrere Staaten als jene, die
sie in der Moderne ablösen. Sie waren die „Rechtsstaaten“ ihrer Zeit. Im 20.
Jahrhundert haben wir jedoch eine andere Situation: Hier existieren Betriebsstaaten und Rechtsstaaten
parallel. Beide als Staaten einer universellen, allerdings von Land zu Land
unterschiedlich entwickelten, Industriegesellschaft.
Und wie wir schon sahen: Sie beziehen sich jeweils nur auf Teile, auf
entgegengesetzte Sphären, der bürgerlichen Gesellschaft. Beide sind sie deshalb
nur unvollkommene Notstaaten. Jeder
von ihnen lebt auf Kosten der „Besonderheit“ und ihrer Subjekte. Jeder hat das,
was dem anderen fehlt. Und jeder schlussfolgert aus dem, was er hat und dem
anderen fehlt, dass er der bessere Staat ist. Macht man diese Unvollkommenheit
und Unwahrheit zum Kriterium, muss man beiden Staatstypen, will man gerecht
urteilen, je nach Schwerpunkt, entweder den
Titel „Rechtsstaat“ oder den Titel
„Unrechtsstaat“ zuerkennen.
Das römische Recht machte „Rom“
damals zum „Rechtsstaat“, allerdings nur zum „Rechtsstaat“ jener Bewohner, die
den Status „frei“ für sich hatten. Jetzt entfaltet es die gleiche Wirkung zwar für
alle Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft, aber nur deshalb, weil diese zu
„Personen“ befördert werden, also zu „abstrakten“ Menschen. Eine Konstruktion.
Zu ihr gehört, dass die Sphäre der „Besonderheit“ darin „wegkonstruiert“ ist. Da der Gewinn der „Einzelheit“ mehr gilt als
der Verlust der „Besonderheit“, ja dieser Verlust als Befreiung, als „Freiheit“
gefeiert wird, scheint jetzt das Paradies auf Erden angebrochen zu sein. Und
mindestens ist es so, dass jene, denen jetzt die Unternehmung als
Privateigentum zugeordnet ist, auf der Sonnenseite stehen. Das Nachsehen aber
haben diejenigen, die jetzt mit nichts weiter als mit ihrer Arbeitskraft
dastehen, früher aber als Glied der „Wirtschaftsfamilie“ am Ergebnis des
familiär Erarbeiteten beteiligt waren.
Der „Betriebsstaat“ ist seinem
Wesen nach ein autoritärer Staat, was ihn aus dem Blickwinkel des
„Rechtsstaates“ zu einem „Unrechtsstaat“ macht. Dieses autoritäre Wesen muss
ihn bei seiner kleinbürgerlichen Klientel nicht unbedingt in Misskredit
bringen, solange die sozialen Versprechungen vom Staat einigermaßen bedient
werden. Wehe aber, wenn die sozialpolitischen Maßnahmen ausbleiben oder sie –
wie in den letzten Jahren der DDR – zunehmend materiell ungedeckt sind! Dann
ist es mit der mühsam erkauften Konformität sehr schnell vorbei.
Kein Staat ist wie der andere.
Das gilt auch für den Rechtsstaat. Sitten und Gebräuche, Religion, kurz, die
Geschichte und nationalen und religiösen Eigenheiten der jeweiligen Nation,
zeigen sich in teils beträchtlichen Unterschieden. Von außen geurteilt, können
darin schnell Züge von „Unrecht“ erblickt werden, noch dazu dem, der sie mit
der ideologischen Brille betrachtet. So sind Europäer oft befremdet über die
von US-Gerichten verhängten Strafen. Wer aber zieht daraus den Schluss, dass die
USA kein Rechtsstaat sind? Die gleichen Strafen für vergleichbare Delikte in
der DDR verhängt, gelten Vielen aber sehr wohl als Beleg für den
„Unrechtsstaat“. Gewiss, vieles in und an der DDR war zu missbilligen. Man
denke an das Regime an der Westgrenze mit Schießbefehl und Erschossenen. Man
denke an das Spitzelwesen und an das politische Strafrecht mit seinen
Gummi-Paragrafen. Aber die DDR hatte kein Kriegsverbrechen, hatte keinen
Holocaust auf dem Kerbholz. Und der Durchschnittsbürger war in ihr sozialökonomisch
deutlich besser aufgehoben als in vielen Staaten der Welt, die nicht unter das
bundesdeutsche „Unrechtsstaat“-Verdikt fallen.
Man sollte die Lebenswirklichkeit
einbeziehen:
Auch im Rechtsstaat verbringt die
Mehrzahl der Menschen den wichtigsten Teil des Tages, ja seines Lebens im
Betrieb, steht also in dieser Zeit unter „Direktionsrecht“. Freiwillig, der
Doktrin nach. Aber was ist daran Wahl, wenn nicht das „Ob“, sondern nur „das Wo
der Unterwerfung“[75] zur Debatte steht?
Das Arbeitsverhältnis, das wichtigste
Rechtsverhältnis, steht außerhalb des „freien Willens“. Zwar steht auch dem lohnabhängig
Beschäftigten nach Feierabend das volle Programm an „Freiheit“ zur Seite, aber
eben nur nach Feierabend. Und auch nur nach Kassenlage. Während der Arbeitszeit
sind diese Rechte suspendiert bzw.
werden durch das Direktionsrecht verdrängt. Am freiesten ist in der freiheitlichen
Gesellschaft also der Nichtarbeiter. Diesen Status aber muss man sich leisten
können. Er verband sich aber für große Bevölkerungsteile der ehemaligen DDR mit
der Erfahrung der Arbeitslosigkeit. Auf sie wirkte die Freiheit wie ein kalter
Ozon. Und niemand sollte sich wundern, dass viele von ihnen sich zu dem warmen
Mief ihres VEB zurücksehnten. Und diejenigen, die ihren Job behielten, belehrte
er darüber, dass sie vor dem damaligen Vorgesetzten in der Regel weniger zu
kuschen hatten als vor dem jetzigen. Muss das nicht berücksichtigt werden, wenn
geurteilt wird? Zeigt uns das nicht, dass alles seinen Preis hat – auch die
Freiheit.
***
Hegel portraitiert in seiner
„Rechtsphilosophie“ zwei sehr verschiedene Staatstypen. Einmal, in den §§ 257 ff.
R, den „Vernunftstaat“. Zum anderen, im Abschnitt zur „bürgerlichen
Gesellschaft“, den „Not-und Verstandesstaat“.
Der „Vernunftstaat“ ist bei ihm
klar definiert: Er ist der Staat, der zwei entgegengesetzte Naturen, die
vorgefundene (oder „primäre“) und die menschgeschaffene (oder „produzierte“),
„vermittelt“. Die konstitutionelle Monarchie seines Verständnisses sollte zu
ihm hinführen. Die Entwicklung ging andere Wege; der „Vernunftstaat“ fehlt bis
heute – weltweit. Was real existiert sind „Not- und Verstandesstaaten“; Staaten
bloß einer, der „produzierten“, Natur; „unvollkommene Staaten“[76]. Aber wohl gemerkt: als Staat bloß der
einen, ist er zugleich ein Staat gegen
die andere Natur. Oder, wie Hegel formuliert: dieser „(Natur-)Rechtsstaat“ ist
aus der Sicht der jetzt versklavten „primären“ Natur ein „Naturunrechtsstaat“. Er
darf nicht mit dem „echten“ Staat verwechselt werden, warnt Hegel in § 258 R. Gemessen
an diesen ist der „Not- und Verstandesstaat“ der bürgerlichen Gesellschaft nur
ein „Halbstaat“; sein Staatsziel ist es, die störungsfreie Ausbeutung der
anderen Natur durch die Mitglieder der bürgerlichen Gesellschaft abzusichern.
Hegel sieht voraus, welche Folgen es hat, wenn es bei dem Defizit bleibt und
die Aufgabe den „Vernunftstaat“ zu schaffen, aus dem Blick gerät: die Preisgabe
der „primären“ Natur an die zerstörerischen Kräfte der bürgerlichen
Gesellschaft. Eine düstere, von der Wirklichkeit längst bestätigte, Prognose. Die
Tatsache, dass jeder heutige Staat
ein Unrechtsstaat gegen die „primäre“ Natur ist, stünde für Hegel also klar im
Vordergrund. Er sah schon damals, als die Mehrzahl seiner Kollegen sich darin
überschlägt, die bürgerliche Gesellschaft zu preisen, wie problematisch deren
Herrschaft war und noch sein würde. Aus dieser Sicht ist die Frage, welcher
Typus des Notstaates der bessere ist, der „Rechtsstaat“ oder der
„Betriebsstaat“, für ihn von untergeordneter Bedeutung. Gutes hat die Natur von
keinem der beiden zu erwarten.
Der „Betriebsstaat“ hat mit den
marktwirtschaftlich geprägten Staaten die Ausbeutung der „vorgefundenen Natur“[77]
gemeinsam. Wie letztere ist auch er ein „Unrechtsstaat“
gegen die primäre Natur. Und wie wir schon sahen: die Ausbeutung der
„lebendigen“ Arbeit ist auch in ihm nicht beendet. Das ging auch nicht anders. Die
„Großbaustellen des Sozialismus“, die Denkmäler und Ruhmeshallen, die
Unterhaltung großer Armeen, im „Dritten Reich“: die Vorbereitung und
Durchführung des Krieges – das alles musste bezahlt werden und ging dem
individuellen Konsum vor. Aber einiges geschah doch, was auf die größere
Volksnähe des „Betriebsstaates“ verweist. Die Standesunterschiede wurden
deutlich abgeflacht. Der Zugang zur Bildung, zur Kultur wurde auch den unteren
Schichten ermöglicht. Viele Plagen des gewöhnlichen Kapitalismus wie
Arbeitslosigkeit, Inflation, Mietwucher wurden von ihm fern gehalten. Das hätte
ausreichen können, ihn auf der politischen Bühne zu halten. Wenn er sie auf
schimpfliche Art verlassen musste, so hauptsächlich deshalb, weil ihm jene Bevölkerungsteile
die weitere Gefolgschaft verweigerten, deren Staat zu sein er vorgab. Aus ihrer
Sicht hatte er ökonomisch, damit aber auch sozial und politisch versagt. Der
tiefere Grund scheint mir aber darin zu liegen, dass er ja ohnehin nur ein
Staat auf Zeit war. Als solcher hatte er genau das getan, was ihm 1925 ff.
Trotzki, Sinowjew u.a. vorhersagten: er hatte den „Boden für eine andere, für die kapitalistische Wirtschaft“ gedüngt.
Aber der „Dünger“ war längst verbraucht. Seine Zeit war um. Der „historische Scheidungsprozess“
war vollzogen. Die Merkmale, die Marx für die Zeit der „ursprünglichen
Akkumulation“ herausgearbeitet hat, lagen zuletzt in keinem Land des „realen
Sozialismus“ mehr vor.
Und wie es die Bestimmung der
Kaulquappe ist, Frosch zu werden, so ist es die Bestimmung des
„Betriebsstaates“, eine vorkapitalistische oder eine bereits kapitalistische,
aber havarierte Gesellschaft zum Kapitalismus zu führen bzw. zurückzuführen.
Das Ende wurde eingeläutet, als der
Kapitalismus in seine globalisierte Phase eintrat und die einzelnen
Nationalstaaten zu Stadtvierteln einer einzigen gigantischen Großstadt
degradierte. Binnen weniger Jahre wurden die nationalen „Betriebsstaaten“ mit
ihren Binnenwährungen, mit ihrer völlig unzureichenden Arbeitsteilung
untereinander, mit ihrer antiquierten Technik zu einem Anachronismus. Hinzu kam
die ökologische Krise, der sie noch hilf- und verständnisloser gegenüberstanden
als die „Rechtsstaaten“. Das Wettrüsten der Jahre 1980 ff. gab ihnen den Rest.
Bemerkenswert ist, dass in keinem
Land des „realen Sozialismus“ der „Betriebsstaat“ reformiert wurde. Der Versuch
Gorbatschows in der Sowjetunion scheiterte bereits im Ansatz. Überall das
gleiche Bild: die Zuordnung der „Besonderheit“ zum Staat wurde revidiert und
durch ihre rigorose Privatisierung ersetzt. Von einem Extrem ins andere. Und
das förmlich über Nacht. Hegel würde sagen: eine bequeme, aber unrichtige
Lösung.
[1] Lenin, Werden die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten? AW Bd. II, S. 457.
[2] Ebd.,
S. 461 ff. Die Konsequenz daraus, nämlich die, dass aus dem Zusammenfügen
dieser „zwei Hälften“ ein ganz anderer Staat hervorgeht als die „Diktatur des
Proletariats“ im marxschen Sinne, wurde bis in die Endzeit hinein in der DDR
„übersehen“. Erst 1987 kommt U.-J. Heuer auf sie zu sprechen. (Vgl. dazu: U.-J.
Heuer, Lenins „Staat und Revolution“ – heute gelesen, NJ 1987, S. 307-310 und
Noch einmal: Zum Leninschen Staatsbegriff, StuR 1988, S. 860-865).
[3] Zu diesem „Staat
als Bestandteil der Basisverhältnisse“ gibt es in den endsechsiger Jahren eine
von der Partei geduldete, wenn auch misstrauisch beäugte Diskussion, die sich
vielleicht praktisch ausgewirkt hätte, wäre die DDR bei ihrem Reformkurs
geblieben. Mit der Machtübernahme Honeckers und der Abkehr von der Reformpolitik Ulbrichts ebbte diese
Diskussion ab bzw. verlief sich ins Nichts.
[4] Lenin, Werden
die Bolschewiki die Staatsmacht behaupten? a.a.O., S. 461.
[5] M. W.,
Wirtschaft und Gesellschaft, Studienausgabe, Tübingen 1972, S. 30 u. 825. Auch
hier ist auf folgende Parallelität hinzuweisen: Lenin und M. Weber entdecken
den „Betriebsstaat“ nahezu gleichzeitig; er ist Teil ihrer Analyse des
„organisierten“ Kapitalismus. Und beide ziehen auch praktische Konsequenzen aus
dieser Entdeckung. Weber plädiert für einen plebiszitär bestimmten „starken“
Reichspräsidenten, um über diesen die Aufgabe der „Sozialisierung“ zu
verwirklichen. Der Reichspräsident übernimmt danach den überkommenen
Exekutivapparat, wird die politische Spitze desselben, um eine Aufgabe zu
bewältigen, die zu lösen Weber das Parlament nicht für fähig hält. Gemäß seiner
These „Sozialisierung ist Verwaltung“ will er die Macht der
privatwirtschaftlichen „Diktatoren“ in die Hände des
„Diktator-Reichspräsidenten“ verlagern.
[6] MEW Bd. 20, S. 261.
[7] Wie es S. Zizek sieht: Lenin wiederholt und verstärkt damit den Fehler von Marx. Mehr noch als dieser betrachtet er „die entfesselte Produktivität im Grunde als etwas von der konkreten kapitalistischen Gesellschaftsformation Unabhängiges.“ Aber: „Kapitalismus und Kommunismus sind nicht zwei verschiedene historische Realisierungen, zwei Arten von instrumenteller Vernunft“[7] sondern beide sind über ein gemeinsames Wesen miteinander verbunden. Und dieses „Wesen“ ist kapitalistisch – was sich im Falle Russlands sehr schnell zeigt.
[8] Lenin, Zwei Taktiken der Sozialdemokratie in der demokratischen Revolution, AW in 3 Bd., Bd. 1, S. 568 – unter Bezug auf K. Marx.
[9] Ebd., S. 560.
[10] Ebd.
[11] Vgl.ebd., S.
567.
[12] C. Schmitt, Der
Wert des Staates und die Bedeutung des Einzelnen, Tübingen 1914, S. 6 u. 93f.
[13] Ders., Legalität
und Legitimität (5. Aufl.), Berlin 1993, S. 10.
[14] Siehe die
Schilderung der sozial-ökonomischen Situation bei E. von Beckerath, Wesen und
Werden des fascistischen Staates, Berlin 1927 S. 1-23.
[15] C. Schmitt,
Geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus (7. Auflage), Berlin
1991, S. 71.
[16] Ebd., S. 70.
[17] Ders., Wesen und
Werden des faschistischen States, in Positionen und Begriffe, 3. Auflage,
Berlin 1994, S. 127.
[18] Ders., Die
Wendung zum totalen Staat, in: Positionen und Begriffe, S. 172f.
[19] E. Paschukanis, Allgemeine
Rechtslehre und Marxismus, Frankfurt a.M. 1970, S. 114.
[20] Ebd.
[21] „Entweder-Oder“
– dieses Begriffspaar durchzieht nahezu alle Schriften kurz vor und jene nach
der Revolution, besonders die, in denen er gegen das „Sowohl-als-Auch“ der
Sozialdemokratie polemisiert.
[22] Lenin,
Ursprünglicher Entwurf der Thesen zur nationalen und kolonialen Frage, in:
Werke in 3 Bd., Bd. III, Berlin 1961, S. 491.
[23] Geschichte der
Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki) – Kurzer Lehrgang, 359f.,
16. Auflage, Berlin 1953.
[24] Später wird C.
Schmitt (Die legale Weltrevolution, Der Staat 1978, S. 327) dazu sagen: „Hier
wurde … eine innerstaatliche Revolution in den Horizont einer Weltrevolution
‚englobiert‘.“
[25] Zur Entwicklung
des italienischen Faschismus merkt Beckerath (a.a.O., S. 33) an: Anfangs
schwebte Mussolini eine „Art Wirtschaftsdiktatur … im Interesse des
Proletariats“ vor, dann, „nicht lange vor der Machtergreifung, legte er ein
Bekenntnis zur kapitalistischen Wirtschaftsordnung ab, die im Interesse des
Proletariats durch den Staat gezähmt werden sollte.“
[26] L. Trotzki 1936:
„Selbst bei größtem Einsatz der Phantasie könnte man sich schwerlich einen
schrofferen Gegensatz ausmalen als den, der zwischen dem Marx-Engels-Leninschen
Schema eines Arbeiterstaats und dem realen Staat besteht, an dessen Spitze
heute Stalin steht.“ (Verratene Revolution, Essen 1997, S. 103).
[27] A. Pfennig,
Gemeinschaft und Staatswissenschaft, ZgStW 96 (1939), S. 300.
[28] H.-H. Dietze, Naturrecht in der Gegenwart, Bonn 1936, S.4.
[29] § 182/Z R.
[30] Dietze, a.a.O.,
S. 78.
[31] Dietze, a.a.O.,
S. 16.
[32] Pfennig, a.a.O.,
S. 313.
[33] W. Schönfeld,
Freiheit und Persönlichkeit in der Lebensordnung des Deutschen Volkes, in: ZDK
5 (1939) S. 60.
[34] W. Stuckart,
Partei und Reich, ZADR 2.Jg. (1935), S. 401.
[35] Eine auf B.
Brecht zurückgehende Wendung, zitiert bei W. Mittenzwei, Das Leben des Bertolt
Brecht T. 1, Berlin 1988, S. 632.
[36] C. Schmitt,
Geistesgeschichtliche Lage, a.a.O., S. 63ff. u. S. 77ff.
[37] Dietze, a.a.O.,
S. 99.
[38] Man denke an die
Opfer der überstürzt durchgeführten Kollektivierung der Landwirtschaft in der
Sowjetunion: Hundertausende toter „Kulaken“. Millionen Hungertode.
[39] Ein Beispiel
hierfür ist Sinowjew. Ihm hat Stalin nie verziehen, dass er 1925 jenen Kurswechsel
kritisch hinterfragt hat, mit dem Stalin den „Aufbau des Sozialismus in einem
Land“ einleitet. Für sein Wort, dass sei ein Weg der „nationalen
Beschränktheit“ und damit unverträglich mit dem Internationalismus der
Marxschen Revolutionstheorie musste (nicht nur) er zehn Jahre später mit dem
Leben büßen. (Siehe dazu die Polemik Stalins in: Werke Bd. 8 (Zeitraum
Januar-November 1926), Berlin 1952, S. 54ff.).
[40] Generell dazu:
R. Ovary, Die Diktatoren. Hitlers Deutschland. Stalins Russland, München 2005.
[41] Beispielhaft R.
Höhn, Gemeinschaft als Rechtsprinzip, Deutsches Recht 1934, S. 301: „Die neue,
auf Gemeinschaftsboden fußende Welt stürmte mit ihren Gemeinschaft, Führer, Volk, Rasse gegen eine
Welt an, die auf einem anderen Boden stand.“
[42] Vgl. dazu:
Karl-Heinz Schöneburg, Der deutsche faschistische Staat in staats- und
rechtstheoretischer Sicht, in: Staat und Recht 1989, S. 531-541. Eine
persönliche Erfahrung: Als ich, nach nicht besonders erfolgreicher Promotion,
begriffen hatte, dass es mir nicht bestimmt war, einen positiven Beitrag zum
sozialistischen Rechts zu erbringen, glaubte ich auf der „sicheren Seite“ zu
sein, wenn ich für die geplante Habil-Arbeit ein Thema aus der Geschichte des
deutschen Wirtschaftsrechts ergriffe. Das bot sich in Jena deshalb an, weil
hier unter Leitung J.W. Hedemanns das erste deutsche Institut für
Wirtschaftsrecht entstanden war. Die Literaturlage war gut. Mit Elan machte ich
mich an die Arbeit. Indes: ich merkte sehr bald, dass die Themen und Fragen,
auch die Lösungen, verdächtig denen glichen, die auch die
Wirtschaftsrechtwissenschaft der DDR bewegten – und das, je mehr ich mich an
das Jahr 1933 heran las. Erschreckt über diese Entdeckung, nahm ich damals
eiligst Abstand von der weiteren Bearbeitung des Themas. Ohne dass dies half,
meinen ideologischen Niedergang zu stoppen.
[43] G. Leibholz, Zu den Problemen des fascistischen
Verfassungsrechts, Berlin u. Leipzig 1928, S. 17f.
[44] Ebd., S. 25.
[45] Speziell zur
Wahl in der DDR: es ist Mussolini, der die „Einheitsliste“ erfunden hat, die
dann in der DDR „erfolgreich“ 40 Jahre lang nachgenutzt wurde.
[46] GR, S.481
Ausführlich dazu: B. Rettig, Hegels sittlicher Staat, S. 299 ff.
[47] Lenin, Staat und
Revolution, AW Bd. II, S. 374.
[48] U.-J. Heuer,
Gesellschaftliche Gesetze und politische Organisation, Berlin 1974, S. 144.
[49] G. Leibholz, a.a.O.,
S. 18.
[50] U. Scheuner, Die
nationale Revolution. Eine staatsrechtliche Untersuchung, AöR NF 24 (1934), S.
204.
[51] Heuer,
Gesellschaftliche Gesetze, a.a.O., S. 144. Die „konkreten Ordnungen“ C. Schmitts
und K. Larenz‘ werden damals und werden in der DDR zu Ausgangspunkten
„konkreter“ Rechtsordnungen, die in der DDR als Familien-, Arbeits- und
Wirtschaftsrecht das BGB ersetzten. Mitte der 70-er Jahre kam ein ZGB hinzu,
dessen Gegenstand die auf den „einfachen“ Austausch reduzierten
Bürgerbeziehungen sind.
[52] Doch nicht jede
Diktatur ist ein „Betriebsstaat“. Beispiel Chile: Pinochet hat dort keinen
„Betriebsstaat“ errichtet, sondern, im Gegenteil, abgestimmt mit den Interessen
des in- und ausländischen Großkapitals die sozialstaatliche Entwicklung durch
einen rigiden Neo-Liberalismus ersetzt. Aus der Sicht dieses Kapitals war die
Diktatur entschieden „rechtsstaatlicher“ als das sozialdemokratische Regime
Allendes.
[53] § 260/Z R.
[54] F. Engels, Der
Ursprung der Familie …, MEW 21, S. 27f.
[55] § 171 R.
[56] MEW 23, S. 742.
[57] Dazu näher
„Zwischen Sein und Bewusstsein“ – hier, auf dieser Plattform.
[58] Der Begriff
„notwendige Kollektivität“, den ich hier verwende, verweist auf Folgendes:
-
Nur
Mann und Frau erzeugen das Kind und
bilden mit ihm die Kleinfamilie.
-
Nur
Arbeit und Kapital bringen das
Produkt hervor und sind die Teile des Ganzen namens „Unternehmung“.
[59] Marx, Grundrisse
der Kritik der Politischen Ökonomie (Rohentwurf) – entstanden in den Jahren
1857-1858, Berlin 1953, S. 185. (nachfolgend zitiert: GR).
[60] Ebd., S. 362.
[61] Vgl. ebd., S.
30. Das scheint mir eine ganz wichtige, bisher nicht hinterfragte, Behauptung
im Rahmen der ökonomischen Theorie des Marxismus zu sein. Und es wird noch
deutlich werden, dass diese von Marx behauptete Diskrepanz wesentlich dafür
wird, dass Marx nicht Reformer, sondern Revolutionär wird.
[62] Marx, GR, S., S.
30. Dazu der Beitrag „Der versteckte
Hintergrund“ – hier auf dieser Plattform.
[63] Marx, GR, S.
409.
[64] F. Engels (MEW 21, S. 141 ff., besonders S. 149-152) bezeichnet es bekanntlich als die „historische Tat der Deutschen“, ihre unentwickelten Zustände in die Konkursmasse Roms eingebracht zu haben. „Aber nicht ihre spezifischen nationalen Eigenschaften waren es, die Europa verjüngt haben, sondern einfach – ihre Barbarei, ihre Gentilverfassung“, ihr noch vor der Institutionalisierung stehendes „Gemeinwesen“. Zustände, die elastisch genug sind, um „Brücke“ zwischen Rom und der Neuzeit zu sein, die es ermöglichten, „aus dem Schlamm der Römerwelt neue Staaten entstehen zu lassen.“ Das deckt sich mit Hegel, der (in § 358 R) sagt, dass die Verbindung, die die Germanen mit Rom eingehen, einen „Wendepunkt“ darstellt.
[65] L (B), S. 38.
[66] MEW 23, S. 743.
[67] Vgl. MEW 23, S. 756f.
[68] MEW Bd. 23, S.
189.
[69] § 99 u. §§ 953-957
BGB.
[70] § 206/A R –
Hervorhebung bei H.
[71] Bezogen auf die
Wendung vom „Rechtsstaat“ Weimarer Republik zum „Führerstaat“ A. Hitlers
schreibt C. Schmitt 1935: „In Wirklichkeit ist gerade der Rechtsstaat der
Gegenbegriff gegen einen unmittelbar
gerechten Staat.“ (Was bedeutet der Streit um den „Rechtsstaat“, ZgStw 95 [1935], S. 190. Hervorh.
bei C.S.).
[72] E. Paschukanis,
a.a.O., S. 34.
[73] MEW 23, S. 353.
[74] Während das
Naturrecht der Neuzeit nur das Recht der „produzierten“ Natur ist und als
solches ein Recht gegen die vorgefundene Natur.
[75] Gierke im
Artikel „Genossenschaftswesen“ für Bluntschlis „Staatswörterbuch“, zitiert bei H.
Spindler, Von der Genossenschaft zur Betriebsgemeinschaft. Kritische
Darstellung der der Sozialrechtslehre Otto von Gierkes, Frankfurt a.M.,
Bern 1982, S. 53. Circa 60 Jahre später schreibt E. Rosenstock (Vom
Industrierecht, Berlin u. Breslau 1926, S. 144) zum Thema: „Der einzelne
Arbeitsvertrag … ist nur die temporäre Konkretisierung der ‚höheren
Notwendigkeit‘, Arbeitsverträge einzugehen.“
[76] § 260/Z R.
[77] § 39 R.