1. Zum Naturrechtsaufsatz:
Die Positivität des „Ganzen“ – Hegels Vermächtnis an
uns
Vorbemerkung
Vor den
Augen des Publikums zerfällt auch im verspäteten Deutschland jenes
„naturwüchsige“, auf „Blut und Boden“ beruhende, Gemeinwesen, in dem bisher die
beiden Naturen, die „vorgefundene“[1] oder „primäre“ und die menschgeschaffene oder
„produzierte“ Natur, zur Einheit gebracht waren.
Was
ändert sich dadurch in Sachen „Natur“ und „Naturrecht“? Was sollten Philosophie
und Rechtswissenschaft gefälligst zur Kenntnis nehmen?
Darauf
sucht Hegel eine Antwort.
Beide
Naturen sind nun ihrer bisherigen Verklammerung los und ledig. Beide sind nun
frei. Und besonders frei sieht sich die „produzierte“ Natur geworden. Sie, die
jetzt einen Namen bekommt und „bürgerliche Gesellschaft“ heißt, gibt vor, die menschliche Natur zu sein. Und war es
so, dass im „naturwüchsigen“ Gemeinwesen die „primäre“ Natur vorherrschte, so
ergreift jetzt sie die Vorherrschaft. Ein Wechsel, der auf der Ebene des Rechts
von der Herrschaft des „älteren“ zu jener des „neueren“ Naturrechts führt. Er
wird von der tonangebenden Philosophie wie auch von der Rechtswissenschaft
begrüßt. Anders Hegel. Er sieht darin eine ungeheure Verschärfung jener Frage,
die er als die Schicksalsfrage des
Menschen ansieht – die Frage seines jetzigen und künftigen Umgangs mit der
„primären“ Natur. Denn mit der „produzierten“ erwächst der anderen Natur ein
Gegner, der – bleibt er sich selbst überlassen – das Potential in sich trägt, sie
unter sich zu begraben.
Damit
sind wir beim Aufsatz.
Es ist das Schicksal des Menschen, Geschöpf und
Schöpfer, Tier und „Geist“[2] zugleich zu sein. Als Geschöpf, als
„Tier-Mensch“, ist er Bestandteil der „vorgefundenen“ Natur. Was ihn aber als
„Geist-Mensch“ daraus heraushebt, ist, dass er als solcher ein denkendes und planvoll
handelndes Wesen ist. Als „tätiger Geist“, als „Wille“, erschafft er sich eine
eigene Natur. Als „zweite“, als „produzierte“ Natur, tritt sie zur
„vorgefundenen“ hinzu.
Beide Naturen verhielten sich bislang
zueinander als „Verschiedene“, jetzt aber stehen sie sich als
„Entgegengesetzte“[3] gegenüber. Was sind die Folgen? Und wie ist
mit ihnen umzugehen?
Das Generalthema seiner
praktischen Philosophie ist eröffnet: Die Frage, was jetzt „Natur“ und
„Naturrecht“ bedeuten - jetzt, nach dem Zerfall des „naturwüchsigen“
Gemeinwesens.
Hegel zeigt uns im Aufsatz einen
Begriff von „Natur“ und von „Recht“, der sich von dem damals (und auch noch heute) herrschenden in wichtigen Punkten
unterscheidet – und erst noch verstanden werden will. In seiner „Logik“ und in der „Rechtsphilosophie“
des Jahres 1821 breitet er ihn näher aus. Aber das Fundament ist hier gelegt.
Ein Paukenschlag ziemlich am Anfang seiner wissenschaftlichen Karriere. An beiden
Gegenständen entwickelt er zum ersten Mal jenen „neuen Begriff wissenschaftlicher
Behandlung“[4], der sein Werk prägen wird. Alle
Grundelemente seiner Philosophie finden wir hierin ausgebildet, was den Aufsatz
zu einer „Vorausangabe“[5] seiner späteren Werke macht.
Eine „Vorausangabe“, in der man – hat man sich erst einmal an den Stil gewöhnt
– vieles „frischer, ja teilweise wahrer“[6] angesprochen findet als in der
achtzehn Jahre späteren „Rechtsphilosophie“.
Den Gegner sieht Hegel in einer Philosophie,
die sich von der „Macht der Entzweiung“ leiten lässt bzw. sich ihr unterwirft.
Sie verliere sich in den „Bestimmtheiten“; nur das zähle für sie noch, was um
diese zentriert sei. Gerade jetzt sei es aber notwendig, den „Begriff ihres
allumfassenden Zusammenhangs“[7] zu bewahren; den Begriff des
„Ganzen“. Das „Generalthema“: die Frage, was
jetzt das „Ganze“ ist bzw. wie
dieses jetzt wirkt, werde daher von ihr nicht adäquat behandelt, ja nicht
einmal erkannt.
Er diagnostiziert eine verzerrte,
„vereinseitigte“ Wahrnehmung der Wirklichkeit. Mit ihr verfehle die Philosophie
gegenüber der Rechtswissenschaft und dem positiven Recht nicht nur die Aufgabe,
ihnen das Allgemeine aufzuzeigen, in das das Recht als Besonderes eingebettet
ist, sondern bestärke diese noch in einem selbstgenügsamen Positivismus. Beide
Wissenschaften leisten damit Verzicht auf die Erforschung jenes
Teils der Wirklichkeit, der „seinem Werden nach außerhalb der Wissenschaft des
Rechts“[8] gelegen ist, ein Verständnis des
Rechts aber erst ermöglicht. Und wenn es auch so scheint, als gehe dies
lediglich auf Kosten eines ohnehin antiquierten Staates: Schiebt man den Schein
beiseite, zeigt sich das eigentliche Resultat der „vereinseitigten“
Wahrnehmung, nämlich die Ausstoßung der „primären“ Natur aus dem
Gegenstandsbereich des Rechts.
Das vormalige „Ganze“ ist nicht
durch eines seiner Teile ersetzt; das „Ganze“ und die „Teile“ bestehen fort! Aber das erschließt sich uns nur
mittels einer neuen wissenschaftlichen Methode. Hier, im Aufsatz, ist sie erstmals,
wenn auch in ungelenker Form, vorgestellt und gehandhabt. Eine Methode, die uns die Wirklichkeit im 3D-Format, „räumlich und
zeitlich“ zugleich[9], zu zeigen imstande ist.
Aber statt ihre Nähe zu suchen,
scheuen beide Wissenschaften vor ihr zurück. Bis heute. Und weltweit. Die
„Macht der Entzweiung“ erweist sich als handfeste Erkenntnisschranke. Im
Deutschland der Jahre 1945ff. kommt hinzu, dass auch die verfälschende
Inanspruchnahme Hegels während des „Dritten Reiches“ und während der Zeit des
„realen Sozialismus“ nachwirkt. Alles im allen Grund genug, um Abstand zu halten.
Und wenn Philosophie, dann Kant, nicht Hegel! Aber wollen wir den Anforderungen
der Zukunft gerecht werden, dürfen uns die früheren Fehldeutungen seiner
Methode nicht abhalten, um mit ihrer Hilfe Antworten darauf zu finden, was zu
ändern und umzubauen ist, damit unser Staat und unser Recht zu einem Staat und
einem Recht auch für die „primäre“ Natur werden.
I.
Eine „Tragödie
im Sittlichen“
Teil 1: Der historische und logische Hintergrund
Hegel lebt in einer „Zeit der Geburt und des
Übergangs zu einer neuen Periode“[10]. Vor seinen Augen haucht das Heilige römische
Reich deutscher Nation, das letzte große „naturwüchsige“, nach Art eines
Organismus organisierte und funktionierende, Gemeinwesen in Zentraleuropa, sein
Leben aus. Es ist schon lange, die letzten Jahrhunderte, in „elender
Verfassung“. Aber nun, 1800, steht fest: „Deutschland ist kein Staat mehr.“[11] Wer beerbt es, was folgt ihm nach?
Was dieses verwesende Gebilde schon jetzt in
dutzendfacher Variation hervorgebracht hat, sind Staaten neuen Typs. Sie alle
sind noch, mehr oder weniger, dem Alten verhaftet, keiner ist als moderner
Staat fertiggestellt. Eine neue Welt mit einer neuen, schwierigeren Art des
Zusammenlebens ist im Entstehen. Ein Tod und eine Geburt. Staaten steigen empor,
in denen die beiden Naturen, bisher Glieder eines Organismus, auf neue Weise
ins Verhältnis gesetzt sind. Aber wie? Der Vernunft folgend nach den logischen
Grundsätzen des Verhältnisses des Ganzen und der Teile oder in der Weise einer
bloßen Umkehrung?
Deutschland ist spät dran. In England und Frankreich ist der
Übergang längst erfolgt. Was ist von dort zu lernen, was nicht? Jene Fragen stehen an, die den Untergang der
feudalen Gemeinwesen überall begleiten. Wie geht es weiter? Was
folgt nach? Es drängt sich hier, in Deutschland, geradezu auf, die vor der Tür stehende
bürgerliche Gesellschaft anhand der dort gemachten Erfahrungen zu messen. Und
es gilt, die Vorschuss-Lorbeeren, mit denen die Philosophie der Aufklärung die
bürgerliche Gesellschaft bedacht hat, zu überprüfen. Hat die bisherige Praxis
diese bestätigt? Und wenn nicht: Welche Korrekturen sind vorzunehmen, welche
Schlüsse sind aus den erhobenen Befunden zu ziehen?
Das Deutschland dieser Zeit: der ideale
Nährboden für Denker vom Schlage Hegels.
Ein
Ruck geht durch die Geschichte. Er bringt das Ende eines „Ganzen“, das „ein
Vielfaches nicht von Teilen, sondern von Gliedern“ war.[12] Der Organismus löst sich auf. Dessen Glieder werden zu „Teilen“; zu Teilen, die,
oberflächlich gesehen, „Totalitäten“ zu sein scheinen. Die „Glieder“ standen
sich arbeitsteilig zur Seite. Jetzt aber, als Teile, sind sie
„Entgegengesetzte“. Ein bedeutsamer Unterschied. Und er wird noch bedeutsamer
dadurch, dass die Vorherrschaft
im „naturwüchsigen“ Gemeinwesen bei der „primären“ Natur lag, sie aber jetzt
auf die „produzierte“ überwechselt. Wir stehen also vor einer Entgegensetzung,
die zugleich eine Umkehrung der Machtverhältnisse ist.
Hier
setzt Hegel ein. Die bisherige Philosophie hat den skizzierten Prozess falsch
interpretiert, erkennt er, nämlich einseitig aus der Sicht des Neuen, also der
„produzierten“ Natur und ihrer Mitglieder. Und nicht nur das! Über die
Vorherrschaft hinaus wird diese Natur jetzt als das „Ganze“ angesehen. Aber
„Krankheit und der Anfang des Todes [ist] vorhanden, wenn ein Teil sich selbst
organisiert und sich der Herrschaft des Ganzen entzieht“[13]. Denn was wird mit der anderen, der „primären“
Natur, wenn sie jetzt als unselbständiger und „mundtot“ gemachter Bestandteil
in eine politische Organisation „eingebaut“ wird, deren Prinzip und System „auf
Besitz und Eigentum geht“[14]?
Dieser
Zusammenbruch des „naturwüchsigen“ Gemeinwesens: das ist kein bloßer
Zerfall! Eine „Aufhebung“ ist im
Gange. Ein Organismus wandelt sich in
das wesentliche „Verhältnis des Ganzen und der Teile“[15]. Beide, Teile und Ganzes, bedingen sich
gegenseitig; jede Seite setzt die andere voraus. Der Logik folgend, sind die
jetzigen Teile also nicht Totalitäten, sondern nur „relative Totalitäten“[16], deren „Entgegensetzung“ durch das „Ganze“
vermittelt wird. Es gilt:
„Das
Ganze ist das Selbständige, die Teile sind nur die Momente dieser Einheit; aber
ebensosehr sind sie das Selbständige, und ihre reflektierte Einheit ist nur ein
Moment, und jedes in seiner Selbständigkeit
schlechthin das Relative eines
Anderen.“[17]
So müsste es gesehen werden. Die
„kritische Philosophie, welche sich transzendentalen Idealismus nennt“,
verschiebt indes jenes, in der „Wesenslogik“ beschriebene, Sein „als etwas
nicht Objektives, sondern dem Mitteldinge zwischen Nichts und Realität, der
Vermischung von Sein und Nichtsein“[18] Angehörendes vorsichtshalber vom
Diesseits ins Jenseits. Mag dieses „Dazwischen“ existieren oder nicht. Zum
„Ding an sich“ gemacht, ist es damit herausgenommen aus den Gegenständen der
empirischen Wissenschaften – und als solche betrachten sich beide, die
praktische Philosophie und die Rechtswissenschaft. Anders Hegel; er zeigt, dass
dieses „Ding an sich“ irdischer Natur ist. Er erkennt darin das „gestaltlose“
Sein.
Hegel
beschreibt, was zu seiner Zeit in Deutschland geschieht: „Die an und für sich seiende
Welt“, zuletzt existierend als unter Vorherrschaft der „primären“ Natur
stehendes und vom Monarchen repräsentiertes feudales Gemeinwesen, weicht zwei
„erscheinenden“ Welten. „Diese
Welt … ist zugrunde gegangen … Es sind zwei Totalitäten … entstanden …[, die]
zunächst … als gleichgültige Selbständige gegeneinander bestimmt“ sind. Dabei
kann es aber nicht bleiben. Das Verhältnis beider, jetzt gleichberechtigter,
Welten ist das „wesentliche Verhältnis“. Dieses „enthält bereits die bestimmte
Vereinigung beider.“ Nun die Einschränkung: Aber es ist „noch nicht das
wahrhaft Dritte zum Wesen und zur Existenz“[19]. „Zunächst“ und „noch nicht“ verweisen auf das
Vorläufige des erreichten Zustands. Erst dieses „wahrhaft Dritte“, eine
historisch neue Gestalt des „Gemeinwesens“, der „Vernunftstaat“, bringt den
Vorgang zu Ende. Aber dieses „Dritte“, die „vernünftige Institution“, stellt
sich nicht von selbst her. Hierzu ist unser Zutun erforderlich.
Keine
Vorherrschaft mehr. Weder die der einen, noch die der anderen Natur.
Wenn das
das Ziel sein muss, dann war die Philosophie der Aufklärung „blind“ dafür. Und
trotz aller positiven Ansätze: auch die jetzige Philosophie“ verfehlt dieses
Ziel. Und zwar deswegen, weil sie die
„Bestimmung der Einheit“[20] verfehlt. Sie fragt nicht, wohin die jetzige
Entgegensetzung führt, welche praktischen Folgen sie nach sich zieht. Und sie
fragt selbstverständlich auch nicht, wie ihnen entgegen zu wirken ist?
Gewiss,
die „produzierte“ Natur hat ihren Mitgliedern einiges zu bieten. „Glück“ für
alle, wenn auch in höchst ungleicher Dosierung. Das Glück der „Dinge“. Damit
wirbt sie, damit ködert sie uns. Aber
dürfen wir darüber übersehen, dass dieses Glück auf Kosten der anderen Natur
geht, die dafür zum Objekt und zu Baumaterial gemacht wird? Muss der Anspruch
dieser „Hälfte“, das jetzige „Ganze“
zu sein, nicht vielmehr hinterfragt und korrigiert werden? Für Hegel steht fest:
Der jetzige Zustand – zwei Naturen – bedarf einer „Vermittlung“. Denn er weiß,
dass auch das Entgegengesetzte „Fleisch von seinem Fleische“[21] ist. Dialektik ist „Fassen des
Entgegengesetzten in seiner Einheit“[22] Und diese „Einheit“ wiederum
verweist auf eine spezifische Form des Seins, auf die über die „Wesenslogik“ zu
erschließende „Einheitsnatur“.
Im Aufsatz umschreibt Hegel das
„Ganze“ mit dem „Begriff, worin er den Dualismus der praktischen Philosophie
Kant’s und Fichte’s aufhob“[23] – „Sittlichkeit“. Das „Ganze“
der beiden (Teil-)Naturen ist für ihn die „sittliche Natur“.[24]
Das „Ganze“, die „Sittlichkeit“,
die „Vernunft“: Für Hegel sind es Begriffe einer Ebene. Und sie sind auch der
Schlüssel zur Hieroglyphe[25] „Staat“. Sie führen uns zur
„vernünftigen Institution“[26], zum Hegelschen „Vernunftstaat“.
Die „Wesenslogik“ sagt uns: Auch
wenn der Schein es uns glauben machen will: das „Ganze“ ist nicht aus der Welt.
Es ist nur scheinbar zu einem Nichts geworden; es hat nur seinen
Aggregatszustand verändert. Auch jetzt – „gestaltlos“ geworden – wirkt es als
„Kraftzentrum“[27] fort. Und über die „Idee des
Ganzen“ werden wir daran erinnert, das, was vorerst nur als „wesentliches
Verhältnis“ existiert, in den Begriff oder, was das gleiche ist, in die
„Vernunftgestalt“ zu überführen.
Die Rolle der „Idee“! Sie lenkt
den Blick vom alten auf das neue Ganze. Und die „Vernunftgestalt“ legt Zeugnis
davon ab, ob und wie wir ihr gerecht werden. Und so zeigt sich, dass die Idee „überhaupt etwas Vernünftiges“ ist,
nämlich das „objektiv Wahre“.[28]
Hier
schließt sich der Kreis. Es wird deutlich, dass aus der Beziehung des Ganzen
und der Teile heraus der Staat notwendiger Teil einer philosophischen
Betrachtung des Rechts sein muss. Der damals[29] und noch heute oft unverstandene Untertitel
der „Rechtsphilosophie“ des Jahres 1821, „Naturrecht und Staatswissenschaft im
Grundrisse“, findet hierin seine Erklärung. Hegels Staat – er darf nicht
verwechselt werden mit dem „Not-und Verstandesstaat“ der bürgerlichen
Gesellschaft[30] - versteht sich als die „Macht des Ganzen an
die beiden Seiten, die einander gegenüberstehen“[31]. Er vermittelt die zwei Naturen; er ist ihre
(neue) politische Organisation.
„Aufhebung“! Geschichte nicht als „Umkehrung“, sondern als Prozess, der eine „ursprüngliche Einheit“ in
eine historisch neue Gestalt von Einheit überführt.[32] Nur sie führt nach vorn. Nur sie
wird dem Ganzen und den Teilen
gerecht.
Die „Aufhebung“, dieses
Grundelement der hegelschen Philosophie, ist der logische Kern der Geschichte.
Bezogen auf die „sittliche Natur“ und das „sittliche Recht“, beschreibt er sie
bereits im Aufsatz[33]: Auf der ersten Stufe des
Prozesses, der „Negation“, beobachten wir den Zerfall der „sittlichen Natur“ in
Teile, in die „Bestimmtheiten“ primäre
und produzierte Natur. Zugleich zerfällt das „sittliche Recht“ in „Moralität
und Legalität“[34]. Das Ganze und dessen
Repräsentant: der bisherige Staat, scheinen zu einem Nichts geworden zu sein.
Nur noch die Teile scheinen Realität zu haben. Wo das „Ganze“ war, klafft jetzt
eine Lücke. Nur eine „trübe Ahnung“[35] sagt uns, dass es bei ihr nicht
bleiben darf. Und sie drängt uns,
„Lückenbüßer“ zu suchen. Und was wird gefunden? „Abstraktionen“ und
„wesenlose Gedankendinge“.[36]
Nun ist es seitens der
Wissenschaft natürlich nicht falsch, sich dieser „Bestimmtheiten“ anzunehmen.
Falsch ist es aber, wenn sie darüber das „Ganze“ vergisst. Das aber wirft Hegel
den kritisierten „Behandlungsarten“ vor.
Der Prozess verharrt nicht beim Zerfall.
Eine zweite Stufe schließt sich an, die die „Aufhebung des Außereinander“[37] in der „Vernunftgestalt“
bewirkt. Allerdings geschieht das nicht ohne unser Zutun. Selbst bringt der
Prozess nur das „wesentliche Verhältnis“ hervor, das sich, bleibt es „gestaltlos“,
nur hinter unserem Rücken Gehör verschafft.[38] Bleibt unser Beitrag aus, kommt
der Prozess nicht zum Abschluss. Leisten wir ihn, stehen wir vor der historisch
neuen Gestalt - der „vernünftigen Institution“.
Die „Aufhebung“ überführt das
Mittelalter in die Moderne. Aber vorherrschend sind damals unhistorische
Auffassungen, die die bisherige Geschichte mit „Rom“ enden und die „neue“
Geschichte mit „Rom“ beginnen lassen. Für sie gilt das Mittelalter, wie F.
Engels kritisch kommentiert, „als einfache Unterbrechung der Geschichte durch
tausendjährige Barbarei“[39]. Eine Fehleinschätzung, die fatale Folgen nach
sich zieht. Hegel schließt sich ihr nicht an. Für ihn ist auch das Mittelalter
eine Zeit, in der sich der „allgemeine Geist“ verwirklicht. Hier vollzieht sich
ein „Wendepunkt“[40] im Stufengang der Weltgeschichte, weil in ihr
das „Entweder-Oder“, in das „Rom“ sich zuletzt verrannt hatte, durch ein
„Sowohl als auch“ ersetzt wird. Nicht das zivilisierte „Rom“ führt uns in die
Moderne, sondern die germanischen Völker gebieten mit ihrer scheinbaren
Barbarei über das „geheimnisvolle Zaubermittel“[41], das uns an sie heranführt.
Hegel
macht es sich nicht leicht. Seine ganze Philosophie kreist um die Frage, was
geschieht, wenn es bei der bloßen „Umkehrung“[42] bleibt. Ja, die Auflösung des Organismus ist Resultat
der Entwicklung. Kein Weg führt an sie vorbei. Das Existenzrecht der
„produzierten“ Natur, ihre jetzige Freiheit, ist unbestritten. Aber was ist mit
der „primären“ Natur? Auch sie hat ein solches Recht, noch dazu, da sie ja die
Nährmutter auch der „produzierten“ Natur ist und bleibt. Letztere aber hat
einen gefährlichen Hang zur Maßlosigkeit, damit zur Zerstörung und
Selbstzerstörung. Anfangs unscheinbar wie ein Schneeball, wird sie bald
donnernd ein Dorf unter sich begraben. Sie steht für Wachstum. Sie steht für:
„Explorieren der ganzen Natur“, für: „Exploration der Erde nach allen Seiten“[43]. Hegel sieht also bereits den Moloch unserer
Zeit vor sich. Und schon damals sorgt diese neue Natur dafür, dass nun das Aus
kommt für Philosophien, die sie von der Warte des „Ganzen“ beurteilen. Das
„Bedürfnis“[44] nach solcher Philosophie deckt sich nicht mit
den Bedürfnissen der „produzierten“ Natur. Es ist also nicht von Ungefähr, dass
dem Höhenflug, den die deutsche Philosophie mit Kant, Fichte, Schelling und
Hegel erlebt, bald eine nahezu
philosophielose Zeit folgen wird, ja dass das Zeitalter der Philosophie
überhaupt durch das Zeitalter der Ideologien abgelöst wird.
Den Staat trifft es am meisten. Er wird als
Staat eines „Ganzen“ zusammen mit seiner historisch überlebten Gestalt als
Feudalstaat verworfen. Wenn heute vom Staat geschrieben wird, stößt man nur auf
„Seichtigkeit“ empört Hegel sich mit Blick auf Fries. Und: „[Ü]ber die Natur des Staates
noch philosophisch zu sprechen“, sei „fast gar zur Unehre geworden“. Angesichts
der Versuche, den modernen Staat vom Vertrag, vom Volk oder von beiden
abzuleiten, merkt er an: Als ob noch nie
ein Staat existiert hätte! „[A]ls ob man jetzt …ganz von vorne anzufangen, und
die sittliche Welt nur auf ein solches jetziges Ausdenken und Ergründen und
Begründen gewartet habe.“[45]
Keine
bloße Umkehrung! Sie führt nicht nach vorn, sondern in eine Sackgasse. Egal, ob
sie sich gegen das „naturwüchsige“ Gemeinwesen richtet oder dieses – wie bei
von Haller[46] – wiederherstellen will: das ist undialektisch
und betont jeweils „nur das eine,
darum einseitige Moment der Idee des
vernünftigen Willens“[47].
Nicht
bloß der subjektive Wille der einen oder anderen Natur! Auch der objektive
Wille des fortbestehenden „Natur-Ganzen“ muss in Freiheit gesetzt werden. Und
das heißt jetzt, wo die „produzierte“ Natur dabei ist, die Herrschaft an sich
zu reißen, ihr Schranken zu setzen. Schranken, die diese Natur vor sich selber
schützen, aber vor allem solche, die der „primären“ Natur Schutz bieten. Es ist
also keineswegs ausgleichende Gerechtigkeit, dass nach einer tausende von
Jahren währenden Vorherrschaft der „primären“ Natur, nun die Zeit folgt, in der
diese Vorherrschaft zur anderen Natur überwechselt. Schließlich ist und bleibt
es dabei, dass die „primäre“ Natur der Urgrund von allem ist, auch der
„produzierten“ Natur. Emanzipation kann also nicht Vorherrschaft bedeuten,
sondern lediglich ein erwachsenes, gleichberechtigtes, Verhältnis der beiden
Naturen. Da sich dieses nicht von selbst herstellt, ja allein dadurch ständig
gefährdet wäre, weil der „produzierten“ Natur jener Drang nach grenzenloser
Expansion innewohnt, muss
es beim Verbund beider Naturen in einem „Ganzen“ bleiben.
England
und Frankreich. Ist das der richtige Weg? Hegel lernt von dort, aber er jubelt
nicht. Er stellt sich hinter die bürgerliche Gesellschaft, denn diese ist so
unaufhaltsam wie notwendig. Aber er vergisst darüber nicht die „vorgefundene“
Natur. Und wie die schon vorliegenden Erfahrungen zeigen: sie muss jetzt vor
Ausplünderung und Zerstörung durch ihr Gegenüber in Schutz genommen werden.
Deshalb keine bloße „Umkehrung“! Sie ist nicht nur theoretisch falsch, sondern
gefährdet, wird sie praktiziert, den Bestand des „Ganzen“.
Heute,
wo wir vor den Folgen einer
250-jährigen Fehlentwicklung stehen, kann die Weitsicht Hegels nicht hoch genug
geschätzt werden.
Kommen
wir darauf zurück:
Der Zerfall
des Organismus verwandelt dessen bisher arbeitsteilig zusammen wirkende Glieder
in Teile. Aus „Verschiedenen“ werden „Entgegengesetzte“. Zugleich wird eines
der Teile zum (neuen) Ganzen erklärt. Die Folge: Stand das „Politische“ bisher
für die Vermittlung des Gegensatzes der beiden Naturen, so steht es jetzt für
die Vermittlung des Gegensatzes von Staat und Gesellschaft. Der obsolet
gewordene feudale Gemeinwesen-Staat wird nicht in den jetzt fälligen
„Vernunftstaat“ überführt, sondern wird durch den „Not- und Verstandesstaat“
der bürgerlichen Gesellschaft ersetzt, also durch einen Staat, der sich als die
politische Organisation nur der
„produzierten“ Natur versteht.
Aber 1802, auch 1820, ist alles
noch in Gärung. Die Trümmer des Alten wie das bereits vorhandene Neue sind vom
Nebel umhüllt. Was Hegel also mit seiner Schrift leistet, ist nicht einfach nur
die Interpretation eines bereits Vorhandenen, sondern ein Vorgriff auf die
nähere und fernere Zukunft, der ihm auf Grund einer sorgfältig erhobenen Analyse
möglich wird.
Teil 2: Der ökonomische Hintergrund
Das
materielle Substrat des „wesentlichen Verhältnisses“ der beiden Naturen war,
ist und bleibt der „Stoffwechsel“ zwischen ihnen. „Stoff“ der „primären“ Natur
wechselt, „unterwegs“ verarbeitet zu den tausenderlei Dingen, die uns das
„Glück“ bedeuten, im stetigen Fluss zur „produzierten“ Natur über. Rein
quantitativ gesehen: Ein Ab- und Aufbauprozess; ein Prozess, der, wie wir schon
lange wissen, zu Lasten der „primären“ Natur geht und sie längst überfordert.
Solange das „naturwüchsige“ Gemeinwesen bestand vollzog er sich unter ihrem
Dach. Wie ist es jetzt – nach dessen Zerfall und nach dem Überwechseln der
Vorherrschaft von der „primären“ auf die „produzierte“ Natur?
Das
„Ganze“ scheint „halbiert“ zu sein, das frühere Gemeinwesen scheint sein
weiteres Leben als bürgerliche Gesellschaft fortzusetzen. Und auch vor dem
Stoffwechselprozess und vor dem sittlichen Recht macht die „Halbierung“ nicht
halt! Ersterer zerfällt in Aneignung und Eigentum, letzteres in Moralität und
Legalität. Und der Mensch? Er wird zur „Person“ – zu einer Symbiose aus
Objektivem (der „Stoff“) und Subjektivem (der Mensch).[48] Das Produzieren steht nun nicht mehr unter der
Aufsicht des „Ganzen“, sondern findet in einem Niemandsland statt, das dem
Recht nur am Rande unterstellt ist, nur insofern darin „die Seite des abstrakten
Rechts enthalten“ ist.[49] Das Ergebnis: die „primäre“ Natur[50] steht jetzt außerhalb. Sie ist damit
entsubjektiviert, sie ist bloßes Objekt der Ausbeutung.
Wir
stehen jetzt, nach Zerfall der „Einheits-Natur“, vor dem Generalfall dessen,
was sich Marx als „Ausbeutung des Lohnarbeiters“ zum Thema gemacht hat: vor der
Ausbeutung der „primären“ durch die „produzierte“ Natur.
Tragisch
– diese Loslösung der „privaten Eigentumsinteressen aus der Totalität des
Ganzen.“[51] Das Recht „philosophisch“ zu sehen, verlangt
uns deshalb ab, es vom „Stoffwechselprozess“ her in den Blick zu nehmen. Eine
ganze Dimension wird so erschlossen. Wir gelangen zu einem Rechtsbegriff, der
die Pflicht gegenüber der „primären“ Natur in den Gegenstand des Rechts und der
Rechtswissenschaft zurückführt. Denn was wir vergessen haben, besser: was uns
vergessen gemacht wurde: „Dasselbe, was ein Recht ist, ist auch eine Pflicht,
und was eine Pflicht ist, ist auch ein Recht.“[52]
Das Recht, sich per
„Stoffwechsel“ die „primäre“ Natur anzueignen ist verknüpft mit der Pflicht,
dies so zu tun, dass sie erhalten bleibt. Keine Aneignung, die über ihre
Reproduktionskraft geht!
„Pflicht“![53] Nicht einer „Obrigkeit“
gegenüber, sondern zwecks Erhalts der Natur.
Aber diese Natur wird jetzt zur
Seite geschoben. Stand in der Mitte des bisherigen Rechtsbegriffs das
Verhältnis der beiden Naturen zueinander, so kommt nun ein Rechtsbegriff auf,
in dessen Mitte die Binnenverhältnisse der „produzierten“ Natur stehen, also
die Verhältnisse ihrer Atome. Der gesamte „Rechtsstoff“ wird neu sortiert. Ein
„Absondern und Fixieren“[54] findet statt. Der
„Stoffwechselprozess“ wird nur als Eigentum, nicht auch als Aneignung
wahrgenommen. Nur noch der Austausch des Angeeigneten untersteht dem Recht,
nicht auch die Aneignung selbst. Damit ist die „primäre“ Natur und mit ihr: der
Prozess ihrer Aneignung, aus dem Rechtsbegriff verstoßen.
Nicht, dass die
Binnenorganisation der „produzierten“ Natur nicht neu zu ordnen gewesen wäre!
Aber wie das geschieht, nämlich nach dem Schema des „Entweder-oder“, wird Hegel
zu kritisieren nicht müde.
Der Schwenk vom „älteren“ zum
„neueren“ Naturrecht ist vollzogen. Ersteres exekutierte, in welch ungenügender und nun auch überlebter Weise
auch immer, die Einheit beider Naturen. Und damit die Pflicht der „primären“
Natur gegenüber. Das jetzige, das „neuere“, nur der „produzierten“ Natur
zugeordnete Naturrecht kommt ohne diese Pflicht aus. Eine neue Art Recht tritt auf den
Plan. Wir stehen vor dem „abstrakten Recht“, zu dem Hegel unter dem behandelten
Aspekt ausführt: „Die Notwendigkeit dieses Rechts beschränkt sich aus demselben
Grunde seiner Abstraktion auf das Negative, die Persönlichkeit und das daraus
Folgende nicht zu verletzen. Es gibt
daher nur Rechtsverbote, und die positive Form von Rechtsgeboten hat ihrem
letzten Inhalte nach das Verbot zugrunde liegen.“[55]
Im Übrigen: Die Pflicht ist damit nicht ganz aus der
Welt. Sie ist jetzt zum „Sollen“ gemacht und als solches der Moralität
überantwortet.
„Pflicht“ ist jetzt nur noch,
dass die eine das Recht der anderen Person respektiert. Weil abgekoppelt von der Pflicht gegenüber der
„primären“ Natur, bezeichnet Hegel es, im Unterschied zum früheren
(unbeschränkten = sittlichen“ Recht), als das „beschränkte juristische Recht“[56]. Wird das 16. Jahrhundert noch von der „alten“
Einheit dominiert, so haben wir bereits 100 Jahre später eine völlig andere
Sach- wie „Theorielage“.[57] Die „Belastung“ des „Stoffwechsels“ mit der
„Pflicht“ ist „vom Tisch“. Freiheit! In England bereits in der Praxis, auf dem
Kontinent vorerst nur theoretisch.
„Der absolute Übergang ins Entgegengesetzte“[58] ist vollzogen.
Wir befinden uns mitten drin: in der „Tragödie
im Sittlichen“[59].
Das „beschränkte“, man kann auch sagen:
halbierte, Recht macht jetzt das Rennen. Es findet in Deutschland tüchtige
philosophische Vordenker in Pufendorf und Thomasius. Auch in Kant, gegen dessen
Rechtslehre sich Hegel explizit wendet, weil auch sie, zwar deutlich abgemildert und abgegrenzt von den Urvätern
des neueren Naturrechts, nur „eine negative Bestimmung“[60] enthält und zu einem Recht führt, das
„Naturbeherrschungsrecht“[61] ist.
Damit „ist das Urteil über das Prinzip der
Pflicht und des Rechts“ zugunsten einer „Heteronomie der Willkür“ entschieden,
heißt es, gegen Kant gerichtet, im Aufsatz.[62] Aus der Sicht der „primären“ Natur: ein
„Naturunrecht“[63] etabliert sich; ein „Naturunrecht“, das auf
der anderen Seite den Mitgliedern der „produzierten“ Natur pflichtlose
„Freiheitsrechte“ beschert.
Dieses „Naturunrecht“ wiederholt auf der Ebene
der Naturen eine Rechtslage, die wir im antiken Rom auf der Ebene ihrer
Mitglieder praktiziert sehen: Ein Recht, dessen Subjekt nur der „Freie“, der
Römer ist. War damals der Sklave aus dem Begriff des Menschen ausgeschlossen,
so jetzt die „primäre“ Natur aus dem Begriff der Natur. Auf diesem Hintergrund
versteht sich die (häufig missverstandene[64]) Kritik Hegels am römischen Recht. Dieses
Recht, das jetzt in Deutschland von Savigny reaktiviert wird, passt zur
jetzigen Rechtlosigkeit der „primären“ Natur. Und genau deshalb kritisiert es
Hegel. Er zieht das preußische ALR einem wiederbelebten römischen Recht vor.
Was für seinen Gegenspieler nichts anderes ist als „Sudelei in Form und
Materie“[65], hat für ihn, ungeachtet aller
Unzulänglichkeiten, das Verdienst, ein Gesetzbuch für das „Naturganze“ zu sein.[66]
Teil 3: Die „Umkontextierung“ des Rechtsbegriffs
180 Jahre später setzt sich N. Luhmann mit der
Frage auseinander, welche Folgen die Verstoßung der Pflicht aus dem
Rechtsbegriff nach sich zieht. Sein Gedankengang: Ursprünglich verstand sich das
Recht als die Einheit von subjektivem Recht und („subjektiver“) Pflicht. Oder
wie stattdessen gesagt werden kann: als „Einheitsrecht“ im Sinne von „Nomos“. Dem
Recht, die „primäre“ Natur anzueignen, stand die Pflicht gegenüber, dies
naturverträglich zu tun. Jetzt aber haben wir ein pflichtloses Recht, dem eine
rechtlose Pflicht gegenüber steht. Daran knüpft er folgende Überlegung: eine
Einheit, hier: die Einheit „Recht“, ist ein Paradoxon, wenn sie sich nicht auf
ein „Entgegengesetztes“ bezieht. Denn wie Hegel sagt: „Wären auf einer Seite
alle Rechte, auf der anderen alle Pflichten, so würde das Ganze sich auflösen.“[67] Wie aber ist die Einheit herzustellen, wie ist
sie überhaupt zu begründen, wenn – wie jetzt – die „primäre“ Natur als
Rechtsubjekt weggefallen und zum bloßen Objekt geworden ist? Luhmanns Antwort[68]: Um weiterhin der Logik zu genügen, setzt ein
Vorgang der „Entparadoxierung“ ein. Für das ehemals auf die „primäre“ Natur
entfallende Recht wird innerhalb der „produzierten“ Natur eine Ersatzgröße
gesucht und im „Unrecht“ gefunden. Recht versteht sich nun als die Einheit von
subjektivem Recht und subjektivem Unrecht; es ist damit, reduziert um die
(frühere) Pflicht, vollständig in die „produzierte“ Natur verlagert. Luhmann
spricht von der Schaffung einer Schein-Differenz, die, zum „Code“ gemacht,
Ausgangspunkt für Programme wird, die mit Positionen und Gegenpositionen
hantieren, „ohne die Frage nach der Einheit des Codes zu stellen.“[69] Was außerhalb liegt wird ausgeblendet.
Der Code schafft damit eine Totalität, aber eine unechte.
Der jetzige Rechtsbegriff sagt der Person:
Du tust Recht daran, die „primäre“ Natur anzueignen.
Unrecht aber ist es, wenn Du einer anderen Person das Angeeignete streitig
machst, indem Du dich als Dieb, Räuber oder Betrüger betätigst.
Naturaneignung – ja! „Umverteilung“ dieser Art
– nein!
Dem Recht Genüge getan ist nur mit der
Umverteilung durch Austausch.
So zu verstehen ist die Aussage
des § 39 R: Die Person verhält sich zur anderen Person austauschend, zur
„vorgefundenen Natur“ jedoch ausbeutend. Im nachfolgenden § 40 präzisiert er
und unterscheidet folgende Formen des Eigentumserwerbs:
-
Durch
Aneignung (Stoffwechsel); das mittels Arbeit Angeeignete verbleibt beim
Aneignenden. Das Angeeignete wird unmittelbar zu Eigentum.
-
Durch
Austausch; in diesem Fall wird das mittels „Stoffwechsel“ Angeeignete für den
Aneignenden nur Besitz. Es ist nicht
für ihn selbst bestimmt, sondern für Dritte. Die ökonomische und juristische
Gegenseitigkeit wird beschrieben: Jeder erlangt das Produkt des anderen.
Mittels des Vertrages gelangt das Angeeignete in die Hand derer, die es
brauchen. Ein Auseinanderfall von Aneignung/Aneignenden und
Eigentum/Eigentümer, der in der warenproduzierenden Gesellschaft zum
Generalfall des Eigentumserwerbs wird.
-
Dadurch,
dass Ich Unrecht begehe. In solchen Fällen bringe Ich das gemäß a Angeeignete
unter Aussparung des unter b geschilderten Austausches an mich – durch „Unrecht
und Verbrechen“.
Erwerb von Eigentum. Einmal auf
direkte und zum anderen, vermittelt durch den Vertrag, auf indirekte Art.
Die frei gewordene „produzierte“
Natur mobilisiert ihre Glieder, die „Personen“, mit deren Hilfe sie die
Ausbeutung ihres Gegenübers betreibt, macht auch sie frei und belohnt sie für
ihr Engagement mit dem Glück, das sie zu bieten hat: den aus der Aneignung
hervorgehenden „Dingen“. Recht
und Rechtsgesetze sind jetzt ganz in den Dienst dieser Natur gestellt. Und wer
sie nutzt und tut, was die „produzierte“ Natur fordert, wird im
Durchschnittsfall belohnt. Wer dies nicht kann oder will, wird ihre Glücksgüter
entbehren müssen, es sei denn er erbt reich.
Der Schwenk von der Einheit zweier
„Entgegengesetzter“ zu einem dieser „Entgegengesetzten“ bringt das Aus für das
„Einheitsrecht“. Wie die „sittliche Natur“ in „produzierte“ und „primäre“,
zerfällt es in „Moralität und Legalität“. Das „Einheitsrecht“ ist nun nicht
mehr zeitgemäß; es genügt der „Freiheit“ der jetzt tonangebenden Natur nicht,
die darin besteht, gegenüber der anderen Natur ein unbeschränktes, mithin:
pflichtloses, Aneignungsrecht zu haben. In zwei Schritten, im
„Zweischrittverfahren“ wie Luhmann[70] sagt, wird das Recht daher
jetzt der „völlig anderen Theorielage“ angepasst. Im ersten Schritt wird es von
der Pflicht getrennt, besser wohl: von ihr befreit. Damit ist das Recht als
„Einheit“ (von Recht und Pflicht) zerstört. Aus der Sicht des „Zeitzeugen“ Jeremy
Taylor (auf den Luhmann sich bezieht) führt das dazu, dass das bisherige „law“
in „rights“ zerfällt. Da die „rights“ pflichtlose Rechte sind, ist damit im
Englischen bereits begrifflich der Unterschied zwischen dem früheren und dem
jetzigen Recht deutlich gemacht. Im Deutschen ist diese Unterscheidung
unbekannt, ein Grund für Hegel, den Unterschied im Begriffspaar Sittlichkeit –
Recht auszudrücken. Mit diesen „rights“, mit diesen „abstrakten“ Rechten ist
ein neues „Anfangsdatum“ (Luhmann), ein neuer „Anfangspunkt“ (Hegel) gesetzt. Aber
eben nur ein „Anfangspunkt“! Wird dieser zugleich zum Endpunkt gemacht, ist nur
jene „moderne Halbheit“ gewonnen, die wir nun allzu gern als „letztes Resultat“
der Wahrheit ansehen.[71]
Das „pflichtlose“ Recht ist uns als das
„subjektive“ Recht bekannt. Das ursprüngliche „Einheitsrecht“, - das „law“ –
ist nun ersetzt durch die „rights“, durch die subjektiven, „pflichtlosen“,
unvermittelten Rechte, also durch Rechte, „denen alle wesentlichen Momente des
Rechtes fehlen.“[72] Sie sind das Paradoxon,
von dem bereits die Rede war und die über die Ersatzgröße „Unrecht“
entparodoxiert werden. Recht versteht sich durch diese „Umkontextierung“[73] nun wieder als Einheit. Diesmal als Einheit
von subjektivem Recht und subjektivem Unrecht. Die Schein-Differenz ist zum „Code“ gemacht. Im 18. Jahrhundert ist
dieser Vorgang abgeschlossen. Die Spuren sind bereits verwischt. Der Weg vom
Recht (law) zu den Rechten (rights) ist unkenntlich gemacht, scheint von einem „Schwarzen Loch“[74]
geschluckt zu sein.
Aber Hegel erinnert an den Zustand vor der
Umkontextierung: Der damalige Rechtsbegriff mag nicht mehr der jetzt aktuelle
sein. Aber als „Idee“ lebt er fort, als „Idee“ bleibt er ein Merkposten unseres
Bewusstseins. Eine „Aufhebung“ ist im Gange! Und die jetzige Negierung und
Umkehrung bezeichnet nur die Hälfte des Weges, den der Prozess zurücklegen
muss. Was jetzt ist, ist zwar das „Resultat und die Wahrheit von dem …, was
vorhergeht“[75]. Und doch ist es nur ein Durchgangspunkt, über
den hinaus wir zu einem „sittlichen“, die Einheit von Recht und Pflicht wiederherstellemden, Recht gelangen.
Zunächst
aber wird alles auf den Kopf gestellt. Was bisher Nordpol war, wird zum Südpol.
Was hier „böse, Unglück usf. ist, ist [dort] gut und ein Glück.“[76] Und außerdem wird die bisher eine Welt
halbiert, wird zu „zwei Welten“. Solches
„Verstandesdenken“ von der Philosophie praktiziert, führt – wie bei Fichte,
aber auch bei Marx/Engels[77] - zu einer „verkehrte[n] Weise“[78] der Naturbetrachtung. Sie segnet
ab, was im Entstehen begriffen ist: „eine
verkehrte Welt“[79], in der das Sekundäre primär und das Primäre
sekundär gemacht ist. Ihr Gegenstand ist das Äußerliche
und Gegenüberstehende. Das „Ganze“, die „Einheitsnatur“ bleibt unbeachtet. Und
unbeachtet bleibt auch die spezifische Aufgabe der Philosophie, eine Antwort
auf die Frage zu finden, wie das aus der „Entzweiung“ resultierende Schicksal
des Menschen zu meistern ist.
Das „Ganze“ scheint mit dem Organismus aus der
Welt zu sein. Nur den Teilen wird noch Realität zugesprochen. Und zwar eine
Realität als Entgegengesetzte. Es ist schon viel, wenn Kant das „Ganze“
wenigstens als ins Jenseits verlagertes „Ding an sich“ gelten lässt.
Dieser
„verkehrten Welt“ setzt Hegel die „Vernunft“ entgegen. Sie steht bei ihm für
ein Denken und Handeln, das die Folgen für das „Ganze“ im Blick hat. Alles an seinem Platz. Das
Verstandesdenken ist keinesfalls verboten. Für die Naturwissenschaften, auch
für die Jurisprudenz ist es ein unverzichtbares Erkenntnismittel. Aber nicht
alles, was wir damit der anderen Natur
„ablisten“, darf gegen sie gekehrt werden. Die Grenze ist dort gezogen, wo es
um das „Ganze“ geht. Denn dieses hat bereits rein begrifflich kein solches
Gegenüber in seinen Teilen. Von daher versteht sich der ständige Kampf, den
Hegel gegen die „Verunstaltungen“ führt, die aus dem „Einbruch des verständigen
Denkens in eine Sphäre [entstehen], die dem vernünftigen Denken vorbehalten
ist.“[80] Denn es liegt nahe, dass das
„Ganze“ mit den Augen eines Teils gesehen wird, das sich selbst als Ganzes
geriert. Jede der beiden Denkarten hat also „Zuständigkeiten“. Mit Hegel
spricht T. Litt daher von dem „bedenklichen Hang“ des Verstandes, „im Vertrauen
auf die an seinen Gegenständen bewiesene Leistungskraft die Grenzen seiner Zuständigkeit
zu überschreiten“[81].
Die
Philosophie der Aufklärung ging parteiisch vor. Sie stand ganz im Dienst des
Neuen. Und neu ist, dass sich jetzt jene „produzierte“ Natur, die tausende von
Jahren im Schatten der „primären“ stand, emanzipiert. Gemessen an ihren
Anfängen hat sie gewaltig an Quantität und Qualität hinzugewonnen. Sie ist es,
die nun die Herrschaft übernimmt. Es scheint unter die ausgleichende
Gerechtigkeit zu fallen, dass nach tausenden von Jahren die von der „primären“
Natur geführte „Personalunion“ beider Naturen zugunsten einer solchen abgelöst
wird, die unter Führung der „produzierten“ Natur steht. Und warum auch nicht.
Spricht nicht alles für Letztere? Bringt sie denn nicht das „Glück“ mit sich?
Und kann es davon genug geben?
Die für sie
Partei ergreifende Philosophie feiert diese Natur daher als jene neue Welt, die unter dem Namen
„bürgerliche Gesellschaft“ tonangebend wird. Ihre Emanzipation wird als
Lossagung von der anderen Natur verstanden. Und Lossagung auch von dem
„älteren“ Naturrecht, das nun durch das „jüngere“ ersetzt wird. Eine totale
Verselbständigung, die sie zur „Totalität“ und damit zum „Ganzen“ macht. Damit
ist die Verbindung zum anderen Teil, zur „primären“ Natur, gekappt - was für
diese bedeutet, dass sie fortan aus dem Bereich des Politischen ausgestoßen ist.
Sie gehört nicht mehr zum Gemeinwesen. Sie wird zum Outlaw, zum bloßen Objekt
einer ungehemmten Ausbeutung.
Dagegen
wendet sich Hegel. Er sieht voraus, welche Gefahren der Menschheit drohen, wenn
es zur bloßen „Umkehrung“ kommt und vor allem: wenn es dabei bleibt. Siehe
Frankreich! Das „erste ungeheure Schauspiel“ eines „Umsturz[es] alles
Bestehenden und Gegebenen“. Ein
Paradefall einer bloßen „Umkehrung“. Aber sie führt „bloß das vermeinte Vernünftige“[82] zum Sieg.
Vorbereitet durch die Philosophie der Aufklärung, setzt die Revolution des
Jahres 1789 dem tausendjährigen „naturwüchsigen“ Gemeinwesen ein Ende. Bisher
versteckt im Dickicht feudaler Verhältnisse treten ans Licht: Die „produzierte“
Natur und ihr spezifischer Mensch, die „Person“. Doch was ist damit erreicht?
Doch nur ein Durchgangspunkt.
Deutschland
ist ein Sonderfall. Viele Ursachen tragen dazu bei, dass es hinter England und
Frankreich zurückbleibt. Doch auch hier steht die Geburt der bürgerlichen
Gesellschaft auf der Tagesordnung. Und wer der Philosophie der Aufklärung
anhängt, sieht in Frankreich das Vorbild auch für Deutschland. Mindestens aber
steht das englische Modell Pate, der dort moderatere Übergang zur bürgerlichen
Gesellschaft.
II.
Was uns Hegel im
Aufsatz zu sagen hat - ein Zwischenbericht
Hegel
zeigt sich uns als Vordenker eines naturverträglich organisierten Gemeinwesens.
Er bringt zu Ende, woran Schelling scheitert.[83] Seine praktische Philosophie ist der Frage
gewidmet, wie jetzt, nach Zerfall des „naturwüchsigen“ Gemeinwesens und
Aufkommen der bürgerlichen Gesellschaft, beide Naturen, die „vorgefundene“ und
die menschgeschaffene, in einer „vernünftigen“ politischen Organisation zur
Einheit gebracht werden können. Dieses zentrale Anliegen Hegels ist durch die
jahrzehntelange oberflächliche und selektive Wahrnehmung seiner praktischen
Philosophie, die zwischen dem Hegel des „Machtstaates“[84] und dem „liberalen Hegel“ J. Ritters[85] schwankt, so gründlich zugedeckt worden, dass
selbst die heutigen Vordenker eines ökologisch fundierten Gemeinwesens Hegel
bisher nicht als einen Bundesgenossen erkannt haben.[86]
Mit dem Untergang des
„naturwüchsigen“ Gemeinwesens scheint das Gemeinwesen als Einheit beider
Naturen überhaupt aus der Welt zu sein. Ein Schein, den die Philosophie der
Aufklärung aufgreift. Sie schlägt sich auf die Seite jenes Teils, der jetzt als
„bürgerliche Gesellschaft“ ans Licht getreten ist und sich als das neue „Ganze“
geriert. Damit ist das Gemeinwesen auf die bürgerliche Gesellschaft reduziert.
Die „vorgefundene“ Natur hat darin weder Platz noch Stimme; sie ist zum bloßen
Objekt gemacht.
Was sich an der Oberfläche des
Zerfalls als eine „Umkehrung“ des Verhältnisses der beiden Naturen zeigt, ist
nichts weiter als die erste Station einer „Aufhebung“. Bei ihr darf nicht halt
gemacht werden, auch wenn der Prozess hier zu enden scheint. Das negierte „Gemeinwesen“
ist weder zu einem Nichts geworden noch zu einem ins Jenseits abgeschobenen
„Ding an sich“. Es ist lediglich „gestaltlos“ geworden und auf sein Wesen
reduziert. Vorübergehend. Denn auf der zweiten Stufe, der Stufe der „Negation
der Negation“, wird es gemäß den jetzigen Erfordernissen wiederherstellt.
Unsere Mitwirkung vorausgesetzt, führt uns der Prozess zur „vernünftigen
Institution“.
Was damals und auch noch heute
befremdet, aber gerade das Wegweisende ist:
Hegels
Rechtsbegriff enthält den Staat; er ist Staats- und Rechtsbegriff. Der Staat Hegels ist das scheinbar verlorene, in
der „vernünftigen Institution“ wiederhergestellte „Ganze“. Er ist der Ausgangspunkt eines Rechts, über das die
Pflicht gegenüber der „vorgefundenen“ Natur zurückgewonnen und exekutiert wird. Dieses Recht ist vermittelndes Recht und trägt
instrumentalen Charakter. Es wendet sich gegen die „produzierte“ Natur, soweit
diese ihre Grenze verkennt und damit das „Ganze“ gefährdet. Weil der „primären“ Natur nur durch Handeln auf
globaler Ebene zu helfen ist, führt dieser Staat weit über den Nationalstaat
hinaus, er ist insoweit Weltstaat.
Wird das
„Ganze“ zum Nichts erklärt, trifft dies auch dessen politische Organisation:
den Staat beider Naturen. Den „Gemeinwesenstaat“. Er scheint für alle Ewigkeit
erledigt und durch die vielerlei Varianten des „Vertragsstaates“ ersetzt zu
sein. Dem widerspricht Hegel. Als ob man jetzt in puncto Staat ganz von vorne
anfangen müsse! Als ob es nie vorher einen Staat gegeben hätte! Er bezieht sich
auf die jüngere Geschichte des Staates:
Mit dem
Schwenk vom älteren zum neueren Naturrecht wurde der letzte, der feudale,
„Gemeinwesenstaat“ vom Sockel gestoßen und durch einen Staat ersetzt, der die
politische Organisation nur der „produzierten“ Natur ist. Hegel nennt diesen
Staat - in Deutschland bald als „Rechtsstaat“ bezeichnet -, den „Not- und
Verstandesstaat“. Wie schon der Name sagt: ein notwendiger Staat, dessen „Bestimmung in die Sicherheit und den
Schutz des Eigentums und der persönlichen Freiheit gesetzt“[87] ist. Da er aber nicht das „Gemeinwesen“
vertritt, sondern nur die bürgerliche Gesellschaft, ist er aus seiner Sicht ein
Teil- bzw. „Halbstaat“, der nicht verwechselt werden darf, mit dem „richtigen“,
mit dem von ihm in den §§ 257ff. abgehandelten Staat für beide Naturen.
Mit dem Untergang des
„naturwüchsigen“ Gemeinwesens geht der Boden des „älteren“ Naturrechts
verloren. Das heißt aber nicht, dass nun, ausgehend von der „produzierten“
Natur, ein „neues“ Naturrecht an dessen Stelle treten darf. Vielmehr ist jetzt
überhaupt aus den Naturrechten als einem „Zustand der Gewalttätigkeit und des
Unrechts … herauszugehen.“[88] Denn „Gewalttätigkeit“ und
„Unrecht“ sind mit dem Überwechseln vom „alten“ zum „neuen“ Naturrecht ja nicht
aus der Welt, sondern statt gegen die Mitglieder der „produzierten“ Natur jetzt
gegen die „primäre“ Natur gerichtet.
Zur „philosophischen“
Herangehensweise an die Gegenstände Staat und Recht bemerkt Hegel mit Blick
auf „Montesquieu sein unsterbliches Werk“, dass alles Recht,
„die höheren Verhältnisse der staatsrechtlichen Teile so auch die niedrigeren
Bestimmungen der bürgerlichen Verhältnisse …, ganz allein aus dem Charakter des
Ganzen und seiner Individualität“[89] verstanden werden muss. Er
fordert von einer praktischen Philosophie also, dass sie die Teile ausgehend
vom „Ganzen“ untersucht.
Wenn Hegel den „früheren
Behandlungsarten des Naturrechts … alle Bedeutung“ abspricht und für ein „philosophisches Recht“ plädiert, das das
Ganze und dessen Teile in den
Mittelpunkt stellt, ist er darin hoch aktuell. Denn trotz seiner Kritik ist
alles beim Alten geblieben. Mit der Folge, dass Philosophie und
Rechtswissenschaft zu Erfüllungsgehilfen einer Praxis wurden, die sich immer
deutlicher als falsch erweist. Bei aller Aufmerksamkeit, die Hegel und seine
Philosophie in der Gegenwart erfährt: Sein Staatsverständnis wollen wir auf
keinen Fall mit ihm teilen. Hier hört der „Spaß“ auf. Hier gilt noch immer, was
schon 1860 im „Staats-Wörterbuch“[90] zu lesen war:
Das „Monströse“ und „Ungehörige“
in Hegels Philosophie und in seinem Benehmen lag „nicht etwa in serviler
Kriecherei gegen den Staat, sondern in äußerster Rechthaberei, welche auch den
Staat in ihr Schlepptau nehmen wollte.“
Staat ja! Aber nur, soweit er der
von Hegel sogenannte „Not- und Verstandesstaat“ der bürgerlichen Gesellschaft
ist. Für alle Zeiten aus der Geschichte geworfen: der den Bestand der
Menschheit nachhaltig sichernde Staat beider Naturen. Der Staat des „Ganzen“.
Der „Gemeinwesenstaat“.
III.
Hegels
„Weltstaat“ - ein Beispiel für die Aktualität seiner praktischen Philosophie
Wir leben in einer „weltbürgerlichen“
Gesellschaft! War im 19. Jahrhundert und auch noch in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts der Nationalstaat die zureichende politische Organisation der
bürgerlichen Gesellschaft, so unterliegt er bereits seit Jahrzehnten dem
Gericht des „allgemeinen Geistes“[91]. Selbst die größeren unter ihnen erfahren
inzwischen ihre „Denationalisierung“[92]. Und mit ihm wird das „Naturprinzip“ endgültig
außer Kurs gesetzt; er kann auch das Wenige an Vermittlung, das von ihm
ausging, nicht mehr leisten. Er wird mehr und mehr von den weltweit agierenden
Marktkräften in die Knie gezwungen. Eine Entwicklung, die nicht zurückgedreht
werden kann und deren Folgen am schwersten die „primäre“ Natur treffen, die
jetzt global dem Angriff der anderen Seite ausgesetzt ist.
Aus dem Zerfall der „naturwüchsigen
Gemeinwesen“ gingen die Nationalstaaten hervor; die „Völkergeister“, wie Hegel
sagt. Mit ihnen entsteht ein Mix aus „Produktionsprinzip“ und „Naturprinzip“,
also kein reiner „Not- und Verstandesstaat“. Zur Herrschaft gelangen dort „die
Penaten, die bürgerliche Gesellschaft und die Völkergeister in ihrer bunten
Wirklichkeit“[93]. „Im friedlichen
Zustande“ reicht ihr Regiment aus, um die bürgerliche Gesellschaft „sittlich“
zu halten, jedoch ist es „teils nur die Weise der bewusstlosen Notwendigkeit der Sache, nach welcher ihre Selbstsucht
in den Beitrag zur gegenseitigen Erhaltung und zur Erhaltung des Ganzen umschlägt …, teils aber ist es die direkte Einwirkung von oben, wodurch sie
sowohl zu dem Zwecke des Ganzen fortdauernd zurückgeführt und danach beschränkt
als angehalten werden, zu dieser Erhaltung direkte Leistungen zu machen“[94]. Eine damals zureichende, jetzt aber außer
Kraft gesetzte, Korrektur des „Produktionsprinzips“ durch das „Naturprinzip“
findet statt.
Eine lokal und auch zeitlich beschränkte Lösung;
keine Dauerlösung. Der Nationalstaat „hat eine Geschichte innerhalb seiner.“
Aber als „beschränkter Geist ist seine Selbständigkeit ein Untergeordnetes“. Er
ist durch das „Moment geographischer und klimatischer“ Besonderheiten bestimmt“
und als so „bestimmte[r] Volksgeist“[95] objektiv nicht imstande, der Zerstörung jener
Natur entgegenzuwirken, die keinem einzelnen „Volksgeist“ zugeordnet ist. Die
Gegenwart zeigt uns aber: Gerade diese Natur ist in Not; und „im Zustande der
Not“[96] ist mehr gefordert, nämlich das Geltendmachen
der Souveränität des Staates gegen die (selbst-)zerstörerischen Kräfte, die von
der weltbürgerlich gewordenen Gesellschaft ausgehen.
Mit dem Nationalstaat hat sich die Geschichte
des Staates noch nicht vollendet. Er verkörpert die erste Stufe des
„Vernunftstaates“, d.h. die Stufe „unmittelbare[r] natürliche[r] Prinzipien“[97]. Er ist der „Geist“ eines Volkes, aber nicht
aller Völker. Doch längst zeigt sich die „Endlichkeit dieser [nationalen]
Geister“[98]. Längst unterliegen sie und ihre „beschränkten
Prinzipien“ einem „Weltgerichte“[99]. Der „Volksgeist wird zum „Weltgeist“.[100] Aus ihm wiederum geht jener „Weltstaat“ hervor „dessen Recht das Höchste
ist.“[101]
Dieser Staat steht als ein „Drittes“[102] über den Nationalstaaten; dieser Staat ist das
Gebot der Zeit.
Auch
unter dem Nationalstaat war die Natur und ihr Erhalt vielerlei „Zufälligkeiten“[103] ausgesetzt. Einen mehr oder weniger
umfassenden Schutz konnte sich von ihm allenfalls jene Natur erhoffen, die sich
im „Privateigentum“ der jeweiligen Nation befand. Aber was ist mit der
„Welt-Allmende“, also jener Natur, die außerhalb der Nationalstaaten gelegen
ist? Schon längst vollzieht sich vor unseren Augen die Tragödie der globalen
Gemeingüter, wie ein Blick auf den verpesteten Luftraum, auf die überfischten
und verdreckten Weltmeere und auf das Klima zeigt – und auf die Folgen daraus,
die wir Jahr für Jahr deutlicher zu spüren bekommen. Ihr Schutz muss auf globaler Ebene organisiert und
exekutiert werden. Längst macht der „Geist der Welt“, der „unbeschränkte“
Geist, „sein Recht“ geltend – „und sein Recht ist das allerhöchste“[104]. Er fordert uns auf, einen Staat zu errichten,
der „Träger und Vollstrecker eines Rechts [ist], vor dem die Rechte aller
einzelnen Staaten zurückzutreten haben, ja das geradezu einem an ihnen allen
auszuübenden Gericht gleichkommt.“[105] .
Der „Weltstaat“ ist angesprochen, wenn M.
Riedel formuliert: „Der hegelsche Staatsbegriff, der nach rückwärts die
Auflösung der ‚substantiellen Einheit‘ der alten und die eingetretene Differenz
mit der modernen bürgerlichen Gesellschaft zur Voraussetzung hat, bezieht sich
nach vorwärts auf eine weitere Sphäre – die der Weltgeschichte.“[106] In dem Maße, wie die in Nationalstaaten
organisierten „Völkergeister“ mit abnehmender sittlicher Kraft agieren, gewinnt
die „Weltgeschichte“ an Gestalt, die Gestalt des „Weltstaates“. „Indem so die
Philosophie des Staates sich auf dem Wege über die Vielheit der Staaten zur
Weltgeschichte ausweitet, beginnt ein in den Grundlagen von Hegels System
angelegter Gedanke seine bedeutsamen Konsequenzen zu entfalten“, merkt Litt[107] dazu an.
Zu Lebzeiten Hegels war der Weltstaat noch ein
„schlafender“[108], ein embryonaler Geist, den die Geschichte,
ist seine Zeit gekommen, „aufwecken“ und „in den Zustand eines Staates“[109] erheben wird. Hegel ist Realist. Mit Aus- und
Höhenflügen ins Utopische hält er sich zurück. Mehr als grobe Konturen zeichnet
er nicht. Diese Unschärfe lässt H. Ottmann fragen, ob nicht, nachdem zunächst zum Staat als der
institutionalisierten Sittlichkeit aufgestiegen wird, jetzt in diesem letzten
Teil „ein seltsamer Abstieg“[110] herauszulesen ist? Verzichtet er am Ende
seiner „Rechtsphilosophie“ „auf alles Fordern und Postulieren“? Lässt er „die
Welt der Staaten, wie sie ist“?[111] Noch kritischer beurteilt V. Hösle den
Schluss, den uns Hegel im Teil (C) der Staatsphilosophie bietet. Lässt Hegel
alles beim „Naturzustand“ enden, aus dem doch gerade dem gesamten Inhalt seiner
Philosophie nach herauszugehen ist? Weshalb der „Rückfall auf eine Ebene, die
in den ersten Paragrafen der Rechtsphilosophie schon überwunden sein sollte“?[112]
Solche
Fragen, solche Urteile messen an Kant und seinem Weltstaatenbund. Diesem aber
liegt der „Vertragsstaat“ zu Grunde. Und allein die Logik sagt uns, dass er den
„Weltstaat“ bereits begrifflich ausschließt, weil er auf dem eigennützigen Vertrag
basiert, nicht auf der gemeinnützigen Vernunft. Hegel hat ihm bereits 1802 eine
Abfuhr erteilt. In der blumigen Sprache des Aufsatzes heißt es: Kant gelange zu
seiner Lösung, weil er zulässt, dass sich ein so untergeordnetes, nur auf
„Besitz und Eigentum“ gehendes, Verhältnis wie es der Vertrag ist, „sich in die
absolute Majestät der sittlichen Totalität“ eindrängt. Er verkenne, dass hier
nicht „ein Verhältnis gegenseitiger Leistung“ vorliege, und dass, wenn man es
so sähe, „unmittelbar die Idee und absolute Majestät [des „Ganzen“] vernichtet“
würde. [113]
Mit
solchem Instrumentarium kommen wir hier nicht weiter. Schon deshalb nicht, weil
es „keinen Prätor“[114] gibt, der nach Notwendigkeit entscheiden und
handeln könnte. Ganz ähnlich sieht es in unserer Zeit N. Luhmann. Das neuere
Naturrecht sei dazu da, die bürgerliche Gesellschaft zu ordnen. Es ist ihr Recht – und damit zugleich ein Recht
gegen die „primäre“ Natur. „Gerade
da, wo es um Natur geht, funktioniert das Naturrecht nicht; und auch Konsens,
eine Art mobiles Ersatznaturrecht, erscheint unerreichbar.“[115]
Es
bleibt bei unverbindlichen Traktaten, es bleibt „beim Sollen“. Und dieser
Zustand wäre auch nicht dadurch gebessert, wenn die „Zusammenschmelzung“ der
vielen Nationalstaaten „durch eine, die
anderen überwachsende und in eine Universalmonarchie übergehende Macht“[116] gelänge und mittels ihrer Herrschaft
„Einstimmigkeit“ erzwungen werden könnte. Es bliebe trotzdem beim
„Willkürwillen“. Ein Oberteufel hätte sich die anderen Teufel botmäßig gemacht.
Aus der Sicht Hegels: ein globaler „Not- und Verstandesstaat“. Aber wenn Hegel
eines nicht will, dann ihn. Denn mit ihm wäre die Entgegensetzung der Naturen
„fest“ gezurrt. Der Bock wäre zum Gärtner gemacht. Heraus käme das Übelste an
„Staat“, was der „primären“ Natur geschehen könnte. Jede Korrekturinstanz wäre
mit ihm beseitigt. Die echte Natur wäre ihm auf Gedeih und Verderb
ausgeliefert.
Wenn gefragt
wird[117], weshalb Hegel seine „Rechtsphilosophie“ nicht
ebenfalls in die Forderung nach Weltbürgerrecht und Staatenbund einmünden lässt,
wäre also zu antworten: „Es geht … um die Welt insgesamt“[118]. Das ist der Grund, warum Hegel die
Umweltfrage zur (Welt-)Staatsfrage erklärt, während wir sie im Gefolge von Kant
als (Welt-)Rechtsfrage handhaben wollen, also mit Mitteln und Methoden, die
allein für die Teil-Welt „produzierte“ Natur geschaffen sind.
Weltbürgerrecht
und Staatenbund wären lediglich der „willenlose Mittelpunkt“[119] der „produzierten“ Natur. Das Vereinbarte
trüge den Charakter dilatorischer Formelkompromisse, würde auf jede Weise von
den Marktkräften der bürgerlichen Gesellschaft hintertrieben, würde im Vollzug
versanden – eine Einschätzung, die mit der heute allgemein beklagten
„Durchsetzungsschwäche“ des Umwelt-Völkerrechts korrespondiert.[120]
1802,
auch 1820, lag der „Weltstaat“ noch weit in der Zukunft. Der „Weltgeist“ muss
erst “Objektivität … in Gesetzen“ und Institutionen erlangen, ehe er sich „in
den Zustand eines Staates“ erhebt.[121] Wir brauchen uns also nicht „abgespeist“
fühlen, wenn Hegel ihn uns nur im Umriss zeigt.
Der Schluss, mit dem Hegel aufwartet, ist also nicht „eigenartig“ oder
gar „unhaltbar“, sondern, wie M. Pawlik[122] urteilt, „systematisch vollkommen konsequent“. Richtig
ist aber: Wo Kant etwas Handfestes parat hat – und trotzdem keine Lösung -, ist
bei Hegel einerseits noch alles offen und andererseits doch schon der Weg
gewiesen. Die „Weltgeschichte“ als Teil des Begriffs „Staat“ ist Beleg dafür.
Und die Geschichte ruht nicht. Schritt für Schritt bereitet sie dem Weltstaat
den Boden, so wie sie den Nationalstaaten den Boden entzieht – was nicht heißt,
dass die ethnischen, sprachlichen,
kulturellen u.a. Besonderheiten verschwinden.[123]
Damals
noch „allgemeine Idee“[124], ist der Weltstaat heute längst das dringende,
ja überfällige Erfordernis der Zeit. Hier, auf Weltebene, entfaltet der „Vernunftstaat“
sein Potential. Hier interessiert die Weltgeschichte nur als Resultat und als
die Wahrheit aller Geschichte, als „geistige Wirklichkeit“[125]. Hier stehen nicht die Belange einzelner
Völker, Nationen oder Rassen im Vordergrund, sondern die „Gattung“[126]. Hier geht es um das universell gewordene „Gemeinwesen“,
in welchem wahr wird, was E. Gans schon 1833 zum Ausdruck bringt: „[W]as die
vergangenen Jahrhunderte trennten, muss sich jetzt wieder zusammentun und
organisch auszubilden suchen.“[127] Unter dem Zepter der Vernunft wiederholen sich
in ihm die „ungetrennten“, auf lokaler Ebene existierenden,
Miniatur-Gemeinwesen der Antike.
Der Weltstaat als Korrektor der
weltbürgerlichen Gesellschaft. Ein Weltstaat und viele Nationalstaaten, die
sich um „dessen Thron“[128] scharen. Ein Weltbundesstaat anstatt des
Weltstaatenbundes. Welch ein „ungeheures Schauspiel“! „Von der Höhe des Staates
aus sieht man die einzelnen Staaten, als ebenso viele Flüsse sich in das
Weltmeer der Geschichte stürzen, und der kurze Abriss der Entwicklung derselben
ist nur die Ahnung der wichtigeren Interessen, die diesem Boden anheimfallen.“[129] Eine kühne, bis heute eher missverstandene
Vision, ausgesprochen zu einer Zeit, als der Nationalstaat der letzte „Schrei“
der Geschichte ist. Dem Weltstaat ist zu leisten auferlegt, was die
„Völkergeister“ nicht zu leisten vermögen. Diese bleiben. Aber sie sind jetzt
an ihren richtigen Platz gestellt. Wohin es führt, wollte man sie ignorieren,
deutet Hegel an mehreren Stellen an. „Das Volk als Staat“ bleibt. Jeder
„Völkerstaat“ bleibt „gegen die andern in souveräner Selbständigkeit.“[130] Aber die Bedeutung hat sich umgekehrt. Die Vermittlung der beiden Naturen,
die Ausbalancierung ihrer Interessen, wird zur Aufgabe des Weltstaates. Ihn zu
installieren und handlungsfähig zu machen ist das Gebot unserer Zeit. Mit ihm
wäre die Führungslosigkeit des Gemeinwesens auf jener Ebene beendet, wo der
Staat als adäquates Gegengewicht der weltbürgerlichen Gesellschaft auftreten
kann.
Die Nationalgeschichte des Staates weicht seiner Weltgeschichte. Die
„besondere und beschränkte“[131] sittliche Substanz des Nationalstaates weicht
der des Weltvernunftstaates. Dort erhebt sich das Zufällige zur
„Wesentlichkeit“.[132] Der
beschränkte Geist geht „in die allgemeine Weltgeschichte über, deren
Begebenheiten die Dialektik der besondern Völkergeister, das Weltgericht,
darstellen.“[133] Der Nationalstaat geht nicht verloren. Er wird
jedoch gegenüber dem Weltvernunftstaat ein „Untergeordnetes“.
Ein
Staat auf zwei Ebenen:
-
als
Staat der „Völkergeister“, d.h. als Nationalstaat. Er verschafft den
unterschiedlichen ethnischen, kulturellen, sprachlichen, geographischen
Unterschieden und Besonderheiten im Rahmen der bürgerlichen Gesellschaft auf
lokaler bzw. nationaler Ebene Geltung;
-
als
Staat des globalen „Ganzen“; der Weltstaat. Dessen Kernkompetenz: die
„Naturfrage“. Ein Weltbundesstaat, dessen Glieder die heutigen Nationalstaaten sind.
Der Weltstaat ist der „Endzweck“[134] der Geschichte. Zur Entstehung gelangt, ist er die „absolute
Macht gegen die individuellen Staaten“[135], ist ihnen gegenüber die „übergreifende
Einheit“, ist „ein drittes Verbindendes über ihnen“[136]. Nur er kann den zerstörerischen Kräften
Paroli bieten, die von einer weltbürgerlich gewordenen Gesellschaft ausgehen.
Und es wäre geradezu eine Einladung
an diese, wenn er ausbliebe. Der globalisierte Kapitalismus, der seit den 90er
Jahren in Orkanstärke über die Erde fegt, sollte uns dies längst gezeigt haben.
Mit ihm hat die „produzierte“ Natur ihr Ziel erreicht: sie ist nahezu völlig
frei geworden, sie hat sich nahezu aller Kontrolle entzogen. Sie ist nahezu bar
jeder Verpflichtung der Schöpfung gegenüber. Was ihr als Staat entgegentritt,
die rund 200 Nationalstaaten, ist, hier deutlich, dort weniger deutlich, in die
Knie gezwungen. Stück für Stück geben selbst die reichen und großen unter ihnen
ihre sozialen und sittlichen Kompetenzen preis und werden zum Spielball, ja zu
ihrem Handlanger. Die kriegerischen Konflikte, die Flüchtlingsströme, der
weltweite Terrorismus zeigen uns: Die Erde ist zum „Ganzen“ geworden. Täglich
haben wir die globalen Auswirkungen unseres Tuns vor Augen. Global muss daher
vermittelt und gegengesteuert werden. Der jetzige Zustand jedenfalls ist nicht
nur ein Hindernis bei der Lösung der Umweltprobleme, sondern ist längst zum
Verschiebebahnhof der Probleme geworden. Reiche Länder können es sich leisten,
ihre nationale Umwelt sauber zu halten, weil sie „schmutzige“ Industrien in
ärmere Länder verlagern. Sie können den eigenen Waldbestand schonen und
schützen zu Lasten der Wälder des Amazonas- und Kongogebietes. Dies alles
gebietet den Weltstaat. Dass er auch die zahlreichen Oasen für eine wachsende
Zahl Wirtschaftskrimineller und Steuerflüchtlinge trocken legen könnte, sei nur
am Rande erwähnt.
Der
Weltstaat böte eine echte Alternative zu den Versuchen, der Umweltkrise mit den
„Wunderwaffen“ der bürgerlichen Gesellschaft: „Privateigentum“ und
„Privatisierung“, zu Leibe zu rücken. Denn obzwar eine „bloß monetär
orientierte Sichtweise“[137] dem Problem nicht gerecht werden kann, ist
längst erkannt worden, dass mit dieser Art seiner Bewältigung eine Profitquelle
erster Ordnung zu erschließen ist. Aber privatisierte Natur ist versklavte und
vom Gemeingebrauch ausgeschlossene Natur. Jede gentechnisch veränderte Natur
(zum Beispiel) wird Ware, ist Natur, von der jeder andere ausgeschlossen ist,
es sei denn, er zahlt dafür. Man denke das weiter: Sind Luft und Wasser dreckig
genug, wird es saubere Luft, sauberes Wasser, abgefüllt in Flaschen, im
Supermarkt geben – alternativlos, wenn man überleben will. Und ein
„Bombengeschäft“ für jene, die solche „Produkte“ auf den Markt bringen.
Und die Souveränitätsverluste, die der Weltstaat mit sich brächte?
Mindestens uns Europäern wären sie nicht neu. Wir brauchen nur an die EU
denken, auf die in den Jahren ihres Bestehens Schritt für Schritt nationale
Kompetenzen verlagert wurden. Allerdings sind diese eher ein Beispiel für einen
supranationalen „Not- und Verstandesstaat“, nicht aber für einen „Vernunftstaat“.
Im Übrigen ginge es einzig und allein um Einschränkungen der Souveränität zu
Gunsten der „primären“ Natur; es ginge um eine Reduzierung der nur angemaßten Souveränität.
Oberste Ziele des Weltstaates müssten sein:
Kein Wachstum der „produzierten“ Natur auf Kosten der Substanz der
anderen Natur. Ausgeglichene Staatshaushalte und ausgeglichene Naturhaushalte. Also
Abstimmung der „Produktivitäten“ beider Naturen aufeinander.
Um das zu erreichen, müssen ihm die nötigen Mittel, auch
polizeiliche und militärische, an die Hand gegeben werden.
Wir brauchten nicht bei Null anfangen, wollten wir ihn errichten. Es
gibt die UN. Deren Ohnmacht zeigt derzeit zwar nur auf, wie sehr die „primäre“
Natur an den Rand geschoben ist. Aber das wäre änderbar. Ihr umfangreicher,
eingeübter bürokratischer Apparat, ihr
Sachverstand, ihre Baulichkeiten stünden bereit und könnten als
Keimzelle dienen. Und wir brauchten für den Weltstaat auch keinen Monarchen, denn
das Entscheidende an der konstitutionellen Monarchie ist nicht er, sondern die
Konstitution. Diese verweist auf ein Gremium, in dem beide Naturen und ihre
Interessen gleichberechtigt vertreten sind und auf eine Regierung, die frei und
mächtig genug ist, das als vernünftig Erkannte und Beschlossene zu exekutieren.
Ein Staat, der sich nach Organisation und Inhalt deutlich vom „Not- und
Verstandesstaat“ unterscheidet. Ein Staat, der der bürgerlichen Gesellschaft
und den dort Agierenden ihre Grenzen aufzeigt und diese Grenzen auch durchsetzt.
IV.
Was uns Hegel zumutet:
den vernünftigen Umgang mit der Natur!
Wüssten
wir nicht, woran Hegel gestorben ist, könnte man meinen, Todesursache sei der
Gram darüber gewesen, dass die politische und juristische Praxis in
Deutschland, gemessen an den Ergebnissen seiner praktischen Philosophie, nahezu
entgegengesetzt verlief. Deutschland war auf dem englisch-französischen Weg.
Was dort schon war, würde bald auch hier sein. Deswegen begegnet er der
liberaleren Kollegenschaft „griesgrämig“ und „derb“. Und wie Rosenkranz
berichtet: Auf die Revolution in Frankreich und auf die Reformbill-Pläne in
England reagierte er „krankhaft verstimmt“[138].
Und er korrigierte sich nicht,
wie die kurz vor seinem Tode geschriebene Reformbill-Schrift zeigt. Eher im
Gegenteil: er trägt dick auf, malt das politische System Englands „mit zu
schwarzen Farben“. Nicht England liegt vorne, sondern Deutschland, könnte das
Fazit dieser Schrift lauten.
Hat das damit zu tun, dass Hegels
„politische Ansichten immer conservativer wurden“[139], dass er darin am Ende seines
Lebens gar noch seinen König übertraf, auf dessen Geheiß der zweite Teil dieser
Schrift nicht in Druck ging?
Hegel blieb sich treu, der
Zeitgeist aber ging andere Wege. Ein (wirtschafts-)liberaler Zeitgeist - und gerade
ihm sieht sich Hegel nicht verpflichtet. Oberflächlich gesehen scheint seine
praktische Philosophie jener Zeit anzugehören, zu der das Metternich-Gentzsche
Verständnis von „Staat“ gehört. Eine Zeit des Übergangs und der Kompromisse.
Die konstitutionelle Monarchie? Sie wird dereinst auch in Deutschland einem
„Parlamentsstaat“, möglichst nach dem Vorbild Englands, weichen müssen.
Aber das ist nicht Hegel! Sein
Verständnis dieser Staatsform ist eine völlig andere. Er sieht in ihr jene
„Vernunftgestalt“, die aus der Aufhebung des „naturwüchsigen“ Gemeinwesens
hervorgeht. Unter ihrem Dach werden die beiden Naturen zusammengeführt. Auf
neue Weise. Gleichberechtigt. So wird sie zum Garant für den Erhalt der
„primären“ Natur und für das Überleben der Menschheit. Deswegen ist sie keine
zeitlich begrenzte Übergangsgestalt, sondern die Endform. Denn ein höheres
Prinzip als die Vernunft gibt es nicht. Ein Konstitutionalismus wird sichtbar,
der sich von dem landläufigen darin unterscheidet,
dass er nicht auf die Binnenorganisation der bürgerlichen Gesellschaft beschränkt
ist, sondern sich als die Verfassung der jetzigen „Einheitsnatur“ versteht. Zum
Befremden selbst seiner Freunde plädiert er bereits in der „Landständeschrift“
des Jahres 1817 für sie.
In der jetzigen Entwicklung sieht
er einen Irrweg, der eine mit dem Allgemeinbegriff „Volk“ zum (Schein-)Ganzen
aufgewertete „Bestimmtheit“ an die Macht bringt: den „Not- und
Verstandesstaat“.
Und auf derlei Staat steuert nun
auch Deutschland zu.
Gewollt war jetzt die unlimitierte
und ungehinderte Ausbeutung der „primären“ Natur, nicht ihr Schutz.
Natur? Davon gibt es genug. Das
war um 1880 allgemeine Meinung. Ein schonender Umgang mit ihr, damals bereits
vereinzelt angemahnt, war weder die Intention der Liberalen, noch die von
Marx/Engels[140]. Beide wollen das Glück ihrer
Klientel über das Unglück der „primären“ Natur erreichen.
Hegel störte. Er störte so sehr,
dass er zwar nicht verboten, aber vergessen gemacht wurde. Mehr als 60 Jahre
lang. „[A]ls ob Hegel sein Meisterwerk niemals geschrieben hätte“![141] An ihn und seine Philosophie
erinnerte man sich in den USA und in England, als dort der bisherige
Kapitalismus in den „organisierten“ und die Tocquevillsche Demokratie der
„gleichen Lagen“ in die pluralistische
Demokratie der „ungleichen Lagen“ umschlug. Deutschland folgte aus den gleichen
Gründen einige Jahre später nach. Der Beginn einer selektiven Vereinnahmung
Hegels, die bald auch Einzug in Deutschland hielt und sich dort bis zu den Versuchen
der Neu-Hegelianer Binder und Larenz steigert, Hegel „völkisch“ zu
interpretieren und zur Legitimierung des „Dritten Reiches“ heranzuziehen.[142]
Eine Kehrtwende
setzt in den 50-er Jahren mit der bereits erwähnten Schrift J. Ritters ein. Mit
ihr war der „liberale“ Hegel entdeckt; der Hegel der bürgerlichen Gesellschaft.
Der Hegel, der auch vom jungen Marx als „brauchbar“ angesehen wurde.[143]
Keine dieser „Lesarten“ wird ihm
gerecht. Denn beide wiederholen den Mangel, den Hegel an der
„Identitätsphilosophie“ gerügt hatte. Mit Worten aus dem Aufsatz gesagt: die
Mitte wird „leer“ gelassen![144] Und das wiederum heißt: Das
„Ganze“, wird dem Vergessen überantwortet.
Wie konnte es bis heute dabei bleiben?
Schon 1980 lagen doch genug
Fakten vor, die auf die Überforderung der Natur hinwiesen. Damals lebten etwa
3,5 Milliarden Menschen auf der Erde. Damals deckte sich der Naturbedarf der
Menschheit gerade noch mit deren Reproduktionskraft. Spätestens damals war
entschiedenes Handeln angesagt. Und was geschah seither? Wenige Taten, gemessen
an dem, was notwendig gewesen wäre. Stattdessen: Viel Gerede. Moralische Appelle an die Verantwortlichen in
Politik und Wirtschaft, gepaart mit der Einrichtung von Lehrstühlen für
Wirtschaftsethik.
Dazu N. Luhmann im Jahre 1986:
„Rednerei“[145], die an der Situation nichts
ändern wird. Die bürgerliche Gesellschaft verhalte sich ihrer Natur gemäß. Sie
und ihre Mitglieder seien deshalb resistent gegenüber Ermahnungen, Belehrungen
etc. Ihr Job sei es, ihre Umwelt auszubeuten. Diese habe in ihr keinen Partner, sondern einen Gegner.
Und zu Stichworten wie „Bewusstseinsveränderung“, „neue Umweltethik“: „Wir
haben diese Forderung bereits verschiedentlich berührt – und nicht viel damit
anfangen können. Unsere Untersuchungen haben in eine ganz andere Richtung
geführt.“ Und zum „Vernunftstaat“ Hegels: Ihn zu errichten sei ebenso
unwahrscheinlich, wie es Utopie ist, einem Wolf das Grasfressen schmackhaft zu
machen.[146]
Düsterer, vielleicht sogar unverantwortlicher Pessimismus? Angesichts
der bisher geschaffenen Tatsachen wohl kaum. Wir haben uns 250 Jahre lang in
eine Sackgasse manövriert. Und „wir wissen nicht, ob die Vernunft rechtzeitig
in die Lokomotive des Zuges vordringen wird, der auf den Abgrund zurast.“[147]
Schon
längst dringend geboten: eine Gesetzgebung zum Schutz der „primären“ Natur nach
Art der Arbeiterschutzgesetzgebung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Nicht
zulassen, dass das „lebendige Dasein ... zum Lasttiere missbraucht“[148] wird, forderte schon Hegel. Heute aktuell:
Der
Acht-Stunden-Tag für die Natur. Und ein Staat, der ihn konsequent durchsetzt.
Könnte das nicht unser Staat sein, unsere Bundesrepublik Deutschland? Immerhin
hat sie sich im Artikel 20a GG, eingefügt im Jahre 1994, zur Natur und deren Erhalt
bekannt. Sicher, ein schönes Bekenntnis!
Aber es gibt wohl niemand, der behaupten würde, dass damit eine
Gleichrangigkeit der beiden Naturen bezweckt ist und durchgesetzt werden
könnte. Mehr als ein Anfang ist damit nicht gemacht. Die Regelung wirkt wie
„a“, wie „angeklebt“. Und wie sollte es auch anders sein? Zentrales Anliegen auch
des GG ist es, die Ausbeutung der „primären“ Natur zu legitimieren. Es ist
geradezu musterhaft[149] die Verfassung für diesen Zweck. Die
„richtige“ Natur ist nach dorthin „verbannt“, wo auch „Volk“ und der
Konnex-Begriff „Demokratie“ untergebracht sind: in ihren erkennbar
nachrangigen, nicht justiziablen Teil.[150] Dass die Regelung kaum mehr ist als ein
„ökologisches Feigenblatt“[151] und sich nicht am „Eingemachten“ vergreift, zeigt sich auch darin, dass es zu
ihr - nach immerhin mehr als zwanzig
Jahren Geltung - noch keine Rechtsprechung des BVG gibt. Dass unser Land trotzdem
über eine intaktere Natur verfügt als viele Staaten dieser Erde, hat mit ihrem
Reichtum zu tun. Sie kann sich saubere Luft und sauberes Wasser leisten. Jedoch
nur, weil wir „unsere“ Natur durch eine ungenierte Ausbeutung „fremder“ Natur
vor dem Schlimmsten bewahren können – Möglichkeiten, die der großen Schar
„Dritte-“ und „Vierte-Welt-Staaten“ durchweg fehlen.
Ungleich
mehr Gewicht käme einer solchen Regelung zu, wäre der Natur Subjektivität
eingeräumt, wäre ihr ein Treuhänder zur Seite gestellt, der das Recht hat, ihre
„Leiblichkeit“ vor Eingriffen zu schützen, die über ihre Leistungsfähigkeit
hinausgehen – auch durch Anrufung des BVG. Aber dazu hätte die Regelung dort eingereiht werden müssen, wo die
Verfassung „justiziablen“ Schutz bietet: in den Grundrechtsteil. Aber das ist
ja gerade der Punkt: unser Verständnis
von „Recht“ und „Rechtstaatlichkeit“ schließt ein, dass die „primäre“
Natur rechtlos ist und bleibt.
Alles deutet darauf hin, dass Luhmann recht hat. Wir wollen keinen
Vernunftstaat. Und selbst wenn wir ihn wollten, müsste angesichts des
Problemstaus, vor dem wir stehen, hinzugefügt werden: es könnte bereits zu spät
sein für ihn. Die Schäden an der „primären“ Natur haben inzwischen solche
Ausmaße angenommen, dass ihre Behebung oder auch nur Eindämmung nur über eine
drastische Beschneidung der Rechte der „produzierten“ Natur und ihrer
Mitglieder erreicht werden könnte. Darauf sind wir bisher in keiner Weise eingerichtet.
Auch deshalb nicht, weil schon längst der Natur-Konsument in uns jenen Teil von
uns dominiert, der der „primären“ Natur angehört.
Die Glücksversprechen der bürgerlichen Gesellschaft haben uns
korrumpiert. Sie haben uns die Fähigkeit zur Selbsterkenntnis, ohnehin die
„höchste und schwerste“[152] Form der Erkenntnis, genommen. Wie es H.
Marcuse pro Marx und gegen Hegel gewendet, formuliert: „Die Idee der Vernunft
ist durch die Idee des Glücks verdrängt worden.“[153] Dieses „Glück“ ist Ergebnis dessen, was für
Hegel ein „schmerzerregendes Wegschneiden eines wesentlichen Teiles“[154] ist. Gemäß dem Motto: Je kränker das Ganze,
umso gesünder das Teil, sind wir Meister darin geworden, den
„Krankheitszustand“ zum „Gesundheitszustand“ umzudichten. Nun freigemacht von
allem Natürlichen, nach dieser Amputation, glaubt der zurückbleibende
Rest-Mensch der eigentliche, der Mensch an sich zu sein.
Wir sind süchtig nach bürgerlicher Gesellschaft. Je losgebundener
diese ist, um so besser. Wir verhalten uns wie Junkies – immer auf der Jagd
nach dem nächsten „Schuss“, auch wenn dafür der letzte Krümel echter Natur
draufgehen sollte. Rechnet man das jetzige Tempo und Ausmaß des Artensterbens
auch nur linear fort, ist der Zeitpunkt abzusehen, an dem sich der Mensch die
Erde nur noch mit so hartgesottenen Arten wie Ratte, Zecke und Kakerlake teilt.
Was ist Zweck unseres Daseins? Nicht die totale Enthaltsamkeit, die
Abstinenz von allen Genüssen. Es geht nicht darum, zum Zustand vor dem
„Sündenfall“ zurückzukehren. Hegel weist daraufhin, dass solche
„Unschuldsphantasien“ nur Reflex des von uns praktizierten Gegenteils sind und
nur „die Unbekanntschaft mit der Natur des Geistes und dem Zwecke der Vernunft“[155] zeigt. Der „Vernunftzweck“ muss Maßstab
werden. Dieser ist „weder jene natürliche Sitteneinfalt“ noch der bloße Genuss.
Beide Extreme müssen durch echte Bildung „weggearbeitet“ werden. Hin zur Mitte
also. Aber das erfordert „harte Arbeit“.[156] Arbeit, die wir bisher lieber leisten, um die
„primäre“ Natur auszubeuten.
[1] § 39 R.
[2] Siehe auch § 24/3.
Zusatz E (MM 8, S. 88ff.), wo er das Thema unter den Stichworten „Mythos vom Sündenfall“
und „Erbsünde“ behandelt!
[3] Vgl. L (B), S.
39.
[4] L (S), Vorrede
von 1812.
[5] § 33 R.
[6] K. Rosenkranz,
Hegels Leben, Berlin 1844, S. 173f.
[7] DS, MM 2, S.
22f.
[8] § 2 R.
[9] § 381/Z E.
[10] Phän, MM 3,
S.18.
[11] Die Verfassung
Deutschlands, MM 1, S. 452 u. 461.
[12] L(B), S. 218.
[13] NR, S. 517.
[14] Ebd.
[15] L(W), S. 142.
[16] Siehe § 141 R.
[17] L(W), S. 143 -
Hervorhebung bei H.
[18] NR, S. 437.
[19] L(W), S. 140f.
[20] Vorrede zur 2.
Auflage der E (MM 8, S. 21). Im Anschluss: „[O]bgleich Faktum ist, [wissen von
ihr] diejenigen nichts, welche die Philosophie Idenditätssystem zu nennen
pflegen“.
[21] Theodor Litt, Hegel.
Versuch einer kritischen Erneuerung, Heidelberg 1953, Heidelberg 1954, S. 180.
[22] Siehe dazu: L
(S), 41.
[23] K. Rosenkranz,
a.a.O., S. 173.
[24] NR, S. 457.
[25] § 279/Z R.
[26] Der Begriff
wurde von G. Lübbe-Wolff (Die Aktualität der Hegelschen Rechtsphilosophie, in
B. Sandkaulen/V. Gerhard/W. Jaeschke [Hrsg.], Gestalten des Bewusstseins:
Genealogisches Denken im Kontext Hegels, Hamburg 2009, S. 332) geprägt.
[27] Siehe dazu:
L(W), S. 148 ff.
[28] L (B), S. 205.
[29] J.F. Herbart
macht 1822 in seiner Rezension (abgedruckt bei M. Riedel [Hrsg.], Materialien
I, S. 81-99) keinen Hehl daraus, dass er in Hegels „Rechtsphilosophie“ zwei
ungleiche, ja entgegengesetzte Größen grob vermengt sieht. Er distanziert sich
davon; er sei „der entschiedenste Feind aller Mengerei.“
[30] der für Hegel
als der Staat der „produzierten“ Natur gewissermaßen nur ein „Halbstaat“ ist.
(dazu B. Rettig, Staat – Recht – Ökologie. Das „grüne“ Weltbild G.W.F. Hegels, Köln,
Weimar, Wien, S. 273ff.
[31] NR, S. 472.
[32] Siehe dazu die
Schilderung im Zusatz zu § 381E!
[33] NR, S. 509.
[34] NR, S. 470.
[35] NR, S. 446.
[36] Rosenkranz
(a.a.O., S. 334) kommentiert: Hegel hatte ein feines Gespür dafür, wenn er die
„Abstraktionen von Volk, Freiheit, Brüderlichkeit und ähnlichen
Allgemeinheiten“[36] attackiert, die
dazu herhalten müssen. Seine Polemik gegen Fries in der Vorrede zur
„Rechtsphilosophie“ zeigt, wie allergisch er darauf reagiert.
[37] § 381/Z E (MM
10, S. 24).
[38] Denken wir an
die „unsichtbare Hand“!
[39] MEW 21, S. 279.
[40] §§ 342 u. 358 R.
[41] MEW 21, S. 149.
[42] Oder wie er
(siehe § 408/Z E = MM 10, S. 170f.) auch
sagt: der bloßen „Verrückung“ des Standpunktes von der einen zur anderen
„Bestimmtheit“.
[43] Marx, GR, S.
312f.
[44] Siehe DS (MM 2),
S. 20ff.
[45] Vorrede R. (MM
7, S. 15).
[46] In einer, v.
Hallers „Restauration der Staatswissenschaften“ gewidmeten, Fußnote (MM/7, S. 402
ff.), macht er es am Beispiel deutlich: Von Haller polemisiere gegen Rousseau,
aber so, indem er sich „in ein Gegenteil“ wirft und den „Vertragsstaat“ (und
dessen Variante „Volksstaat“) als Macht durch die Macht der „zufällige[n]
Naturgewalt“ ersetzt. Beider Standpunkt sei nicht der Standpunkt der Vernunft
und des „Vernunftstaates“. Aber Rousseau steht beiden näher, weil er sieht,
dass sich das „naturwüchsige“ Gemeinwesen für alle Zeiten erledigt hat,
wenngleich er bei der dessen bloßer Negation stehen bleibt.
[47] § 258/A R –
Hervorhebung bei H.
[48] Hegel in § 35/Z R
und in den handschriftlichen Anmerkungen zur „Person“: Sie ist „in einem das
Hohe und das ganz Niedrige“; er sagt nicht, dass mit ihr der Mensch nun erst
„echter“ Mensch geworden ist. Eher so: Mit der „Person“ ist der Mensch zu Grabe
getragen. So interpretiert auch der junge Marx Hegel. (Vgl. K. Marx, Zur
Judenfrage, MEW 1, S. 347ff.) In jüngster Zeit ausführlich zur „Person“: M.
Städtler, Person als Prinzip der systematischen und historischen Entfaltung des
Rechts, in: Person und Rechtsperson, hrsg. von Rolf Gröschner, Stephan Kirste
u. Oliver W. Lembcke, Tübingen 2015, s. 189-223.
[49] § 213 R.
[50] …und damit auch
jener Teil des Menschen, der ihr nach wie vor angehört!
[51] F. Bülow, Die
Entwicklung der Hegelschen Sozialphilosophie, Leipzig 1920, S. 67. (Die Seiten
50-74 sind dem Naturrechtsaufsatz gewidmet!)
[52] § 486 E.
[53] Hegel in § 149/Z
R: Pflicht nicht verstanden als „Beschränkung der Freiheit“, sondern nur der „Willkür
der Subjektivität“, was heißt: Beschränkung meiner eigenen Unfreiheit. Pflicht
als das „Gelangen zum Wesen“.
[54] NR, S. 440.
[55] § 38 R –
Hervorhebung bei H.
[56] § 486 E.
[57] Siehe dazu die
anschauliche Schilderung bei O. v. Gierke (Johannes Althusius und die
Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien, Aalen 1981 [7. Auflage], S. 98
ff.).
[58] NR, S. 454.
[59] NR, S. 491.
[60] § 29/A R.
[61] Wie A.
Hollerbach (Der Rechtsgedanke bei Schelling, Frankfurt a.M. 1957, S. 114) unter
Bezug auf Schellings Naturrechtsschrift von 1797 formuliert.
[62] NR, S. 461.
[63] NR, S. 506.
[64] Ein Beispiel
dafür scheint mir der Beitrag von M. Villey, (Das römische Recht in Hegels
Rechtsphilosophie, abgedruckt in M. Riedel, Materialien zu Hegels
Rechtsphilosophie Bd. 2, Frankfurt a.M. 1975, S. 131-151) zu sein.
[65] F.C v. Savigny,
Brief vom 22. November 1816 an seinen Schwager A. v. Arnim, zitiert bei R.
Benthaus, Eine „Sudeley“? Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten
von 1794 im Urteil seiner Zeit, Kiel 1996, S. 122.
[66] Siehe dazu: B.
Rettig, Staat, Recht, Ökologie, a.a.O., S. 208 ff.
[67] § 155/Z R.
[68] mit der er die „Begriffsentlarvung“
Schellings (vgl. A. Hollerbach, a.a.O.) wiederholt!
[69] N. Luhmann, Ökologische Kommunikation. Kann
die moderne Gesellschaft sich auf ökologische Gefährdungen einstellen? Opladen
1985, S. 77 – Hervorhebung bei N.L.
[70] N. Luhmann,
Ökologische Kommunikation, a.a.O., S. 136.
[71] § 31/A R.
[72] N. Luhmann,
Ökologische Kommunikation, a.a.O.,
S.
139.
[73] N. Luhmann,
Subjektive Rechte. Zum Umbau des Rechtsbewusstseins für die moderne
Gesellschaft, in: ders., Gesellschaftsstruktur
und Semantik Bd. 2, Frankfurt a.M. 1981, S. 64.
[74] N. Luhmann, Die Theorie der
Ordnung, Rechtshistorisches Journal 3 (1984), S. 149.
[75] § 2 R.
[76] L(W), S. 138.
[77] Hingewiesen wird
auf F. Engels (Feuerbach-Schrift), der auflistet, was angesichts der neueren
und neusten Erkenntnisse der Naturwissenschaften gegen die Naturphilosophie
spricht und ihn sagen lässt, diese sei „heute endgültig beseitigt“. (MEW 21, S. 295) So richtig seine Kritik im
Detail ist, er übersieht, dass der Kern der Naturphilosophie auf die Einheit
der beiden Naturen, auf das „Natur-Ganze“ abzielt. Und um diesen Kern hat sich
die Philosophie zu kümmern, weil er nicht in den Gegenstandsbereich der einzelnen
Naturwissenschaften fällt.
[78] Einleitung/Z E 2
(MM 9, S. 10).
[79] L(W), S. 141.
[80] Litt, a.a.O., S.
99.
[81] Ebd., S. 178.
[82] § 258/A R.
[83] Siehe dazu B.
Rettig, Wo Schelling beginnt und Hegel zu Ende kommt –in: www.Hegel-Kaleidoskop.de
[84] H. Heller, Hegel
und der Machtstaatsgedanke in Deutschland, Leipzig, Berlin 1921.
[85] Hegel und die
französische Revolution, Frankfurt a.M. 1965.
[86] Ein Beispiel ist K.M. Meyer-Abich, der Hegel einen Naturbegriff in der Nachfolge Descartes unterstellt und meint, dass Hegel alles Nicht-Geistige „maschinell“ und als bloßes Objekt sieht. „In der Brutalität aber, dass alles was nicht Mensch ist, der Hoheit des menschlichen Willens gegenüber keinerlei Eigensinn habe und vollends rechtlos sei, ist das industriewirtschaftliche Handeln vor Hegel noch von niemand gerechtfertigt worden.“ K.M. Meyer-Abich, Naturordnung und Menschenrecht, in: Tilman Evers (Hrsg.), Schöpfung als Rechtssubjekt, Hofgeismar 1990, S. 34. (Hofgeismaer Protokolle). Ganz ähnlich E. Bloch (Prinzip Hoffnung II, Berlin 1955, S. 241), der Hegel bereits Mitte der 50-er Jahre eine „unleugbare Naturfeindschaft“ nachsagt.
[87] § 258/A R.
[88] § 502/A E.
[89] NR, S. 524f.
[90] Prantl, Hegel
und die Hegelianer, in: Staats-Wörterbuch (hrsg. von J.C. Bluntschli),
Stuttgart u. Leipzig 1860, 5. Bd., S. 45-86 (S. 77).
[91] § 341 R.
[92] W. Pauly, Hegel
und die Frage nach dem Staat, Der Staat 39 (2002), S. 393.
[93] § 341 R.
[94] § 278/A R. – Hervorhebungen
bei H.
[95] § 548 E.
[96] § 278/A R.
[97] § 346 R.
[98] § 340 R.
[99] § 340 R.
[100] Vgl. § 549 E.
[101] § 33 R.
[102] § 259/Z R.
[103] Vgl. ebd.
[104] Ebd. Siehe auch
B. Bourgeois (Der Begriff des Staates, in: L. Siep [Hrsg.], G.W.F. Hegel.
Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 228): „Für Hegel ist das
unwiderstehlichste Staatsrecht das Recht des Weltgeistes“.
[105] Litt, Hegel
a.a.O., S. 122.
[106] M. Riedel,
Zwischen Tradition und Revolution, Stuttgart 1982, S. 59.
[107] Litt, a.a.O., S.
123.
[108] § 258/Z R.
[109] § 349 R.
[110] H. Ottmann, Die
Weltgeschichte, in: L. Siep (Hrsg.), G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie
des Rechts, S. 282.
[111] Ebd., S. 267.
[112] V. Hösle, Der
Staat, in: C. Jermann (Hrsg.), Anspruch und Leistung von Hegels
Rechtsphilosophie, S. 219f.
[113] NR, S. 518.
[114] Vgl. § 259/Z u.
§ 333 R.
[115] Luhmann,
Ökologische Kommunikation, a.a.O., S. 134.
[116] Kant, Zum ewigen
Frieden (ZEF), Wke. Bd. 6, S. 118 (Dritter Definitivartikel, Erster Zusatz).
[117] Ottmann, a.a.O.,
S. 267.
[118] Luhmann,
Ökologische …, a.a.O., S. 24.
[119] VPhG, S. 61.
[120] Vgl. U. Meyerholt, Der Wandel des ökologischen Rechtsstaates, in: Ernst-Wilhelm Luthe u.a. (Hrsg.), Der Rechtsstaat zwischen Ökonomie und Ökologie. FS für Götz Frank zum 70. Geburtstag, Tübingen 2014, S. 37.
[121] § 349 R.
[122] M. Pawlik, Hegel
und die Vernünftigkeit des Wirklichen, Der Staat 41 (2002), S. 185.
[123] Versuche, sie
auszumerzen oder zu ignorieren, das hat die Geschichte oft genug gezeigt,
führen zu Fehlentwicklungen, die
Auslöser von Kriegen und Bürgerkriegen
sein können. Sie müssen also weiterhin respektiert werden.
[124] § 259 R.
[125] § 341 R.
[126] § 259 R.
[127] E. Gans, Vorrede
zur 1833 von ihm herausgebrachten 2. Auflage der „Rechtsphilosophie“, enthalten
in der Edition Ilting Bd. I, S. 593.
[128] § 352 R.
[129] E. Gans, a.a.O.
[130] § 331; vgl. auch
§ 322/A R.
[131] Vgl. § 552 E. Er
verweist auf „das Moment geographischer und klimatischer Bestimmtheit“ = die
„Naturseite“ (§ 548 E).
[132] Ebd. (§ 552 E).
[133] § 548 E.
[134] § 549/A E: „Dass
der Geschichte und zwar wesentlich der Weltgeschichte ein Endzweck
an-und-für-sich zum Grunde liege und derselbe wirklich in ihr realisiert worden
sei und werde, - der Plan der Vorsehung“. Siehe dazu auch die Ausführungen zur
„philosophischen Art“, die Geschichte zu betrachten in VPhG (MM 12, S. 19ff.).
[135] § 259 R.
[136] § 259/Z R.
[137] Meyerholt,
a.a.O., S. 26.
[138] Rosenkranz,
a.a.O., S. 419.
[139] Ebd., S. 414.
[140] Mahnern, die die
Bewohnbarkeit der Erde aktuell in Gefahr sahen hielt F. Engels entgegen: „Wir befinden uns jedenfalls noch ziemlich
weit weg von dem Wendepunkt, von wo an es mit der Geschichte der Gesellschaft
abwärtsgeht“. (MEW 21, S. 268). Zur Naturauffassung von Marx/Engels: B. Rettig,
Staat, Recht, Ökonomie, a.a.O., S. 81ff.
[141] J. Kohler,
Hegels Rechtsphilosophie, Archiv f. Rechts- u. Wirtschaftsphilosophie Bd. V
(1912), S. 105.
[142] Hegel konnte
froh sein, dass einflussreiche Herren desselben diesem Versuch eher
misstrauisch gegenüber standen.
A.
Rosenberg und sein Adlatus A. Bäumler wussten, dass „in Hegels Staat … weder
das Volk noch das nationale Prinzip einen legitimen Platz“ hat. (A. Bäumler,
Hegels Schriften zur Gesellschaftsphilosophie, Teil 1: Philosophie des Geistes
und Rechtsphilosophie, Einführung S. 66, Jena 1927). Siehe dazu: B. Rettig, Hegels sittlicher
Staat. Bedeutung und Aktualität, Köln, Weimar, Wien 2014, S. 271ff.
[143] Weil seine Bewertung
mit jener des jungen Marx weitgehend konform ging, fand Ritters Arbeit auch in
der DDR Beifall, wie eine Besprechung durch M. Buhr (Deutsche Literaturzeitung
11 [1958], Sp. 987 ff. zeigt. Und der ddr-nahe W.R. Beyer (Der Stellenwert der
französischen Juli-Revolution von 1830 in Hegels Denken, DZfPh 1971, S. 628)
nennt die Schrift „den gelungenen Startschuss zum Thema „Hegel und die
Revolution“.
[144] Vgl. NR, S. 473.
[145] Nicht weniger
drastisch Hegel (§ 135 R, gegen Kant): Ein „Herumtreiben“ im Sollen.
[146] N. Luhmann, Ökologische
Kommunikation, a.a.O., S. 259.
[147] V. Hösle,
Philosophie der ökologischen Krise. Moskauer Vorträge, 2. Aufl., München 1994,
S. 68.
[148] § 48/A R.
[149] Es ist daher durchaus
richtig, das GG in den Rang „eines verfassungstheoretischen Idealtypus“ zu
erheben, wie P. Unruh (Weimarer Staatsrechtslehre und Grundgesetz, Berlin 2004,
S. 21 f.) es tut.
[150] Weswegen Autoren wie Walter
Leisler (Das Volk, Berlin 2005) und Friedrich Müller (Wer ist das Volk?, Berlin
1997) seit Jahren vergeblich fordern, „Volk“ endlich justiziabel zu machen.
[151] Th. Heinicke,
Vom blauen Himmel über der Ruhr, in: Ernst-Wilhelm Luthe u.a. (Hrsg.), Der
Rechtsstaat zwischen Ökonomie und Ökologie. FS für Götz Frank zum 70.
Geburtstag, Tübingen 2014, S. 20.
[152] § 377 und § 377/Z E.
[153] H. Marcuse, Vernunft und Revolution, Neuwied
u. Berlin-Spandau 1962, S. 259.
[154] GuW, MM 2, S.
300.
[155] § 187/A R.
[156] Ebd.